OGH 4Ob115/61

OGH4Ob115/617.11.1961

SZ 34/163

Normen

ABGB §1155
ABGB §1155

 

Spruch:

Der Dienstnehmer muß sich nur für den Zeitabschnitt, in welchem er anderweitig etwas verdient hat, diesen Verdienst anrechnen lassen (§ 1155 ABGB.)

Entscheidung vom 7. November 1961, 4 Ob 115/61.

I. Instanz: Arbeitsgericht Ried im Innkreis; II. Instanz:

Kreisgericht Ried im Innkreis.

Text

Der Kläger war bei der beklagten Partei Ziegeleiarbeiter (Setzer im kleinen Ringofen). Er wurde mit 23. Oktober 1959 gekundigt. Mit Urteil des Erstgerichtes vom 18. Februar 1960 wurde jedoch festgestellt, daß infolge Unwirksamkeit der Kündigung das Dienstverhältnis zwischen den Streitteilen aufrecht bestehe. Der Berufung der beklagten Partei gab das Berufungsgericht mit Urteil vom 4. Juli 1960 nicht Folge. Am 16. Februar 1960 nahm der Kläger die Arbeit bei einem anderen Dienstgeber auf, kundigte jedoch sein Dienstverhältnis bei der beklagten Partei erst am 3. Mai 1960.

Der Kläger begehrte in seiner Klage Entgelt für die Zeit vom 24. Oktober 1959 bis 15. Februar 1960 im Gesamtbetrag von 8649 S 79 g. Infolge Zahlung von 5000 S während des erstgerichtlichen Verfahrens schränkte er sein Begehren auf 3649 S 79 g ein.

Die beklagte Partei beantragte Abweisung des Begehrens, weil der Kläger sich den anderweitigen Verdienst für die Zeit vom 16. Februar bis 3. Mai 1960 anrechnen lassen müsse (§ 1155 ABGB.). Ferner machte sie geltend, daß der Dienstnehmeranteil der sozialen Lasten von einer allfälligen Lohnforderung des Klägers abzuziehen sei. Gegenüber dem letzteren Vorbringen verwies der Kläger auf § 60 Abs. 1 ASVG.

Das Erstgericht sprach dem Kläger 2352 S s. A. zu und wies das Mehrbegehren auf Zahlung von 1297 S 79 g ab. Sowohl die Anrechnung des weiteren Verdienstes wie den Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen hielt es für nicht gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht gab beiden Berufungen teilweise Folge. Die Lohnforderung errechnete es mit dem im Revisionsverfahren nicht mehr bestrittenen (höheren) Betrag von 2664 S 18 g, wovon es Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung von insgesamt 707 S 08 g abzog, jedoch - wie das Erstgericht - die Anrechnung weiteren Verdienstes für ungerechtfertigt erklärte. Demgemäß sprach das Berufungsgericht dem Kläger 1957 S 10 g zu und wies das Mehrbegehren auf Zahlung von 1692 S 69 g ab.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Gemäß § 1155 ABGB. gebührt dem Dienstnehmer das Entgelt auch für Dienstleistungen, die nicht zustandegekommen sind, wenn er zur Leistung der Dienste bereit war und durch Umstände, die auf der Seite des Dienstgebers liegen, daran verhindert worden ist; er muß sich jedoch anrechnen, "was er infolge Unterbleibens der Dienstleistung ...... durch anderweitige Verwendung erworben ...... hat". Im vorliegenden Fall hat nun der Kläger bloß Entgelt für diejenige Zeit begehrt, in der er keinen anderweitigen Verdienst hatte. Für die weitere Zeit vom 16. Februar 1960 bis 3. Mai 1960 verlangt er nichts, weil er in dieser Zeit anderweitig mehr verdient habe. Die beklagte Partei will aber diesen Mehrverdienst berücksichtigt und auf das hier geltend gemachte Entgelt für die frühere Zeit, in der der Kläger nichts verdient hat, angerechnet wissen. Dieser Auffassung vermag der Oberste Gerichtshof nicht zu folgen. Die eigentümliche Bedeutung der oben angeführten Worte des § 1155 ABGB. in ihrem Zusammenhang (§ 6 ABGB.) ergibt, daß für den anderweitigen Erwerb das Unterbleiben der Dienstleistung ursächlich gewesen sein muß. Ursächlich für den anderweitigen Erwerb ist aber in dem vorliegenden Fall nur das Unterbleiben der Dienstleistung seit 16. Februar 1960 gewesen. Dafür, daß das Nichtarbeiten des Klägers für die beklagte Partei in der Zeit vor dem 16. Februar 1960 für den Verdienst ab diesem Tag irgendwie ursächlich gewesen wäre, fehlt ein Anhaltspunkt. Die beklagte Partei, die den anzurechnenden anderweitigen Erwerb behaupten und beweisen muß (JBl. 1959 S. 156), hat insoweit nichts vorgebracht. In Ermanglung solcher einschlägiger Verfahrensergebnisse muß aber gerade im vorliegenden Fall, wo es sich um einen Arbeiter handelt; der Regel des Lebens entsprechend angenommen werden, daß er in der Zeit seit 16. Februar 1960 deswegen anderweitig verdient hat, weil er bei der beklagten Partei nicht zu arbeiten brauchte. Für diesen Verdienst seit 16. Februar 1960 war aber völlig gleichgültig, daß schon vorher seine Arbeit bei der beklagten Partei unterblieben war. Anders ausgedrückt, kommt es für die Ursächlichkeit des Unterbleibens der Arbeitsleistung für den anderweitigen Verdienst, solange nichts anderes feststeht, auf den zeitlichen Zusammenfall des Unterbleibens der Arbeit und des anderweitigen Verdienstes an. Es kann daher grundsätzlich nur auf das Entgelt für jene Zeit, in der der Dienstnehmer anderweitig etwas verdient hat, dieser anderweitige Verdienst angerechnet werden.

Der Oberste Gerichtshof verkennt nicht, daß die Auffassung von Schrifttum und Rechtsprechung zu § 615 DBGB., auf den bei Verfassung des § 1155 ABGB. in der Fassung der III. Teilnovelle Bedacht genommen wurde, von der eben entwickelten Rechtsmeinung abweicht.

Auch gemäß § 615 DBGB. muß sich der Dienstnehmer auf das ihm bei Annahmeverzug des Dienstberechtigten gebührende Entgelt anrechnen lassen, was er infolge Unterbleibens der Dienstleistung durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirkt. Zu dieser Bestimmung wird auch jetzt noch im deutschen Schrifttum (Hueck - Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 6. Aufl. I S. 300; Nikisch, Arbeitsrecht, 2. Aufl I S. 248; Staudinger - Nipperdey - Mohnen, BGB., 11. Aufl. Anm. 38 zu § 615) die Entscheidung des Reichsgerichtes RGZ. 58, 402 als grundlegend angesehen. Diesem Rechtsstreit lag aber ein recht eigenartiger Sachverhalt zugrunde. Ein Schauspieler war vom 1. September 1901 bis 1. Februar 1902 und vom 21. August 1902 bis 1. Februar 1903 engagiert gewesen, Am 14. November 1901 wurde er entlassen. Im Jänner 1903 gab er 25 Gastspielvorstellungen New York, für die er 21.250 Mark verdiente. Sein Begehren auf Zahlung des Honorars für die zuvor angegebenen Zeiträume abzüglich des im Jänner 1903 in New York verdienten Honorars im Unterschiedsbetrag von 15.350 Mark wurde abgewiesen. Zur Begründung führte das Reichsgericht insbesondere aus, daß § 615 DBGB. dem Wortsinne nach nur dahin verstanden werden könne, daß die ganze Zeit, für welche die Dienste noch zu leisten gewesen und nicht angenommen worden seien, in Betracht zu ziehen sei, und daß dem Anspruch des Verpflichteten auf die vereinbarte Vergütung für diese Zeit gegenüberzustellen sei, was er in dieser Zeit in der angegebenen Weise anderweitig erworben habe. Von einer Anrechnung nach einzelnen Zeitabschnitten sei im Gesetz keine Rede. Im übrigen ist hier auf die Auseinandersetzung des Reichsgerichts mit der gegenteiligen Entscheidung des Berufungsgerichts nicht einzugehen, weil sie keine allgemein überzeugenden Gesichtspunkte bringt. Im Vordergrund steht bei diesem Sonderfall, daß der Kläger in einem Monat wesentlich mehr verdient hat, als er nach seinem Vertrag in einem Jahr zu bekommen gehabt hätte.

Dem Gedankengang der eben mitgeteilten Reichsgerichtsentscheidung folgt anscheinend auch § 9 KündigungsschutzG. vom 10. August 1951, DBGBl. I S. 499, wonach sich der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, anrechnen lassen muß, was er durch anderweitige Arbeit verdient hat.

Auch bei Würdigung der eben berichteten Auffassung von Rechtsprechung und Lehre zu § 615 DBGB. hält der Oberste Gerichtshof an der eingangs entwickelten Rechtsmeinung fest. Abgesehen davon, daß die zitierte Reichsgerichtsentscheidung einen recht eigenartigen Sonderfall betraf, der wenig geeignet war, den Ausgangspunkt für allgemein zutreffende Erwägungen zu geben, ist nicht zu verkennen, daß in den hier in Betracht kommenden Beziehungen auch sonst erhebliche Unterschiede zwischen DBGB. und ABGB. bestehen. Vor allem regelt das DBGB. bloß die Rechtsfolgen des Annahmeverzugs, während das ABGB. die Betriebsgefahr dem Dienstgeber auferlegt, also schon allgemein für den Dienstnehmer günstiger ist. Ferner fehlt in Österreich eine dem § 9 KündigungsschutzG. entsprechende Norm, die der deutschen Auffassung im nachhinein eine gewisse gesetzliche Grundlage gegeben hat. Schließlich scheint dem Obersten Gerichtshof seine eingangs entwickelte Rechtsmeinung auch besser den natürlichen Rechtsgrundsätzen (§ 7 ABGB.) zu entsprechen. Für den Dienstgeber hat die Arbeitsleistung des Dienstnehmers den durch die Lohnvereinbarung festgesetzten Wert. Wenn es nun dem Dienstnehmer gelingt, für eine gewisse Zeit einen höheren Lohn zu erzielen, und der Dienstgeber diesen höheren Lohn auf andere Perioden anrechnen dürfte, so wäre er in rechtlich nicht zu billigender Weise bereichert. Für den Dienstgeber ist eben die Arbeit des Dienstnehmers nur so viel wert, wie es dem vereinbarten Lohn entspricht, und es ist den Interessen des Dienstgebers Genüge getan, wenn er für die Zeit, in der der Dienstnehmer anderweitig verdient, nichts zu zahlen braucht. Es geht nicht an, ihm vom Dienstnehmer infolge besonderen Fleißes, besonderer Geschicklichkeit oder auch nur durch Zufall erzieltes höheres Einkommen in der Weise nutzbar zu machen, daß er noch für eine weitere Zeit von der Lohnzahlung losgezählt wird.

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