OGH 4Nc20/20h

OGH4Nc20/20h16.9.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und Hon.‑Prof. Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin K***** W*****, vertreten durch Skribe Rechtsanwaelte GmbH in Wien, gegen die Beklagte A***** SA de CV, *****, wegen 600 EUR sA, über den Ordinationsantrag nach § 28 JN den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:0040NC00020.20H.0916.000

 

Spruch:

Dem Ordinationsantrag der Klägerin wird stattgegeben.

Als örtlich zuständiges Gericht wird das Bezirksgericht Schwechat bestimmt.

 

Begründung:

Die Klägerin strebt die Verpflichtung des beklagten Luftfahrtunternehmens mit dem Sitz in Mexico zur Zahlung von 600 EUR sA an und beruft sich dabei auf die Verordnung (EG) Nr 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 2. 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs‑ und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen. Der von der Beklagten auszuführende Flug von Wien‑Schwechat über Paris nach Mexico City vom 25. 7. 2014 sei aus einem von der Beklagten zu vertretenden Grund annulliert worden.

Das Bezirksgericht Schwechat wies die Klage mangels internationaler Zuständigkeit zurück.

Dagegen richtete sich der Rekurs der Klägerin, verbunden mit einem hilfsweise erhobenen Antrag an den Obersten Gerichtshof auf Ordination an das Bezirksgericht für Handelssachen Wien.

Das Landesgericht Korneuburg als Rekursgericht gab dem Rekurs nicht Folge und legte den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Behandlung des Ordinationsantrags vor.

Rechtliche Beurteilung

Die Voraussetzungen für eine Ordination durch den Obersten Gerichtshof sind gegeben:

1. Die Klägerin stützt ihren Ordinationsantrag erkennbar auf § 28 Abs 1 Z 2 JN, also auf den Fall der Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland. Die dafür erforderliche allgemeine Voraussetzung des Naheverhältnisses zum Inland ist hier schon im Hinblick auf den Wohnsitz der Klägerin in Österreich erfüllt; zudem lag der Abflugort in Wien‑Schwechat.

2. Die Unzumutbarkeit der Rechtsverfolgung im Ausland liegt nach der Rechtsprechung insbesondere dann vor, wenn die ausländische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt oder vollstreckt würde und eine Exekutionsführung im Inland geplant ist (RIS‑Justiz RS0046148).

Zwischen Österreich und Mexiko besteht kein bilaterales Abkommen oder multilaterales Übereinkommen über die Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil‑ und Handelssachen bzw von Entscheidungen über Ansprüche aus Flugverspätungen.

Aus dem Vorbringen im Ordinationsantrag ergibt sich, dass die Klägerin die Durchsetzung ihrer durch die FluggastrechteVO eingeräumten Rechte in Mexiko für aussichtslos hält. Daraus lässt sich ableiten, dass sie die Vollstreckung in Österreich anstrebt, was bei einem Exekutionstitel aus Mexiko – mangels Gegenseitigkeit – allerdings nicht möglich ist. Der Ordinationsantrag ist daher berechtigt (vgl 7 Nc 29/19t).

3. Dieses Ergebnis wird durch folgende unionsrechtliche Überlegungen bekräftigt: Die Klägerin leitet ihre Ansprüche aus der Fluggastrechte‑Verordnung, also aus einem unionsrechtlichen Sekundärrechtsakt, ab. Für solche Ansprüche haben die Mitgliedstaaten nach Art 47 GRC einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz sicherzustellen. Diesem unionalen Verfahrensgrundrecht kommt insbesondere dann Bedeutung zu, wenn der Kläger sonst gehalten wäre, seine Ansprüche außerhalb der Europäischen Union geltend zu machen. Aus diesem Grund sind alle interpretativen Möglichkeiten auszuschöpfen, um – bei einem ausreichenden Inlandsbezug – Fluggästen, die von einem in der Europäischen Union gelegenen Flughafen abfliegen, die Durchsetzung von in der Fluggastrechte‑Verordnung normierten Ansprüchen grundsätzlich auch gegen ein Flugunternehmen mit Sitz in einem Drittstaat zu ermöglichen (4 Nc 11/19h mwN).

4. Für die Auswahl des zu ordinierenden Gerichts enthält § 28 JN keine ausdrücklichen Vorgaben. Nach der Rechtsprechung ist dabei auf die Kriterien der Sach‑ und Parteinähe sowie der Zweckmäßigkeit Bedacht zu nehmen (ua 5 Nc 7/20d).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat eine Zuweisung der vorliegenden Rechtssache an das Bezirksgericht Schwechat zu erfolgen, weil der Abflugort im Sprengel dieses Gerichts gelegen war; zudem wurde die vorliegende Klage bei diesem Gericht bereits behandelt.

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