OGH 4Ob2361/96a

OGH4Ob2361/96a28.1.1997

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek und Dr. Niederreiter sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Inge H*****, vertreten durch Dr. Reinhard Schwarzkogler, Rechtsanwalt in Lambach, wider die beklagte Partei Ranko B*****, vertreten durch Dr. Gerald Haas und andere Rechtsanwälte in Wels, wegen S 220.000,-- sA (Revisionsinteresse S 110.000,-- sA), infolge Revision des Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 18.September 1996, GZ 3 R 146/96b-36, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 15.April 1996, GZ 1 Cg 237/94-26, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 7.605,-- bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin S 1.267,50 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 9.3.1991 gegen 3.30 Uhr verließ die Klägerin mit ihrem Lebensgefährten Johann H***** eine Diskothek in S*****. Zu dieser Zeit hielt sich der Beklagte mit zwei weiteren jugoslawischen Staatsangehörigen, Ratko G***** und "S*****", im Gastgarten auf. Als die Klägerin und Johann H***** an ihnen vorbeigingen, machten die drei Männer ordinäre und anzügliche Bemerkungen. Johann H***** forderte sie auf, "die Goschn" zu halten. Daraufhin stießen ihn der Beklagte und Ratko G***** über eine Treppe und mißhandelten ihn, als er auf dem Boden lag. Die Klägerin versuchte, in das Lokal zurückzugelangen, um Hilfe zu holen. Dabei wurde sie von "S*****" zurückgehalten, mißhandelt und schwer verletzt.

Die Klägerin erlitt eine Schädelprellung mit einem verschobenen Bruch des linken Jochbeines. Der Bruch wurde nicht sofort erkannt. Die Klägerin nahm ihre Arbeit am 18.3.1991 wieder auf. Die Schmerzen ließen nicht nach und die Klägerin hatte Schwierigkeiten, Nahrung aufzunehmen. Am 22.3.1991 wurde der Jochbeinbruch festgestellt; am 26.3.1991 wurde die Klägerin operiert und am 3.4.1991 in häusliche Pflege entlassen; am 15.4.1991 begann sie wieder zu arbeiten.

Die Klägerin hat nach wie vor ein taubes Gefühl im Bereich des linken Jochbogens. Zeitweise, vor allem bei Wetterwechsel, strahlen die Schmerzen bis zur Stirn aus. Spätfolgen sind nicht zu erwarten. Die Klägerin hatte 5 bis 6 Tage starke, 10 bis 14 Tage mittelstarke und 6 bis 7 Wochen leichte Schmerzen.

Die Klägerin begehrt S 220.000,-- sA an Schmerzengeld.

Der Beklagte habe die Verletzungen der Klägerin mitzuverantworten. Der Täter "S*****" habe insbesondere verhindern wollen, daß die Klägerin Hilfe hole. Der Beklagte habe den Lebensgefährten der Klägerin festgehalten und dieser sei dadurch gehindert worden, der Klägerin beizustehen.

Der Beklagte beantragt, das Klagebegehren abzuweisen.

Er habe nicht in die Auseinandersetzung eingegriffen und auch nicht den Lebensgefährten der Klägerin festgehalten. Das Schmerzengeld sei überhöht. Die Forderung sei verjährt; die Klägerin habe auf ihren Anspruch verzichtet.

Das Erstgericht sprach der Klägerin S 100.000,-- sA zu. Das Mehrbegehren wies es ab.

Der vorsätzliche Angriff des Beklagten auf Johann H***** sei kausal für die Verletzung der Klägerin gewesen. Der Beklagte hafte aufgrund seines vorsätzlichen Verhaltens, welches zum Versuch der Klägerin geführt habe, Hilfe zu holen. Der Klägerin stehe voller Schadenersatz gegen den Beklagten zu, der sich bei den übrigen Tätern regressieren könne. Es sei ein Schmerzengeld von S 100.000,-- angemessen. Die Klägerin habe auf das Schmerzengeld weder verzichtet noch sei ihr Anspruch verjährt.

Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß es der Klägerin S 110.000,-- sA zusprach und das Mehrbegehren abwies. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Für die Haftung des Beklagten genüge dessen Beteiligung an der Kausalkette. Es habe keineswegs außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit gelegen, daß die Klägerin versuchen würde, ihrem Lebensgefährten in irgendeiner Weise zu helfen, und daß "S*****" in die Auseinandersetzung eingreifen würde. "S*****" habe gemeinsam mit dem Beklagten und Ratko G***** den Lebensgefährten der Klägerin angestänkert. Sei die Verletzung des Retters adäquate Folge der Gefährdung eines Kindes und die Verletzung von Feuerwehrleuten adäquate Folge der Verursachung eines Brandes, so sei auch die Verletzung der Klägerin durch "S*****" adäquate Folge des Angriffes des Beklagten auf den Lebensgefährten der Klägerin. Der Beklagte hafte solidarisch mit den beiden anderen, weil er Johann H***** vorsätzlich angegriffen habe. Die Behauptungen zum Verzicht der Klägerin seien nicht nachvollziehbar. Die Schmerzen, Unlust- und Angstgefühle der Klägerin rechtfertigten ein Schmerzengeld von S 110.000,--.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revision des Beklagten ist zulässig, weil noch keine Rechtsprechung zu einem gleichartigen Sachverhalt besteht; sie ist aber nicht berechtigt.

Der Beklagte verweist darauf, daß ein Dritter mit Schädigungsvorsatz in den Geschehensablauf eingegriffen hat. Zwischen den Tritten des Beklagten gegen Johann H***** und dem Hilfeholen durch die Klägerin bestehe kein Kausalzusammenhang. Hätte der Beklagte Johann H***** nicht getreten, so blieben noch immer die diesem von Ratko G***** zugefügten Schläge, welche die Klägerin veranlaßt hätten, Hilfe zu holen. Der Beklagte habe die Verletzung der Klägerin durch "S*****" nicht vorhersehen können. Dessen brutaler Angriff sei keine adäquate Folge des vom Beklagten gesetzten Verhaltens. Der Beklagte hafte nicht solidarisch, weil sich die Anteile am zugefügten Schaden bestimmen ließen. Der Beklagte habe die Klägerin nicht verletzt. Ihre Verletzung sei auch nicht von seinem Vorsatz umfaßt gewesen, Johann H***** zu verletzen. Das Schmerzengeld sei überhöht.

Hiezu war zu erwägen:

Der Schädiger hat nur für adäquat herbeigeführte Schäden einzustehen. Ein Schaden ist adäquat herbeigeführt, wenn seine Ursache ihrer allgemeinen Natur nach für die Herbeiführung eines derartigen Erfolges nicht als völlig ungeeignet erscheinen muß und nicht nur infolge einer ganz außergewöhnlichen Verkettung von Umständen zu einer Bedingung des Schadens wurde (Koziol/Welser10 I 448 mwN; Reischauer in Rummel, ABGB**2 § 1295 Rz 14 mwN; JBl 1986, 103 [Koziol] mwN). Für einen widerrechtlich zugefügten Schaden können mehrere Personen verantwortlich werden, indem sie gemeinschaftlich, unmittelbarer oder mittelbarer Weise durch Verleiten, Drohen, Befehlen, Helfen, Verhehlen udgl. oder auch nur durch Unterlassung der besonderen Verbindlichkeit, das Übel zu verhindern, dazu beigetragen haben (§ 1301 ABGB). Sie haften solidarisch, wenn der Schaden vorsätzlich zugefügt worden ist oder wenn sich die Anteile der Einzelnen an der Beschädigung nicht bestimmten lassen (§ 1302 ABGB). § 1302 ABGB umfaßt nicht nur die Haftung von Mittätern, sondern auch von Nebentätern. Es kommt daher nicht auf ein einverständliches Handeln der Täter an, es genügt die Beteiligung an der Kausalkette (SZ 60/55;SZ 60/91 mwN).

Die Adäquanz des Kausalzusammenhanges ist objektiv und nicht danach zu beurteilen, was dem Schädiger subjektiv vorhersehbar war. Das Hinzutreten einer gewollten, rechtswidrigen Handlung eines Dritten ist adäquat, wenn diese nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit lag (JBl 1974, 373 = Arb 9224 mwN; EvBl 1980/112; RIS-Justiz RS002587).

Der Beklagte hat gemeinsam mit Ratko G***** eine fremde, schädigende Willensbetätigung herbeigeführt. Das Verhalten beider war sowohl für den Versuch der Klägerin, Hilfe zu holen, als auch für den Entschluß von "S*****", die Klägerin gewaltsam daran zu hindern, kausal. Bei kumulativer Kausalität haften die Schädiger solidarisch (Reischauer aaO § 1302 Rz 13 mwN), sofern die übrigen Haftungsvoraussetzungen vorliegen.

Die Rechtswidrigkeit kann bei psychischer Kausalität nur aufgrund

einer umfassenden Interessenabwägung festgestellt werden (SZ 65/20 =

ÖBA 1992, 841 = JBl 1992, 713 [Iro] mwN; s auch SZ 57/173 = JBl 1986, 98 = RdW 1985, 107 = ÖZW 1986, 84; RIS-Justiz RS0018578). Bei der Interessenabwägung muß vor allem berücksichtigt werden, daß jeder selbst zu entscheiden hat, welche Gefahren er auf sich nehmen will und wie er sich Dritten gegenüber verhalten will. Für diese Entscheidung ist grundsätzlich auch jeder nur selbst verantwortlich. Wenn nicht besondere Umstände vorliegen, ist daher auch niemand verpflichtet, darauf hinzuwirken, daß ein anderer sorgfältig gegenüber sich selbst oder dritten Personen ist. In der Regel wird der Ersttäter daher mangels Rechtswidrigkeit nicht für den Schaden einzustehen haben, den der Zweittäter sich selbst oder anderen Personen zufügt. Die Interessenabwägung kann aber (ua) wegen der besonderen Gefährlichkeit der Situation, wegen der Mißbilligung des auslösenden Verhaltens des Ersttäters oder wegen des gezielten Einwirkens des Ersttäters zu dessen Lasten ausfallen, so daß das Verhalten des Ersttäters als rechtswidrig zu qualifizieren ist (Koziol, Haftpflichtrecht**2 I 97f).

Der Angriff auf die Klägerin war in zweifacher Hinsicht eine Folge des vorsätzlichen Angriffes, den der Beklagte und Ratko G***** auf den Lebensgefährten der Klägerin unternommen hatten: Einerseits wurde die Klägerin dadurch zum Versuch veranlaßt, Hilfe für ihren Lebensgefährten zu holen, andrerseits sah sich "S*****" genötigt, dem Beklagten und Ratko G***** beizustehen, indem er die Klägerin darin hinderte, Hilfe zu holen. Keines von beidem lag außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit: Der Beklagte mußte sowohl damit rechnen, daß die Klägerin nicht tatenlos zusehen würde, wenn ihr Lebensgefährte mißhandelt wurde, als auch annehmen, daß "S*****" nicht untätig bleiben würde, hatte dieser doch gemeinsam mit dem Beklagten und Ratko G***** die Klägerin und deren Lebensgefährten durch ordinäre und anzügliche Bemerkungen beleidigt, als die beiden die Diskothek verließen. Das Eingreifen von "S*****" ist entgegen der Auffassung des Beklagten kein derart außerhalb jeglicher menschlicher Erfahrung liegender Umstand, daß hiedurch der Kausalzusammenhang "unterbrochen" würde (s SZ 62/203; zur Fragwürdigkeit der "Unterbrechung des Kausalzusammenhanges" als Kriterium der Haftungsbegrenzung s Reischauer aaO § 1295 Rz 18ff).

Dem vorsätzlichen Verhalten des Beklagten, von Ratko G***** und von "S*****", die Klägerin und ihren Lebensgefährten zu beleidigen, und dessen vorsätzlicher Verletzung durch den Beklagten und Ratko G***** steht der durch dieses Verhalten herausgeforderte (zur "Herausforderung" als Zurechnungsmoment s Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts14 I452) Versuch der Klägerin gegenüber, ihrem Lebensgefährten zu helfen. Das vorsätzliche Verhalten des Beklagten hat nicht nur das Verhalten der Klägerin beeinflußt, sondern auch, über das von der Klägerin gesetzte Verhalten, die Reaktion von "S*****" ausgelöst. Daß "S*****" eingriff und die Klägerin vorsätzlich verletzte, war aber auch eine Folge des vorangegangenen gemeinschaftlichen Zusammenwirkens mit dem Beklagten und mit Ratko G*****.Letztlich war es demnach ein gemeinschaftliches Handeln des Beklagten, von Ratko G***** und von "S*****", das zur Verletzung der Klägerin führte (s SZ 13/93; JBl 1986, 579).

Aus dieser Sach- und Rechtslage folgt, daß der Beklagte mit den beiden anderen Tätern für den der Klägerin zugefügten Schaden solidarisch haftet: Mit seinem vorsätzlichen Angriff gegen Johann H***** hat der Beklagte auch die Verletzung der Klägerin adäquat verursacht; sein Verhalten ist auch ihr gegenüber als rechtswidrig zu qualifizieren.Daß die Schmerzen der Klägerin, ihre Unlust- und Angstgefühle ein Schmerzengeld der Klägerin von S 110.000,-- rechtfertigen, hat das Berufungsgericht ausführlich begründet (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Revision mußte erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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