OGH 4Ob106/78

OGH4Ob106/7819.12.1978

SZ 51/187

Normen

AngG §1 Abs1
HGB §56
AngG §1 Abs1
HGB §56

 

Spruch:

Begriff der "kaufmännischen Dienste" im Sinne des § 1 Abs. 1 AngG (hier: "Ladnerin" in einem Bäckereibetrieb)

§ 56 HGB setzt zwar kein Angestelltenverhältnis voraus, die Einräumung einer Handlungsvollmacht nach dieser Gesetzesstelle kann aber für die Beurteilung der Frage bedeutsam werden, ob ein Arbeitnehmer kaufmännische Dienste leistet

OGH 19. Dezember 1978, 4 Ob 106/78 (LG Linz 12 Cg 21/78; ArbG Linz 1 Cr 41/78)

Text

Die Klägerin begehrt von der beklagten Bäckerei-OHG die Ausstellung eines Dienstzeugnisses des Inhalts, sie sei vom 1. August 1977 bis 11. Dezember 1977 als Verkäuferin im Sinne des AngG bei der beklagten Partei beschäftigt gewesen; sie begehrt ferner die Zahlung eines Betrages von 15 931.66 S mit der Begründung, daß sie, obgleich sie als Angestellte im Betrieb der beklagten Partei gearbeitet habe, am 9. Dezember 1977 zum 11. Dezember 1977 gekundigt worden sei; tatsächlich hätte sie aber als Angestellte nur zum 31. März 1978 ordnungsgemäß gekundigt werden können, so daß ihr eine Kündigungsentschädigung von 15 931.66 S für die Zeit vom 12. Dezember 1977 bis 31. März 1978 auf der Basis eines Monatsentgelts von 4345 S zustehe.

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung mit der Begründung, die Klägerin sei nicht als Angestellte, sondern als Ladnerin im Sinne des KollV für das österreichische Bäckergewerbe und sohin als Arbeiterin aufgenommen gewesen. Sie habe zu 85% Brot- und Backwaren aus dem Erzeugungsbetrieb der beklagten Partei verkauft; der Rest entfalle auf Milch und Lebensmittel, die in Bäckereiverkaufsstellen üblicherweise angeboten werden. Die beiden Filialen, in denen die Klägerin verkauft habe, seien von Maria und Eva A geleitet und mehrmals im Tag kontrolliert worden. Die Klägerin habe keine besondere Verantwortung bezüglich des Warenbestandes oder im Kassabereich innegehabt, weil sie nur eine Registrierkasse bedient habe und weil alle kaufmännischen Tätigkeiten von der beklagten Partei bzw. den genannten Betriebsleiterinnen besorgt worden seien. Für eine Einstufung als Angestellte habe sie weder die im Kollektivvertrag verlangte abgeschlossene kaufmännische Lehrzeit noch den Besuch einer Handelsschule aufgewiesen. Die Höhe des Klagebetrages wurde außer Streit gestellt.

Die Klägerin bestritt dieses Vorbringen und behauptete, ausdrücklich als Angestellte im Sinne des AngG aufgenommen worden zu sein. Sie habe die Filiale, in der neben den Backwaren noch etwa 200 andere Produkte angeboten worden seien, selbständig geführt. Milch und Milchprodukte habe sie direkt beim Milchhof, die anderen Waren in der Zentrale der beklagten Partei bestellt. Sie habe kassiert und die Tagesabrechnung erstellt sowie die einlangende Ware hinsichtlich ihrer Richtigkeit an Hand der Liefer- und der Bestellscheine überprüft.

Das Erstgericht wies das gesamte Klagebegehren ab. Es traf folgende wesentliche Feststellungen:

Die beklagte Partei betreibt in Linz eine Hauptverkaufsstelle und 11 Filialen, in denen ausschließlich Ladnerinnen beschäftigt sind. Die Klägerin absolvierte 4 Klassen Volksschule und 3 Klassen Hauptschule. Danach wurde sie von der beklagten Partei als Anlehrling für den Verkauf aufgenommen, ohne daß hiebei über eine kollektivvertragliche Einstufung gesprochen wurde. Die Parteien vereinbarten ein Monatsgehalt von 3200 S, das sich nach einigen Monaten erhöhen sollte. Von einer Übernahme in das Angestelltenverhältnis war nicht die Rede. Die Klägerin hatte weder eine kaufmännische Lehre absolviert, noch eine Handelsschule besucht. Nach einer zwei bis drei Tage dauernden Einschulungszeit in einer Filiale kam sie für zwei bis drei Wochen in die in der Z-Straße gelegene Filiale der beklagten Partei und anschließend in die Filiale F-Weg, wo sie bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses blieb. Am Beginn ihrer Tätigkeit in der Filiale Z-Straße wurde sie etwa dreimal täglich von der Ladnerin Gertrude P besucht, damit diese ihr allenfalls helfe. Nach einer Woche kam Gertrude P nur noch einmal täglich in die von der Klägerin geführte Filiale nachschauen. Da die Leistung der Klägerin nicht zufriedenstellend war, wurde sie in die Filiale F-Weg versetzt, wo der Geschäftsgang schwächer war. Sie wurde in dieser Zeit fast täglich, etwa zweimal im Tag für die Dauer einer halben Stunde, durch die Aushilfskraft Christine D unterstützt, die der Klägerin die notwendigen Arbeiten anschaffte und ihr zum Teil bei der Arbeit half. Die Filialen wurden überdies von Maria A oder Eva A etwa zwei- bis dreimal täglich besucht, um fehlende Waren anzuliefern, Arbeit anzuschaffen und etwaige Unzukömmlichkeiten abzustellen.

Die Haupttätigkeit der Klägerin bestand im Verkauf von Waren, die sich in drei Gruppen gliederten: in die von der beklagten Partei selbst hergestellten Brot- und Backwaren, in die von der Molkerei angeschafften Milch und Milchprodukte sowie in die Süßwaren. Im einzelnen wurden in den Filialen, in denen die Klägerin tätig war, insgesamt 150 im einzelnen näher angeführte Artikel geführt; darunter befanden sich auch nichtalkoholische Getränke und Bier.

Die von der beklagten Partei selbst erzeugten Brot- und Backwaren wurden im großen und ganzen vom Betrieb der beklagten Partei selbständig an die einzelnen Filialen auf Grund der bereits bekannten benötigten Mengen ausgeliefert. Über die benötigten Backwaren fertigte die Klägerin täglich eine Liste an und gab diese dem Fahrer mit; diese Waren wurden dann am folgenden Tag von der Zentrale geliefert. Die Milch und Molkereiprodukte wurden von der Klägerin täglich mit Hilfe von Listen, die sie nur auszufüllen brauchte, bestellt. Die Süßwaren wurden einmal wöchentlich manchmal auch in größeren Zeitabständen in der Zentrale der beklagten Partei durch Übergabe einer Liste an den Fahrer bestellt. Die Klägerin durfte nicht nach eigenem Belieben neu eingeführte Molkereiprodukte bestellen. Die Bestellungen dienten nur dazu, die bereits eingeführten Produkte auf das übliche und erforderliche Maß aufzufüllen. Alle für die Filialen bestimmten Waren wurden mit Lieferscheinen ausgeliefert. Aufgabe der Klägerin war es, die Waren an Hand der Lieferscheine auf ihre Vollständigkeit zu überprüfen. Die Brot- und Backwaren wurden von ihr gezählt und auf einem Karton aufgeschrieben. Die Milch und die Molkereiprodukte wurden von ihr in das sogenannte Milchheft eingetragen und einmal wöchentlich abgerechnet. Die Rechnungen für die Milch und die Molkereiprodukte wurden in die Filialen gesendet, von den Verkäuferinnen an Hand der Lieferscheine auf ihre Richtigkeit überprüft und dann zur Bezahlung der Zentrale übermittelt. Im Milchheft wurden die Ein- und Verkaufspreise der gelieferten und verkauften Milch sowie der Molkereiprodukte verzeichnet und gegenübergestellt. Auf diese Weise wurden die Einnahmen ermittelt. Auch die von der Zentrale angelieferten Süßwaren wurden von der Klägerin an Hand von Lieferscheinen auf ihre Vollständigkeit überprüft und dann in das sogenannte Süßwarenheft mit den auf den Lieferscheinen vermerkten Preisen eingetragen. Dieses Heft wurde einmal wöchentlich zur Überprüfung der ausgelieferten Ware an die Zentrale geschickt. Die Preise der angelieferten Süßwaren wurden einmal im Monat addiert.

Die Klägerin mußte ferner eine Tagesabrechnung erstellen. Sie hatte bei Geschäftsschluß die Einnahmen bis auf ein Wechselgeld von 100 S aus der Registrierkasse herauszunehmen, abzuzählen und die Tageslosung aufzuschreiben. Von dem als Tageslosung festgestellten Betrag hatte sie dann die Preise der im Laufe des Tages angelieferten Brot- und Backwaren, die um die Preise der am Vortag retournierten Ware vermindert wurden, abzuziehen. Zum Wochenende mußte die Klägerin die Tagessummen der in der Woche angelieferten Brot- und Backwaren zusammenzählen. Es gab für alle angebotenen Waren Preislisten; die Preise konnten außerdem in den meisten Fällen auch von Zetteln, die an den betreffenden Regalen, in denen sich die Waren befanden, aufgeklebt waren, abgelesen werden. Die Klägerin kehrte zweimal täglich den Verkaufsraum zusammen und wischte einmal feucht auf. Von Zeit zu Zeit mußte sie die Fenster putzen. In den Filialen, in denen sie beschäftigt war, betrug der Umsatzanteil der Brot- und Backwaren etwa 80%; 20% entfielen auf Milch und Molkereiprodukte sowie auf Süßwaren. Am Abend kamen entweder Marie A oder Eva A in die Filiale der Klägerin, um die Tageslosung an Hand des Kontrollstreifens der Kasse zu überprüfen und mitzunehmen. Die Klägerin sperrte die Filiale am Morgen auf und sperrte sie am Abend zu, falls letzteres nicht von Eva A oder Marie A besorgt wurde. Der Mindestlohntarif der Bäckereiarbeiter weist u. a. die Verwendungsgruppe 7, Ladnerin I, und Verwendungsgruppe 8, Ladnerin II, sonstige Arbeiterinnen, auf.

In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht die Angestelltenqualifikation der Klägerin. Das Warenangebot sei nicht so vielfältig, um eine besondere Beratungstätigkeit beim Verkauf zu erfordern; die Klägerin habe auf das Warenangebot mit Ausnahme der Anforderung ausgegangener Waren keinen Einfluß gehabt. Die Rechentätigkeit habe von jedem mit den Grundrechenarten vertrauten Menschen bewältigt werden können. Eine besondere Verantwortlichkeit sei im Hinblick auf die täglichen Kontrollen nicht gegeben gewesen. Daß die Klägerin überfordert gewesen sei, bilde lediglich ein Indiz dafür, daß sie für diese Aufgabe noch zu jung und unreif gewesen sei. Die Anführung des Begriffes "Ladnerin" im KollV zeige, daß die Kollektivvertragsparteien die Verkaufstätigkeit im Bäckereigewerbe nicht als Angestelltentätigkeit ansehen, soweit sie nicht die im KollV angeführten höheren Erfordernisse aufweise.

Im Berufungsverfahren dehnte die Klägerin das Klagebegehren um einen der Höhe nach außer Streit stehenden Betrag von 1010 S (ohne Zinsen) auf insgesamt 16 941.66 S samt Anhang aus. Die beklagte Partei habe nämlich der Klägerin für die Monate Oktober und November 1977 nur einen Monatslohn von 4345 S ausgezahlt; als Angestellter wären ihr aber nach dem KollV 4850 S zugestanden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und wies das gesamte Klagebegehren ab; es sprach ferner aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hatte, 30 000 S nicht übersteige. Das Berufungsgericht führte das Verfahren gemäß § 25 Abs. 1 Z. 3 ArbGG neu durch und traf dieselben Feststellungen wie das Erstgericht. Ergänzend traf es noch folgende Feststellungen: Die beklagte Partei hat im Standort Linz, F-Weg 140 a, auch eine Berechtigung zum Betrieb einer weiteren Betriebsstätte für das Gewerbe "Einzelhandel mit Lebensmitteln aller Art, mit Ausnahme der im § 1a Abs. 1 lit. a GewO 1859 angeführten Waren, sowie für den Handel mit Flaschenbier".

Das Berufungsgericht teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichtes. Unter dem Tätigkeitsbild "Ladnerin" würden insbesondere Verkäuferinnen von Grundnahrungsmitteln bezeichnet, wie sie in Fleischerläden, Bäckereien oder Konditoreien tätig seien. Diese Bezeichnung schließe die Angestelltenqualifikation noch nicht aus. Nach der Verkehrsauffassung der beteiligten Kreise (Bundesinnung der Bäcker sowie ÖGB) seien jedoch gewisse einfache, von Ladnerinnen ausgeübte Verkaufstätigkeiten, die spezifisch kaufmännische Arbeiten nicht erfordern, dem Angestelltenbegriff nicht zu unterstellen. Aus der im KollV für das österreichische Bäckergewerbe (Arbeiter und Arbeiterinnen) vorgenommenen Unterscheidung wischen zwei Verwendungsgruppen (7 und 8) für Ladnerinnen sei zu schließen, daß eine Ladnerin ihren Dienst auch allein in einem Bäckerladen versehen könne. Nach § 14 des KollV für Angestellte bei Bäckern seien Personen unter 16 Jahren für die Angestelltentätigkeit nicht qualifiziert. Wenn auch das 200 Artikel umfassende Warensortiment - zum geringsten Teil - auf die Berücksichtigung der beklagten Partei zum Einzelhandel mit Lebensmitteln aller Art sowie für den Handel mit Flaschenbier gestützt werde und wenn auch die Klägerin in der Filiale allein gearbeitet habe, so sei für die mangelnde Angestelltenqualifikation doch entscheidend, daß die Ein- und Verkaufsorganisationen der beklagten Partei eine selbständige Anpassung an konkrete Marktsituationen nicht erfordere. Ein Teil der Ergänzung des Warenlagers sei ohne Zutun der Klägerin erfolgt; diese habe nur feststellen müssen, wie viele Waren noch vorhanden seien. Die Klägerin habe aber auch keinen Einfluß auf die Auswahl und die Menge der anzuliefernden Molkereiprodukte gehabt, so daß ein Einkauf nicht vorgelegen sei. Die Warenprüfung habe sich auf die Menge der Waren beschränkt, eine Kundenberatung sei nach der Art der Ware kaum notwendig gewesen. Für eine Kundenwerbung habe mit Ausnahme eines freundlichen Benehmens keine Möglichkeit bestanden. Die Klägerin habe auf die Preisbildung keinen Einfluß gehabt eine besondere kaufmännische Tätigkeit sei nicht erforderlich gewesen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge und änderte die Urteile der Untergerichte im Sinne des Klagebegehrens ab.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Da das Berufungsgericht über das im Berufungsverfahren ausgedehnte Klagebegehren entschieden hat, so daß mangels Konformität der Entscheidungen erster und zweiter Instanz eine voll bestätigende Berufsentscheidung nicht vorliegt, und da die auf Zahlung und auf Ausstellung eines Dienstzeugnisses gerichteten beiden Klagebegehren mit Rücksicht auf den ihnen gemeinsam zugrunde liegenden Rechtsgrund des (strittigen) Angestelltenverhältnisses im rechtlichem Zusammenhang stehen und daher keine selbständigen Tatbestände bilden (vgl. Jud. 56 neu; Fasching IV, 233, 282), liegen die Voraussetzungen für einen Streitwertausspruch im Sinne des § 500 Abs. 2 ZPO nicht vor. Die vom Berufungsgericht dennoch vorgenommene Bewertung ist daher unbeachtlich und bindet den Obersten Gerichtshof nicht (Fasching IV, 231).

In der Sache selbst ist für die Entscheidung über die beiden Klagebegehren die Beantwortung der Frage entscheidend, ob die Klägerin als Angestellte im Sinne des § 1 Abs. 1 AngG zu qualifizieren ist. Die Frage ist hier dann zu bejahen, wenn die Klägerin vorwiegend kaufmännische Dienste zu leisten hatte (Kanzleiarbeiten oder höhere, nichtkaufmännische Dienste scheiden nach der Art der Arbeit der Klägerin aus).

Judikatur und Literatur haben den Begriff der "kaufmännischen Dienste" nicht immer einheitlich bestimmt. Der OGH erblickt die Grenze zwischen den die Angestellteneigenschaft begrundenden kaufmännischen Diensten im Sinne des § 1 Abs. 1 AngG und den eine solche Eigenschaft ausschließenden untergeordneten Verrichtungen im Sinne des § 1 Abs. 2 AngG in den Anforderungen, welche die betreffende Dienstleistung ihrer Art nach an den Arbeitnehmer und an dessen Ausbildung stellt. Unter den Begriff der kaufmännischen Dienste fallen demnach solche Arbeitsleistungen, die eine kaufmännische Ausbildung und Geschicklichkeit verlangen, wogegen den vorgenannten untergeordneten Verrichtungen alle mechanischen Arbeiten zuzuordnen sind, die keine besondere Ausbildung erfordern und so einfach sind, daß sie von jedem normalen Menschen mit gewöhnlicher Durchschnittsbildung erbracht werden können. An den erstgenannten Begriff sind aber keine allzu strengen Anforderungen zu stellen (Arb. 9090, 7976, 6780 u. a.). Bei kaufmännischen Diensten überwiegt die gedankliche Arbeit die mechanische Arbeit. Der Verkehrsauffassung ist hiebei ein entscheidendes Gewicht beizumessen (Arb. 6780; EvBl. 1957/353); entscheidend ist die Tätigkeit des Arbeitnehmers in ihrer Gesamtheit (vgl. Arb. 7569).

Nach Adler - Höller in Klang[2] V, 194, ist die "kaufmännische Signatur" entscheidend. Die Arbeitsleistungen müßten eine kaufmännische Ausbildung und Geschicklichkeit erfordern; es müsse sich um Dienste handeln, die mit dem Ein- oder Verkauf von Waren oder mit dem Kassenwesen, der Buchführung oder der Korrespondenz zusammenhängen. Reinigungs- und Verpackungsarbeiten, Botengänge usw. schieden aus.

Martinek - Schwarz, AngG[3], 42 ff., halten für die Angestelltenqualifikation einen bloßen Ausschnitt aus dem Gesamtumfang der Tätigkeit eines Kaufmannes für hinreichend; das Vorliegen typischer kaufmännischer Merkmale sei Grundvoraussetzung. Die Verhältnisse des täglichen Lebens und die Verkehrsauffassung seien mitzuberücksichtigen, ohne daß aber eine Prüfung der konkreten Verhältnisse des Einzelfalles unterbleiben dürfe. Zu den - nicht streng zu beurteilenden kaufmännischen Diensten zählten insbesondere der Ein- und Verkauf von Waren, ihre Lagerung und Beaufsichtigung, die darauf bezughabende Korrespondenz und die Kundenberatung.

Mayer - Maly, Österreichisches Arbeitsrecht, 58, hält die von der Judikatur herausgearbeiteten Kriterien für nicht überzeugend, ohne aber selbst zu einer Begriffsbestimmung de lege lata etwas beizutragen.

Spielbüchler in ZAS 1969, 1 ff., insbesondere 4 sowie in Arbeitsrecht I, 29, mißt im Bereich des Ein- und Verkaufs besondere Bedeutung den für einen Kaufmann typischen Tätigkeiten zu, insbesondere der Kundenwerbung, der Kundenberatung, dem Einfluß auf die Preisbildung, der Sorge für die Lagerergänzung und dem Einkauf; im Bereich der Hilfstätigkeiten seien die Buchhaltung, umfassende Geldgebarung und die Warenprüfung von besonderer Bedeutung. Für den erstgenannten Bereich seien es die für den Kaufmann typischen Tätigkeiten, die durch selbständige Anpassung an konkrete (Markt-)Situationen auf eine Hebung des Umsatzes abzielten.

Diesen Auffassungen ist jedenfalls der schon nach dem Wortlaut des Gesetzes naheliegende Gedanke gemeinsam, daß die Qualifikation als Angestellter die Verrichtung solcher Arbeiten erfordert, die ihrer Art nach zu den typischen Tätigkeiten eines Kaufmannes gehören und für die Führung seines Betriebes eine bestimmte, jedenfalls nicht untergeordnete (§ 1 Abs. 2 AngG) Bedeutung haben. Es muß sich demnach um einen Ausschnitt aus dem typischen Tätigkeitsbereich eines Kaufmannes handeln, ohne daß hiebei ein allzu strenger Maßstab angelegt werden darf. Derartige Tätigkeiten müssen ihrer Art nach eine kaufmännische Ausbildung und/oder Geschicklichkeit erfordern und dürfen nicht so einfach und so anspruchslos sein, daß sie von jedem Menschen mit Durchschnittsbildung ohne weiteres erbracht werden können. Zu diesen kaufmännischen Diensten zählen insbesondere alle jene mit dem Ein- und Verkauf zusammenhängenden Tätigkeiten, die eine selbständige Anpassung des Arbeitnehmers an eine konkrete (Markt-)Situation zur Hebung des Umsatzes erfordern, wie insbesondere Kundenwerbung, Kundenberatung, Einfluß auf die Preisbildung, Sorge um die Lagerergänzung, Einkauf und Bestellung; ferner Buchführung, Geldgebarung und Warenprüfung.

Schließlich wird aber auch die in diesem Zusammenhang bisher nicht beachtete Einräumung einer Handlungsvollmacht an den Arbeitnehmer im Sinne des § 56 HGB mit zu beachten sein. Wenn auch unter einer Anstellung im Sinne dieser Gesetzesstelle nicht unbedingt ein Angestelltenverhältnis im Sinne des Angestelltengesetzes zu verstehen ist, weil auch Personen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis stehen, oder etwa gewerbliche Hilfskräfte, die in einem Laden oder in einem offenen Warenlager nur vorübergehend "angestellt" sind, als zu Verkäufen und Empfangnahmen, die in einem derartigen Lager oder Warenlager gewöhnlich erfolgen, ermächtigt gelten (Reichsgerichtsrätekommentar I, 574), so erstreckt sich diese Handlungsvollmacht - vorbehaltlich einer erkennbaren Einschränkung - doch grundsätzlich auf eine Tätigkeit, wie sie sonst - auch - vom Inhaber eines solchen Ladens oder Warenlagers vorgenommen wird. Wenn diese Gattungsvollmacht von einem Kaufmann durch die Verwendung seines Arbeitnehmers in einem solchen Laden im Sinne des § 56 HGB (uneingeschränkt) erteilt wird, dann wird eine solche Tätigkeit des seinen Arbeitgeber insoweit vertretenden Arbeitnehmers im allgemeinen in den typischen Tätigkeitsbereich eines Kaufmannes fallen. Wenn auch die Bestimmung des § 56 HGB primär im Verhalten Dritten gegenüber gilt, ist sie doch für die Beurteilung der Frage, ob von einem Arbeitnehmer kaufmännische Dienste verrichtet werden, auch für das Innenverhältnis bedeutsam.

Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, dann ist die Angestellteneigenschaft der Klägerin zu bejahen. Hiebei ist davon auszugehen, daß sie die Filiale der beklagten Partei insofern geführt hat, als sie dort, von kurzdauernden Ausnahmen abgesehen, allein tätig war und insbesondere die festgestellten Buchführungsarbeiten, die Geldgebarung und die Warenbestellungen sowie die Überprüfung der Waren allein vorgenommen hat. Die Tätigkeit der Klägerin ist daher mit der Arbeit einer ausschließlich im Verkauf tätigen Arbeitnehmerin nicht zu verwechseln. Wenn auch die Brot- und Backwaren von der Zentrale der beklagten Partei täglich geliefert wurden, so oblag es doch der Klägerin, täglich die benötigte Menge dieser Waren anzufordern. Das gleiche gilt für die - allerdings in größeren Zeitabständen gelieferten - Süßwaren. Die Milch und Molkereiprodukte mußte die Klägerin sogar direkt bei der Molkerei bestellen. Wenn ihr auch die Art all dieser zu bestellenden Waren vorgeschrieben war, so hatte sie doch insofern Einfluß auf den Umsatz dieser Waren, als sie die Bestellungen nach dem jeweiligen Bedarf vorausschauend vornehmen mußte. Für diese Aufgabe war somit eine gewisse Anpassung an konkrete Marktsituationen notwendig gesehen, nahm sie im Rahmen ihrer Handlungsvollmacht selbständig Bestellungen von Milch und Molkereiprodukte für die beklagte Partei vor. Da die Klägerin in der Filiale insgesamt 150 verschiedene Artikel führte, gehörte zu der Bestellung der Waren ein gewisser Überblick über die vorhandenen Lagerbestände und über den voraussichtlichen Bedarf. Ein Großteil dieser Waren ist nicht haltbar oder muß jedenfalls frisch verkauft werden, so daß die Genauigkeit dieses Überblickes und der daraus gezogenen Folgerungen nicht ohne Einfluß auf den Gewinn der beklagten Partei blieb. Dazu kommt, daß bei einem Teil der paketierten Waren das aufgedruckte Ablaufdatum nicht nur während der Lagerung, sondern auch bei der Bestellung beachtet werden muß. Die Klägerin hatte ferner die angelieferten Waren auf ihre Übereinstimmung mit der Bestellung und mit der auf den Lieferschein ersichtlichen Menge zu überprüfen. Die Vorschriften des Lebensmittelgesetzes 1975 erfordern auch von einer Verkaufskraft, die so wie die Klägerin in einer Filiale als einzige Arbeitnehmerin tätig ist, ebenso wie, von einem Kaufmann die Überprüfung der angelieferten und der gelagerten Ware auf erkennbare Mängel bei sonstiger strafrechtlicher Haftung. Dies gilt auch für den Fall der Anlieferung der Ware von einer Zentrale (Brustbauer - Jesionek - Petuel - Wrabetz, Das Lebensmittelgesetz 1975, 261 ff.; EvBl. 1974/134; EvBl. 1956/144 u. a.). Auch diese Überprüfungstätigkeit nach dem Lebensmittelgesetz ist somit ein Ausschnitt der Tätigkeit eines Kaufmannes.

Die Klägerin hatte darüber hinaus neben der gesamten Geldgebarung bestimmte Buchführungsarbeiten zu verrichten. Sie mußte die Zahl der angelieferten Brot- und Backwaren schriftlich festhalten, mußte die gelieferte Milch und die Molkereiprodukte in ein Heft eintragen und einmal wöchentlich abrechnen; sie mußte die von der Molkerei direkt an sie übermittelten Fakturen an Hand der Lieferscheine auf ihre Richtigkeit überprüfen und dann (zur Liquidierung) an die Zentrale der beklagten Partei senden. Sie mußte durch Gegenüberstellung der Ein- und Verkaufspreise der Milch- und Molkereiprodukte die Einnahmen ermitteln und führte für die Süßwaren ein eigenes Heft mit ähnlichen Aufgaben. Schließlich war sie zur Vornahme einer Tagesabrechnung verpflichtet und mußte die bezüglich der Brot- und Backwaren näher festgestellte schriftliche Abrechnung vornehmen. All diese Buchführungs-, Geldgebarungs-, Bestellungs- und Überprüfungsarbeiten sowie die Tätigkeit im Rahmen der Handlungsvollmacht nach § 56 HGB gehören zu den typischen Tätigkeiten eines Kaufmannes im dargelegten Sinn. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß die Klägerin täglich kontrolliert wurde. Auch der Mangel einer kaufmännischen Ausbildung ist auf die Angestellteneigenschaft der Klägerin ohne Einfluß. Entscheidend ist nämlich nicht, ob die Arbeitnehmerin eine solche Ausbildung erfahren hat, sondern ob die ihr aufgetragene Tätigkeit eine solche Ausbildung (Geschicklichkeit) erfordert. Dies trifft aber auf den Großteil der festgestellten Arbeit und somit auf die überwiegende Dienstverrichtungen der Klägerin, wenn man sie in ihrer Gesamtheit betrachtet, zu (in diesem Sinn hinsichtlich der Verkäuferin einer Bäckerei Arb. 4351; vgl. auch Arb. 9090 und 5631).

Die beklagte Partei beruft sich für die von ihr behauptete und für ihre Auffassung angeblich sprechende Verkehrsauffassung zu Unrecht auf die Bestimmungen des KollV. Der darin verwendete Begriff der "Ladnerin" gibt nämlich für sich allein keinen Aufschluß darüber, ob die betreffende Arbeitnehmerin Arbeiterin oder Angestellte ist (vgl. auch dazu Martinek - Schwarz a. a. O.). Das Vorliegen oder Nichtvorliegen der allein entscheidenden gesetzlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 AngG ist vielmehr in jedem einzelnen Fall an Hand der von der betreffenden Arbeitnehmerin verrichteten Arbeitsleistungen nach den dargelegten Kriterien zu prüfen. Im übrigen wird in § 14 des KollV für Angestellte bei Bäckern nicht bestimmt, daß Personen unter 16 Jahren für Angestelltentätigkeiten nicht qualifiziert seien, sondern daß sie nicht als Angestellte beschäftigt werden dürfen. Dieses Verbot hindert aber nicht das Vorliegen einer Angestelltenqualifikation, wenn die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 AngG im konkreten Fall vorliegen. Im gegenständlichen Fall führt aber die vorerwähnte Prüfung zur Bejahung dieser Qualifikation. Daraus folgt die Berechtigung des auf Ausstellung eines Dienstzeugnisses über die Angestelltentätigkeit der Klägerin gerichteten Klagebegehrens sowie im Hinblick auf § 20 Abs. 2 AngG die Zeitwidrigkeit der am 9. Dezember zum 11. Dezember 1977 ausgesprochenen Kündigung. Der Klägerin steht daher der geltend gemachte Anspruch auf Entgelt für die Zeit bis zum nächsten Kündigungstermin, d. i. der 31. März 1978, sowie die gleichfalls geltend gemachte Gehaltsdifferenz, beides in der außer Streit stehenden Höhe von insgesamt 16 941.66 S samt Anhang, zu.

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