European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0040OB00017.15A.0922.000
Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung der Technischen Abteilung des Patentamts wiederhergestellt wird.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten ihres Revisionsrekurses selbst zu tragen.
Begründung
Die Antragsgegnerin meldete am 18. 6. 2010 zu A 1008/2010 das Patent „Gleitlager“ an.
Nachdem die Technische Abteilung des Patentamts zunächst drei Vorbescheide (und zwar am 15. 4. 2011, am 12. 7. 2011 und am 10. 1. 2012) erlassen hatte, verfügte sie am 28. 2. 2012 mit Beschluss die Erteilung des Patents, die am 15. 6. 2012 zu AT 510 062 B1 veröffentlicht wurde (angegriffenes Patent = Streitpatent). Die Ansprüche des Streitpatents lauten wie folgt:
1. Gleitlager (1) umfassend eine Stützschicht (3), eine Lagermetallschicht (18) und/oder eine Gleitschicht (4), wobei die Stützschicht (3) aus mehreren miteinander verbundenen Segmenten (5) besteht, zwischen denen jeweils ein Verbindungsbereich (6) ausgebildet ist, wobei die Segmente (5) miteinander verschweißt sind und eine Halbschale (2) bilden, dadurch gekennzeichnet, dass die Segmente (5) der Stützschicht (3) in Umfangsrichtung (11) der Halbschale (2) nebeneinander angeordnet sind.
2. Gleitlager (1) nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Lagermetallschicht (18) und/oder die Gleitschicht (4) aus mehreren Segmenten (9) besteht bzw. bestehen.
3. Gleitlager (1) nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass zwischen der Gleitschicht (4) und der Lagermetallschicht (18) oder der Stützschicht (3) oder zwischen der Lagermetallschicht (18) und der Stützschicht (3) oder auf der Rückseite der Stützschicht (3) zumindest eine weitere Schicht angeordnet ist, und dass sämtliche Schichten aus mehreren Segmenten (5, 9) bestehen.
4. Gleitlager (1) nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass zumindest ein Segment (5, 9) zumindest der Stützschicht (3) oder der Lagermetallschicht (18) oder der Gleitschicht (4) oder der zumindest einen weiteren Schicht aus einem Werkstoff besteht, der zu dem Werkstoff eines weiteren Segments (5, 9) derselben Schicht unterschiedliche Eigenschaften aufweist.
5. Gleitlager (1) nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, dass die unterschiedliche Eigenschaft die Härte und/oder die Eigenspannung der Segmente (5, 9) ist.
6. Gleitlager (1) nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, dass zumindest ein Segment (5, 9) zumindest der Stützschicht (3) oder der Lagermetall-Schicht (18) oder der Gleitschicht (4) oder der zumindest einen weiteren Schicht aus einem Werkstoff besteht, der zu dem Werkstoff eines weiteren Segments (5, 9) derselben Schicht eine unterschiedliche Zusammensetzung aufweist.
7. Gleitlager (1) nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass die Segmente (5, 9) teilweise überlappend und stufenlos aneinandergrenzend angeordnet sind.
8. Gleitlager (1) nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass der oder die Verbindungsbereich(e) (6, 10) in Umfangsrichtung (11) der Halbschale (2) geneigt verläuft oder verlaufen.
9. Gleitlager (1) nach einem der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet, dass zumindest zwei der Segmente (5, 9) der Halbschale (2) eine unterschiedliche Anzahl an übereinander angeordneten Schichten aufweisen.
10. Gleitlager (1) nach Anspruch 9, dadurch gekennzeichnet, dass eine Gesamtschichtdicke der Halbschale (2) in radialer Richtung bei einer unterschiedlichen Anzahl an übereinander angeordneten Schichten zumindest annähernd konstant ist.
11. Gleitlager (1) nach einem der Ansprüche 1 bis 10, dadurch gekennzeichnet, dass zumindest zwei der Segmente (5, 9) der Halbschale (2) eine unterschiedliche Gesamtschichtdicke aufweisen.
12. Gleitlager (1) nach einem der Ansprüche 2 bis 11, dadurch gekennzeichnet, dass zumindest eines der Segmente (5) der Stützschicht (3) mehrere Segmente (9) der Lagermetallschicht (18) und/oder der Gleitschicht (4) trägt.
13. Gleitlager (1) nach einem der Ansprüche 1 bis 12, dadurch gekennzeichnet, dass der Verbindungsbereich (6, 10) zwischen zwei Segmenten (5, 9) aus dem Werkstoff der Segmente (5, 9) gebildet ist.
14. Verfahren zum Herstellen einer Gleitlagerhalbschale umfassend eine Stützschicht (3) und zumindest eine weitere Schicht, wobei die Stützschicht (3) aus einem flachen Substrat durch Umformung zur Gleitlagerhalbschale gebildet wird und wobei auf die Stützschicht (3) zumindest eine weitere Schicht aufgebracht wird, und wobei die Stützschicht (3) aus mehreren Segmenten (5) zusammengesetzt wird und die Segmente (5) miteinander verschweißt werden, dadurch gekennzeichnet, dass die mehreren Segmente (5) der Stützschicht (3) in Umfangsrichtung (11) der Halbschale (2) nebeneinander angeordnet werden.
15. Verfahren nach Anspruch 14, dadurch gekennzeichnet, dass die zumindest eine weitere Schicht ebenfalls aus mehreren Segmenten zusammengesetzt wird.
16. Verfahren nach Anspruch 14 oder 15, dadurch gekennzeichnet, dass die zumindest eine weitere Schicht vor der Verbindung der Segmente (5) der Stützschicht (3) miteinander aufgebracht wird.
17. Verfahren nach einem der Ansprüche 14 bis 16, dadurch gekennzeichnet, dass die Umformung der Segmente (5) zur Gleitlagerhalbschale nach dem Aufbringen der zumindest einen weiteren Schicht durchgeführt wird.
18. Verfahren nach einem der Ansprüche 14 bis 17, dadurch gekennzeichnet, dass die Verbindung der Segmente (5) der Stützschicht (3) vor deren Umformung zur Gleitlagerhalbschale durchgeführt wird.
19. Verfahren nach einem der Ansprüche 14 bis 18, dadurch gekennzeichnet, dass die Verbindung der Segmente (5) der Stützschicht (3) mittels Laserschweißen durchgeführt wird.
20. Verfahren nach Anspruch 19, dadurch gekennzeichnet, dass eine Strahlintensität des Laserstrahls von mindestens 2 MW/cm2 verwendet wird.
21. Verfahren nach einem der Ansprüche 14 bis 20, dadurch gekennzeichnet, dass die Segmente (5, 9) ohne einen Zusatzwerkstoff miteinander geschweißt werden.
22. Verfahren nach einem der Ansprüche 14 bis 21, dadurch gekennzeichnet, dass die Segmente (5, 9) sowohl von der Rückseite als auch von der Vorderseite ‑ in radialer Richtung der Gleitlagerhalbschale betrachtet ‑ geschweißt werden.
23. Verfahren nach einem der Ansprüche 14 bis 22, dadurch gekennzeichnet, dass für zumindest zwei Segmente (5) der Stützschicht (3) Metalle oder Metalllegierungen mit unterschiedlichen Eigenschaften verwendet werden.
24. Verfahren nach Anspruch 23, dadurch gekennzeichnet, dass für zumindest zwei Segmente (5) der Stützschicht (3) unterschiedliche Metalle oder Metalllegierungen verwendet werden.
25. Verfahren nach einem der Ansprüche 14 bis 24, dadurch gekennzeichnet, dass zumindest zwei der Segmente der zumindest einen weiteren Schicht mit unterschiedlichen Beschichtungsverfahren hergestellt werden.
Die Antragstellerin erhob dagegen gemäß § 102 PatG rechtzeitig mit der Behauptung Einspruch, dem Streitpatent mangle es im Umfang der Ansprüche 1 und 14 an der für die Erteilung eines Patents erforderlichen Erfindungshöhe.
Die Technische Abteilung des Patentamts wies den Einspruch ab und hielt das Streitpatent in vollem Umfang aufrecht. Beim Gegenstand des Anspruchs 1 handle es sich um eine Lagerhalbschale, obwohl der Anspruch zunächst offensichtlich auf ein „Gleitlager“ abstelle. Das zweite Merkmal, das bei einer Untersuchung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit der Ansprüche 1 und 14 eine Rolle spiele, sei der Aufbau der Stützschicht der Lagerhalbschale aus mehreren Segmenten, die in Umfangsrichtung angeordnet seien. Das dritte wesentliche Element bestehe darin, dass diese Segmente durch Verschweißen zusammengefügt seien. Insgesamt sei die Neuheit der Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 1 und 14 gegeben, woraus auch die Neuheit der rückbezogenen Unteransprüche folge. Der Stand der Technik stelle die erfinderische Tätigkeit der Anspruchsgegenstände 1 und 14 nicht in Frage. Folglich hätten diese Ansprüche und die darauf rückbezogenen Unteransprüche Bestand. Anspruch 7 sei im Zusammenhang mit der Beschreibung einwandfrei interpretier‑ und ausführbar.
Das Rekursgericht gab dem Einspruch über Rekurs der Antragstellerin Folge und widerrief das Patent in vollem Umfang. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs mangels über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfragen nach § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig sei.
Aus dem Stand der Technik seien Gleitlager bekannt, die zwei Halbschalen aufweisen, die miteinander verschweißt seien. Der Unterschied zwischen dem patentierten Gleitlager und dem Stand der Technik bestehe bloß darin, dass anstelle der Unterteilung einer Ganzschale in zwei Halbschalen (= zwei Umfangssegmente) diese Halbschalen ihrerseits nochmals in weitere Umfangssegmente unterteilt seien. Dies sei für den Fachmann naheliegend, wenn nicht trivial. Auch die Vor‑ und Nachteile einer Verbindung der Segmente mittels Schweißens seien im Stand der Technik ausführlich beschrieben. Auch eine Umfangssegmentierung von Halbschalen sei aus dem Stand der Technik bekannt. Dem Argument der Antragsgegnerin und der Technischen Abteilung, dass der Fachmann diesen Stand der Technik wegen anderer Fügetechniken der Segmente nicht heranziehen würde, schließe sich das Rekursgericht nicht an, weil im Streitpatent selbst mehrfach erwähnt sei, dass die Verbindung der Segmente stoffschlüssig und/oder formschlüssig und/oder durch eine Pressverbindung erfolgen könne. Aus dieser Offenbarung ergebe sich, dass die Erfinder durchaus alle üblichen Fügearten im Sinn gehabt hätten, die im Übrigen einem Fachmann als Grundwissen bekannt seien. Die Erfinder hätten offensichtlich keinen Unterschied zwischen radialer und axialer Segmentierung gemacht, die Merkmale des Anspruchs 1 seien eine willkürliche Auswahl. Anspruch 1 sei daher nicht erfinderisch, sein Lösungsansatz liege dem Fachmann nahe. Anspruch 14 entspreche inhaltlich Anspruch 1, weil darin nur in analoger Form Verfahrensmerkmale formuliert und gegenüber Anspruch 1 keine neuen Gesichtspunkte aufgezeigt würden. Die Ansprüche 2 bis 13 sowie 15 bis 25 seien unmittelbar oder mittelbar auf die Ansprüche 1 und 14 rückbezogen und daher in Verbindung mit diesen ebenfalls nicht erfinderisch.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin, mit dem sie die Wiederherstellung der Einspruchsabweisung der Technischen Abteilung des Patentamts anstrebt, ist zulässig und auch berechtigt.
Erfindungen sind gemäß § 1 Abs 1 PatG patentierbar, sofern sie neu sind, sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben und gewerblich anwendbar sind. Eine Erfindung gilt gemäß § 3 Abs 1 PatG als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Dies ist im vorliegenden Fall in dritter Instanz nicht mehr strittig.
Eine Erfindung gilt nach dem zu § 1 Abs 1 PatG sinngleichen Art 56 EPÜ als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn der Fachmann aufgrund des Standes der Technik zu ihr hätte gelangen können, sondern erst, wenn er sie aufgrund eines hinreichenden Anlasses in Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils auch tatsächlich vorgeschlagen hätte (OPM Op 3/12; 17 Ob 24/09t, je mwN).
Diese Prüfung kann insbesondere nach dem vom Europäischen Patentamt herangezogenen Aufgabe‑Lösungs-Ansatz erfolgen (OPM Op 3/12; Op 1/12, je mwN), der sich in drei Phasen gliedert:
a) Ermittlung des „nächstliegenden Standes der Technik“,
b) Bestimmung der zu lösenden „objektiven technischen Aufgabe“ und
c) Prüfung der Frage, ob die beanspruchte Erfindung angesichts des nächstliegenden Standes der Technik und der objektiven technischen Aufgabe für den Fachmann naheliegend gewesen wäre.
Der Aufgabe‑Lösungs‑Ansatz geht vom nächstliegenden Stand der Technik aus, das ist hier das Dokument Beilage ./A (DE 698 35 137 T2 = deutsche Übersetzung der englischsprachigen Patentschrift EP 0 935 079 B1). Dieses weist das Merkmal M1 (Segmente (5) in Umfangsrichtung nebeneinander angeordnet) in Kombination mit Merkmal N4 (Segmente (5) miteinander verschweißt) des Anspruchs 1 nicht auf. Diese nicht gezeigte Kombination aus Merkmal M1 und N4 ist das Unterscheidungsmerkmal. Nicht nur das Dokument Beilage ./A, sondern auch alle anderen vorgehaltenen Dokumente (Beilagen ./B bis ./H) weisen das Merkmal M1 in Kombination mit Merkmal N4 des Anspruchs 1 nicht auf. Der Fachmann auf dem Gebiet des Maschinenbaus hat vom Stand der Technik keinerlei Hinweis, ein Gleitlager (1) mit einer Stützschicht (3) aus mehreren miteinander verschweißten, eine Halbschale (2) bildenden, in Umfangsrichtung (11) der Halbschale (2) nebeneinander angeordneten Segmenten (5) herzustellen.
Die Betrachtung der technischen Merkmale des Streitpatents und des Dokuments Beilage ./A in der Revisionsrekursbeantwortung geht zu wenig ins Detail: Es trifft nicht zu, dass „Umfangs‑Schweißnähte von axial aneinandergereihten Gleitlagersegmenten in Beilage ./A beschrieben sind“. Was die Antragstellerin damit meint, sind die Ölzufuhrrinnen 11 und 12, die an der Innenseite der Lagerhalbschale herausgeschnitten sind. Diese Lagerhalbschale weist jedoch nur an der Stelle der Ölzufuhrrinnen 11 und 12 eine geringere Materialdicke auf. Es ist aber nicht offenbart, dass an der Stelle der Ölzufuhrrinnen 11 und 12 Schweißnähte ausgebildet sind. Somit gilt der Unterschied, dass die Schweißnähte zwischen den Segmenten (5) gemäß Streitpatent in axialer Richtung ausgeführt sind, wohingegen die Schweißnähte zwischen den Segmenten (21) gemäß Dokument Beilage ./A in Umfangrichtung, also senkrecht zur Ausführung gemäß Streitpatent, verschweißt sind. Dies ist ein wesentlicher Unterschied, der nicht nur Neuheit im Sinn des § 3 PatG begründet, sondern als nicht-naheliegend im Sinn des § 1 Abs 1 PatG zu werten ist:
Sowohl die Technische Abteilung des Patentamts als auch das Rekursgericht kommen in ihrer Unterschiedsanalyse des Gegenstands des Anspruchs 1 des Streitpatents gegenüber dem Stand der Technik zu dem selben Schluss, nämlich dass das Merkmal II (Stützschicht der Lagerhalbschale in Umfangsrichtung gestückelt) nicht aus dem im Einspruch nachgewiesenen Stand der Technik ableitbar ist.
Das Rekursgericht führt zur Begründung seiner Auffassung, dass die Hinzunahme des Merkmals II zu den vorbekannten Merkmalen I (Lagerhalbschale) und III (Lagersegment verschweißt) naheliegend, wenn nicht trivial sei, drei Argumente an:
1. Aus der Anführung verschiedener Verbindungsmöglichkeiten für die Segmente (stoffschlüssig und/oder formschlüssig und/oder Pressverbindung) in den Absätzen 58 und 65 des Patents sei auf die Beliebigkeit und Austauschbarkeit dieser Fügearten für den Fachmann zu schließen.
2. Das Patent offenbare auch alternative Ausführungsformen mit Axialsegmentierung der Halbschale anstelle der beanspruchten Umfangssegmentierung, was für den Fachmann die verschiedenen Segmentierungsarten austauschbar und beliebig mache.
3. Die beanspruchte Lösung erziele nicht den von der Patentinhaberin vorgebrachten Vorteil der Vermeidung großer Umformkräfte.
Dem ist entgegenzuhalten:
‑ Aus der Mit-Offenbarung von weiteren (alternativen) Ausführungsformen in einer Patentschrift ist regelmäßig nicht die mangelnde Erfindungshöhe einer beanspruchten Ausführungsform ableitbar, denn dagegen kann nicht die Offenbarung des Streitpatents selbst eingewandt werden, sondern nur der objektive Stand der Technik vor dem Anmeldetag (§ 3 PatG). So ist es notorisch, dass eine Patentschrift in der Regel verschiedenste Ausführungsformen einer Erfindung beschreibt, von denen nur manche neu und erfinderisch gegenüber dem im Prüfungsverfahren ermittelten Stand der Technik sind, so dass die Patentansprüche im Prüfungsverfahren auf die verbleibenden neuen Ausführungsformen eingeschränkt werden (vgl Weiser, PatG GMG 2005, 293, III.4.1.a und 296, V.1, Abs 2). Selbst wenn der Patentinhaber die Vorteile der letztlich patentierten Ausführungsform erst im Laufe des Anmeldeverfahrens im Lichte der Vorhalte erkannt haben mag, so ändert dies nichts an der Patentfähigkeit dieser Ausführungsform, weil sie in der ursprünglichen Offenbarung enthalten war und eine Einschränkung auf eine bestimmte Ausführungsform während des Anmeldeverfahrens stets möglich ist (OPM Op 1/08, PBl 2009, 88).
‑ Auch ist die Angabe in der Patentschrift selbst, dass der Erfinder an verschiedene Fügeverfahren (Argument 1) oder Segmentierungsverfahren (Argument 2) gedacht hat, noch kein Beweis dafür, dass dies auch nach dem nächstliegenden Stand der Technik, dh für den außenstehenden Fachmann vor dem Anmeldetag, naheliegend gewesen ist (Weiser,aaO, 46, V.3.5, Abs 1); dieser Nachweis ist vom Einsprecher zu erbringen.
Der Vorteil der Vermeidung von großen Umformkräften, wenn nur einzelne Segmente einer Halbschale umgeformt werden, trifft nur für jene Ausführungsform zu, in der die Stützschicht-Halbschalen-Segmente vor dem Verschweißen (jeweils einzeln) umgeformt werden („A“), und nicht für jene Ausführungsform, in der die Segmente erst nach dem Verschweißen umgeformt werden („B“). Wie sich aus Absatz [0058], dritter Satz des Streitpatents klar ergibt, umfassen sowohl der Vorrichtungshauptanspruch 1 als auch der Verfahrenshauptanspruch 14 beide Ausführungsformen A und B; dies ergibt sich auch daraus, dass in dem vom Verfahrensanspruch 14 abhängigen Unteranspruch 18 eine Einschränkung auf die Ausführungsform B erfolgt. Damit trifft der von der Patentinhaberin geltend gemachte Effekt (Vorteil) geringerer Umformkräfte bei Umfangsegmentierung der Stützschale nur auf die Hälfte der möglichen Ausführungsformen der Ansprüche 1 und 14 zu, nämlich auf Ausführungsform A.
Dass ein geltend gemachter Effekt nur in einem Teil des Anspruchsbereichs erzielt wird, dh der Anspruchsbereich ‑ uzw in mehr als bloß peripheren Bereichen ‑ auch „vorteilslose“ bzw „effektlose“ Ausführungsformen umfasst, bedeutet in der Regel, dass der Anspruch zu weit gefasst ist und damit auch gegenüber dem Stand der Technik naheliegende, weil ohne patentbegründenden Effekt ausgestattete Ausführungsformen mitumfasst (vgl Entscheidung der Beschwerdekammer des EPA vom 30. 3. 2003, T 1188/00, zu den ‑ den §§ 1 und 3 PatG analogen ‑ Art 52, 54 und 56 EPÜ, [4.5]). Die Forderung nach einer für den ganzen Anspruchsbereich gültigen Aufgabe folgt einerseits aus dem Ursache‑Wirkungs‑Zusammenhang zwischen der einer „Erfindung“ zugrundeliegenden Aufgabe und ihrer Lösung, die dem vom EPA zur Beurteilung des Naheliegens einer „Erfindung“ angewandten „Aufgabe-Lösungs‑Ansatz“ zugrundeliegt, und anderseits aus dem Prinzip, dass einem Anspruchsgegenstand eine erfinderische Tätigkeit, die sich auf eine bestimmte technische Wirkung stützt, nur dann zuerkannt werden kann, wenn sich diese Wirkung im gesamten beanspruchten Bereich erzielen lässt. Nur so wird dem allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz ausreichend Rechnung getragen, dass der Umfang des durch ein Patent verliehenen Monopolrechts dem technischen Beitrag zum Stand der Technik entsprechen und durch diesen begründet sein muss (T 939/92 , ABl EPA 1996, 309, [2.4.2]; T 409/91 , ABl EPA 1994, 653, [3.3 und 3.4]; T 435/91 , Abl EPA 1995, 188, [2.2.1 und 2.2.2]).
Im vorliegenden Fall kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die Ausführungsform B bar jeden Vorteils ist: Auch ein Umformen erst nach dem Verschweißen von zuvor einzeln gefertigten Halbschalen-Stützschicht-Segmenten ist nicht gänzlich „effektlos“, denn es ergibt sich immerhin noch der ‑ wenn auch bescheidenere ‑ Vorteil, dass nur kleinere Segmente gefertigt (zB gegossen) werden müssen. Es genügt, dass sich dieser Vorteil (Effekt, Wirkung) implizit aus der Anmeldungsoffenbarung ergibt (OPM Op 5/05, PBl 2006, 127).
Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 14 erzielt daher in einer Hälfte seines Anspruchsbereichs einen größeren, in der anderen Hälfte seines Anspruchsbereichs einen kleineren Vorteil, ist jedoch nicht bar jedweden Effekts.
Eine allfällige Unterteilung der Lagermetall‑ oder Gleitschicht ändert daran nichts, denn gemäß Absatz [0059] kann die Gleitschicht zB auch erst nach dem Umformen und Verschweißen aufgetragen werden, beispielsweise galvanisch, durch Walzplattieren, mittels PVD‑Verfahren, Sputtertechniken oder CVD‑Verfahren.
Damit ist keines der drei zur Begründung der Beurteilung als „naheliegend, wenn nicht trivial“ ausgeführten Argumente des Rekursgerichts überzeugend. Vielmehr ist den schlüssigen Ausführungen der Technischen Abteilung des Patentamts zuzustimmen:
Vorhalt ./A bildet den nächstliegenden Stand der Technik, weil er die meisten konstruktiven Übereinstimmungen mit den unabhängigen Ansprüchen 1 und 14 aufweist.
Merkmal II ist gegenüber Vorhalt ./A neu. Dem von der Einsprecherin zitierten Absatz [0016] von ./A kann diesbezüglich nichts Anderes entnommen werden, weil sich Absatz [0016] nur auf eine axiale („in Richtung der Achse des Gleitlagers nebeneinanderliegende“), nicht eine umfangsmäßige Unterteilung der Halbschale in Gleitlagersegmente bezieht.
Es ist keineswegs so, dass der Fachmann auf Grund der Umfangsnähte, die Vorhalt ./A zu entnehmen sind, automatisch an Längsnähte innerhalb einer Lagerschale denken wird. Weder bietet ihm Vorhalt ./A, noch einer der anderen Vorhalte irgendeinen Anreiz oder Hinweis, das zu tun.
Die objektive Aufgabenstellung, die der Gegenstand des Streitpatents gegenüber Vorhalt ./A erfüllt, ist die Herstellung großer Lager. Der Fachmann wird sich ausgehend von Vorhalt ./A auf die Suche nach einem Stand der Technik machen, der ihm in Bezug auf diese Aufgabenstellung am vielversprechendsten erscheint.
In Vorhalt ./B werden zwar Lagerhalbschalen miteinander verschweißt, aber es ist keine Rede davon, die Lagerhalbschalen selbst aus mehreren Segmenten in Umfangsrichtung zu fertigen, geschweige denn zu schweißen. Die Vorhalte ./C, ./D und ./E wird der Fachmann dazu nicht in Betracht ziehen, weil diese eine gänzlich konträre Zielsetzung verfolgen, nämlich das Lager aus vielen kleinen und separaten Segmenten aufzubauen, um es im Schadensfall oder zu Transportzwecken schnell zerlegen zu können. Die restlichen Vorhalte ./F, ./G und ./H werden von der Einsprecherin nicht gegen die Ansprüche 1 und 14 angeführt und liegen im Übrigen so weit ab, dass sie dafür auch gar nicht in Frage kommen.
Die erfinderische Tätigkeit der Gegenstände der Ansprüche 1 und 14 wird daher durch den diskutierten Stand der Technik nicht in Frage gestellt. Folglich haben diese Ansprüche und die darauf rückbezogenen Unteransprüche Bestand.
Das Streitpatent ist daher in vollem Umfang aufrecht zu erhalten; der Einspruch der Antragstellerin ist hingegen abzuweisen.
Die Parteien haben die Kosten des Verfahrens selbst zu tragen (§ 140 Abs 2 Z 3 PatG).
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