Spruch:
Eine Klagsänderung liegt vor, wenn zur Stützung eines Schadenersatzanspruches über das ursprünglich behauptete Verhalten hinaus ein weiteres Verhalten als Schadenersatz begründend vorgetragen wird
Hat die zweite Instanz als Rekursgericht eine vom Erstgericht nicht zugelassene Klagsänderung zugelassen und hebt sie deshalb als Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil zur Verhandlung und Entscheidung über das geänderte Klagebegehren auf, ist der Aufhebungsbeschluß nur im Falle eines Rechtskraftvorbehaltes anfechtbar
OGH 23. April 1974, 3 Ob 68, 69/74 (OLG Graz 5 R 149, 150/73; LGZ Graz 11 Cg 248/71
Begründung:
Die am 8. Dezember 1963 geborene Klägerin brach sich am Vormittag des 13. August 1968 beim Sprung von einer Bank den rechten Ellbogen. Sie wurde von ihrer Mutter noch gegen Mittag in die Chirurgisch-Orthopädische Kinderabteilung des Landeskrankenhauses G gebracht, wo der Verrenkungsbruch nach Vornahme von Röntgenaufnahmen vom Zweitbeklagten eingerichtet und dem Kind ein Oberarmgipsverband angelegt wurde. Am 14. September 1968 wurde die mj. Klägerin dort neuerlich ambulant behandelt, erst am 19. September 1968 wurde sie in stationäre Behandlung aufgenommen, als auf Grund einer starken Schwellung und Verfärbung der Finger sowie des Auftrittes von Spannungsblasen der Gipsverband abgenommen und eine ausgedehnte Nekrose an der Beugeseite des Ellbogens festgestellt worden war. In der Folge wurde der rechte Unterarm der Klägerin infolge ischaemischer Kontraktur praktisch gebrauchsunfähig.
Die Klägerin brachte in ihrer gegen die Erstbeklagte als Eigentümerin und Erhalterin des Krankenhauses sowie gegen den Zweitbeklagten als den am 13. September 1968 tätigen Arzt eingebrachten Schadenersatzklage zusätzlich zu diesem Sachverhalt im wesentlichen vor, der Zweitbeklagte habe beim Anlegen des Gipsverbandes am 13. September 1968 durch Unterlassung einer Spaltung dieses Verbandes einen Kunstfehler begangen; "nur" durch das unsachgemaße Anlegen dieses Gipsverbandes der erst am 14. September 1968 gespalten worden sei, sei der Schaden eingetreten.
Die Beklagten beantragten Klagsabweisung mit der Begründung daß keinem der behandelnden Arzte ein Kunstfehler unterlaufen, insbesondere bereits am 13. September 1968 ein gespaltener Gipsverband angelegt worden sei.
Nach Durchführung der beantragten Beweise erklärte die Klägerin, ihren Anspruch auch darauf zu stützen, daß die Beklagten ihre Obsorgepflicht deshalb nicht erfüllt hätten, weil es unterlassen worden sei, die Klägerin bereits am 13. September 1968 in stationäre Behandlung aufzunehmen, obwohl auf Grund "des vorhandenen Knochensplitters" die eminente Gefahr für das Auftreten der sogenannten ischaemischen Kontraktur bestanden habe. Die Beklagten sprachen sich gegen diese Klagsänderung aus und wendeten hiezu Verjährung ein.
Das Erstgericht ließ mit dem in sein Urteil aufgenommenen Beschluß die angeführte Klagsänderung nicht zu und wies mit Urteil das Klagebegehren ab, weil es davon ausging, daß der Zweitbeklagte schon am 13. September 1968 ordnungsgemäß einen gespaltenen Oberarmgips angelegt und daher keinen Kunstfehler begangen habe.
Mit Punkt 1 des angefochtenen Beschlusses ließ die zweite Instanz als Rekursgericht in Abänderung des erstgerichtlichen Beschlusses die gegenständliche Klagsänderung zu, mit Punkt 2 hob sie als Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichtes ohne Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Der Oberste Gerichtshof bestätigte den Punkt 1 des Beschlusses der II. Instanz und wies den vom Erstbeklagten gegen den Punkt 2 dieses Beschlusses erhobenen Rekurs als unzulässig zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Im Berufungsverfahren ergehende Beschlüsse des Berufungsgerichtes sind lediglich unter den in § 519 ZPO angeführten Voraussetzungen anfechtbar. Die vom Berufungsgericht zitierte Meinung Fasching"s, daß Punkt 2 des angefochtenen Beschlusses auch ohne Rechtskraftvorbehalt "analog" § 519 Z. 2 ZPO anfechtbar sei, vermag der erkennende Senat des OGH nicht zu teilen, weil das Berufungsgericht mit dem genannten Beschluß keine einer Klagszurückweisung wegen Nichtigkeit auch nur annähernd entsprechende Entscheidung getroffen, sondern die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen hat. Ein derartiger Beschluß ist eindeutig unter § 519 Z. 3 ZPO zu subsumieren, kann also nicht "analog" § 519 Z. 2 ZPO behandelt werden, auch wenn er nur eine notwendige Folge der Entscheidung über die Klagsänderung darstellt (dieses in SZ 27/167 und einigen unveröffentlichten Entscheidungen gebrauchte Argument läßt es zwar stets angebracht erscheinen, dem Aufhebungsbeschluß einen Rechtskraftvorbehalt beizusetzen, vermag jedoch den eindeutigen Rechtscharakter des Aufhebungsbeschlusses und die damit heranzuziehende Bestimmung des § 519 Z. 3 ZPO nicht zu verändern). Die Anfechtbarkeit eines Aufhebungsbeschlusses gemäß § 519 Z. 3 ZPO hängt eben in allen Fällen von der Beisetzung eines Rechtskraftvorbehaltes ab; der Umstand, daß dieser Rechtskraftvorbehalt vom Berufungsgericht hier anscheinend als entbehrlich angesehen wurde, vermag dessen tatsächliches Fehlen nicht zu ersetzen. Da somit Punkt 2 des angefochtenen Beschlusses mangels Rechtskraftvorbehaltes unanfechtbar ist, war dagegen der erhobene Rekurs zurückzuweisen.
Zu den Revisionsrekursen gegen Punkt 1 des angefochtenen Beschlusses war zunächst festzuhalten, daß eine Klagsänderung vorliegt, wenn zur Stützung eines Schadenersatzanspruches über das ursprünglich behauptete Verhalten hinaus ein weiteres Verhalten als schadenersatzbegründend vorgetragen wird (vgl. Fasching III, 118/19 u. a.). Falls jedoch in derartigen Fällen der behauptete zusätzliche Sachverhalt auf derselben Ebene liegt, insbesondere nur eine weitere Verhaltenskomponente darstellt, wird die Zulassung derartiger Klagsänderungen in aller Regel prozeßökonomisch sein. Je weniger dabei zusätzlich vorgetragen werden muß, umso eher ist eine Zulassung der Klagsänderung zu rechtfertigen (man denke etwa an den Fall, daß einem Kraftfahrzeuglenker, dem zunächst nur eine unsachgemäße Reaktion vorgeworfen wird, später eine bereits in der Klage genannte Geschwindigkeit mit dem einzigen Zusatz des Fehlens ausreichender Sicht als relativ überhöht angelastet wird).
Auch im vorliegenden Fall wurde bereits in der Klage vorgebracht, dies war auch allen Beteiligten bekannt, daß die mj. Klägerin am 13. September 1968 nicht in stationäre Behandlung aufgenommen worden war. Da die Klägerin diesen Umstand nunmehr als gleichfalls schadenersatzbegründend heranzieht - hier mit dem einzigen Zusatz, daß die vom Zweitbeklagten bei der Röntgenaufnahme beobachteten Knochensplitter eine stationäre Aufnahme indiziert hätten -, liegt einer jener Fälle vor, in welchen aus Gründen der Prozeßökonomie - Verwertung bereits gewonnener Prozeßergebnisse und Vermeidung eines neuerlichen Prozesses - Klagsänderungen bzw. Änderungen des Klagegrundes selbst dann zuzulassen sind wenn das ursprüngliche Begehren im Sinne einer Klagsabweisung spruchreif wäre (vgl. Fasching III, 122/23; SZ 27/167; ArbSlg. 8021 u. a.), zumal hier das Erstgericht möglicherweise schon auf Grund der ihm vorliegenden Beweise auch über das geänderte Klagebegehren zu entscheiden und damit ohne zusätzlichen Aufwand einen weiteren Rechtsstreit zu vermeiden in der Lage ist.
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