OGH 4Ob189/20b

OGH4Ob189/20b20.4.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Matzka und die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers Verband *****, vertreten durch MMag. Christina Toth, Rechtsanwältin in Wien, sowie der Nebenintervenientin auf Seite des Klägers Ö***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Rechtsanwalt WEISSBORN & WOJNAR Kommanditpartnerschaft in Wien, gegen die Beklagte R***** B*****, vertreten durch Reiffenstuhl & Reiffenstuhl Rechtsanwaltspartnerschaft OG in Wien, wegen Duldung des Zutritts (Streitwert 7.000 EUR), über die außerordentliche Revision der Nebenintervenientin gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 29. Juli 2020, GZ 38 R 40/20v-47, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Favoriten vom 5. Dezember 2019, GZ 7 C 150/19x-38, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00189.20B.0420.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die klagestattgebende Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger seine mit 912,41 EUR (darin 152,07 EUR USt) bestimmten Kosten und der Nebenintervenientin deren mit 2.253,93 EUR (darin 256,49 EUR USt und 715 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der klagende Verein ist Generalpächter einer Liegenschaft im Eigentum der Nebenintervenientin. Ein Zweigverein des Klägers betreibt dort eine an einem Badeteich gelegene Kleingartenanlage. Die Beklagte ist seit 2014 kraft eines Vertrags mit dem Kläger Unterpächterin einer Kleingartenparzelle.

[2] Der Unterpachtvertrag enthält unter anderem folgende Bestimmungen:

6.4. Der Unterpächter ist verpflichtet, die Gartenfläche ordnungsgemäß kleingärtnerisch zu bewirtschaften und die darauf befindlichen Gebäude und baulichen Anlagen in gutem, der Baubewilligung, den Bauordnungen und anderen einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen der Länder in jeweils gültiger Fassung entsprechenden Zustand zu erhalten.

6.6. Der Unterpächter hat das Betreten des Pachtgegenstandes durch Organe des Generalpächters oder die von diesem dazu beauftragten Personen aus wichtigen Gründen gegen Voranmeldung zu gestatten, bei Gefahr im Verzug auch ohne Voranmeldung und jederzeit.

 

[3] Gemeinsam mit der Kleingartenparzelle wurde der Beklagten der dieser Parzelle vorgelagerte Teil des Ufergrundstücks (Eigentümerin: Stadt Wien, Generalpächter: Kleingärtnerverband) übergeben, sodass sie einen direkten Zugang zum Badeteich hat. Die Beklagte zahlt neben dem jährlichen Pachtentgelt für ihre Kleingartenparzelle ein Entgelt für die Benützung des Ufergrundstücks. Auf der Kleingartenparzelle befindet sich ein Gartenhaus, für das die Klägerin 2014 eine Ablöse von 10.500 EUR an die Vorpächterin gezahlt hat. Von einem der ehemaligen Unterpächter wurde ein Stiegenabgang zum See mit 12 Betonstufen errichtet. Wiederum einige Jahre später errichtete ein Unterpächter eine Stützmauer zum Hang hin. Es wurde auch ein Badesteg mit 22 m² angelegt. Die Kleingartenparzelle der Beklagten ist terrassenförmig angelegt und weist eine Hanglage zum Badeteich auf. Die etwa 3 m hohe Stützwand befindet sich ausschließlich auf der im Eigentum der Stadt Wien stehenden Liegenschaft, wobei aber die Rückverankerungskörper auf der gegenständlichen Kleingartenparzelle im Eigentum der Nebenintervenientin angebracht sind. Die direkt am See gelegenen Kleingartenparzellen sind als Erholungsgebiet/Badehütten, die dahinter liegenden als Erholungsgebiet/Kleingarten für ständiges Wohnen gewidmet. Eine ähnliche Stützmauer, wie sie bei der Kleingartenparzelle der Beklagten vorhanden ist, existiert auch bei vielen anderen am Badeteich gelegenen Kleingartenparzellen. Am 15. 5. 2018 erließ die Baubehörde einen Bescheid, wonach die gegenständliche – ohne Baubewilligung errichtete – Stützmauer abzutragen und das ursprüngliche Geländeniveau (Abhang) wiederherzustellen ist. Bescheidadressaten waren die Stadt Wien und die Nebenintervenientin. Der – von der Nebenintervenientin angefochtene – Bescheid wurde mit rechtskräftiger Beschwerdevorentscheidung vom 26. 7. 2018 im Wesentlichen bestätigt. Die Nebenintervenientin forderte sodann den Kläger als Generalpächter der Liegenschaft auf, ihr gegenüber der Beklagten den Zutritt zur Parzelle zu verschaffen. Die Beklagte, der dieses Ansinnen weitergeleitet wurde, leistete dem nicht Folge. Vielmehr begehrte sie in einem von ihr angestrengten Parallelprozess (zusammengefasst), dem Kläger dieses Verfahrens die bauliche Sanierung der Stützmauer aufzutragen, um die ordnungsgemäße und uneingeschränkte Nutzung der Kleingartenparzelle zu gewährleisten; dieses Verfahren ist noch anhängig.

[4] Mit der gegenständlichen Klage begehren der Kläger und die Nebenintervenientin, die Beklagte (zusammengefasst) schuldig zu erkennen, den Zutritt der Nebenintervenientin zur Kleingartenparzelle der Beklagten zwecks Durchführung der Baumaßnahmen laut Beschwerdevorentscheidung (Abtragung des Verankerungskörpers der Stützmauer und Wiederherstellung des ursprünglichen Geländeniveaus [Abhang]) zu dulden. Die Verpflichtung ergebe sich aus Punkt 6.6. des Unterpachtvertrags. Die wichtigen Interessen der Nebenintervenientin als Grundeigentümerin (etwa Vermeidung der Ersatzvornahme und der Verhängung von Verwaltungsstrafen wegen Übertretungen der Bauordnung) seien vom Schutzzweck der im Unterpachtvertrag festgelegten Zutrittsverpflichtung mit umfasst.

[5] Die Beklagte wendete ein, die Stadt Wien und die Nebenintervenientin hätten es (kollusiv) pflichtwidrig unterlassen, die vorhandenen Baumängel zu beheben. Eine Nachtragsbewilligung sei dazu nicht erforderlich. Die Bekämpfung des Abbruchbescheids sei rechtswidrig unterlassen worden. Aber auch ein bereits rechtskräftiger Abbruchbescheid verliere seine Wirksamkeit, wenn der Bescheidadressat den bauordnungswidrigen Zustand beseitige. Die Vertragsklausel Punkt 6.6. des Unterpachtvertrags verpflichte die Beklagte nicht, der Grundeigentümerin (Nebenintervenientin) Zutritt zur Erfüllung des gegen diese gerichteten baubehördlichen Abbruchbescheids zu gewähren. Die Klausel diene vielmehr der Erhaltung des Bestandgegenstands. Dem Zweck entsprechend müsse ein Bestandnehmer den Zutritt des Bestandgegenstands immer nur dann dulden, wenn dadurch sein Bestandrecht nicht wesentlich beeinträchtigt werde. Bauliche Maßnahmen, die zum Untergang der Bestandsache führen könnten, müsse die Beklagte keinesfalls dulden und wären ihr auch nicht zumutbar, da dies einen massiven Eingriff in ihr aufrechtes Bestandrecht bedeute, noch dazu, wo die Verhinderung eines solchen Untergangs technisch und rechtlich möglich wäre, wozu der Kläger gegenüber der Beklagten verpflichtet wäre.

[6] Das Erstgericht gab dem Duldungsbegehren des Klägers statt. Die Gerichte seien an rechtskräftige Bescheide der Verwaltungsbehörden, mit denen eine für den Zivilstreit maßgebliche Vorfrage entschieden worden sei, gebunden. Für die im Verfahren wesentliche Frage, ob die Beklagte das Betreten ihres Kleingartens zum Vollzug der mit rechtskräftigem Bescheid angeordneten Maßnahme zu dulden habe, komme es nicht auf die vertraglich vereinbarte Erhaltungspflicht für bauliche Anlagen auf der Pachtparzelle an. Im Übrigen sei Punkt 6.6. des Vertrags weder intransparent noch sittenwidrig und es liege keine Unwirksamkeit nach § 864a ABGB vor. Der Vollzug eines rechtskräftigen verwaltungsbehördlichen Bescheids sei ein wichtiger Grund im Sinn des Pachtvertrags, um die Beklagte zu verhalten, das Betreten des Pachtgegenstands durch die Nebenintervenientin zu dulden. Dass dadurch der Kleingarten „untergehen“ könne, sei nicht anzunehmen, da Eingriffe in Bestandrechte immer unter möglichster Schonung der Substanz zu erfolgen hätten.

[7] Das von der Beklagten angerufene Berufungsgericht wies die Klage ab und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Der Bestandgeber sei nach § 1096 ABGB zur umfassenden Erhaltung des Bestandgegenstands verpflichtet; er habe den Bestandnehmer gegen die von Dritten ausgehenden Störungen zu schützen. Der Beklagten sei der (Unter‑)Pachtgegenstand vom Kläger mit den darauf befindlichen Baulichkeiten samt einer nahezu ebenen Liegewiese ohne Abhang übergeben worden. Die Umsetzung des Bescheids der Verwaltungsbehörde würde die in Bestand gegebene Fläche derart verändern, dass anstelle einer zu ebener Fläche aufgeschütteten Wiesenfläche das ursprüngliche Geländeniveau in Form eines Abhangs wiederhergestellt werde, womit der im Zeitpunkt des Abschlusses des Bestandvertrags bestandene und bedungene Zustand des Bestandgegenstands (nämlich ein nahezu ebenes Liegewiesengrundstück) in seiner Gebrauchstauglichkeit wesentlich abgeändert würde. Es liege aber am Bestandgeber, alle Maßnahmen zu setzen, die zur Beseitigung eines Rechtsmangels notwendig seien. Dazu zähle auch die Beschaffung der erforderlichen behördlichen Bewilligungen und sogar die Vornahme eines für die bewilligungskonforme Benützung erforderlichen Umbaus, eine Adaptierung oder Reparatur des Bestandgegenstands. Nur wenn das Erreichen der Bewilligung aussichtslos sei oder von der Behörde endgültig verweigert werde, ohne dass dies der Bestandgeber absichtlich vereitelt habe, sei die Gewährung des bedungenen Gebrauchs unmöglich. Die Behauptungs- und Beweislast dafür, alle rechtlich zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft zu haben, dem Bestandnehmer den bedungenen Gebrauch zu gewähren, treffe stets den Bestandgeber. Hier behaupte der Kläger nicht einmal, dass er seine Möglichkeiten zur Erhaltung oder (neuerlichen) Verschaffung des bedungenen Gebrauchs ausgeschöpft hätte. Wenngleich dem Vermieter grundsätzlich das Recht zustehe, auch gegen den Willen des Mieters den Bestandgegenstand zu betreten und Arbeiten vorzunehmen, finde dieses Recht darin seine Grenzen, dass für den Vermieter ein wichtiger Grund vorliegen müsse, der das Interesse des Mieters, den Vermieter vom Betreten des Bestandsobjekts auszuschließen, überwiege. Im vorliegenden Fall gehe die Interessenabwägung zugunsten der Beklagten aus.

[8] Gegen dieses Urteil richtet sich die – nach Freistellung von der Beklagten beantwortete – außerordentliche Revision der Nebenintervenientin mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen; in eventu wurde ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Kläger habe als bloßer Generalpächter mangels Parteistellung keinen Einfluss auf das baubehördliche Administrativverfahren nehmen können. Angesichts der rechtskräftigen verwaltungsbehördlichen Entscheidung sei keine Interessenabwägung durchzuführen; in eventu falle diese zugunsten des Klägers aus. Auch stehe es dem Kläger mangels Eigentums am Pachtgrund nicht zu, eigenmächtig baubewilligungspflichtige Arbeiten vorzunehmen. Eine Baubewilligung hätte der Kläger mangels Eigentums an der Kleingartenparzelle (im Eigentum der Nebenintervenientin) und am Uferstreifen (im Eigentum der Stadt Wien) gar nicht bewirken können. Er habe auch keinen Rechtsanspruch gegen die jeweiligen Grundeigentümer auf deren Zustimmung zur nachträglichen Genehmigung der konsenslosen Bauwerke auf ihrem Grund.

[9] Die Revision ist zulässig, weil dem Berufungsgericht eine unvertretbare Vertragsauslegung unterlaufen ist; die Revision ist daher auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[10] 1. Laut Punkt 6.6. des zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Unterpachtvertrags hat die Beklagte das Betreten des Pachtgegenstands durch Organe des Klägers aus wichtigen Gründen zu gestatten. Die Durchsetzung eines rechtskräftigen baubehördlichen Bescheids ist ganz generell als wichtiger Grund im Sinne dieser Vertragsbestimmung zu werten. Von einer durch diese Klausel bewirkten gröblichen Benachteiligung der Beklagten kann keine Rede sein, da die Durchsetzung von rechtskräftigen baubehördlichen Aufträgen zugunsten und zulasten beider Vertragsteile wirkt. Abgesehen davon ergibt sich die „Wichtigkeit“ des Zutrittsgrundes schon aus dem Umstand der Schadhaftigkeit des Baukörpers (die Beklagte dringt ja im Parallelprozess auf die Sanierung der schadhaften Stützmauer). Mag auch der Zutritt nicht der Sanierung, sondern der Beseitigung der Mauer dienen, so dient er jedenfalls der (Wieder‑)Herstellung eines bauordnungsgemäßen Zustands.

[11] 2.1. Dem Bestandgeber steht grundsätzlich auch gegen den Willen des Bestandnehmers das Recht zu, den Bestandgegenstand zu betreten, soweit dies im Interesse der Erhaltung des Hauses oder zur Ausübung der notwendigen Aufsicht erforderlich ist. Auch andere überwiegende Interessen des Vermieters berechtigen ihn, den Zutritt in einer dem Mieter zumutbaren Weise zu fordern. Der Mieter hat auch dafür zu sorgen, dass zur Vorbereitung und Durchführung notwendiger Arbeiten das Mietobjekt von Handwerkern betreten werden kann (RS0021120; RS0020936). Es hat eine Interessenabwägung stattzufinden. Die Zumutbarkeit ist umso eher gegeben, je schwerwiegender berechtigte Interessen des Vermieters den Eingriff fordern (Lovrek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1098 Rz 40 f).

[12] 2.2. Hier ist das Interesse der Beklagten an der Erhaltung des Bestandgegenstands im derzeitigen Zustand gegenüber jenem des Klägers an der Befolgung eines rechtskräftigen behördlichen Auftrags zur Beseitigung einer ohne Baubewilligung errichteten und nunmehr schadhaften Stützmauer samt Rückverankerungskörper abzuwägen. Dem in diesem Zusammenhang von der Beklagten gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwurf, er hätte keine zumutbaren Bemühungen gesetzt, um den Abbruchbescheid abzuwenden, hält der Kläger einerseits zutreffend entgegen, dass er im Verwaltungsverfahren keine Parteistellung hatte; es war ihm somit ein Einfluss auf den dortigen Verfahrens‑(aus‑)gang verwehrt. Andererseits hat die Grundeigentümerin (Nebenintervenientin) den Bescheid ohnehin – allerdings erfolglos – angefochten. Der Vorwurf der Untätigkeit geht daher ins Leere.

[13] Aber auch abgesehen davon führt der Umstand, dass der Kläger seinerzeit die (baubewilligungslose) Errichtung einer Stützmauer samt Rückverankerungskörper durch einen Vor-Unterpächter der Beklagten geduldet und der Beklagten die Liegenschaft in diesem Zustand übergeben hat, nicht dazu, dass er nun verpflichtet wäre, sich seinerseits gegen die behördlich verfügte Beseitigung des genannten Bauwerks und Wiederherstellung des früheren Zustands zu wenden, zumal der Bestandgegenstand durch die in Aussicht genommene behördliche Maßnahme nicht untergeht.

[14] 2.3. Ein kollusives Handeln des Klägers und der Nebenintervenientin mit der Gemeinde Wien hat die – dafür beweispflichtige (vgl 1 Ob 6/17i) – Beklagte nicht substanziiert behauptet.

[15] 2.4. Im Ergebnis ist daher das Interesse des Klägers an der Herstellung eines (verwaltungs‑)rechtskonformen Zustands gewichtiger als jenes der Beklagten an der Aufrechterhaltung des konsenswidrigen Bauzustands. Ob die von der Baubehörde verfügten Maßnahmen dazu führen, den geschuldeten Gebrauchsnutzen des Bestandobjekts zu Lasten der Beklagten zu verändern und der Kläger als Bestandgeber daher zu Gegenmaßnahmen zu verhalten ist, ist hier nicht zu beurteilen.

[16] Das Duldungsbegehren des Klägers besteht daher zu Recht. Der Revision ist somit Folge zu geben und das stattgebende Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

[17] 3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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