European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0040NC00023.17W.1107.000
Spruch:
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Perg vom 12. September 2017, GZ 2 PS 118/09h‑203, gemäß § 111 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Scheibbs wird nicht genehmigt.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Das Bezirksgericht Perg übertrug nach § 111 JN mit rechtskräftigem Beschluss die Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Scheibbs, weil sich die Minderjährigen nunmehr ständig in dessen Sprengel aufhielten. Im Übertragungsbeschluss wurden die bisherigen Probleme des Pflegschaftsverfahrens ausführlich geschildert, etwa dass bisherige Obsorgeentziehungsentscheidungen mit Zwang angeordnet werden mussten, wobei dies nur zum Teil erfolgreich war. Im Herbst 2016 sei bei der Familie auch die Einsatzgruppe Cobra im Einsatz gewesen, die Eltern seien wegen ihres Verhaltens im Zusammenhang mit einer zwangsweisen Vorführung zu bedingten Haftstrafen verurteilt worden. Weiters wurde erwähnt, dass der Pflegschaftsrichter in den letzten Jahren regelmäßige Tagsatzungen und Hausbesuche durchgeführt habe.
Das Bezirksgericht Scheibbs lehnte die Übernahme der Pflegschaftssache ab. Es verwies auf den offenen Antrag des Kinder- und Jugendhilfeträgers auf Entziehung der Obsorge in den Bereichen Pflege und Erziehung.
Nunmehr legt das Bezirksgericht Perg den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung nach § 111 Abs 2 JN vor.
Eine Zuständigkeitsübertragung nach der – von der Rechtsprechung restriktiv gehandhabten – Bestimmung des § 111 JN hat nur zu erfolgen, wenn dies im Interesse des Kindes und zur Förderung der wirksamen Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes erforderlich ist (RIS-Justiz RS0046984).
Wenngleich offene Anträge die Übertragung nicht generell hindern (RIS-Justiz RS0047032), erscheint eine solche im Anlassfall nicht im Interesse der Kinder.
Bereits im Jänner 2017 stellte die Bezirkshauptmannschaft Perg als Kinder- und Jugendhilfeträger einen Antrag auf Entziehung der Obsorge, wobei sie darauf verwies, dass die Eltern seit längerem den österreichischen Rechtsstaat im Allgemeinen und auch die angebotene sozialpädagogischen Betreuungsangebote der Bezirkshauptmannschaft im Besonderen ablehnten. Die Kinder zeigten Zeichen der Verwahrlosung. Deren Bedürfnisse nach altersgerechter Erziehungsstruktur, Wertevermittlung, Stabilität, Förderung der Bildung und Entwicklungsmöglichkeiten würden von den Eltern ebenso zu wenig erfüllt wie die Aufsichtspflicht und der Schutz vor Gefahren. Die Bezirkshauptmannschaft Perg wies auf die Dringlichkeit ihres Antrags hin und beantragte auch eine vorläufige Entscheidung nach § 107 Abs 2 AußStrG.
Der zuständige Pflegschaftsrichter des Bezirksgerichts Perg, der den Pflegschaftsakt von Beginn an (2009) engagiert bearbeitet und mit den Problemen umfassend vertraut ist, führte zum aktuellen Antrag bereits direkte Beweisaufnahmen und Verhandlungen durch. Dabei wurden die Eltern sowie mehrmals Sozialarbeiterinnen und die zuständige Mitarbeiterin des Kinder- und Jugendhilfeträgers vernommen.
Aufgrund der Vertrautheit mit den Problemen (RIS-Justiz RS0047032 [T23]; RS0046895 [T7]) bzw seiner Sachkenntnis (RIS-Justiz RS0047074 [T10]), aber auch wegen der eingehenden Befassung mit dem offenen Antrag und der bereits durchgeführten unmittelbaren Beweisaufnahmen (RIS‑Justiz RS0047032 [T5, T26, T31]) ist im Anlassfall davon auszugehen, dass das bisher zuständige Gericht zur Erledigung des offenen Antrags effizienter geeignet ist. Eine Übertragung ist zudem auch deshalb nicht zweckmäßig, weil zu berücksichtigen ist, dass sich die Erledigung des offenen und dringenden Antrags durch die erforderliche Einarbeitungsphase des übernehmenden Gerichts (noch weiter) erheblich verzögern würde (LGZ Wien EFSlg 124.652).
Die Übertragung der Zuständigkeit war daher nicht zu genehmigen.
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