OGH 4Ob102/70

OGH4Ob102/7012.1.1971

SZ 44/1

Normen

ABGB §862a
MSchG §10 Abs2
ABGB §862a
MSchG §10 Abs2

 

Spruch:

Eine mit eingeschriebenem Brief ausgesprochene Kündigung, die wegen zufälliger Abwesenheit des Adressaten beim Postamt hinterlegt worden ist, ist der Dienstnehmerin dann iS des § 10 Abs 2 MuttschG "zugestellt", wenn der Brief der Empfängerin oder einer zum Empfang legitimierten Person tatsächlich zugekommen ist

Allenfalls muß aber auch geprüft werden, ob ein Hinauszögern der Abholung des hinterlegten Poststückes nicht als Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten aufzufassen wäre und dazu führte, daß der Zugang der Sendung in einem früheren Zeitpunkt als dem des tatsächlichen Zugangs fingiert werden müßte

OGH 12. 1. 1971, 4 Ob 102/70 (LGZ 44 Cg 114/70; ArbG Wien 5 Cr 119/70)

Text

Die Klägerin trat am 3. 2. 1970 als Hilfsarbeiterin in das Unternehmen der beklagten Partei ein. Am 6. 3. 1970 erschien sie nicht zur Arbeit, weil sie um 11 Uhr beim Bezirkspolizeikommissariat M zur Einvernahme geladen war. Vom 9. 3. bis 20. 3. 1970 befand sie sich im Krankenstand, wovon sie die beklagte Partei am 9. 3. 1970 verständigte. Mit Einschreibebrief vom 9. 3. 1970 wurde die Klägerin von der beklagten Partei gekundigt. Das Kündigungsschreiben sollte der Klägerin Dienstag, den 10. 3. 1970 zugestellt werden, doch wurde die Klägerin vom Zustellorgan der Post zu Hause nicht angetroffen. Auf Grund des hinterlassenen Verständigungsschreibens behob die Klägerin am Mittwoch, dem 11. 3. 1970, das Kündigungsschreiben. Am Mittwoch, dem 18. 3. 1970, verständigte die Klägerin die beklagte Partei von ihrer Schwangerschaft. In der vom Krankenhaus der Stadt Wien, Lainz, am 17. 3. 1970 ausgestellten und von der Klägerin der beklagten Partei übergebenen Schwangerschaftsbestätigung wurde als voraussichtlicher Entbindungstermin der 6. 6. 1970 genannt. Eine Zustimmung des Einigungsamtes zur Kündigung liegt nicht vor.

Die Klägerin behauptet in ihrer auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses und auf Weiterzahlung des Lohnes in der unbestrittenen Höhe von S 2988.50 brutto sA gerichtete Klage, die Verständigung von der Schwangerschaft sei innerhalb der fünftägigen Frist des § 10 Abs 2 MuttSchG erfolgt, weil ihr die Kündigung erst mit der Behebung beim Postamt am 11. 3. 1970 zugestellt worden sei. Die Kündigung sei daher rechtsunwirksam.

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung. Die Zustellung sei bereits mit dem erfolglosen Zustellversuch und der Hinterlegung des Kündigungsschreibens, somit am 10. 3. 1970 erfolgt. Die Klägerin habe daher nicht innerhalb von fünf Arbeitstagen die Schwangerschaft der beklagten Partei bekanntgegeben, so daß die Kündigung rechtswirksam sei. Im übrigen sei die Klägerin nach ihrer polizeilichen Vernehmung am 6. 3. 1970 unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren aus rechtlichen Gründen statt. Es vertrat die Auffassung, daß auf die Zustellung von Kündigungsschreiben die Bestimmungen der Zivilprozeßordnung über die Hinterlegung nicht anwendbar seien. Die Kündigung sei eine empfangsbedürftige Willenserklärung, welche erst ab Empfangnahme wirksam werde. Die Hinterlegung könnte nur dann als Zustellung gelten, wenn sich die Klägerin bewußt der Übernahme des Kündigungsschreibens entzogen oder wenn sie sich geweigert hätte, das Kündigungsschreiben anzunehmen. Im Hinblick auf die Schwangerschaft der Klägerin und ihren Krankenstand könne ihr die Abwesenheit von der Wohnung im Zeitpunkt des Zustellversuches nicht als Verschulden angerechnet werden. Eine Behebung des Poststückes am Tage des erfolglosen Zustellversuches sei aber nicht möglich. Die am 18. 3. 1970 erfolgte Bekanntgabe der Schwangerschaft sei daher rechtzeitig. Daraus folge die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung und der aufrechte Bestand des Dienstverhältnisses.

Das Berufungsgericht verhandelte die Streitsache gemäß § 25 Abs. 1 Z 3 ArbGG von neuen und wies das Klagebegehren ab. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus:

Nach Lehre und Rechtsprechung werde eine schriftliche Kündigung erst in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie dem Erklärungsempfänger zugegangen ist. Dies sei immer dann der Fall, wenn die Kündigung derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, daß dieser sich unter normalen Umständen von ihrem Inhalt Kenntnis verschaffen konnte, und wenn die Kenntnisnahme nach den Gepflogenheiten des Verkehrs von ihm erwartet werden mußte. Der Dienstgeber müsse lediglich bei normalem Ablauf der Dinge mit der Empfangnahme durch den Dienstnehmer rechnen können. Nicht entscheidend sei, ob die Kündigung dem Empfänger tatsächlich bekanntgeworden ist. Der Zustellversuch bei der Klägerin müsse ungeachtet ihrer vorübergehenden Abwesenheit von ihrer Wohnung, als ein Zugehen der Kündigungserklärung angesehen werden. Das Kündigungsschreiben sei nämlich durch den, wenn auch erfolglosen Zustellversuch derart in den Machtbereich der Klägerin gelangt, daß sie sich unter normalen Umständen, also im Falle ihrer Anwesenheit in der Wohnung, von dem Inhalt des Schreibens hätte Kenntnis verschaffen können. Diese Kenntnisnahme hätte nach den Gepflogenheiten des Verkehrs und nach dem normalen Ablauf der Dinge von der beklagten Partei mit Recht erwartet werden können. Wollte man mit der Klägerin die Auffassung vertreten, die Zustellung sei erst mit der Behebung des Einschreibebriefes auf dem Postamt erfolgt, dann hätte dies einerseits eine Entwertung der Institution des Einschreibebriefes zur Folge und würde andererseits die Wirksamkeit der Zustellung einer Kündigung vom Belieben des Empfängers abhängig machen. Denn hätte der Kundigende für die Übersendung des Kündigungsschreibens nicht den für alle Beteiligten wesentlich sichereren Einschreibebrief gewählt, sondern das Kündigungsschreiben normal aufgegeben, wäre es vom Zustellorgan nicht hinterlegt, sondern in den Postkasten geworfen worden. In diesem Falle wäre die Wirkung der Zustellung sofort eingetreten. Der erfolglose Zustellversuch eines Einschreibebriefes würde jedoch nach der nicht zu billigenden Auffassung der Klägerin die Wirksamkeit der Zustellung nicht nur hinausschieben, sondern sie sogar vom Willen des Empfängers, sie zu beheben, abhängig machen. Der Empfänger hätte es in der Hand, den Zeitpunkt der Zustellung selbst zu bestimmen, oder die Zustellung dadurch zu vereiteln, daß er sie gar nicht behebt. Diese Vereitelungsabsicht wäre praktisch kaum jemals nachweisbar. Eine solche Auffassung hätte eine sehr schwerwiegende Rechtsunsicherheit zur Folge und würde gerade der mit der Wahl eines Einschreibebriefes verbundenen Absicht widerstreiten. Die von der Klägerin in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen gerückte Rechtsnatur der fünftägigen Frist des § 10 Abs 2 MuttSchG sei daher bedeutungslos. Entscheidend sei nur der Zeitpunkt, in dem die Frist zu laufen beginnt. Dieser Zeitpunkt werde jedoch durch das Zugehen der Kündigung bestimmt. Da der Klägerin die Kündigung am 10. 3. 1970 zugegangen sei, hätte sie spätestens am 5. Arbeitstag, das war der 17. 3. 1970, der beklagten Partei ihre Schwangerschaft bekanntgeben müssen. Die am 18. 3. 1970 erfolgte Bekanntgabe sei daher verspätet, sodaß die Kündigung rechtswirksam geworden sei und das Dienstverhältnis beendet wurde.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge und änderte das Urteil des Berufungsgerichtes dahin ab, daß das Urteil des Erstgerichtes wieder hergestellt wurde.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Aus dem Wortlaut des § 10 Abs 2 MuttSchG, wonach eine Kündigung rechtsunwirksam sei, wenn die Tatsache der Schwangerschaft bei schriftlicher Kündigung binnen fünf Arbeitstagen nach deren Zustellung dem Dienstgeber bekanntgegeben wird, folgt, daß der Zeitpunkt der Zustellung der Kündigung für den Fristbeginn maßgebend ist. Daß für die Ermittlung des Zeitpunktes der Zustellung iS des § 10 Abs 2 MuttSchG nicht die Vorschriften der Zivilprozeßordnung heranzuziehen sind, haben schon die Untergerichte richtig erkannt. Falls man dies annähme, so hätte dies zur Folge, daß unter Umständen der Lauf der fünftägigen Frist in einem anderen Zeitpunkt beginnen würde als die Kündigung wirksam wird. Denn das Wirksamwerden einer Kündigung, also eine empfangsbedürftige Willenserklärung, hängt, wie allgemein angenommen wird (vgl Klang[2] V, 312), davon ab, wann sie dem Gegner zugeht. Daß auch die Vorschriften über den Fristenlauf nach der Zivilprozeßordnung für die Frist nach § 10 Abs 2 MuttSchG nicht anzuwenden sind, ergibt sich daraus, daß letztere Frist auf Arbeitstage abstellt. Es kommt also iS der hier analog heranzuziehenden Bestimmung des § 862a ABGB auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an (Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 69 f). Der Klägerin wurde mit Einschreibebrief gekundigt, der ihr wegen zufälliger Abwesenheit von der Wohnung nicht ausgehändigt werden konnte, worauf vom Zustellorgan die Verständigung zurückgelassen wurde, daß die für sie bestimmte Sendung beim Postamt hinterlegt wurde. Es ist also zu untersuchen, wann in diesem Fall der Zugang der Sendung erfolgt ist. Dieser kann nicht schon für den Zeitpunkt des vergeblichen Zustellversuches angenommen werden, weil die Klägerin aus der bloßen Verständigung, daß für sie beim Postamt eine Sendung hinterlegt wurde, nicht wissen konnte, was diese enthält. Gschnitzer aaO vertritt demnach auch die Meinung, daß besondere Wirkungen, welche Gesetz oder Vertrag an die Zusendung eines eingeschriebenen Briefes oder einer Rückscheinsendung knüpfen, erst eintreten, wenn der Brief in die Hand einer Person gelangt ist, welche nach den Postvorschriften zur Empfangnahme solcher Zustellungen für den Empfänger legitimiert ist. Es kommt also auf den Zeitpunkt an, in dem die Sendung dem Empfänger oder einer zum Empfang legitimierten Person tatsächlich zugekommen ist. Diese Auffassung stimmt auch mit der Rechtsprechung und Literatur zu § 130 BGB, dem § 862a ABGB nachgebildet ist, überein (vgl BAG, NJW 1963 554, Soergel - Hefermehl[10] Bem 9 zu § 130; Staudinger - Coing[11] zu § 130, Anm 6e, Hueck - Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts I[7] 544, FN 1 und Palandt, BGB[6], 87; anders Nikisch, Arbeitsrecht I[3], 689). Auch die Erwägung, daß die Klägerin das Kündigungsschreiben am 10. 3. 1970 noch gar nicht beheben konnte, sondern erst frühestens am 11. 3. 1970 am Postamt ausgehändigt erhalten konnte, spricht dafür, den 11. 3. 1970 als jenen Tag anzusehen, an dem ihr die Kündigung zugegangen ist.

Die Bedenken des Berufungsgerichtes, daß bei dieser Rechtsauffassung die Institution des Einschreibebriefs entwertet würde, können nicht geteilt werden. Zunächst ist die postamtliche Hinterlegung eines Einschreibebriefes nicht die Regel. Wenn der Fall eintritt, daß ein Einschreibebrief mangels Anwesenheit einer empfangsberechtigten Person postamtlich hinterlegt wird, müßte geprüft werden, ob ein Hinauszögern der Abholung des hinterlegten Poststücks nicht als Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten aufzufassen wäre und dazu führe, daß der Zugang der Sendung in einem früheren Zeitpunkt als dem des tatsächlichen Zugangs fingiert werden müßte (vgl hiezu Gschnitzer aaO 71).

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin im frühestmöglichen Zeitpunkt die hinterlegte Sendung abgeholt, so daß dieser Zeitpunkt auch für die Fristberechnung des § 10 Abs 2 MuttSchG maßgebend ist. Darnach ist aber die Verständigung des Dienstgebers von ihrer Schwangerschaft rechtzeitig erfolgt, so daß die gegen die Klägerin ausgesprochene Kündigung unwirksam ist.

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