Normen
ABGB §1311
ABGB §1325
StPO §460
ZPO §268
ZPO §503 Z2
ABGB §1311
ABGB §1325
StPO §460
ZPO §268
ZPO §503 Z2
Spruch:
Wer ein geladenes Gewehr auf der Jagd unbeaufsichtigt im Walde stehen läßt, haftet für den von einem Dritten mit dem Gewehr herbeigeführten Schaden.
Schmerzengeld für die mit dem Verlust eines Auges verbundenen seelischen Schmerzen.
Bei dauernder Verminderung der Erwerbsfähigkeit gebührt dem Beschädigten ein Ersatz für Verdienstentgang auch dann, wenn er trotz des Unfalles seine bisherige Stellung mit unverminderten Bezügen behält.
Entscheidung vom 16. Jänner 1952, 3 Ob 749/51.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz.
Text
Der Kläger verlor, als er mit seinem Fahrrad auf der Packer Bundesstraße fuhr, durch einen vom Erstbeklagten aus dem Gewehr des Zweitbeklagten abgegebenen Schuß bei einer vom Drittbeklagten als Jagdpächter veranstalteten Treibjagd das linke Auge. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen nahm der Erstbeklagte, der weder eine Jagdkarte noch einen Erlaubnisschein besaß, an der Treibjagd als Treiber teil, der Zweitbeklagte ging als Schütze in der Treiberkette mit. Dieser hatte zwar eine Jagdkarte, aber nur mit Gültigkeit für den Bezirk L., nicht auch für den Bezirk V., wo die Jagd stattfand. Der Drittbeklagte der veranstaltende Jagdpächter, hatte vor Beginn der Jagd die Weisung erteilt, daß von den in die Treiberkette eingeteilten Schützen nicht nach vorne, insbesondere nicht gegen die Packer Bundesstraße geschossen werden dürfe. Er hat weiter an die an der Jagd teilnehmenden Schützen die Frage gerichtet, ob sie die für die Jagdausübung erforderlichen Berechtigungsscheine hätten, was von diesen, insbesondere vom Zweitbeklagten, bejaht wurde. Während des Triebes, bei dem ein etwa 200 m breiter Wald durchstreift wurde, lehnte der Zweitbeklagte sein geladenes Gewehr an einen Baum und entfernte sich auf etwa 20 Schritte hinter eine "überriegelte" Stelle und verrichtete dort seine Notdurft. Mittlerweile ergriff der in der Kette als Treiber eingeteilte Erstbeklagte das Gewehr des Zweitbeklagten, spannte es und schoß auf eine Schnepfe, traf dabei aber den Kläger in das linke Auge. Das Auge mußte operativ entfernt werden. Durch den Verlust des linken Auges ist die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit des Klägers nach dem Gutachten des Sachverständigen um 20 bis 25% dauernd gemindert.
Durch rechtskräftige Strafverfügung U 1405/49 vom 27. Dezember 1949 des Bezirksgerichtes Voitsberg wurde über den Erstbeklagten wegen der Abgabe des Schusses mit der erwähnten Verletzungsfolge eine Strafe verhängt.
Auf die Klage des Verletzten erkannte das Erstgericht den Erst- und den Zweitbeklagten zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger einen Betrag von 26.091.20 S und vom 1. Juni 1951 angefangen eine monatliche Rente von 40 S zu bezahlen. Das Mehrbegehren des Klägers, der Ansprüche auf eine Kapitalzahlung in der Höhe von 30.091.20 S und auf Zahlung einer Rente in der Höhe von 50 S monatlich gestellt hatte, wurde abgewiesen. Desgleichen wurde das gesamte Begehren gegenüber dem Drittbeklagten abgewiesen.
Infolge Berufung des Klägers änderte das Berufungsgericht das Ersturteil in der Weise, daß es auch den Drittbeklagten zur ungeteilten Hand mit den beiden anderen Beklagten schuldig erkannte, dem Kläger den Betrag von 26.091.20 S und eine monatliche Rente von 40 S zu bezahlen. Den Berufungen des Erst- und des Zweitbeklagten versagte das Berufungsgericht den Erfolg.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Drittbeklagten zur Gänze, der des Erstbeklagten und des Zweitbeklagten teilweise Folge und stellte das Urteil des Prozeßgerichtes mit der Abweichung wieder her, daß der Erstbeklagte und der Zweitbeklagte zur ungeteilten Hand schuldig erkannt wurden, dem Kläger nur 25.883.20 S s. A. und eine Rente von 40 S monatlich ab 1. Juni 1951 zu bezahlen, während das Mehrbegehren abgewiesen wurde.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Dem Berufungsgerichte ist beizupflichten, daß die in § 268 ZPO. normierte Bindung des Zivilrichters an verurteilende Erkenntnisse des Strafgerichtes sich auch auf rechtskräftige Strafverfügungen nach § 460 StPO. erstreckt, da der Begriff "Erkenntnis" nicht nur Urteile, sondern auch Strafverfügungen erfaßt.
Wollte der Gesetzgeber die Bindung des Zivilrichters auf Urteile beschränken, hätte er den Ausdruck "Urteil" und nicht "Erkenntnis" gewählt. Aber auch bei Unanwendbarkeit des § 268 ZPO. wäre für den Erstbeklagten nichts gewonnen, denn es ist festgestellt, daß er ohne Berechtigung zur Jagdausübung mit einem eigenmächtig ergriffenen Gewehr sich an der Jagd beteiligt hat. Auch wenn die Verletzung des Klägers durch einen Geller entstand, könnte es sich dabei nicht um einen Zufall handeln, denn die Gellerwirkung eines abgeschossenen Projektils ist eine naturgesetzliche Folge des abgegebenen Schusses, keineswegs aber das Resultat einer Kreuzung zweier voneinander unabhängiger Kausalitätsketten. Aber selbst wenn der Verletzungserfolg durch einen Zufall eingetreten wäre, könnte das die Haftpflicht des Erstbeklagten nicht ausschließen. Denn der Erstbeklagte würde nach den Grundsätzen des § 1311 ABGB. auch für den zufälligen Verletzungserfolg haften, weil er den Zufall durch sein Verschulden veranlaßt hat.
Auch die Frage, ob dem Zweitbeklagten ein Verschulden zur Last fällt, ist von den Vorinstanzen ohne Rechtsirrtum im bejahenden Sinne gelöst worden. Es gehört zu den selbstverständlichen Pflichten eines Jägers, daß er ein geladenes Gewehr nicht unbeaufsichtigt läßt und es dem Zugriff anderer preisgibt. In dem Merkblatt zur Jagdkarte beispielsweise in Niederösterreich wird auf die Sicherung der Schußwaffe in Punkt 17 und 18 ausdrücklich hingewiesen.
Die Ausführungen der Revision beschäftigen sich auch damit, ob das Verhalten des Zweitbeklagten für den Unfall des Klägers adäquat ursächlich war. Das aber kann nach Meinung des Revisionsgerichtes keinem Zweifel unterliegen. Daß das Wegstellen und das Nichtbeaufsichtigen des geladenen Gewehres eine Bedingung des Erfolges war, daß ohne dieses Verhalten des Zweitbeklagten der Verletzungserfolg nicht eingetreten wäre, bedarf keiner Erörterung. Es ist auch die Möglichkeit des Eintrittes eines Schadens infolge der Benützung des geladenen Gewehres durch einen anderen nach allgemeinen Lebenserfahrungen nicht so weit entfernt, daß sie vernünftigerweise nicht in Betracht zu ziehen war. Damit aber ist die Adäquanz im Rechtssinn gegeben.
Soweit der Erst- und der Zweitbeklagte die Höhe der dem Kläger zugesprochenen Ersatzbeträge bekämpfen, kommt der Revision zum Teile Berechtigung zu.
Dies gilt allerdings nicht für die Ausführungen der Revision, in denen geltend gemacht wird, daß das Erstgericht zu Unrecht gegen den Widerspruch der Beklagten eine Klagsänderung zugelassen hätte. Die Revision will hierin eine unrichtige rechtliche Beurteilung durch das Berufungsgericht erblicken. Die unrichtige Auslegung von Verfahrensvorschriften durch das Berufungsgericht könnte aber niemals unter den Revisionsgrund der Unrichtigkeit der rechtlichen Beurteilung subsumiert werden (vgl. EvBl. 1949 Nr. 533). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes kann aber auch ein in erster Instanz unterlaufener Mangel, wenn er als solcher vom Berufungsgericht nicht erkannt wurde, nicht den Revisionsgrund des § 503 Z. 2 ZPO. erfüllen. Es ist daher schon aus diesem Grund die Bekämpfung der Zulassung der Klagsänderung in der dritten Instanz nicht mehr möglich. Ganz abgesehen davon hat aber das Berufungsgericht durchaus zutreffend ausgesprochen, daß die Zerlegung des im Punkte d des Absatzes 5 der Klage angesprochenen Betrages von 30.000 S gar keine Änderung des Klagegrundes darstellt.
Der Oberste Gerichtshof vermag aber die Rechtsauffassung der Vorinstanzen nicht zu teilen, soweit diese dem Kläger einen Betrag von 208 S für Auslagen, die seiner Mutter erwachsen sind, zugesprochen haben. Das Berufungsgericht hat beim Zuspruch der vorerwähnten 208 S (Auslagen der Mutter des Klägers für Fahrten nach Graz) unter Hinweis auf die Entscheidung GIUNF. 4050 ausgesprochen, daß es sich dabei um Krankenkosten handle, die auch der Kläger geltend machen könne. In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall haben aber die Eltern des Verletzten und dieser selbst Ansprüche geltend gemacht. Zur Geltendmachung von Auslagen, die seiner Mutter erwachsen sind, wäre der Kläger nur im Falle einer Zession berechtigt, die von ihm aber gar nicht behauptet wurde. Es konnten diese Kosten auch nicht deswegen dem Kläger zugesprochen werden, weil die beklagten Parteien den Einwand des Mangels der Aktivlegitimation unterlassen haben. Ein solcher Einwand war im vorliegenden Fall nicht erforderlich, weil schon aus der Klage selbst hervorgeht, daß es sich dabei nicht um eigene Auslagen des Klägers, sondern um Ausgaben einer von ihm verschiedenen Person handelt.
Der Zuspruch des Betrages von 20.000 S für seelische Schmerzen überschreitet in Anbetracht der Art und Schwere der Verletzung nicht das angemessene Maß.
Der Zuspruch von 1883.20 S ist darum gerechtfertigt, weil der Kläger in den Genuß des Einkommens eines Tischlergesellen erst vier Monate später, als es ohne die Verletzung möglich gewesen wäre, gelangen kann.
Auch der Einwand des Erst- und Zweitbeklagten gegen den Zuspruch einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ist nicht stichhaltig. Nicht nur in, der von der Berufung angeführten Entscheidung SZ IX/85, sondern auch in der Entscheidung SZ XIX/78 hat der Oberste Gerichtshof sich zur Rechtsansicht bekannt, daß bei dauernder Verminderung der Erwerbsfähigkeit dem Beschädigten ein Ersatz auch dann gebührt, wenn er trotz des Unfalles mit unverminderten Bezügen in seiner Stellung bleibt. Wie die Vorinstanzen bereits zutreffend ausgeführt haben, hat die zugebilligte Rente auch die Funktion einer Sicherung gegen eine künftig eintretende Arbeitslosigkeit zu bilden, da der Beschädigte bei der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt eben wegen der Folgen des Unfalles in einer schlechteren Position ist als vollkommen gesunde Bewerber.
Der Revision des Drittbeklagten kommt, soweit sie die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes bekämpft, Berechtigung zu. Den Bestimmungen des steirischen Jagdgesetzes, LGBl. 1936, Nr. 45, kann im vorliegenden Fall, soweit es Verpflichtungen des Jagdherrn bei der Legitimierung von Jagdgästen anordnet, nicht die Eigenschaft eines der körperlichen Sicherheit von Personen dienenden Schutzgesetzes zuerkannt werden. Dies geht schon daraus hervor, daß ja der Jagdherr Gastkarten in beliebiger Zahl lösen und an seine Jagdgäste abgeben kann, wofern es sich nicht um Personen handelt, die unter § 48 des Jagdgesetzes fallen. Daß der Zweitbeklagte nicht zu diesen Personen gehört, erhellt aber daraus, daß er eine für den angrenzenden Verwaltungsbezirk gültige Jagdkarte hatte.
Was aber den Erlaß der Steiermärkischen Landeshauptmannschaft vom 30. August 1935 anlangt, so kann er nur als eine interne Dienstanweisung an die unterstellten Bezirkshauptmannschaften, nicht aber als eine die Rechtunterworfenen unmittelbar verpflichtende generelle Norm angesehen werden. Schon aus diesem Gründe geht ihm die Qualität eines Schutzgesetzes ab. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob dieser Erlaß nicht durch das nachfolgende Jagdgesetz vom Jahre 1936 oder durch die Einführung des Reichsjagdgesetzes derogiert wurde.
Es kann dem Berufungsgericht auch nicht in der Auffassung gefolgt werden, es sei ein Verschulden des Jagdpächters darin zu erblicken, daß er den Trieb parallel zur Bundesstraße durchführte. Denn er hat festgestelltermaßen die Schützen angewiesen, nicht gegen die Straße hin zu schießen. Für die Übertretung dieses Verbotes kann nicht der Jagdherr, sondern nur der diese Weisung außer acht lassende Schütze haftbar gemacht werden. Nun hat aber im vorliegenden Fall gar kein Schütze diesem Verbot zuwidergehandelt, sondern ein Treiber, der sich ganz unbefugt und nicht voraussehbar die Rolle eines Schützen angemaßt hat. Selbst wenn daher angenommen werden könnte, daß die Wahl der Triebrichtung eine Fahrlässigkeit des Jagdherrn darstelle, würde dieser Fahrlässigkeit nach den Grundsätzen des adäquaten Zusammenhanges die Eignung juristischer Kausalität für das Schadenereignis mangeln.
Dasselbe gilt für den dritten vom Berufungsgericht für eine Haftung des Jagdpächters herangezogenen Gesichtspunkt, nicht verhindert zu haben, daß ein Schütze mit Gewehr in der Treiberkette mitgeht. Die Möglichkeit, daß ein Schütze sein Gewehr wegstellt, sich dessen ein Treiber bemächtigt und daraus unbefugt einen Schuß abgibt, ist nach den Erfahrungen des Lebens so weit entfernt, daß damit vernünftigerweise nicht gerechnet werden muß. Da es sich nicht um die Übertretung eines Schutzgesetzes handelt, müssen aber die Grundsätze der Adäquanz bei der Prüfung des kausalen Zusammenhanges streng angewandt werden.
Aus diesen Erwägungen war der Revision des Drittbeklagten Folge zu geben und das Urteil der ersten Instanz, das die gegen ihn gerichtete Klage abgewiesen hatte, wiederherzustellen.
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