OGH 4Nd506/93

OGH4Nd506/9327.7.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten

Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte

des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und

Dr.Griß als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der

klagenden Partei C.W***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch

Dr.Erwin Bajc und Dr.Peter Zach, Rechtsanwälte in Bruck an der Mur,

wider die beklagte Partei D*****-Gesellschaft mbH & Co, *****,

vertreten durch Dr.Johannes Neumayer, Rechtsanwalt in Wien, wegen

restl. S 2.548,10 sA (9 C 4144/92p = 6 Cg 76/93w; 9 C 3971/92x = 6 Cg

78/93i: restl. S 821,82 sA; 9 C 3957/92p = 6 Cg 79/93m: restl. S

4.055,85 sA; 9 C 3969/92b = 6 Cg 80/93h: restl. S 2.045,21 sA; 9 C

3970/92z = 6 Cg 81/93f: restl. S 1.296,66 sA; 9 C 3986/92b = 6 Cg

77/93t: restl. S 3.012,18 sA) infolge Anzeige eines negativen Kompetenzkonfliktes durch das Bezirksgericht für Handelssachen Wien den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Zur Entscheidung über die verbundenen Rechtssachen ist das

Landesgericht Wels zuständig; der Rückübertragungsbeschluß dieses

Gerichtes vom 5.3.1993, GZ 6 Cg 76/93w-10, wird aufgehoben.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Klägerin brachte zu 9 C 3957/92p, 9 C 3969/92b, 9 C 3970/92z, 9 C 3971/92x, 9 C 3986/92b und 9 C 4144/92p, jeweils des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien, Klagen gegen die Beklagte ein; zur örtlichen Zuständigkeit berief sie sich auf den Fakturengerichtsstand sowie darauf, daß als Erfüllungsort und Gerichtsstand Wien vereinbart worden sei. In den Verfahren 9 C 3971/92x, 9 C 3957/92p, 9 C 3969/92b, 9 C 3970/92z und 9 C 3986/92b wurde in der Folge mündlich verhandelt; die Verfahren 9 C 3957/92p, 9 C 3969/92b und 9 C 3970/92z wurden bereits in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 1.2.1993 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. In der zu 9 C 4144/92p abgehaltenen ersten Tagsatzung erhob die Beklagte die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit. In der folgenden Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 26.2.1993 stellten die Parteien einvernehmlich den Antrag, die Rechtssache "nach vorangegangenem Verbindungsbeschluß mit den Verfahren 9 C 3971/92x, 9 C 3957/92p, 9 C 3969/92b, 9 C 3970/92z und 9 C 3986/92b an das Landesgericht Wels zur gemeinsamen Verfahrensführung und Verbindung mit dem Akt GZ 13 Cg 299/92, welche mit Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 24.2.1993 an das Kreis(nunmehr Landes)gericht Wels überwiesen wurde (Streitparteien in diesem Verfahren: C.W***** Gesellschaft mbH gegen F***** Handelsgesellschaft AG)" zu delegieren. Weiters beantragten die Parteien einvernehmlich "die Delegierung sämtlicher bisher verbundenen Rechtssachen (9 C 3971/92x, 9 C 3957/92p, 9 C 3969/92b, 9 C 3970/92z und die Rechtssache 9 C 3986/92b) zur gemeinsamen Verfahrensführung und Entscheidung an das Landesgericht Wels mit den oben genannten Verfahren". Das Bezirksgericht für Handelssachen Wien beschloß antragsgemäß, "sämtliche verbundenen Rechtssachen des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien (9 C 4144/92p, 9 C 3971/92x, 9 C 3957/92p, 9 C 3969/92b, 9 C 3970/92z und 9 C 3986/92b) gemäß § 31 a Abs 1 JN an das Landesgericht Wels zu delegieren." Die Parteien verzichteten auf Beschlußausfertigung und Rechtsmittel.

Das Landesgericht Wels faßte am 5.3.1993 einen Beschluß auf Rückübertragung der ihm mit Beschluß vom 26.2.1993 gemäß § 31 a Abs 1 JN delegierten Verfahren an das Bezirksgericht für Handelssachen Wien. Der Delegierungsbeschluß sei in zweifacher Hinsicht rechtswidrig: In fünf Verfahren sei der Delegierungsantrag nicht zu Beginn der mündlichen Streitverhandlung gestellt worden; in allen Fällen verstoße die Delegierung deshalb gegen das Gesetz, weil die Rechtssachen von einem Bezirksgericht an den Gerichtshof übertragen wurden. Die Rechtskraft des Delegierungsbeschlusses könne allenfalls den Mangel der verspäteten Antragstellung heilen, nicht aber den Umstand, daß die Rechtssache nicht an ein Gericht gleicher Art übertragen wurde. Eine derartige Änderung der grundlegenden Zuständigkeitsvorschriften unterliege nicht der Parteiendisposition. Auch dieser Beschluß ist rechtskräftig geworden.

Das Bezirksgericht für Handelssachen Wien hat in der Folge die verbundenen Rechtssachen dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung des negativen Kompetenzkomfliktes vorgelegt.

Gemäß § 31 a Abs 1 JN hat das Gericht erster Instanz in Streitsachen die Sache einem anderen Gericht gleicher Art zu übertragen, wenn die Parteien dies spätestens zu Beginn der mündlichen Streitverhandlung übereinstimmend beantragen. Nach § 31 a Abs 3, vorletzter Satz, JN gilt für den weiteren Gang des Verfahrens § 261 Abs 6, sechster bis achter Satz, ZPO sinngemäß. Durch eine solche Übertragung wird daher die Streitanhängigkeit nicht aufgehoben. Eine neuerliche erste Tagsatzung findet nicht statt; soweit im übertragenen Rechtsstreit noch keine Klagebeantwortung aufgetragen worden war, ist dies schriftlich zu tun. Die neue Verhandlung ist mit Benützung des über die erste Verhandlung aufgenommenen Verhandlungsprotokolles und aller sonstigen Prozeßakten durchzuführen und im Sinne des § 138 ZPO einzuleiten. Das Gericht, an das delegiert wird, darf sich nicht für unzuständig erklären, weil im einverständlichen Antrag beider Parteien auf Delegierung eine Unterwerfung in die Verhandlung vor diesem Gericht liegt und damit jedenfalls dessen Unzuständigkeit geheilt wäre. Im einverständlichen Übertragungsantrag gemäß § 31 a JN liegt eine Zuständigkeitsbegründung und damit auch eine Heilung allfälliger Unzuständigkeit, auch zu Lasten von Zwangsgerichtsständen (Fasching, ZPR2 Rz 211; s. 4 Nd 504/88).

Einer Übertragung gemäß § 31 a Abs 1 JN können nur die durch die sachliche Eigenzuständigkeit bedingten Prorogationsgrenzen entgegenstehen; die Übertragung von einem Bezirksgericht an einen Gerichtshof erster Instanz ist immer unzulässig (Fasching aaO Rz 210; NRsp 1989, 244 und 254). Daraus folgt aber noch nicht, daß die unzulässige Übertragung an einen Gerichtshof erster Instanz auch noch nach Rechtskraft des Delegierungsbeschlusses wahrgenommen werden kann. Der Delegierungsbeschluß hat Bindungswirkung; das gilt auch für einen unrichtigen, aber in Rechtskraft erwachsenen Beschluß (stRsp RZ 1986/4). In diesem Sinn wurde ausgesprochen, daß die verspätete Antragstellung nach Rechtskraft des Delegierungsbeschlusses nicht mehr wahrgenommen werden kann (4 Nd 504/88) und daß auch die Übertragung einer Rechtssache von einem Gerichtshof erster Instanz an ein Bezirksgericht nach Rechtskraft des Delegierungsbeschlusses verbindlich ist (RZ 1986/4). Während aber die Zuständigkeit des Bezirksgerichtes für eine vor den Gerichtshof gehörige Sache vereinbart werden kann, trifft dies für den umgekehrten Fall nicht zu (§ 104 Abs 2 JN).

Es ist daher zu prüfen, ob ein rechtskräftiger Delegierungsbeschluß auch dann bindend ist, wenn die Rechtssache an ein Gericht übertragen wird, dessen (sachliche) Zuständigkeit die Parteien nicht vereinbaren können. Zu § 261 Abs 6 ZPO wird die Auffassung vertreten, daß das Gericht, an das überwiesen wurde, seine unheilbare Unzuständigkeit dann nicht wahrnehmen kann, wenn sie aus der Zuständigkeit des überweisenden Gerichtes abgeleitet wird (Fasching III 217; Fucik, Die Zuständigkeit nach der Zivilverfahren-Novelle 1983, 3.Teil, RZ 1985, 258 [262]; JBl 1988, 386 mit Anm von Böhm; s. auch Fasching, ZPR2 Rz 225). Die zu § 230 a ZPO vertretene gegenteilige Ansicht wird darauf gestützt, daß der Überweisungsbeschluß gefaßt wird, ohne den Beklagten gehört zu haben (s. Simotta, Der Überweisungsantrag nach § 230 a ZPO, JBl 1988, 359 [368] mwN; Rechberger-Simotta, ZPR2 Rz 435; vgl Fucik aaO 263; 4 Nd 503/91; aA, dh auch gegen die Wahrnehmung einer unprorogablen Unzuständigkeit, OLG Wien EvBl 1992/162). Einem Delegierungsbeschluß liegt der einvernehmliche Antrag der Parteien zugrunde; der Schutz des Beklagten erfordert es daher nicht, dem Beschluß die bindende Wirkung abzusprechen. Auch der Hinweis auf die Grenzen der Zuständigkeitsvereinbarung überzeugt nicht. Gemäß § 104 Abs 3 JN wird auch ein sachlich unzuständiges Gericht zuständig, wenn sich der rechtsfreundlich vertretene oder vom Richter belehrte Beklagte in die Verhandlung einläßt, ohne die Einrede der Unzuständigkeit zu erheben. Insoweit sind somit selbst die Bestimmungen über die sachliche Zuständigkeit der Parteiendisposition unterworfen. Es wäre daher sachlich nicht gerechtfertigt, die Bindungswirkung des Delegierungsbeschlusses für den Fall zu verneinen, daß die Rechtssache an ein Gericht übertragen wird, dessen Zuständigkeit im Sinne des § 104 Abs 2 JN nicht prorogierbar ist.

Das Landesgericht Wels hätte die verbundenen Rechtssachen somit trotz Gesetzwidrigkeit des Delegierungsbeschlusses nicht an das Bezirksgericht für Handelssachen Wien rückübertragen dürfen. Der Übertragungsbeschluß war aufzuheben und die Zuständigkeit des Landesgerichtes Wels auszusprechen.

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