Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung wie folgt zu lauten hat:
"Der Antrag, den beklagten Parteien mit einstweiliger Verfügung aufzutragen, es bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs zu unterlassen, Zeitschriften, insbesondere die Zeitschriften DIVA, WIENERIN, WIENER, HOME und WELLNESS MAGAZIN, an Ärzte unentgeltlich abzugeben oder unentgeltlich zum Gebrauch zu überlassen, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 1.240,64 EUR (darin 206,77 EUR USt) bestimmten Äußerungskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen."
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 3.480,87 EUR (darin 580,14 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Die Klägerin betreibt seit vielen Jahren einen Leserzirkel, dh sie kauft Zeitschriften an und vermietet sie gegen Entgelt. Zu ihren Kunden zählen ua rund 600 Wiener Ärzte, was einem Anteil von rund 18 % ihres gesamten Kundenstocks entspricht. Die Klägerin vermietet zu 39 % aktuelle Zeitschriften, im übrigen aber auch Zeitschriften mit länger zurückliegendem Erscheinungsdatum (sogenannte Retouren). Ihr wirtschaftlicher Erfolg ist umso größer, je öfter sie auch nicht mehr aktuelle Zeitschriften vermieten kann.
Die Erstbeklagte, deren Geschäftsführer der Zweitbeklagte ist, bekommt von Zeitschriftenverlagen seit dem Sommer 2001 unentgeltlich - mit Ausnahme eines einzigen Titels - nicht mehr aktuelle Zeitschriften zur Verfügung gestellt, die sie kostenlos an Wiener Ärzte verleiht. Die beteiligten Verlage zahlen der Erstbeklagten für diese Tätigkeit ein Vertriebsentgelt. Die Erstbeklagte hat ihre Abnehmer nicht geworben, sondern ihnen unaufgefordert anhand von Adressenmaterial der Wiener Ärztekammer die Zeitschriften zugesendet. Sie beliefert nunmehr mit Ausnahme einiger weniger Ärzte, die sich eine Geschäftsbeziehung verbeten haben, flächendeckend alle Wiener Arztpraxen kostenlos mit Zeitschriften. Die Streitteile führen teilweise dieselben Zeitschriftentitel in ihrem Programm. Ihren Kunden ist es weitgehend gleichgültig, welche Zeitschriften in ihren Wartezimmern aufliegen, solange ihre Patienten nur einen Lesestoff für die Wartezeit haben.
Zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs beantragt die Klägerin, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung aufzutragen, es bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs zu unterlassen, Zeitschriften, insbesondere die Zeitschriften DIVA, WIENERIN, WIENER, HOME und WELLNESS MAGAZIN, an Ärzte unentgeltlich abzugeben oder unentgeltlich zum Gebrauch zu überlassen. Die Tätigkeit der Beklagten sei wettbewerbswidrig. Der Zweitbeklagte hafte, soweit er nicht ohnehin persönlich für die Erstbeklagte tätig geworden sei, gemäß § 18 UWG. Die Gratisabgabe von Waren, insbesondere von Zeitungen, sei nur insoweit zulässig, als dies nach Art, Umfang und Dauer zur Erprobung geschehe. Waren dürften nicht in solchen Mengen und über solche Zeiträume unentgeltlich abgegeben werden, dass dadurch Bedarfsdeckung eintrete oder Mitbewerber durch Marktverstopfung im Absatz ihrer eigenen Erzeugnisse behindert würden. Die Klägerin müsse befürchten, ihre Leistungen auf dem Markt nicht mehr präsentieren zu können, wenn ein Mitbewerber wie die Erstbeklagte scheinbar vergleichbare Leistungen unentgeltlich erbringe. Die Klägerin müsse befürchten, die Kunden und damit ihre Existenzgrundlage zu verlieren. Zu befürchten sei auch, dass - falls die Vorgangsweise der Beklagten bei Ärzten Erfolg habe - in weiterer Folge ein derartiger Gratis-Lesezirkel auch für Friseure und andere Interessentengruppen eingeführt werde. Im Zeitraum vom 15. 10. 2001 bis 17. 10. 2001 hätten sieben Ärzte ihre Abonnements bei der Klägerin gekündigt und als Grund dafür jeweils die Gratisverteilung von Zeitschriften durch die Erstbeklagte genannt. Die gehäuften Kündigungen von Abonnements durch Ärzte entspräche auch in keiner Weise dem gewöhnlichen Geschäftsverlauf. So seien etwa im gesamten Jahr 2000 Abonnements von 34 Ärzten in Wien gekündigt worden, in den ersten 35 Kalenderwochen des Jahres 2001 seien es 21 Kündigungen gewesen.
Die Beklagten beantragen, den Sicherungsantrag abzuweisen. Das Angebot der Erstbeklagten richte sich - im Gegensatz zu jenem der Klägerin - ausschließlich an Ärzte in Wien; die Erstbeklagte beliefere daher nicht Rechtsanwälte, Wirtschaftstreuhänder, Friseure, Werbeagenturen, Autohändler etc, somit keine der vielen übrigen potentiellen Abnehmer, die an einem befristeten Gebrauch von aktuellen Zeitungen und Zeitschriften Bedarf hätten. Demgegenüber beliefere die Klägerin auch Friseure, Rechtsanwälte, private Haushalte uä. Gleichsam die Kehrseite der Medaille sei es, dass die Erstbeklagte etwa 4500 Ärzte in Wien beliefere, die Klägerin hingegen nur etwa 600. Die Erstbeklagte vertreibe auch Zeitschriften, die die Klägerin gar nicht in ihrem Programm habe, nämlich Beauty, Reitwagen, Wellness-Magazin, ORF-Nachlese und Immobilienzeitschrift. Die Klägerin biete mindestens 300 weitere auf dem Markt erhältliche Zeitschriftentitel gar nicht erst an. Die Klägerin vertreibe überwiegend aktuelle Zeitschriften, die gerade am Kiosk erhältlich seien. Hingegen vertreibe die Erstbeklagte fast ausschließlich alte Exemplare, die am Kiosk nicht mehr erhältlich seien. Die Gratisabgabe von Waren sei nur dann verboten, wenn besondere (hier nicht gegebene) sittenwidrigkeitsbegründende Umstände hinzuträten. Der Gratisvertrieb von einigen wenigen, nicht aktuellen Zeitschriftentiteln ausschließlich an Ärzte in Wien könne den Zeitschriftenmarkt nicht verstopfen, zumal es sich auch nicht um denselben Kundenkreis handle.
Das Erstgericht gab dem Sicherungsantrag statt. Auszugehen sei davon, dass ein Anteil der in Wien niedergelassenen Ärzte von 18 % im Kundenstock der Klägerin betriebswirtschaftlich so signifikant sei, dass ein Vertreiben aus diesem Marktsegment tatsächlich ruinöse Folgen für die Klägerin haben könne. Auch bei einer grundsätzlich zulässigen Gratisabgabe von Waren oder Leistungen sei hier von einer Marktverstopfung eines betriebswirtschaftlich wesentlichen Segments des Kundenstocks der Klägerin auszugehen. Die Beklagten hätten durch das unaufgeforderte Beliefern aller Wiener Arztpraxen mit Zeitschriften gerade deshalb, weil den Patienten im Wesentlichen egal sei, welche Zeitschriften sie während der Wartezeit lesen oder durchblättern, die Klägerin nicht nur der Gefahr ausgesetzt, dass ihre zahlenden Kunden die Belieferungs- oder Mietverträge aufkündigen, sondern auch die Klägerin von jeder erfolgversprechenden weiteren Bearbeitung des Marktes der Wiener Ärzte praktisch ausgeschlossen. Diese Art der Marktverstopfung führe ebenso wie die Art des Eindringens in den potentiellen Kundenkreis der Klägerin durch das unaufgeforderte Beliefern aller Wiener Arztpraxen im konkreten Fall zu einer Sittenwidrigkeit des Handelns der Beklagten.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil die Entscheidung der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs folge. Marktverstopfung trete nicht erst bei Deckung des vorhandenen Bedarfs ein. Die Beklagten bedächten insbesondere die möglichen weiteren Folgen ihrer Wettbewerbshandlung nicht. Wäre ihr beanstandetes Verhalten zulässig, müsste damit gerechnet werden, dass diese Form der Gratisverteilung von Zeitschriften nicht nur auf Ärzte beschränkt bleibe, sondern auf weitere wichtige Abnehmerkreise wie zB Friseure erweitert würde. Es sei auch mit einer Nachahmung durch Mitbewerber mit der Folge zu rechnen, dass der Leistungswettbewerb auf diesem Markt ausgeschaltet würde und Unternehmen wie jenes der Klägerin in ihrer Existenz vernichtet würden. Eine weitere Folge wäre, dass jene Zeitschriftentitel, deren Verleger keine Gratisexemplare abgeben und eine Manipulationsgebühr zahlen, vom Markt der Zeitschriftenvermietung verdrängt würden, wodurch sich das Angebot zwangsläufig auf wenige Zeitschriftentitel kapitalstarker Verleger verringerte. Die unentgeltliche, unbefristete Gebrauchsüberlassung von Zeitschriften durch die Beklagten sei deshalb eine unzulässige Wettbewerbshandlung. Dass die Beklagten die Zeitschriften nicht bloß gratis, sondern unaufgefordert an alle niedergelassenen Wiener Ärzte verteilten, sei zwar ein zusätzliches die Sittenwidrigkeit begründendes Element, jedoch für die Beurteilung der massenhaft und auf Dauer angelegten Gratisverteilung nicht entscheidend.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil Rechtsprechung zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehlt; das Rechtsmittel ist berechtigt.
Die Beklagten ziehen in Zweifel, dass besondere Umstände vorlägen, die eine Wettbewerbswidrigkeit ihres Handelns begründeten. Die kostenlose Abgabe weniger, nicht aktueller Zeitschriftentitel ausschließlich an Ärzte in Wien könne weder den Zeitschriftenmarkt verstopfen, noch die Beklagte sittenwidrig behindern, zumal die Erstbeklagte die Zeitschriften unentgeltlich erhalte und ohne Verlust vertreibe. Dazu ist zu erwägen:
Die Lehre untersucht die Zulässigkeit unternehmerischer Aktionsparameter im Lichte der Generalklausel des § 1 UWG daraufhin, ob ihr (massiver) Einsatz mit den Funktionsbedingungen von Wettbewerb kompatibel ist und was ein Verbot aus dieser Sicht bedeuten würde (Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht³ § 32 Rz 57). Aus dem Leitbild des Leistungswettbewerbs wird ua abgeleitet, dass der einzelne Wettbewerber seine Mitbewerber nicht in der Ausübung ihrer freien wirtschaftlichen Betätigung mit nicht leistungsgerechten Mitteln (zB Behinderung im Absatz oder gezielte Verdrängungsunterbietung) in einer Weise behindern darf, die sie in der Entfaltung ihrer Leistungskraft und in dem Angebot ihrer Leistungen auf dem Markt beeinträchtigen, so dass ein echter Leistungsvergleich durch den Kunden nicht stattfindet (Baumbach/Hefermehl 22 dUWGEinl Rz 101).
Nach der Rechtsprechung ist die Gratisverteilung von Waren nicht schlechthin, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen sittenwidrig iSd § 1 UWG. So dürfen etwa Waren nicht in solchen Mengen und über solche Zeiträume gratis abgegeben werden, dass dadurch Bedarfsdeckung eintritt oder Mitbewerber infolge einer Marktverstopfung im Absatz ihrer eigenen Erzeugnisse behindert werden (ÖBl 2001, 62 - Internet for free mwN). Eine Behinderung der Mitbewerber durch die Gefahr einer Marktverstopfung oder einer Gewöhnung durch das Gratisverteilen einer Zeitung kann nur bei Vorliegen besonderer, vom Kläger zu behauptender und zu beweisender Umstände angenommen werden (stRsp: SZ 61/5 = MR 1988, 56 [Korn] = ÖBl 1988, 69 - Zeitungs-Super-Angebot; ecolex 1999, 838; MR 2000, 36 [Korn] - Stumme Verkäufer; ÖBl 2001, 69 - Trend-Treue-Aktion).
Die von der Erstbeklagten verwirklichte unternehmerische Idee zeichnet sich dadurch aus, dass die unbefristet angebotene Dienstleistung (Gebrauchsüberlassung von nahezu ausschließlich nicht mehr aktuellen Zeitschriften) für den angesprochenen Interessentenkreis (in Wien niedergelassene Ärzte) kostenlos ist, wobei diese Unentgeltlichkeit nicht aus Eigenmitteln der Erstbeklagten finanziert, sondern durch die Zahlung von "Vertriebsentgelten" jener Verlage erreicht wird, deren Zeitschriften zur Verleihung gelangen.
Es fehlen nun jegliche Anhaltspunkte dafür, dass die Erstbeklagte etwa darauf abzielte, unter Ausnutzung eigener wirtschaftlicher Macht Bedarfsdeckung herbeizuführen und dadurch Mitbewerber vom betroffenen Markt zu verdrängen oder ihre Abnehmer derart an sich zu binden, dass sie auch nach allfälliger Beendigung der Schenkungsaktion davon absehen, gleichartige Angebote von Mitbewerbern unbeeinflusst zu prüfen. Einerseits bietet die Erstbeklagte nämlich ihre Dienstleistungen unbefristet an, andererseits ist der von der angegriffenen Vertriebsidee betroffene Markt (Verleih von gebrauchten Zeitschriften an Ärzte mit Praxis in Wien) so klein, dass er allein für den wirtschaftlichen Erfolg von Mitbewerbern, die vorwiegend aktuelle Zeitschriften an verschiedenste Berufsgruppen vermieten, nicht ausschlaggebend sein kann. Dass die Erstbeklagte gegenüber der Klägerin oder anderen Mitbewerbern eine überlegene Kampfkraft besäße (vgl dazu Koppensteiner aaO § 33 Rz 57), wurde im übrigen weder behauptet, noch ist dies im Verfahren hervorgekommen.
Unzutreffend ist die Befürchtung der Klägerin und des Rekursgerichts, durch die beanstandete Handlungsweise werde der Leistungswettbewerb ausgeschaltet. Es ist nämlich kein Hindernis erkennbar, weshalb sich beispielsweise nicht auch die Klägerin um Verträge betreffend Vertriebsentgelte für Zeitschriften-Retouren nach dem Muster der Erstbeklagten bemühen könnte. Ein solcher Konkurrenzkampf zieht auch noch nicht deshalb zwangsläufig negative Folgen für den Wettbewerb nach sich, weil etwa Zeitschriftentitel von Verlagen, die zu dieser Form der Zusammenarbeit nicht bereit sind, auch nicht in den kostenlosen Verleih einbezogen werden können; will nämlich ein Verlag keine Gratisexemplare abgeben, macht es aus seiner Sicht keinen Unterschied, ob sich ein einziges oder mehrere Unternehmen auf dem angesprochenen Geschäftsfeld betätigen. Ein den Wettbewerb beeinträchtigendes Handeln iSd § 1 UWG kann den Beklagten demnach nicht vorgeworfen werden.
Dem Revisionsrekurs ist Folge zu geben und der Sicherungsantrag abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 41 Abs 1 ZPO, für das Rechtsmittelverfahren iVm § 50 Abs 1 ZPO.
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