OGH 4Nc7/23a

OGH4Nc7/23a11.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Schwarzenbacher und die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache für B*, vertreten durch R*, als Erwachsenenvertreterin, aufgrund der Vorlage des Aktes AZ 5 P 215/18s durch das Bezirksgericht Güssing, zur Genehmigung der Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 Abs 2 JN, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040NC00007.23A.0411.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Güssing vom 25. 1. 2023, GZ 5 P 215/18s‑123, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Erwachsenenschutzsache an das Bezirksgericht Graz‑Ost wird gemäß § 111 Abs 2 JN genehmigt.

 

Begründung:

[1] Die Betroffene lebte bis 2020 im Haushalt ihrer Mutter im Sprengel des Bezirksgerichts Güssing (ON 64). Nach dem Tod der Mutter zog sie in ein Wohnheim im Sprengel des Bezirksgerichts Graz-Ost (ON 84).

[2] Als Erwachsenenvertreterin fungiert seit dem Tod der Mutter (ON 68) die Tante der Betroffenen (ON 70), die zwar im Sprengel des Bezirksgerichts Güssing lebt, die Betroffene aber regelmäßig im Wohnheim besucht (ON 121).

[3] Das Bezirksgericht Güssing übertrug unter Bezugnahme auf den Wohnsitzwechsel die Zuständigkeit zur Besorgung dieser Erwachsenenschutzsache gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Graz-Ost (ON 123).

[4] Das Bezirksgericht Graz-Ost lehnte die Übernahme ab (ON 127), weil die Erwachsenenvertreterin beantragt hatte, dass das Verfahren weiterhin beim Bezirksgericht Güssing geführt werden solle (ON 113).

[5] Das Bezirksgericht Güssing legte den Akt dem Obersten Gerichtshof gemäß § 111 Abs 2 JN vor.

Rechtliche Beurteilung

[6] 1.1. Das Erwachsenenschutzgericht kann gemäß § 111 Abs 1 JN die Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Betroffenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird.

[7] 1.2. Dabei ist in der Regel ein örtliches Naheverhältnis zwischen dem Pflegschaftsgericht und dem Pflegebefohlenen zweckmäßig, sodass die Pflegschaftsaufgaben grundsätzlich von jenem Gericht wahrgenommen werden sollen, in dessen Sprengel der Mittelpunkt der Lebensführung des Betroffenen liegt (RS0049144, RS0047027 [T10], RS0046971), mag auch der Erwachsenenvertreter weiterhin seinen Aufenthalt im Sprengel des bisher zuständigen Bezirksgerichts haben (RS0049144).

[8] 1.3. Selbst offene Anträge sprechen nicht grundsätzlich gegen eine Zuständigkeitsübertragung (vgl RS0046929 [T3]), es sei denn, dem übertragenden Gericht käme zur Entscheidung eine besondere Sachkenntnis zu (RS0047032).

[9] 2.1. Im vorliegenden Fall wartete das Bezirksgericht Güssing mit der Übertragung der Zuständigkeit ohnedies zu, bis das Verlassenschaftsverfahren nach der Mutter der Betroffenen beendet war (ON 122). Derzeit sind keine Anträge offen.

[10] Die Betroffene ist mit ihrer neuen Wohnsituation sehr zufrieden und will jedenfalls im Wohnheim bleiben (ON 104). Die von ihrer Mutter geerbten Liegenschaften im Sprengel des Bezirksgerichts Güssing wurden daher verkauft bzw vermietet (ON 98, 106).

[11] Seit ein Richterwechsel am Bezirksgericht Güssing eingetreten ist (ON 129), kann auch eine besondere Kenntnis der Pflegschaftssache nicht für eine Beibehaltung der Zuständigkeit ins Treffen geführt werden.

[12] Da die Sachwalterin die Betroffene regelmäßig im Wohnheim im Grazer Umland besucht, wird es ihr auch möglich sein, erforderlichenfalls einen Gerichtstermin beim Bezirksgericht Graz‑Ost wahrzunehmen.

[13] 2.2. Es hat daher bei der allgemeinen Regel zu bleiben, dass das Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenem und Gericht von wesentlicher Bedeutung und daher jenes Gericht besser als Pflegschaftsgericht geeignet ist, in dessen Sprengel der Betroffene seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat (vgl zuletzt 4 Nc 7/22z mwN).

[14] Der entsprechende Beschluss des Bezirksgerichts Güssing ist daher zu genehmigen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte