Spruch:
Die Bestimmungen des § 415 ABGB. sind auch auf miteinander verschmolzene Unternehmungen anwendbar.
Ein vom Vormundschaftsgericht zu gerichtlichem Protokoll genommener Vergleich wird, sofern er sich auf Geschäfte der im § 232 ABGB. gekennzeichneten Art bezieht, für den Minderjährigen und den Dritten erst mit der vormundschaftsbehördlichen Genehmigung wirksam.
Entscheidung vom 10. Dezember 1952, 3 Ob 746/52.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Klägerin ist die Enkelin des am 4. Juli 1941 verstorbenen Tischlermeisters Franz D., dessen Verlassenschaft - zu der auch der Tischlereibetrieb in Wien, VI., S.gasse 42, gehörte - seinen beiden Kindern Josef D. und Franziska St., geb. D., eingeantwortet wurde. Josef D. verstarb am 24. Dezember 1941. Sein Nachlaß wurde der mj. Klägerin zur Gänze eingeantwortet. Auch Franziska St., geb. D., ist am 19. Juli 1947 gestorben. Ihr Nachlaß wurde dem Beklagten eingeantwortet.
Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil, daß das auf Zahlung eines Betrages von 42.592.62 S samt Anhang gerichtete Begehren der Klägerin dem Gründe nach zu Recht bestehe. Es nahm als erwiesen an, daß nach dem Tode des Franz D. dessen Tischlereibetrieb in Wien, VI., S.gasse 42, vom Beklagten als Geschäftsführer weiterbetrieben wurde, daß aber in der Folge dieses Tischlereiunternehmen vom Beklagten mit seinem eigenen Unternehmen, das er in Wien, XII., S.gasse 23, betrieb und betreibt, so vermengt wurde, daß heute das Tischlereiunternehmen in Wien, VI., S.gasse 42, als ein eigenes Unternehmen nicht mehr besteht. Da dies nur auf eine auffallende Sorglosigkeit des Beklagten zurückzuführen sei, bestehe der Schadenersatzanspruch der Klägerin, den sie wegen des Verlustes ihres Geschäftsanteiles geltend macht, dem Gründe nach zu Recht.
Das Berufungsgericht übernahm die tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichtes und bestätigte dessen Entscheidung.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht hält den Anspruch der Klägerin auf Grund der Bestimmung des § 415 ABGB. für gerechtfertigt. Da im gegenständlichen Fall von keiner Seite behauptet worden sei, daß eine Zurückversetzung in den vorigen Stand möglich sei und die Klägerin eine solche auch nicht begehre, stunde der Klägerin, wenn die Vereinigung auf ein Verschulden des Beklagten zurückzuführen wäre, grundsätzlich die Wahl frei, ob sie das ganze heutige Unternehmen "gegen Ersatz der Verbesserung" behalten oder ob sie das Unternehmen dem Beklagten gegen Vergütung überlassen wolle. Die Klägerin habe sich dafür entschieden, ihren Geschäftsanteil an dem Geschäftsbetrieb in Wien, VI., S.gasse dem Beklagten zu überlassen, ohne daß der Beklagte das Verlangen gestellt habe, daß ihm die Klägerin das gesamte Unternehmen überlassen solle.
Dagegen führt die Revision zunächst ins Treffen, daß die Klägerin ihre Ansprüche aus dem Titel des Schadenersatzes ableite und daß es dem Berufungsgericht ohne diesbezügliches Vorbringen der Klägerin verwehrt sei, seiner Entscheidung einen anderen Klagsgrund zugrunde zu legen.
Diese Ausführungen gehen fehl.
Es ist wohl richtig, daß die Klägerin den Klagsbetrag aus dem Titel des Schadenersatzes begehrt. Allein es handelt sich hier lediglich um die Vornahme einer juristischen Qualifikation, an die das Gericht nicht gebunden ist. Nicht die rechtliche Beurteilung, sondern das Tatsachenvorbringen in der Klage bildet den Klagegrund. In ihrer Klage hat aber die Klägerin eingehend dargelegt, daß ihr an der Hälfte des großväterlichen Tischlereibetriebes in der S.gasse Eigentumsrechte zustehen und daß sich der Beklagte vorsätzlich ihren Hälfteanteil durch Vermengung mit seinem Geschäftsbetrieb angeeignet habe. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung dieses von der Klägerin geschilderten Sachverhaltes ergibt sich aber, daß die Klägerin nicht aus dem Titel des Schadenersatzes, sondern aus dem Titel des Eigentums vom Beklagten Ersatzleistungen begehrt. Es entbehrt somit der Vorwurf der Revision, das Berufungsgericht habe in unrichtiger rechtlicher Beurteilung und unrichtiger Tatsachenfeststellung sein Urteil auf einen Klagegrund gestützt, der von der klagenden Partei überhaupt nicht herangezogen worden sei und auch nicht habe herangezogen werden können, der Berechtigung.
Unbegrundet ist auch die von der Revision erhobene Rechtsrüge in der Richtung, daß § 415 ABGB. nur bei körperlichen Sachen, nicht aber auch bei einem Unternehmen zur Anwendung kommen könne.
Im Gegensatz zum Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch, das unter den Begriff der Sachen nur körperliche Gegenstände einreiht (§ 90 DBGB.) zählt das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch zu den Sachen alle Gegenstände des vermögensrechtlichen Verkehrs (§ 285 ABGB.). Der Begriff der Sache nach dem ABGB. umfaßt daher nicht bloß körperliche Sachen, zu denen nach § 302 auch die Gesamtsachen gehören. Eine Gesamtsache besonderer Art ist das Unternehmen, das in einer Vereinigung von Rechten und Sachen (soweit Eigentum in Frage kommt) zum Zwecke der Organisation des Erwerbes besteht, und das als unkörperliche Gesamtsache Gegenstand des Rechtsverkehrs ist.
Im gegebenen Fall hat nach den Feststellungen der Untergerichte der Beklagte den der Klägerin gehörigen Hälfteanteil an dem Tischlereibetrieb in der S.gasse mit seinem Tischlereibetrieb in einer Weise verschmolzen, daß das erstere Unternehmen faktisch und rechtlich zu bestehen aufgehört hat und daß gegenwärtig nur noch das Tischlereiunternehmen des Beklagten besteht. Nun behandelt § 415 ABGB. gerade den Fall, daß wirtschaftlich gleichgeordnete Sachen miteinander zu einer untrennbaren Einheit vereinigt werden. Nach Ansicht des Revisionsgerichtes bestehen daher keine Bedenken, auch den gegenwärtigen Fall nach jenen Grundsätzen zu behandeln, die das Gesetz im § 415 ABGB. für die Auseinandersetzung einer durch Vereinigung entstandenen Miteigentumsgemeinschaft aufstellt.
Hieraus folgt zunächst, daß der Anspruch der Klägerin nicht als Schadenersatzanspruch, sondern als ein auf dem Titel des Eigentums beruhender Vergütungsanspruch zu beurteilen ist. Für die Geltendmachung ihres Anspruches steht daher der Klägerin entgegen der Meinung der Revision nicht die besondere, für Entschädigungsklagen normierte dreijährige Verjährungsfrist (§ 1489 ABGB.), sondern die allgemeine dreißigjährige Verjährungszeit des § 1478 ABGB. zu Gebote.
Wird davon ausgegangen, daß der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch nach den Grundsätzen des § 415 ABGB. zu beurteilen ist, dann käme für die Entscheidung über den Grund dieses Anspruches der Frage, ob den Beklagten an der unaufhebbaren Vereinigung ein Verschulden trifft, nur dann eine Bedeutung zu, wenn die Ausübung des im § 415 ABGB. vorgesehenen Wahlrechtes zwischen den Parteien strittig wäre. Das ist aber nicht der Fall. Abgesehen davon liegt das Verschulden des Beklagten an der Vereinigung offen zutage; denn wie feststeht, war ihm bekannt, daß seiner verstorbenen Gattin nur der halbe Geschäftsanteil an dem strittigen Tischlereiunternehmen zustand. Er hat aber trotzdem über das ganze Unternehmen in der oben dargestellten Weise verfügt. Ob der Beklagte hiebei im Sinne des vorletzten Satzes des § 415 ABGB. überdies unredlich vorgegangen ist, wird allenfalls bei der Bestimmung der Höhe der Ersatzleistung eine Rolle spielen, da der Beklagte in diesem Fall zur vollen Genugtuung verpflichtet wäre, während die Klägerin sich im Falle seiner Redlichkeit mit dem Ersatz des gemeinen Wertes begnügen müßte. Für die Entscheidung über den Grund des Anspruches ist die Frage, ob der Beklagte in redlicher oder unredlicher Absicht gehandelt hat, ohne Bedeutung.
Rechtsirrig ist auch die Ansicht der Revision, daß der gegenständliche Anspruch der Klägerin durch Vergleich erledigt worden sei. Das Revisionsgericht billigt aus den von den Untergerichten zutreffend dargelegten Gründen deren Ansicht, daß dem vor dem Pflegschaftsgericht aufgenommenen Protokoll vom 21. Mai 1949 der Abschluß eines Vergleiches, wonach alle Ansprüche der mj. Klägerin abgefertigt werden sollten, nicht zu entnehmen ist. Es ist auch der Rechtsansicht der Untergerichte zuzustimmen, daß ein solcher Vergleich, selbst wenn er beabsichtigt gewesen wäre, zu seiner Wirksamkeit der Genehmigung des Vormundschaftsgerichtes bedurft hätte. Die Revision irrt, wenn sie meint, daß eine pflegschaftsbehördliche Genehmigung nur bei außergerichtlichen Vereinbarungen oder bei Vereinbarungen vor Behörden außerhalb des Pflegschaftsgerichtes erforderlich sei, daß es aber einer pflegschaftsbehördlichen Genehmigung dann nicht bedürfe, wenn der Vergleich vor dem Pflegschaftsgericht selbst abgeschlossen worden ist. Das Vormundschaftsgericht hat im vorliegenden Fall nur die Erklärungen der Parteien zu Protokoll genommen. Die protokollarische Aufnahme von Parteienerklärungen, auch wenn sie übereinstimmen, kann aber niemals die in § 232 ABGB. vorgeschriebene Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht ersetzen. Auch ein vom Vormundschaftsgericht zu gerichtlichem Protokoll genommener Vergleich wird, sofern er sich auf Geschäfte der im § 232 ABGB. gekennzeichneten Art bezieht, für den Minderjährigen und den Dritten erst mit der vormundschaftsbehördlichen Genehmigung wirksam.
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