OGH 4Ob2392/96k

OGH4Ob2392/96k11.2.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek und Dr.Niederreiter und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr.Griß und Dr.Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Markus L*****, geboren 18.April 1979, und der mj. Birgit L*****, geboren am 28. August 1982, infolge Revisionsrekurses der Mutter Waltraud L*****, vertreten durch Dr.Helene Klaar, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 27.August 1996, GZ 44 R 538/96k-60, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 17.April 1996, GZ 2 P 2871/95f-52, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der mj.Markus L*****, geboren 18.4.1979, wächst gemeinsam mit seiner am 28.8.1982 geborenen Schwester Birgit bei der Mutter auf. Ein gegen ihn und einen Mitbeschuldigten wegen schwerer Sachbeschädigung eingeleitetes Strafverfahren wurde mit Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 21.2.1994, GZ 1a EVR 1531/93, Hv 6/94, gemäß § 9 Abs 1 Z 1 JGG für eine Probezeit von zwei Jahren vorläufig eingestellt, nachdem die Mutter den Schaden gutgemacht hatte. Markus L***** war vorgeworfen worden, Schwarzpulver in der Geldrückgabelade einer öffentlichen Fernsprechanlage zur Explosion gebracht und dadurch Fernsprechanlage und Telefonzelle zerstört zu haben, wodurch ein Schade von ca 70.000 S entstanden sei.

Über den gleichzeitig gestellten Unterhaltsfestsetzungsantrag auf S 7.000 monatlich je Kind ab 1.2.1993 hinaus stellte die Mutter den Antrag, den Vater zur Leistung eines Sonderbedarfs in Höhe von 50 % der von ihr für Markus vorgenommenen Schadensgutmachung zu verpflichten, das sind S 21.201,40, zahlbar in 11 Monatsraten a S 1.927,40 ab 1.2.1994. Die Schadensgutmachung zur Abwendung der strafgerichtlichen Verurteilung, welche das ganze Leben des Minderjährigen negativ beeinflussen würde, sei ein im Interesse des Minderjährigen dringend gebotener Aufwand und daher ein vom Vater zur Hälfte zu ersetzender Unterhaltssonderbedarf.

Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist nur der für Markus begehrte Sonderbedarf.

Das Erstgericht wies den Antrag mit der Begründung ab, Zahlungen für Schadensgutmachung stellten keinen Unterhaltssonderbedarf dar.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Mutter nicht Folge; die Einstellung eines Jugendstrafverfahrens und die Vermeidung einer strafgerichtlichen Verurteilung sei keinesfalls davon abhängig, ob die Eltern nach ihrer finanziellen Lage imstande und bereit seien, den aus der strafbaren Handlung entstandenen Schaden gutzumachen. Maßgeblich sei vielmehr, ob der jugendliche Täter selbst bereit sei, nach seinen eigenen Kräften Schadensgutmachung bzw einen Beitrag zum Ausgleich der Tatfolgen zu leisten. Der Gesetzgeber strebe an, dem jugendlichen Straftäter zwar das Übel einer strafgerichtlichen Verurteilung zu ersparen, ihm jedoch im Rahmen der Schadensgutmachung einen nach seinen Kräften zumutbaren Verzicht aufzuerlegen. Damit sollen ihm die negativen Folgen der Tat vor Augen geführt und der Jugendliche vor weiteren Straftaten abgehalten werden. Dieser Zweck ginge jedoch verloren, wolle man die Schadensgutmachung als Unterhaltssonderbedarf auf die Eltern abwälzen.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob Zahlungen zur Schadensgutmachung wegen einer strafbaren Handlung eines minderjährigen Kindes Unterhaltssonderbedarf bilden, fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Mutter ist aus den vom Rekursgericht angeführten Gründen zulässig; das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.

Gemäß § 9 Abs 1 JGG kann das Gericht ein Strafverfahren wegen einer Jugendstraftat unter Setzung einer Probezeit oder unter Erteilung von Auflagen vorläufig einstellen, wenn der Sachverhalt hinreichend geklärt ist, die Schuld nicht als schwer anzusehen und eine Bestrafung nicht geboten ist, um den Beschuldigten von (weiteren) strafbaren Handlungen abzuhalten.

Als Auflage, die dem Beschuldigten erteilt werden kann, sieht § 19 Abs 1 Z 3 JGG vor, "den aus der Tat entstandenen Schaden nach Kräften gutzumachen oder sonst zum Ausgleich der Folgen der Tat beizutragen". Darunter wird eine auf den Täter bezogene jugendgerechte Form der Wiedergutmachung verstanden. Dem jugendlichen Täter, der meist nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel für eine Schadensgutmachung verfügt, soll unabhängig vom finanziellen Rückhalt in der Familie ermöglicht werden, Wiedergutmachung zu leisten (Jesionek JGG Anm 1 ff zu § 19). Tragender Gedanke der vorläufigen Einstellung unter Bestimmung von Auflagen ist es somit, dem Jugendlichen ein in Beziehung zu seiner Tat positives Verhalten abzuverlangen und ihn zu veranlassen, einen ihm zumutbaren positiven Beitrag zu leisten (Jesionek aaO Anm 1 ff zu § 9), ohne daß er gezwungen wäre, vollen Tatausgleich zu leisten. In diesem Sinn sind auch Auflagen, die einen unzumutbaren Eingriff in Persönlichkeitsrechte oder in die Lebensführung darstellen würden, unzulässig (§ 19 Abs 2 JGG).

Unter Sonderbedarf verstehen Rechtsprechung und Lehre jenen individuellen und außergewöhnlichen Bedarf des Unterhaltsberechtigten, der sich aus der Berücksichtigung gerechtfertigter, beim "Regelbedarf" bewußt außer acht gelassener Umstände ergibt. Als gerechtfertigte Gründe sind Krankheit, Persönlichkeitsentwicklung (insbesondere Ausbildung, Förderung von Anlagen und Fähigkeiten sowie Erziehung) und Betreuungsnotwendigkeiten anerkannt (Pichler in Rummel ABGB2 Rz 2 und 3 zu § 140; Schwimann Unterhaltsrecht 28 f mwN; Purtscheller/Salzmann Unterhaltsbemessung Rz 12; Gitschthaler JBl 1995, 809; RZ 1991, 98; ÖA 1993, 139 U 76; ÖA 1996, 126).

Auch die dem Unterhaltsberechtigten zur Verfolgung seiner Unterhaltsansprüche erwachsenden notwendigen Kosten begründen gleich den mit der (notwendigen) Verteidigung eines mündigen Minderjährigen in einem Strafverfahren verbundenen Rechtsanwaltskosten (7 Ob 2165/96z) einen vom Unterhaltspflichtigen zu deckenden Sonderbedarf (Schwimann aaO 31; ÖA 1995, 92; ÖA 1995, 126).

Hingegen hat der Oberste Gerichtshof erst jüngst Prozeßkostenschulden eines unterhaltsberechtigten Kindes, die dieses aufgrund einer in einem verlorenen Prozeß ergangenen Kostenentscheidung einem Dritten zu zahlen hatte, nicht als Sonderbedarf qualifiziert. Er hat ferner ausgesprochen, daß auch die Bezahlung allfälliger Schulden des unterhaltsberechtigten Kindes nicht zu dem vom Unterhaltspflichtigen zu leistenden Unterhalt gehört, mögen diese aufgrund eines deliktischen Verhaltens des Unterhaltsberechtigten (Schadenersatzansprüche eines Dritten) oder auf vertraglicher Grundlage entstanden sein (5 Ob 2257/96i).

Der erkennende Senat teilt diese Ansicht. Auch für die Berücksichtigung eines Aufwandes als Sonderbedarf hat der in § 140 Abs 1 ABGB niedergelegte Grundsatz zu gelten, wonach sich der Anspruch aus in der Person des Kindes begründeten Bedürfnissen ergeben müsse (vgl Pichler aaO Rz 9 zum Problem der Unterbringungskosten). Dies trifft für Schadenersatzansprüche eines Dritten nicht zu, welche daher auch von dem vom Unterhaltspflichtigen zu leistenden Unterhalt nicht umfaßt werden.

Gleiches gilt für die von der Mutter unter dem persönlichen Eindruck, eine Einstellung des Strafverfahrens nur unter der Voraussetzung eines vollen Tatausgleichs erwirken zu können, geleistete Schadensgutmachung.

Es wird nicht verkannt, daß die durch das eigenverantwortliche deliktische Verhalten des Minderjährigen entstandene zivilrechtliche Schadenersatzpflicht diesen belastet. Daraus allein kann jedoch eine Qualifikation dieser den Minderjährigen treffenden Schulden als vom Unterhaltspflichtigen zu leistender Sonderbedarf nicht abgeleitet werden. Unterhaltsleistungen dienen der Abdeckung des nach den Umständen angemessenen und gerechtfertigten Lebensaufwandes (Schwimann aaO 17) und nicht der Abwendung von selbstverschuldeten Schadenersatzleistungen, wobei es nicht darauf ankommt, aus welchen Gründen der Minderjährige die zugrundeliegenden Taten gesetzt hat. Der Sonderbedarf soll zwar die Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten abdecken, nicht jedoch dazu dienen, ihm die Folgen eigenverantwortlichen Handelns abzunehmen. Letzteres widerspräche auch den ausdrücklichen Zielsetzungen der vorläufigen Einstellung unter Bestimmung von Auflagen nach §§ 9 Abs 1 iVm § 19 JGG, wonach dem Jugendlichen (und nicht seinem Unterhaltspflichtigen) ein in Beziehung zu seiner Tat positives Verhalten abverlangt werden soll. Der straffällige Jugendliche soll (unabhängig von der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen) einen ihm zumutbaren positiven Beitrag leisten. Gerade dies würde aber durch die Anerkennung der Schadensgutmachung im Rahmen eines Sonderbedarfes verhindert.

Dem Revisionsrekurs war somit ein Erfolg zu versagen.

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