OGH 4Ob111/99y

OGH4Ob111/99y1.6.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** Verlagsgesellschaft mbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Hella Ranner, Rechtsanwältin in Graz, wider die beklagte Partei "Go*****" Verlagsgesellschaft mbH, *****, vertreten durch Schönherr Barfuß Torggler & Partner Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 300.000 S), infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht vom 3. März 1999, GZ 6 R 246/98p-10, womit der Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 14. Oktober 1998, GZ 10 Cg 78/98a-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 13.725 S (darin 2.287,50 S USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin produziert und vertreibt seit Jänner 1996 in der Steiermark zweimal wöchentlich die Anzeigenzeitung "F*****" mit einer Auflage von ca. 20.000 Stück pro Heft. Die Beklagte produziert und vertreibt seit Mitte 1996 ebenfalls in der Steiermark einmal wöchentlich die Anzeigenzeitung "Go*****" mit einer Auflage von rund 9.000 Stück je Heft. Beide Zeitungen beruhen auf dem Prinzip des kostenlosen Annoncen-Abdruckes bei entgeltlichem Vertrieb und sind um den Preis von je 25 S in Trafiken und bei Kolporteuren erhältlich.

Die Beklagte stellte im Mai 1998 allen Trafikanten in der Steiermark zusätzliche Exemplare ihrer Anzeigenzeitung zur Verfügung und forderte sie in einem Flugblatt auf, sich an einer einmaligen Werbeaktion für ihr Produkt zu beteiligen, in deren Rahmen jeder Käufer einer (anderen) Anzeigenzeitung ein Exemplar der Zeitung der Beklagten geschenkt erhalten sollte. Diese (nicht öffentlich angekündigte) Werbeaktion der Beklagten verursachte bei der Klägerin kurzfristige Umsatzeinbußen im Ausmaß von 5-8 %.

Zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs beantragt die Klägerin, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung aufzutragen, es bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, Trafikanten aufzufordern, all jenen Kunden, die eine Anzeigenzeitung bei ihnen kaufen, ein Heft der Anzeigenzeitung "Go*****" dazuzuschenken. Die Beklagte beute mit ihrer Werbeaktion gezielt den mit erheblichen finanziellen Mitteln aufgebauten Kundenstamm der Klägerin schmarotzerisch aus und erspare sich andere kostspielige Werbemethoden, wie Postversand, Verbreitung mit eigenem Personal oder über Selbstbedienungs-Ständer. Sie handle damit sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG und biete eine unerlaubte Zugabe an.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsantrags. Das Eindringen in einen fremden Kundenkreis gehöre zum Wesen des Wettbewerbs und sei grundsätzlich zulässig. Die Beklagte verschenke eine zulässige Warenprobe. Die Beschenkten hätten im Zeitpunkt des Kaufs nichts von der kostenlose Zugabe gewußt, es fehle demnach an der für eine Zugabe notwendigen Akzessorietät.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt beurteilte es in rechtlicher Hinsicht dahin, daß eine Zugabe deshalb nicht vorliege, weil Verkäufer der Hauptware und Dritter keine gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen verfolgten und es an der Akzessorietät mangle; auch sei die Abgabe von Waren zu Probezwecken ausdrücklich erlaubt. Die unentgeltliche Abgabe von Waren zu Probezwecken sei die sachlichste Art der Werbung überhaupt und mangels weiterer Unlauterkeitskriterien nicht wettbewerbswidrig. Die Beklagte sei zwar in den Kundenkreis der Klägerin eingedrungen, habe aber dabei keinerlei verwerfliche Mittel angewendet. Auch werde beim Beschenkten kein psychischer Kaufzwang ausgelöst.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstands 260.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Wie andere Warenproben dürften auch Zeitungen zu Werbezwecken verschenkt werden, solange dadurch nicht Bedarfsdeckung oder Marktverstopfung eintrete, die Mitbewerber im Absatz ihrer eigenen Produkte behindere. Von solchen besonderen Umständen, die eine Sittenwidrigkeit begründeten, könne bei der beanstandeten Werbeaktion der Beklagten keine Rede sein; die Zeitung der Beklagten sei den Käufern der Zeitung der Klägerin ja erst nach dem Kauf und nur ein einziges Mal übergeben worden.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig, weil ein vergleichbarer Sachverhalt noch nicht Gegenstand einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes war. Das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.

Die Klägerin vertritt den Standpunkt, es sei wettbewerbsrechtlich unzulässig, sich "gleichsam wie ein Blutegel" an die Kundenbeziehung des Konkurrenten anzuhängen, indem Händler angewiesen würden, jedem Käufer einer Ware des Konkurrenten ein Gratisexemplar der eigenen Ware mitzugeben. Die Beklagte dringe unter Ersparung eigener Aufwendungen schmarotzerisch in den aufwendig geschaffenen Kundenstock des Konkurrenten ein und bringe diesen um die Früchte seiner Arbeit. Verschenkt werde nicht eine Warenprobe, sondern das wertvolle Hauptprodukt. Beim Beschenkten werde ein psychologischer Kaufzwang ausgelöst. Dieser Argumentation kann nicht beigepflichtet werden.

Der Kundenkreis eines Unternehmens ist kein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis (SZ 19/289) und auch kein geschütztes Rechtsgut; das Eindringen mit lauteren Mitteln in den Kundenkreis der Konkurrenten, mag dieser auch mit Mühe und Kosten erworben sein, gehört, selbst wenn es zielbewußt und planmäßig geschieht, zum Wesen des Wettbewerbs (Baumbach/Hefermehl, UWG20 Rz 21 zu Allg und Rz 597 zu § 1). Niemand hat Anspruch auf die Wahrung seiner Position; nur die Art und Weise, wie die Beeinträchtigung des Mitbewerbers geschieht, kann eine Wettbewerbshandlung unzulässig machen (EvBl 1993/99 = ÖBl 1993, 13 - Nissan-Kundendienst; ÖBl 1997, 61 - Stiftsparkplatz; ÖBl 1997, 158 - S-Powerfrauen). Jede Wettbewerbshandlung ist schon ihrer Natur nach geeignet, den Mitbewerber in seinem Streben nach Geschäftsabschlüssen und Gewinn zu beeinträchtigen. Nicht jeder Wettbewerb, der den Mitbewerber schädigt und verdrängt, ist daher bereits ein Behinderungswettbewerb; Sinn und Zweck des wirtschaftlichen Wettbewerbs ist es ja, in den Kundenkreis des Mitbewerbers einzudringen und ihm durch die Güte und die Preiswürdigkeit der eigenen Leistung Kunden abzunehmen.

Sittenwidriger Behinderungswettbewerb liegt erst dann vor, wenn ein

Unternehmer durch das Mittel der Behinderung des Konkurrenten zu

erreichen sucht, daß dieser Mitbewerber seine Leistung auf dem Markt

nicht oder nicht mehr rein zur Geltung bringen kann; in diesem Fall

ist die Verdrängung des Mitbewerbers vom Markt nicht eine

unvermeidliche, begriffswesentliche Folge des Wettbewerbs, sondern im

Gegenteil die Folge der Ausschaltung des Mitbewerbers vom

Leistungswettbewerb. Ein solches Vorgehen beeinträchtigt nicht nur

die freie wirtschaftliche Betätigung des Konkurrenten; sie gefährdet

zugleich das Bestehen des Wettbewerbs als solchen, welchen § 1 UWG im

Interesse der Gesamtheit der Mitbewerber und darüber hinaus der

Allgemeinheit schützen will. Daraus folgt, daß jedenfalls Maßnahmen,

die ihrer Natur nach allein der Behinderung des Mitbewerbers dienen,

regelmäßig wettbewerbswidrig sind; typische Mittel des

Leistungswettbewerbs sind dagegen grundsätzlich erlaubt und nur unter

Hinzutreten besonderer Umstände, die den Leistungs- zum

Behinderungswettbewerb machen, unlauter (ÖBl 1993, 216 = MR 1993, 232

= ecolex 1994, 109 - Jahresbonifikation mwN; ecolex 1994, 181 = ÖBl

1994, 60 - Indikationszeugnis; ÖBl 1998, 229 = WBl 1998, 320 -

Nintendo).

So ist es für sich allein noch nicht sittenwidrig, wenn sich ein Medieninhaber einer Wochenzeitung durch Einsichtnahme in nicht chiffrierte Inserate einer Tageszeitung Kenntnis vom Kundenkreis seiner Mitbewerber verschafft und diesen Personen hierauf seine eigenen Leistungen anbietet (SZ 60/48 = ÖBl 1987, 158 - Inseraten-Abwerbung); gleiches gilt für das Abwerben von Kunden eines Mitbewerbers durch Einsatz ehemaliger Dienstnehmer dieses Mitbewerbers, die der Werbende nicht mit unlauteren Mitteln abgeworben hat und die die Kunden auch nicht mit unlauteren Mitteln zu gewinnen suchen (ÖBl 1997, 138 - S-Powerfrauen). Zum unlauteren Kundenfang wird die Beeinflussung, wenn ein sachlicher Leistungsvergleich durch den Kunden verhindert oder sein freier Willensentschluß beeinträchtigt oder ausgeschlossen wird, so etwa wenn Kunden eines Mitbewerbers in unmittelbarer Nähe seines Geschäftes gezielt abgefangen werden, womit es dem Mitbewerber unmöglich gemacht wird, seine Leistung anzubieten (ÖBl 1996, 180 - Kärntnerring-Garage mwN). Wie andere Warenproben, dürfen auch Zeitungen zu Werbezwecken verschenkt werden, soweit dies nach Art, Umfang und Dauer zum Zweck der Erprobung geschieht und dadurch nicht die Grenzen leistungsbezogener Wettbewerbshandlungen überschritten werden; letzteres ist etwa anzunehmen, wenn Bedarfsdeckung eintritt oder Mitbewerber infolge einer Marktverstopfung im Absatz ihrer eigenen Erzeugnisse behindert werden (stRsp ua SZ 61/5 = WBl 1988, 195 = MR 1988, 56 [Korn] = ÖBl 1988, 69 - Zeitungs-Super-Angebot mwN).

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt an, ist den Vorinstanzen darin beizupflichten, daß das Einwirken der Beklagten auf Trafikanten, ihren Kunden im Rahmen einer einmaligen Werbeaktion beim Erwerb (irgend)einer Anzeigenzeitung eines Mitbewerbers ein kostenloses Exemplar der eigenen Anzeigenzeitung zur Probe zu überreichen, nicht als unzulässige Wettbewerbshandlung zu beurteilen ist. Durch diese Werbemaßnahme wird nämlich zunächst weder der Absatz der Konkurrenzprodukte durch Herbeiführen einer Marktverstopfung oder Bedarfsdeckung behindert, noch (infolge der Geringwertigkeit des Geschenks) der freie Willensentschluß des Kunden des Mitbewerbers etwa dahin beeinträchtigt, daß bei ihm ein "psychologischer Kaufzwang" ausgelöst würde, der es ihm peinlich erscheinen ließe, zukünftig nicht die Zeitung der Beklagten zu kaufen. Dem Kunden eines Mitbewerbers der Beklagten (der dieser gegenüber völlig anonym bleibt) wird vielmehr ein sachlicher Leistungsvergleich zwischen ähnlichen Produkten ermöglicht; daß dieser Leistungsvergleich möglicherweise zu einer Verschiebung der zukünftigen Nachfrage hin zum Produkt der Beklagten führt, ist dann nur Folge des zulässigen Leistungswettbewerbs, in dem sich das attraktivere Angebot durchsetzt. Die beanstandete Werbemaßnahme ist deshalb nicht mit solchen Methoden unlauteren Kundenfangs zu vergleichen, bei denen sich ein Mitbewerber listig oder sonst auf unlautere Weise in den Besitz von Kundenlisten seines Konkurrenten setzt oder diesen bei seinen Kunden in der Hoffnung auf eigene Geschäfte anschwärzt. Hervorzuheben ist auch, daß diese Form der Kundenwerbung nicht einseitig und gezielt den Kundenstock eines einzigen Mitbewerbers angreift, sondern sich gleichmäßig gegen alle Konkurrenten richtet.

Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil der Kreis der für das Produkt der Beklagten in Betracht kommenden Abnehmer schwer zu ermitteln ist und die Beklagte, um diesen Abnehmerkreis anzusprechen, nach Meinung der Klägerin nicht in demselben Umfang wie sie eine aufwendige Werbung betrieben habe: Ein - wenn auch unter Mühen und Kosten erworbener - Kundenkreis ist noch nicht als solcher schutzwürdig, und eine sittenwidrige unmittelbare Ausnutzung fremder Aufwendungen liegt unter den gegebenen Umständen nicht vor (vgl auch WRP 1963, 197 [krit. Bußmann] - Zahnprothesen-Pflegemittel, wo der BGH bei ähnlichem Sachverhalt - ein Drogist gab auf eigene Initiative regelmäßig über einen längeren Zeitraum jedem Käufer eines bestimmten Produkts eine Warenprobe eines Konkurrenzprodukts als kostenlose Beigabe ab - eine Wettbewerbswidrigkeit verneint hat).

Die von der Rechtsmittelwerberin weiters aufgeworfene Frage, inwieweit eine Koppelung der eigenen Ware mit fremden Waren mittels Kombiangebots zu einem günstigen Preis zulässig sei, geht am bescheinigten Sachverhalt vorbei; darauf ist nicht weiter einzugehen. Dem Revisionsrekurs war somit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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