Spruch:
Besitzer im Sinne des § 1319 ABGB. ist nicht bloß ein Besitzer im Sinne des § 309 ABGB.
Eine Brücke aus zwei durch Eisenhaken zusammengehaltenen, zubehauenen Balken ist ein Werk im Sinne des § 1319 ABGB.
Zur Verkehrssicherungspflicht eines Touristenvereines hinsichtlich von ihm errichteter Brücken und Wege.
Entscheidung vom 10. April 1957, 3 Ob 637/56.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Erstklägerin und die Zweitklägerin gingen am 11. Juli 1952 bei einem Ausflug durch die Ötschergräben über den sogenannten Moisenbachsteg. Dieser Steg brach ein und sie wurden verletzt. Der Steg gehört zum Gründeigentum des Stiftes Lilienfeld. Der beklagte Verein hat sich dem Gründeigentümer gegenüber niemals zur Instandhaltung des Weges verpflichtet.
Die Erst- und Zweitklägerinnen begehren Schmerzengeld, Ersatz von Verdienstentgang sowie Ersatz der Kosten für eine Haushaltshilfe und für ärztliche Behandlung. Die Drittklägerin (Krankenkasse) begehrt den Ersatz ihrer Leistungen für die beiden Klägerinnen, die ihre Mitglieder sind. Die Klägerinnen begrunden ihren Anspruch damit, daß den beklagten Verein ein Verschulden treffe, weil er es entgegen der von ihm übernommenen Aufgabe der Betreuung und Instandhaltung des Weges durch die Ötschergräben, welcher zum Arbeitsgebiet des beklagten Vereines gehöre, unterlassen habe, dafür Sorge zu tragen, daß sich Wege und Stege in den Ötschergräben in begehbarem Zustand befinden, oder durch Aufstellung von Hinweis- und Warnungstafeln auf die Gefährlichkeit der Begehung aufmerksam zu machen. Der Steg sei total vermorscht gewesen, ohne daß dies sofort erkennbar gewesen wäre.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Eine gesetzliche Bestimmung, die alpine Vereinigungen überhaupt oder den beklagten Verein im besonderen zur Instandhaltung der von ihnen markierten Wege verpflichte, bestehe nicht. Ebensowenig könne eine Haftung aus §§ 1311 oder 1039 ABGB. abgeleitet werden. Wenn sich auch der beklagte Verein in seinen Satzungen die Verpflichtung zur Erhaltung und Bezeichnung von Wegen auferlegt habe, könne daraus ein Dritter keine Rechte ableiten.
Das Berufungsgericht hob dieses Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Nach Meinung des Berufungsgerichtes sei der Steg über den Moisenbach ein Werk im Sinne des § 1319 ABGB. Wäre ein Baumstamm oder Balken des Steges vermorscht gewesen, wäre die mangelhafte Beschaffenheit des Werkes anzunehmen. Zu untersuchen werde sein, ob der beklagte Verein Besitzer des Steges war. Besitzer sei derjenige, der in der Lage sei und von dem erwartet werden könne, durch erforderliche Vorkehrungen die Gefahr abzuwenden, und der hiezu auch durch eine Beziehung zum Werk verpflichtet sei. Wäre der Steg von dem beklagten Verein errichtet und in der Folge betreut worden, würde der beklagte Verein als Besitzer im Sinne des § 1319 ABGB. anzusehen sein. Daß durch den Einsturz des Werkes, nämlich des Steges, ein Schaden entstanden ist, sei unbestritten. Sache des beklagten Vereines werde es sein, nachzuweisen, daß er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet habe. Es kämen nur solche Vorkehrungen in Frage, die vernünftigerweise nach der Auffassung des Verkehrs und nach der Lage der Umstände erwartet werden könnten. Trotz eines umfangreichen Beweisverfahrens fehlten hierüber alle Feststellungen. Das eingewendete Selbstverschulden der Klägerinnen, das darin bestehen solle, daß mehrere Personen gleichzeitig den Steg benützt haben, werde zu untersuchen sein, und es werde zu beurteilen sein, welchen Einfluß ein Verschulden der Beschädigten nach § 1304 ABGB. auf eine Ersatzpflicht habe.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des beklagten Vereines nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Es kann wohl nicht bezweifelt werden, daß Bergwandern und Bergsteigen die Ausübung eines Sportes darstellt. Nun wird jeder Sport auf eigene Gefahr betrieben. Für körperliche Beschädigungen, die gemeiniglich mit der Ausübung eines bestimmten Sportes verbunden sind, wird mangels Rechtswidrigkeit ein Ersatzanspruch nicht bestehen. Ähnliches muß auch für das Bergwandern und Bergsteigen gelten. Der Bergsteiger, der einen von einem alpinen Verein markierten Weg zur Ausübung seines Sportes benützt und durch eine Lawine oder Steinschlag verletzt wird oder durch Ausbrechen eines Trittes oder Griffes, Vereisung des Weges u. dgl. zum Sturz kommt und sich dadurch beschädigt, wird keinen Ersatzanspruch gegen diesen alpinen Verein stellen können. Wenn auch das Begehen der Ötschergräben kaum als bergsteigerische Tätigkeit bezeichnet werden kann, kann doch nicht übersehen werden, daß dieser Weg zufolge seiner exponierten Lage einem alpinen Steig ziemlich nahe kommt. Es ist daher dem beklagten Verein insofern beizupflichten, daß das Begehen der Ötschergräben sowie das Begehen alpiner Steige überhaupt auf eigene Gefahr des Benützers erfolgt. Dies muß auch dann gelten, wenn keine besonderen Warnungstafeln am Beginn des Steiges angebracht sind.
Der vorliegende Unfall hatte jedoch seine Ursache nicht in den natürlichen Schwierigkeiten oder Gefahren des Weges, auch nicht darin, daß etwa die Klägerinnen schwindlig wurden oder auf dem regennassen Holz ausrutschten und dadurch zu Fall kamen, sondern darin, daß eine dort errichtete Brücke einstürzte. Hier hat nun das Berufungsgericht mit Recht die Haftung nach § 1319 ABGB. zur Erörterung gestellt. Der Erstrichter hat über die Art des Steges keine Feststellungen getroffen. Selbst wenn es aber richtig ist, wie der beklagte Verein behauptet, daß es sich hiebei lediglich um zwei durch Eisenhaken zusammengehaltene, zubehauene Balken gehandelt hat, die auf einer Seite ein (offenbar zum teil abgemorschtes) Geländer hatten, so kann doch nicht geleugnet werden, daß es sich um ein Werk im Sinne des § 1319 ABGB. handelt. Diese Gesetzesstelle unterscheidet zwischen Gebäuden und Werken. Ein Werk muß daher keineswegs gemauert sein. Es muß sich nicht einmal über den Erdboden erheben. § 1319 ABGB. macht die Haftung auch nicht von einer bestimmten Größe des Werkes abhängig. Ein Werk ist daher auch eine private Brücke über einen Graben, mag sie auch nur aus zwei behauenen Stämmen bestehen, die durch Eisenklammern zusammengehalten werden und keine besondere Verankerung im Boden haben. Ein Werk ist eben etwas, was verfertigt wurde, zum Unterschied vom natürlich Gewachsenen. Dabei soll unerörtert bleiben, ob diese gesetzliche Bestimmung nicht auch analog dort angewendet werden könnte, wo es sich um kein Gebäude oder Werk handelt, die Verhältnisse aber gleich gelagert sind.
Zu Unrecht beschwert sich der beklagte Verein darüber, daß der Besitzesbegriff des § 309 ABGB. vom Berufungsgerichte hier nicht herangezogen wurde. Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung SZ. XVII 121 ausdrücklich erkannt, daß unter dem Begriff "Besitzer" nicht bloß ein Besitzer im Sinne des § 309 ABGB. verstanden wird, und dies mit den Materialien zur dritten Teilnovelle begrundet, die über den Begriff der verantwortlichen Person mehr Aufschluß geben, wonach als verantwortliche Person nicht ohne weiteres der Eigentümer, auch nicht jeder Inhaber oder vorübergehende Besitzer der Liegenschaft, sondern folgerichtig nur derjenige gelten könne, der in der Lage ist, durch die erforderlichen Vorkehrungen die Gefahr rechtzeitig abzuwenden, was sich ohne Kasuistik am besten kurz dahin zusammenfassen lasse, daß "der Besitzer des Werkes" zu haften habe. Es soll also keinen Unterschied bedeuten, ob er das Werk auf Grund eines dinglichen oder obligatorischen Rechtes an Grund und Boden besitzt. Der Oberste Gerichtshof sieht sich nicht veranlaßt, von dieser Rechtsmeinung abzugehen. Es ist daher dem Berufungsgerichte beizupflichten, daß der beklagte Verein dann als Besitzer anzusehen wäre, wenn festgestellt würde, daß er oder sein Rechtsvorgänger (Sektion M.) den Steg errichtete und in der Folge die Betreuung des weiter dem Verkehr offenstehenden Steges faktisch übernommen hätte.
Darüber hinaus wird der beklagte Verein vielleicht sogar als Sachbesitzer anzusehen sein, wenn etwa tatsächlich das Holz für den Steg vom Gründeigentümer dem Verein geschenkt worden wäre, der Verein den Steg aus eigenen Mitteln hergestellt und in der Folge in seiner Betreuung, also in seiner Macht und Gewahrsame, behalten hätte.
Der Oberste Gerichtshof verlangt aber von einem solchen Besitzer, damit seine Haftung nach § 1319 ABGB. gegeben sei, stets auch eine gewisse Verpflichtung zur Erhaltung des Werkes. Nun hat der beklagte Verein sicherlich keine vertragliche Verpflichtung zur Erhaltung dieses Steges übernommen. Allein der beklagte Verein hat nach den Behauptungen der Klägerinnen den Weg durch die Ötschergräben markiert und hat den Moisenbachsteg aus dem ihm geschenkten Material errichtet, um den Benützern des markierten Weges die Überquerung des Moisenbachgrabens zu erleichtern. Er hat damit diesen Steg dem öffentlichen Verkehr gewidmet und über diesen den Verkehr eröffnet. Er hat dadurch einen tatsächlichen Zustand geschaffen, durch den für Dritte eine Gefahr entstehen kann. Es ist nun ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, dessen Ausfluß gerade § 1319 ABGB. ist, daß derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen hat, um eine Schädigung nach Tunlichkeit abzuwenden. Auch die deutsche Rechtsprechung legt jedem, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob ihm das Eigentum an dem Grundstück zusteht oder nicht, der über eine Brücke oder einen Weg den Verkehr eröffnet, eine Verkehrssicherungspflicht auf, deren Verletzung zum Ersatz des dadurch eingetretenen Schadens verpflichtet. Auch dort wird diese Verpflichtung aus § 836 BGB. (der unserem § 1319 ABGB. entspricht) hergeleitet (NJW. 1953 S. 1297; JW. 1913 S. 736; RGZ. 62, 31; JW. 1932 S. 3724 u. a.). Solange also der beklagte Verein den von ihm errichteten Steg dem öffentlichen Verkehr geöffnet hält, trifft ihn eine Erhaltungspflicht. Will oder kann er dieser Pflicht nicht mehr nachkommen, hat er die Brücke abzutragen oder auf eine geeignete Weise so zu sperren, daß sie für den Verkehr nicht mehr zugänglich ist. Dies wäre im vorliegenden Fall um so eher möglich gewesen, als der beklagte Verein behauptet, daß der Graben auch auf andere Weise als durch Begehung des Steges überquert werden könne. Hat er dies unterlassen und treffen die sonstigen Behauptungen zu, würde der Verein grundsätzlich haften.
Die Ausführungen des Rekurswerbers zur Frage der erforderlichen Sorgfalt sind durchaus zu billigen. Ob der beklagte Verein die erforderliche Sorgfalt aufgewendet hat, ob er alle Vorkehrungen getroffen hat, die vernünftigerweise nach der Auffassung des Verkehrs von ihm zu erwarten sind, kann mangels aller tatsächlichen Feststellungen nicht geprüft werden. Es muß dem Rekurswerber aber auch darin beigepflichtet werden, daß das Maß der erforderlichen Sorgfalt nicht allzu eng abgesteckt werden darf. Aus diesen Ausführungen erhellt, daß die Rechtssache tatsächlich nicht spruchreif ist.
Wenn die Klägerinnen eine Haftung des Vereines daraus ableiten wollen, daß der Verein die Wegerhaltung als Vereinszweck in seine Statuten aufgenommen hat, diese Statuten von der Behörde genehmigt wurden und der Verein daher der Allgemeinheit gegenüber die Verpflichtung übernommen hätte, die in seinem Arbeitsgebiet liegenden Wege zu erhalten, so ist dies rechtsirrig. Dadurch, daß sich mehrere Personen in der Absicht zu einem Verein zusammenschließen, die Touristik zu fördern, und der Verein auf Grund dieses in den Statuten niedergelegten Vereinszweckes nicht untersagt wurde, wird keine Verpflichtung der Allgemeinheit gegenüber eingegangen, tatsächlich bestimmte Wege zu erhalten. Mit Recht hat das Berufungsgericht eine Erörterung dieser Frage unterlassen.
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