Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der Kläger wurde am 30. 3. 1993 von einem Rottweiler auf der Liegenschaft des Beklagten, der auch der Halter des Hundes war, im Gesicht gebissen. Mit Beschluß des Erstgerichts als Pflegschaftsgericht vom 11. 6. 1997, dem Klagevertreter zugestellt am 25. 8. 1997, wurde der Klagevertreter zum Widerstreitsachwalter des Klägers zur Durchsetzung von dessen Schadenersatzansprüchen aus diesem Vorfall bestellt. Mit Beschluß vom 24. 4. 1998 hat das Pflegschaftsgericht die am 2. 6. 1998 eingebrachte Klage pflegschaftsgerichtlich genehmigt.
Der Kläger begehrt 50.000 S Schmerzensgeld und die Feststellung, daß der Beklagte für alle zukünftigen Ansprüche des Klägers aus dem Vorfall vom 30. 3. 1993 zu haften habe. Er sei durch den Hundebiß erheblich verletzt worden, habe Schmerzen erlitten und deutlich erkennbare Narben im Bereich der Nase und der linken Wange zurückbehalten, die in Zukunft möglicherweise eine kosmetische Operation notwendig machten. Die Verletzung sei ausschließlich auf die mangelhafte Verwahrung des Hundes durch den Beklagten zurückzuführen. Bedenken der Kindesmutter wegen der Hunde des Beklagten habe dieser mit dem Hinweis zerstreut, die Tiere seien äußerst kinderlieb, es könne nichts passieren. Da die Kindesmutter zum Zeitpunkt des Vorfalls mit dem Beklagten eine Lebensgemeinschaft unterhalten habe, sei sowohl eine Strafanzeige als auch die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen unterblieben. Die Kindesmutter habe sich in einer Interessenkollision befunden, die erst mit Beendigung der Lebensgemeinschaft im Frühjahr 1997 weggefallen sei. Die verfolgten Ansprüche seien deshalb nicht verjährt.
Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens und erhebt die Einrede der Verjährung. Der Kläger sei im Zeitpunkt des Vorfalls durch seine Mutter gesetzlich vertreten gewesen, die noch am selben Tag von der Verletzung Kenntnis erlangt habe. Das freundschaftliche Verhältnis der Mutter zum Beklagten habe keine Auswirkungen auf die gesetzliche Vertretung des Klägers gehabt. Es gäbe keine Hinweise dafür, daß die Mutter nur wegen der - erst ein halbes Jahr nach dem Vorfall mit dem Beklagten begründeten - Lebensgemeinschaft von einer Klageführung gegen diesen Abstand genommen habe. Das alleinige Verschulden am Vorfall treffe die Mutter des Klägers, die sich im Unfallszeitpunkt auf der Liegenschaft des Beklagten befunden habe, jedoch ihrer Aufsichtspflicht gegenüber dem Kläger nicht nachgekommen sei. Die Ansprüche seien auch überhöht, für ein Feststellungsbegehren bestehe keine Grundlage.
Das Erstgericht schränkte das Verfahren "auf den Grund des Anspruchs (Verjährung)" ein und sprach mit Zwischenurteil aus, daß "das Klagebegehren, es werde festgestellt, daß der Beklagte für alle zukünftigen Ansprüche des Klägers aus dem Vorfall vom 30. 3. 1993 (Hundebiß) zu haften habe und schuldig sei, dem Kläger 50.000 S s.A. zu bezahlen, dem Grunde nach nicht zu Recht besteht; für den Fall der Rechtskraft gilt dieses Zwischenurteil als Endurteil." Es stellte unter anderem fest, daß die Lebensgemeinschaft zwischen der Kindesmutter und dem Beklagten Mitte 1993 begonnen habe und am 16. 9. 1996 auseinandergegangen sei. Der Beklagte habe 1993 zwei Hunde gehalten, einen Rottweiler und einen Schäferhund. Vor dem Verlassen seines Wohnhauses, eines Dreikanthofs, habe der Beklagte die Hunde in Zwingern verwahrt; sei er zu Hause gewesen, hätten die Hunde auf der Liegenschaft frei umherlaufen dürfen. Vor dem 30. 3. 1993 hätten der Kläger und der Rottweiler des Beklagten immer miteinander gespielt. Am 30. 3. 1993 habe die Kindesmutter dem Beklagten auf dessen Liegenschaft beim Holzschneiden geholfen und den Kläger mitgebracht, der auf der Liegenschaft gespielt habe. Die Hunde des Beklagten seien frei herumgelaufen. Nachdem er vom Rottweiler gebissen worden sei, sei der Kläger am Boden gelegen und der Hund über ihm gestanden. Seit damals habe der Kläger Angst vor dem Hund, dieser sei auch gegenüber dem Kläger aggressiv. Auf einem gemeinsamen Urlaub der Kindesmutter mit dem Kläger und dem Beklagten im August 1996 sei der Rottweiler angekettet gewesen, damit er mit dem Kläger nicht zusammenkomme. Einige Zeit nach dem Vorfall habe die Kindesmutter vom Versicherer des Hundes Schadenersatz begehrt, was abgelehnt worden sei. Ein Anwalt habe der Kindesmutter erklärt, sie müsse für die Bestellung eines Sachverständigen sorgen. Der Beklagte habe der Kindesmutter zugesagt, er werde zum Anwalt gehen, damit dieser die Schadenersatzansprüche des Klägers durchsetze. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß der Kläger zum Zeitpunkt des Vorfalls durch seine Mutter vertreten gewesen sei. Eine Hemmung der Verjährung sei nicht eingetreten, weil sich § 1494 ABGB nicht auch auf Lebensgemeinschaften beziehe. Der Klagevertreter hätte binnen sechs Monaten nach seiner Bestellung den Antrag auf Genehmigung der Klageführung beim Pflegschaftsgericht einbringen müssen. Die Ansprüche des Klägers seien verjährt bzw. verfristet.
Das Berufungsgericht hob aus Anlaß der Berufung die in Form eines Zwischenurteils gefällte Entscheidung, wonach das Feststellungsbegehren dem Grunde nach nicht zu Recht bestehe, auf und bestätigte im übrigen das Ersturteil mit der Maßgabe, daß mit Endurteil das Klagebegehren abgewiesen werde. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit insgesamt zwar mehr als 52.000 S, nicht aber mehr als 260.000 S und sprach - auf Antrag des Klägers gem § 508 Abs 1 ZPO - aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Bis zur Bestellung des Klagevertreters als Kollisionskurator des Klägers sei die Kindesmutter gesetzliche Vertreterin des Klägers gewesen; eine allfällige Interessenkollision ändere daran nichts. § 1494 ABGB komme nicht zur Anwendung, weil der Kläger schon vor der Bestellung eines Kollisionskurators einen gesetzlichen Vertreter gehabt habe, der zur rechtzeitigen Geltendmachung der Ansprüche des Klägers verpflichtet gewesen wäre. Damit stelle sich auch die Frage nicht, ob nach Ablaufhemmung rechtzeitig geklagt worden sei. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB habe am 30. 3. 1993 zu laufen begonnen und sei bei Klageerhebung am 2. 6. 1998 bereits abgelaufen gewesen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Rechtsfolgen einer Kollision der Interessen eines Minderjährigen mit jenen seines gesetzlichen Vertreters unrichtig beurteilt hat; das Rechtsmittel ist im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.
Der Kläger bekämpft die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Bestimmung des § 1494 ABGB finde deshalb keine Anwendung, weil er stets ordnungsgemäß gesetzlich vertreten gewesen sei; die Interessenkollision seiner Mutter habe vielmehr bewirkt, daß er materiellrechtlich unvertreten gewesen sei. Dazu ist zu erwägen:
Zur Frage der Bestellung eines Kurators ordnet § 271 ABGB an, daß das Gericht in Geschäften, welche zwischen Eltern und einem minderjährigen Kinde vorfallen, das Gericht "angegangen werden" muß, für den Minderjährigen einen besonderen Kurator zu bestellen. Der Ausdruck "Geschäfte" in § 271 ABGB ist weit auszulegen: Er umfaßt über seinen eigentlichen Anwendungsbereich - also Geschäfte, deren Partner der gesetzliche Vertreter und der Pflegebefohlene sind - hinaus auch andere Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen sowie insbesondere das Führen eines Rechtsstreits (ÖA 1991, 106 mwN); der Begriff ist so weit zu fassen, wie Kollision im materiellen Sinn droht (RZ 1966, 163; EFSlg 84.264; Pichler in Rummel, ABGB**2 Rz 3 zu §§ 271, 272; Schlemmer in Schwimann, ABGB**2 Rz 4 zu § 271). Die Bestimmung ist auch analog auf andere, nicht zwischen Eltern, Vormund und Kindern spielende Kollisionsfälle anzuwenden (Pichler aaO Rz 10; SZ 38/192). Voraussetzung für die Bestellung eines Kollisionskurators ist allerdings immer ein Widerstreit der Interessen des Vertretenen mit jenen seines gesetzlichen Vertreters (SZ 53/136; RZ 1993/51; SZ 68/146 = ÖA 1996, 94). Ein solcher ist etwa dann anzunehmen, wenn eine Nahebeziehung des gesetzlichen Vertreters zu einer am Geschäft beteiligten Person dessen Unbefangenheit zweifelhaft erscheinen läßt (SZ 53/136; RZ 1993/51). Eine derartige Nahebeziehung allein begründet also noch keinen Kollisionsfall, wenn sich etwa aus der Natur und dem Inhalt des Rechtsgeschäfts keine Bedenken gegen die Unbefangenheit des gesetzlichen Vertreters ergeben. Maßgeblich für das Erfordernis der Bestellung eines Kollisionskurators ist daher auch immer, daß aufgrund des objektiven Sachverhalts eine gesetzmäßige Vertretung des Minderjährigen wegen eines zu befürchtenden Widerstreits an Interessen nicht zu erwarten ist (EvBl 1966/152; RZ 1991/64; SZ 53/136). Allein eine Kollision im formellen Sinn genügt somit für eine Bestellung eines Kollisionskurators nicht, sondern es muß auch noch eine solche im materiellen Sinn hinzutreten (EFSlg 84.266; Pichler aaO Rz 1 und 2 zu §§ 271, 272; idS auch Knell,
Die Kuratoren im österreichischen Recht, 34 ff je mwN).
Die Notwendigkeit, einen Kollisionskurator zu bestellen, wurde demnach für den Fall einer Prozeßführung von der Rechtsprechung nicht nur dann bejaht, wenn der gesetzliche Vertreter zugleich Prozeßgegner des Minderjährigen ist, sondern auch dann, wenn zwischen dem Minderjährigen und seinem gesetzlichen Vertreter eine Interessenkollision in Bezug auf den Rechtsstreit möglich ist (EFSlg
31.427 mwN; ÖA 1991, 106). Maßgebend ist, ob ein objektiver Tatbestand gegeben ist, bei dem die Interessen auch eines pflichtbewußten gesetzlichen Vertreters den Interessen des von ihm vertretenen Minderjährigen zuwiderlaufen könnten, sodaß das dem Pflegschaftsgericht obliegende Aufsichtsrecht die Bestellung eines Kollisionskurators erfordert, um die Rechte des Minderjährigen ohne Rücksicht auf die Interessen seines gesetzlichen Vertreters wahrnehmen zu können (EFSlg 31.427 mwN; SZ 53/136; ÖA 1991, 106). Ehrenzweig (System II/2**2, 341) nimmt einen solchen Interessenwiderstreit unter anderem dann an, wenn der gesetzliche Vertreter in so naher Beziehung zu einer beteiligten Person steht, daß seine Unbefangenheit zweifelhaft sein kann.
Im vorliegenden Fall bestand schon nach dem unstrittigen Sachverhalt jedenfalls für die Dauer der Lebensgemeinschaft der Kindesmutter mit dem Beklagten ein derartiger Interessenwiderstreit zwischen den Interessen der Kindesmutter als gesetzliche Vertreterin des Klägers einerseits und jenen des Minderjährigen andererseits im Zusammenhang mit der Verfolgung der dem Kläger auf Grund des Hundebisses zustehenden Ansprüche. Er resultiert aus der Konkurrenz zwischen allfälligen eigenen Wünschen der Kindesmutter, ihren Lebensgefährten nicht mit finanziellen Ansprüchen des Klägers zu belasten, und dem Interesse des Klägers, berechtigte Ansprüche aus dem Vorfall abgegolten zu erhalten. Dieser Widerstreit an Interessen rechtfertigt die Besorgnis, die Mutter des Klägers als seine gesetzliche Vertreterin sei in ihrer Fähigkeit zur unbefangenen Beurteilung der Ansprüche des Klägers deshalb beeinträchtigt gewesen, weil sie die Lebensgefährtin des beklagten Hundehalters war.
Die in § 1494 ABGB angeordnete Hemmung der Verjährung unter anderem zugunsten Minderjähriger greift entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht nur dann Platz, wenn der Minderjährige keinen gesetzlichen Vertreter hat, sondern auch dann, wenn zwar eine ordnungsgemäße gesetzliche Vertretung besteht, vom Vertreter aber wegen einer Interessenkollision eine gesetzmäßige Wahrung der Rechte des Minderjährigen nicht zu erwarten ist. Dies hat der Oberste Gerichtshof bisher zwar nur im Hinblick auf den Beistand eines Entmündigten (SZ 53/136; SZ 60/163 = JBl 1987, 802) ausgesprochen, dasselbe gilt aber - infolge identer Interessenlage - gleichermaßen für den gesetzlichen Vertreter eines Minderjährigen (so offenbar auch Schubert in Rummel, ABGB**2 Rz 1 zu § 1494). Die Verjährungszeit kann in solchen Fällen nie früher als binnen zwei Jahren nach den behobenen Hindernissen vollendet werden (§ 1494 zweiter Satz ABGB).
Bestand demnach - wie ausgeführt - zumindest für die Dauer der Lebensgemeinschaft des Beklagten mit der Kindesmutter eine Interessenkollision mit Auswirkungen auf die Stellung der Kindesmutter als gesetzliche Vertreterin des Klägers, war für diesen Zeitraum die Verjährungszeit gehemmt. Setzt man den Beginn der Lebensgemeinschaft mit Anfang Juni 1993 und ihr Ende mit Mitte September 1996 an, so ist die am 2. 6. 1998 eingebrachte Schadenersatzklage, die sich auf einen Vorfall am 30. 3. 1993 stützt, unter Bedachtnahme auf die zweijährige Frist des § 1494 ABGB noch innerhalb der Frist des § 1489 ABGB anhängig gemacht worden; die Ansprüche des Klägers sind deshalb noch nicht verjährt.
Die Rechtssache erweist sich aber - auch dem Grunde nach - noch nicht als spruchreif. Der Kläger behauptet das Alleinverschulden des Beklagten an seiner Verletzung. Das Erstgericht hat nun keine Feststellungen darüber getroffen, ob der Beklagte als Tierhalter jene Vorkehrungen zur Verwahrung und Beaufsichtigung seiner Hunde getroffen hat, die von ihm nach den erkennbaren Eigenschaften der Tiere zu ergreifen waren (ZVR 1974/140; EFSlg 36.176); in diese Beurteilung ist nicht nur das bisherige Verhalten des Tieres, sondern auch die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit einer Schadenszufügung durch das Tier einzubeziehen (ZVR 1995/85). Zwar ist die freie Haltung eines Tieres ohne Maulkorb in Haus und Garten dann zulässig, wenn gefährliche Eigenschaften des Hundes nicht bekannt oder nicht erkennbar sind (EvBl 1967/451; JBl 1982, 494); zu bedenken ist in diesem Zusammenhang aber, ob nicht schon die Hunderasse allein eine besondere Gefährlichkeit des Tieres indiziert. Besondere Gefährlichkeit eines Tieres verlangt vom Tierhalter jedenfalls entsprechend weitergehende Maßnahmen (EvBl 1986/111), wenn auch die ihn treffende Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht nicht überspannt werden darf (SZ 69/264). Zum Einwand des Beklagten, die Kindesmutter habe ihre Aufsichtspflicht verletzt, wird festzustellen sein, wie oft der Kläger vor dem 30. 3. 1993 schon mit dem Rottweiler des Beklagten unbeaufsichtigt gespielt hat, ob es für die Kindesmutter vor dem Vorfall irgendwelche Anhaltspunkte dafür gegeben hat, daß der Hund das Kind beim Spielen beißen könnte, und ob der Beklagte allfällige Bedenken der Kindesmutter in diesem Zusammenhang mit dem Hinweis auf die Ungefährlichkeit des Hundes zerstreut hat. Dabei wird das Erstgericht auch die neuere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu berücksichtigen haben, wonach Kleinkinder mit Hunden auch dann nur unter Aufsicht spielen dürfen, wenn der Hund als gutmütig und harmlos bezeichnet werden kann, also namentlich nicht zur Bissigkeit geneigt hat (SZ 65/106).
Schon dieser Feststellungsmangel zum Grund des Anspruchs führt zur Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht, das die Sachverhaltsgrundlage im aufgezeigten Sinn zu verbreitern haben wird.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.
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