Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte und widerklagende Partei ist schuldig, der klagenden und widerbeklagten Partei die mit S 3.877,35 (darin S 308,85 Umsatzsteuer und S 480 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der 1930 geborene Mann und die 1943 geborene Frau haben am 24.11.1962 vor dem Standesamt in Meran die Ehe geschlossen. Sie besitzen die österreichische Staatsbürgerschaft, haben aber im Inland keinen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt, sondern in Meran gelebt. Die ehelich geborenen Kinder Markus (25.1.1971) und Thomas (6.9.1973) leben beim Vater.
Der Mann erhob am 16.11.1982 gegen die Frau die Klage auf Scheidung der Ehe aus ihrem Verschulden. Sie habe das Interesse an ihm und den Kindern verloren, komme nachts nur wenige Stunden heim und unterhalte ehebrecherische Beziehungen zu einem anderen Mann. Sie führe den Haushalt nicht mehr.
Die Frau beantragte, dieses Klagebegehren abzuweisen. Sie erhob aber am 20.1.1983 die Widerklage mit dem Begehren auf Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Mannes. Er habe nie die Absicht gehabt, die Ehe zu konsumieren, habe ihr jeden Kontakt zu den Kindern entzogen und sie selbst beschimpft und mißhandelt. Die Ehe sei von Anfang an unglücklich verlaufen.
Das Erstgericht, das die Verhandlung am 13.5.1985 nach § 193 Abs.3 ZPO geschlossen hatte, erkannte auf Scheidung der Ehe wegen Verschuldens beider Ehegatten und sprach aus, daß die Schuld des Mannes überwiegt (§ 60 Abs.2 EheG). Es legte der Entscheidung die folgenden Tatsachenfeststellungen zugrunde:
Der Mann war aus psychischen Ursachen nicht daran interessiert, mit seiner Frau geschlechtlich zu verkehren. Die Schwangerschaften der Frau entstanden durch künstliche Befruchtung. Die Eheleute nahmen an, daß die Geburt der beiden Kinder den Bestand der Ehe sichern werde. Dennoch verloren die Ehegatten immer mehr das Interesse aneinander. Es kam zu einer Entfremdung. Der Mann scheiterte mit dem von seinem Vater übernommenen Installationsunternehmen. Mit seiner Unterstützung hat die Frau im Haus Lauben 174 in Meran eine Cafe-Bar eingerichtet und betrieben. Sie deckte damit ihren Lebensunterhalt. Der Mann war nicht bereit, für die Frau aus seinem Einkommen aufzukommen. Es kam zu Zerwürfnissen der Eheleute um Geld und zu einer zunehmenden Entfremdung, weil die Frau voll ausgelastet war, der Mann aber mit seinem Planungsbüro erfolglos blieb. Er mußte sich von seiner Mutter unterstützen lassen.
Die Frau hatte mit Hans H*** eine über eine rein freundschaftliche Bekanntschaft hinausgehende Beziehung. Sie hatte mit ihm zwar keinen Geschlechtsverkehr, aber mehr Umgang, als ihrem Ehemann recht war. Trotz seiner Gefühlsarmut war es für den ungeselligen Mann ein Schock, als seine Ehefrau ihm im Herbst 1982 nach der Rückkehr vom Urlaub mitteilte, sie habe einen anderen Mann, der ihr mehr biete. Der Ehemann verstand dies so, daß sie zu dem anderen Mann intime Beziehungen habe.
Seit dem Herbst 1982 entzog der Mann der Frau immer mehr jeden Einfluß auf die Pflege und Erziehung der Söhne, die er der Mutter entfremdete und gegen sie beeinflußte. Die Frau zog sich von ihrem kontaktarm lebenden Mann zurück und widmete sich ihrem Betrieb mehr als den Kindern. Den Haushalt führte sie, bis sie vom Mann gehindert wurde, für die Kinder zu kochen und für sie zu sorgen. Die Frau macht sich über die psychisch bedingte Unfähigkeit des Mannes lustig, mit ihr geschlechtlich zu verkehren. Am 19.9.1985 (das war nach dem Schluß der Verhandlung erster Instanz) erschien in einer Ausgabe der österreichischen Wochenzeitschrift "Die ganze Woche" ein seitenlanger Artikel mit Fotos der Eheleute und ihrer Kinder. Die Frau hatte die Geschichte ihrer Ehe geschildert. In dem Zeitungsartikel wurde der Mann als traurige Figur dargestellt und dem Spott und der Mißachtung ausgesetzt.
In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, beide Teile hätten durch schwere Eheverfehlungen die unheilbare Zerrüttung der Ehe bewirkt, doch trete das Verschulden des Mannes augenscheinlich hervor. Der Frau seien lediglich das zeitweise Desinteresse an den Kindern, die ehewidrige Beziehung zu Hans H*** und die Mitteilung gegenüber dem Reporter vorzuwerfen. Dadurch seien zwar intime Dinge des Ehelebens an die Öffentlichkeit gelangt, zur Zeit dieser Veröffentlichung am 19.9.1985 sei die Ehe aber schon völlig zerrüttet gewesen.
Das Berufungsgericht gab der nur vom Mann erhobenen Berufung teilweise Folge. Es änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß der Ausspruch unterbleibt, wonach die Schuld des Mannes überwiege. Das Berufungsgericht übernahm die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und einer noch ausreichend begründeten und unbedenklichen Beweiswürdigung. Es hätte zwar einer ergänzenden Verhandlung bedurft, um die nach dem Schluß der Verhandlung in erster Instanz (13.5.1985) eingetretene und vorgetragene Tatsache der Erteilung der Information an Mitarbeiter der Wochenzeitschrift in die Tatsachenfeststellungen einbeziehen zu können, doch habe die dadurch getroffene Frau diesen Mangel nicht gerügt. Sie habe die festgestellte Tatsache zugegeben und nur eingewendet, es handle sich schon deshalb nicht um eine eherechtlich bedeutsame Verfehlung, weil die tiefgreifende Zerrüttung der Ehe schon eingetreten war. Die Wurzel der Entfremdung sei in der Kontaktarmut des Mannes zu sehen. Die Spannungen hätten sich mit dem wirtschaftlichen Niedergang des Mannes verschärft. Dem Mann falle zur Last, daß er die Kinder der Frau entfremdet und sie in der Haushaltsführung behindert habe, aber auch eine Mißhandlung der Frau (am 13.2.1983), die zu einer strafgerichtlichen Verurteilung führte. Der Frau sei vorzuwerfen, daß sie ehewidrige Beziehungen zu einem anderen Mann unterhielt und Zeitungsreportern gegenüber Mitteilungen machte, wodurch das Intimleben des Mannes in einer ihn verletzenden Weise an die Öffentlichkeit gelangte. Wenn sich die Frau darauf berufe, ein der unheilbaren Zerrüttung nachfolgendes Verhalten könne keinen Scheidungsgrund abgeben, sei dies ein Rechtsmißbrauch. Die Ehegatten hätten weiter gewisse eherechtliche Pflichten, gegen die die Schilderung intimer Tatsachen des Privatlebens an einen Reporter verstoße. Daß hier das Verschulden eines Ehegatten erheblich schwerer wiege als das des anderen, so daß der in den rechtlichen Folgen einem Alleinverschulden gleichgestellte Ausspruch des Überwiegens des Verschuldens gerechtfertigt sei, treffe nicht zu. Dieses Urteil des Berufungsgerichtes bekämpft die Frau mit ihrer Revision. Sie macht Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster und zweiter Instanz und unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache durch das Berufungsgericht geltend und will die Wiederherstellung des auf Scheidung der Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Mannes lautenden Urteils des Erstgerichtes erreichen. Hilfsweise fügt die Frau einen Aufhebungsantrag bei.
Der Mann beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt. Daß nicht nur inländisches Verfahrensrecht, sondern auch österreichisches materielles Recht anzuwenden ist, weil beide Teile die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, haben die Vorinstanzen zutreffend erkannt (§ 20 Abs.1, § 18 Abs.1 Z 1 und § 8 Abs.1 IPRG). Die gerügte Mangelhaftigkeit liegt nicht vor. Auf Eheverfahren, in denen die mündliche Streitverhandlung erster Instanz nach dem 31.12.1983 geschlossen wird, ist die Zivilprozeßordnung in der Fassung des Bundesgesetzes über Änderungen des Personen-, Ehe- und Kindschaftsrechtes BGBl 1983/566 anzuwenden. Es gilt daher hier der Grundsatz, daß angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, deren Vorliegen das Berufungsgericht verneinte, nicht mehr nach § 503 Abs.1 Z 2 ZPO geltend gemacht werden können (EFSlg.49.388). Die Revisionswerberin, die sich mit dem Spruch des erstgerichtlichen Urteils zufrieden gab, hatte allerdings keinen Anlaß, die ohne Wiedereröffnung der Verhandlung getroffene Feststellung zu bemängeln, daß sie nach Schluß der Verhandlung erster Instanz Mitteilungen über das Intimleben mit dem Ehemann an Zeitungsreporter preisgegeben habe, so daß sie in der Öffentlichkeit verbreitet werden konnten. Es kann aber dahingestellt bleiben, ob sie unter diesen Umständen die Mangelhaftigkeit noch geltend machen kann oder ob das Berufungsverfahren insoweit an einem Mangel leidet, welcher eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Sache zu hindern geeignet war (§ 503 Abs.1 Z 2 ZPO). Der betreffenden Tatsachenfeststellung kommt nämlich keine für die Entscheidung wesentliche Bedeutung zu. Es macht für den Schuldausspruch keinen Unterschied, ob die Frau nach Eintritt der nicht mehr behebbaren Zerrüttung der Ehe ihren bisherigen Eheverfehlungen die weitere hinzugefügt hat, daß sie ehefremden Personen das Sexualverhalten ihres Mannes schilderte.
In der Lehre und der Rechtsprechung ist unbestritten, daß das grundsätzlich nach den §§ 63, 64 und 66 EheG dem Alleinverschulden gleichgestellte überwiegende Verschulden eines Ehegatten an der Zerrüttung der Ehe nur anzunehmen ist, wenn es erheblich schwerer wiegt und das mindere Verschulden des anderen fast völlig in den Hintergrund tritt (Pichler in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 60 EheG;
Schwind in Klang2 I/1, 837; Koziol-Welser, Grundriß7 II 201;
Schwind, EheR2 251; EFSlg.48.832, 48.834 uva). Subtile Abwägungen haben beim Ausspruch über das Verschulden zu unterbleiben. Nur dann, wenn ein erheblich schwereres Verschulden eines Ehegatten vorliegt, ist dies im Urteil zum Ausdruck zu bringen. Dabei muß das Gesamtverhalten der Ehegatten und nicht allein die Zahl, sondern auch das Gewicht der Eheverfehlungen und ihre Reihenfolge wie ihr Beitrag zur Zerrüttung der Ehe berücksichtigt werden (Schwind, EheR2 251; EFSlg.48.816, 48.824, 48.837 uva).
Nun mag zwar hier die Frau die aus der Psyche des Mannes entspringende Einstellung als den Verlauf der Ehe beeinträchtigend empfunden haben. Sie hat aber nicht den Schritt getan, auf Aufhebung der Ehe zu dringen, sondern sogar dem Mann in der gemeinsamen Hoffnung, daß so doch eine eheliche Beziehung bewahrt werde, zwei durch künstliche Befruchtung empfangene Kinder geboren. Das von der Frau als Verfehlung bezeichnete Verhalten des Mannes muß, weil es psychisch bedingt ist, als weniger gewichtig angesehen werden. Daß der Mann seine psychisch bedingte Einstellung hätte überwinden können, hat die Frau nicht behauptet. Hat sich die Frau dazu verstanden, dennoch an der Ehe festzuhalten, trafen sie gleichwohl alle Pflichten zur Treue, zur anständigen Begegnung und zum Beistand. Wenn daher zunehmend eine Entfremdung eintrat, so ist dies keinem oder beiden Teilen vorwerfbar. Es geht nicht an, die festgestellte ehewidrige Beziehung zu dem anderen Mann als zulässige Reaktion auf die Kontaktarmut des Mannes, seine Disharmonie im gesellschaftlichen Leben und seine Ablehnung, mit ihr den Geschlechtsverkehr zu vollziehen, zu werten, wie dies die Revisionswerberin versucht. Die zunehmenden Streitigkeiten, die auch in den in Italien geführten Gerichtsverfahren zum Ausdruck kamen, standen ebenso wie der eine Vorfall, bei dem der Mann die Frau in das Gesicht schlug, schon mit der weitgehenden Entfremdung der Eheleute und der Hinwendung der Frau zu dem anderen Mann im Zusammenhang, und in dieser Zeit erst brachte der Mann auch die Kinder auf seine Seite und verweigerte ihr die Haushaltsführung. Bei einer umfassenden Würdigung der Besonderheiten des Ehelebens der Streitteile und aller festgestellten Tatsachen ist in der Beurteilung des Berufungsgerichtes, daß das Verschulden der Frau - die ebenfalls jedes Interesse an der Ehe aufgegeben und mit einem anderen Mann eine ehewidrige Beziehung aufgenommen hat - nicht so unbedeutend ist, um den Ausspruch der überwiegenden Schuld des Mannes zu rechtfertigen, selbst dann kein Rechtsirrtum zu erblicken, wenn man wegdenkt, daß sie nach Schluß der Verhandlung erster Instanz einem Reporter einer in Österreich erscheinenden Wochenzeitschrift Auskünfte über ihre - auch in diesem Rechtsstreit vorgebrachten - Eindrücke vom Verhalten des Mannes und über intime Einzelheiten des Ehelebens gegeben haben soll.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
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