Normen
ABGB §863
Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Krankenversicherung §13
VersVG §67
ABGB §863
Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Krankenversicherung §13
VersVG §67
Spruch:
§ 67 VersVG. ist auf Taggeld nicht anwendbar.
Zum Wesen des Taggeldes.
Aus einer Teilzahlung allein ist die Anerkennung der Restschuld nicht zu erschließen.
Entscheidung vom 30. Jänner 1957, 3 Ob 643/56.
I. Instanz: Bezirksgericht Melk; II. Instanz: Kreisgericht St. Pölten.
Text
Die Klägerin verlangt vom Beklagten den Ersatz eines restlichen Betrages von 540 S mit der Behauptung, sie habe für den vom Beklagten gelegentlich eines Raufhandels schwer verletzten Franz E., der bei ihr krankenversichert sei, durch 23 Tage ein Taggeld von je 30 S, zusammen 690 S, bezahlen müssen, wovon der Beklagte lediglich 150 S rückersetzt habe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß der Beklagte tatsächlich am 13. Oktober 1954 den Franz E. derart schwer verletzt hatte, daß dieser vom 14. Oktober bis 6. November 1954 in Pflege des Krankenhauses M. war, und daß die Klägerin dem Franz E. während seines Krankenhausaufenthaltes täglich einen Betrag von 30 S an Taggeld bezahlte; ferner daß der Beklagte die aufgelaufenen Kosten für Krankenhauspflege im Betrage von 816 S und für den Transport des Verletzten im Betrage von 17 S an die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte im Regreßwege ersetzte und überdies dem Franz E. den an Verdienstentgang für die Zeit des Krankenhausaufenthaltes angesprochenen Betrag von 900 S zahlte. Es meinte, daß der Beklagte durch alle diese Zahlungen sämtliche ihm gemäß § 1325 ABGB. obliegenden Verpflichtungen gegenüber dem Verletzten erfüllt habe. Die Klägerin könne den schon direkt an den Verletzten gezahlten Verdienstentgang nicht noch einmal und nur deshalb begehren, weil sich Franz E. für einen Verdienstentgang im Krankheitsfalle mit einem Taggeld von 30 S bei ihr habe versichern lassen.
Das Berufungsgericht hob das erstgerichtliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht unter Rechtskraftvorbehalt zurück.
Es folgte dem Erstgerichte darin, daß es das von der Klägerin gezahlte Taggeld als Entschädigung dafür ansah, daß der Verletzte infolge seines Aufenthaltes im Krankenhaus keinem Verdienst nachgehen konnte, ferner in seiner Rechtsmeinung, daß der Schädiger auch im Regreßwege nur im Rahmen seiner Verpflichtungen gegenüber dem Verletzten zu einer Leistung herangezogen werden könne. Im Gegenstande sei noch nicht eindeutig festgestellt, ob der Verletzte pflichtversichert oder freiwillig versichert war. Davon hänge der Übergang der Ersatzforderung des Verletzten auf die Versicherungsanstalt ab. Sei der Verletzte pflichtversichert gewesen, habe die Bestimmung des § 1542 RVO. Anwendung zu finden, nach der der Anspruch des Verletzten auf die Versicherung im dort genannten Umfang im Unfallszeitpunkt übergehe. Sei er aber freiwillig versichert gewesen, dann gehe der Anspruch des Verletzten auf den Versicherer gemäß § 67 VersVG. erst in dem Zeitpunkte über, in dem dieser dem Verletzten den schaden ersetzt habe. Das Erstgericht habe sich um die Frage nicht gekümmert, wann der Forderungsübergang erfolgt und wann er dem Beklagten bekannt geworden sei. Letzterer Umstand sei entscheidend dafür, ob die vom Erstgerichte festgestellte Abfindung des Verletzten Franz E. gemäß § 1395 ABGB. noch schuldbefreiende Wirkung hatte oder ob dies gemäß § 1396 ABGB. nicht mehr der Fall war.
Der Oberste Gerichtshof hob den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Klägerin, eine wechselseitige Versicherungsanstalt, hat schon in der Klage vorgebracht, daß bei ihr der vom Beklagten verletzte Franz E. krankenversichert gewesen sei. Daraus ergibt sich zunächst, daß es der vom Rekursgerichte für erforderlich gehaltenen Feststellung, ob der Verletzte pflichtversichert oder freiwillig versichert gewesen sei, nicht bedarf. Eine Versicherung bei einer Versicherungsanstalt auf Gegenseitigkeit kann nie Sozialversicherung und als Krankenversicherung auch nicht Pflichtversicherung sein. Eine Pflichtversicherung gibt es nur in ganz wenigen Sparten, insbesondere bei der Jagd- und Autohaftpflichtversicherung.
Die Gerichte erster und zweiter Instanz haben das Taggeld als Entschädigung dafür angesehen, daß der Verletzte infolge seines Aufenthaltes im Krankenhaus keinem Verdienste nachgehen konnte, demnach als Ersatz eines erlittenen Schadens. Es gebührt aber ein Taggeld ohne Rücksicht auf einen eingetretenen Schaden auch dann, wenn der Versicherte gar keinen Schaden erlitten hat. Es handelt sich um eine Summenversicherung. § 67 VersVG. ist daher auf Taggeld nicht anzuwenden (siehe hiezu auch § 13 Abs. 4 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Krankenversicherung, wiedergegeben in den Veröffentlichungen des Bundesministeriums für Finanzen betreffend die Vertragsversicherung, XXX. Jahrgang Nr. 1 S. 25., welche mit der allgemeinen Auffassung über das Wesen des Taggeldes übereinstimmen).
Aus § 67 VersVG. kann demnach die Klägerin, wie sie im Rekurse selbst erkennt, ihren Anspruch nicht ableiten. Eine Zession der Ansprüche des Verletzten gegen den Schädiger unter Verständigung desselben hat sie im Verfahren erster Instanz nicht behauptet. Sie hat im ersten Rechtsgang auch keinen selbständigen Schadenersatzanspruch geltend gemacht. Sie kann dies - entgegen ihrer im Rekurse vertretenen Meinung - auch nicht mit Erfolg.
Nach österreichischer Rechtsprechung kann der Geschädigte nur von dem ihm unmittelbar gegenüberstehenden Schädiger Ersatz begehren; indirekter Schaden wird nur ersetzt, soweit das Gesetz eine ausdrückliche Anordnung enthält (SZ. XXIII 23, JBl. 1953 S. 547, JBl. 1954 S. 336, JBl. 1956 S. 124, 3 Ob 11/55, 3 Ob 477/56 u. v. a. nicht veröffentlichte Entscheidungen). Vom Beklagten kann demnach aus der von ihm gesetzten Handlung nur der unmittelbar Verletzte, also Franz E., Schadenersatz verlangen, nicht der indirekt hiedurch Benachteiligte.
Aus dem von der Rechtsprechung ständig aufgestellten Rechtssatz, daß auch die Entstehung von Verpflichtungen gegen einen Dritten ein Schaden im Sinne des Gesetzes sei, kann die Klägerin nichts für ihren Standpunkt gewinnen. Denn in all den von der Rekurswerberin zitierten Entscheidungen (SZ. X 320, GlU. 9654 und GlUNF. 1144) geht es um die Bestimmung des Begriffes Schaden, um die Feststellung, daß Schaden schon durch das Entstehen einer Verbindlichkeit auf Seiten des Geschädigten, nicht erst durch die Erfüllung dieser Verbindlichkeit durch den Geschädigten gegeben ist. Von der Begriffsbestimmung "jedermann" im § 1295 ABGB. handeln die an früherer Stelle zitierten Entscheidungen SZ. XXIII 23 usw., die keinen Zweifel daran lassen, daß nur der unmittelbar Geschädigte Schadenersatz begehren kann, nicht derjenige, der mittelbar durch den Schaden des Geschädigten zu Schaden kommt.
Der Hinweis auf Wolff in Klang 1. Aufl. IV 154 zu § 1327 ABGB. versagt, weil § 1327 ABGB. den Ersatz indirekten Schadens ausdrücklich anordnet. Die Aufstellung eines allgemeinen Rechtssatzes, daß jeder indirekte Schaden zu ersetzen sei, daraus abzuleiten, hat die Rechtsprechung bisher einmütig abgelehnt.
Die Rekurswerberin kann auch nicht durch den Hinweis auf Umstände, die ein Anerkenntnis des Beklagten bezüglich der Klagsforderung dartun sollen, ihren Anspruch erweisen. Sie hat im Verfahren erster Instanz niemals behauptet, daß der Beklagte den Klageanspruch anerkannt, sondern nur daß er 150 S auf den Betrag von 690 S gezahlt habe. Aus der Teilzahlung allein ist aber die Anerkennung der eingeklagten angeblichen Restschuld nicht zu erschließen. Es ergibt sich also, daß der Klägerin ein Anspruch auf Ersatz der gegenständlichen Leistungen nach der gegebenen Sachlage nicht zusteht. Einen wirksamen Übergang der Forderung des Verletzten auf sie kann sie weder aus dem Gesetze noch aus dem Vertrage ableiten. Sie will dies auch nicht, wie sie im Rekurs ausführt. Ein selbständiger Anspruch auf Schadenersatz aber steht ihr nicht zu. Es bedarf somit keiner weiteren Beweiserhebungen für die Entscheidung. Die Sache ist spruchreif.
Dies mußte zur Aufhebung der berufungsgerichtlichen Entscheidung führen, ungeachtet des Umstandes, daß sich der Erfolg des Rekurses gegen die Rechtsmittelwerberin auswirkt (über die Möglichkeit der reformatio in peius EvBl. 1956 Nr. 155, 1 Ob 864/52, Rkv 182/53).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)