Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, der beklagten Partei die mit 17.317,80 S (darin 2.886,30 S Umsatzsteuer und keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks 155/4 der KG Perchtoldsdorf, das in der EZ 71 des Hauptbuchs für diese Katastralgemeinde eingetragen ist. Sie erwarb es im Erbweg nach der am 11.8.1904 geborenen und am 18.11.1985 verstorbenen Hildegard R***. Die beklagte Partei, eine gemeinnützige Bauvereinigung, ist Eigentümerin des in der EZ 6617 derselben Katastralgemeinde gelegenen, angrenzenden Grundstücks 155/1. Beide Grundstücke sind Bauplätze im Sinn der nöBauO, die durch (Ab-)Teilung entstanden. Diese wurde von der Baubehörde mit Bescheid vom 22.11.1974 bewilligt, wobei ua vorgeschrieben wurde: "Die Aufschließung des Bauplatzes B Grst.Nr.155/4 ist bis zur Eröffnung der Dechant Zeinergasse durch eine Wege- und Leitungsservitut innerhalb eines 3 m breiten Streifens auf dem südlichen Teil des anderen Bauplatzes 'A', Grst.155/1, grundbücherlich sicherzustellen." Die beklagte Partei räumte hierauf mit Vertrag vom 14.7.1976 den damaligen Eigentümern der Liegenschaft EZ 71 der KG Perchtoldsdorf und allen ihren Nachfolgern im Besitz dieser Liegenschaft das Recht ein, innerhalb eines drei Meter breiten Streifens auf dem südlichen Teil des Grundstückes 155/1 zu gehen und zu fahren und Leitungen zu legen. Die Dienstbarkeit wurde im Grundbuch eingetragen. Die beklagte Partei errichtete auf dem ihr gehörenden Grundstück 155/1 eine Wohnhausanlage, für die die Benützungsbewilligung mit Bescheid der Baubehörde vom 6.7.1981 erteilt wurde. Durch diese Anlage ist der von der Dienstbarkeit betroffene Teil des Grundstücks 155/1 teilweise überbaut, sodaß im Bereich des Überbaues zur Ausübung der Dienstbarkeit nur eine Breite von 2,4 m und eine Höhe von 2,45 m zur Verfügung stehen. Die Klägerin begehrt mit ihrer am 16.12.1986 eingebrachten Klage, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, das von ihr errichtete Gebäude im Bereich eines 3 m breiten Streifens, gemessen von der südlichen Grenze des Grundstücks 155/1 und verlaufend bis zum Grundstück 155/4, zu entfernen. Für den Fall, daß das Gericht der Meinung sein sollte, der Servitutstreifen könne verbaut werden und es müsse bloß die Zufahrtsmöglichkeit gewährleistet sein, stellte sie das Eventualbegehren, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, das von dieser errichtete Gebäude im Bereich des angeführten Servitutstreifens bis zu einer Höhe von 3 m ab der Fahrbahnoberfläche zu entfernen. Die beklagte Partei habe es durch die Überbauung des Servitutsweges vertragswidrig unmöglich gemacht, das herrschende Grundstück mit anderen Fahrzeugen als mit einem mittleren PKW zu erreichen. Vor allem könne es nicht mit Baufahrzeugen und Möbelwagen erreicht werden und sei deshalb praktisch unverkäuflich geworden.
Die beklagte Partei wendete ein, daß es aus bautechnischen Gründen zu einer "geringfügigen" Einengung des Servitutstreifens gekommen sei. In der Bauverhandlung habe Dkfm. Dr. Roman B*** (der dem Verfahren als Nebenintervenient beitrat) als Vertreter der damaligen Eigentümerin des herrschenden Grundstücks ausdrücklich erklärt, keine Einwendungen gegen die Bauführung in der beantragten Form zu erheben. Der Baubewilligungsbescheid sei der damaligen Eigentümerin des herrschenden Grundstücks zugestellt worden und in Rechtskraft erwachsen. Diese sei sowohl ausdrücklich als auch schlüssig mit der "geringfügigen" Einschränkung ihres Servitutrechtes einverstanden gewesen, wobei das schlüssige Einverständnis dadurch zustandegekommen sei, daß sie der Einschränkung weder während noch nach der Bauführung widersprochen habe.
Durch diese Einschränkung werde das herrschende Grundstück nicht unverkäuflich, weil der Servitutweg weiterhin befahren werden könne. Da dieses Grundstück keinen Anschluß an das öffentliche Gut habe, bestehe überdies gemäß § 20 Abs 1 nöBauO ein Bauverbot. Die Rechtsausübung durch die Klägerin sei daher schikanös. Die vollständige oder teilweise Entfernung des Gebäudes sei "technisch" nicht möglich.
Das Erstgericht wies das Hauptbegehren und das Eventualbegehren ab. Es stellte im wesentlichen noch folgendes fest:
Der Nebenintervenient wollte einen Teil des herrschenden Grundstücks kaufen. Er nahm deshalb mehrmals Einsicht in die Planung des Bauvorhabens der beklagten Partei und berief sich dabei auf einen Auftrag der Eigentümerin Hildegard R***. Es gab zwischen dem Nebenintervenienten und dem den Bau planenden Architekten eingehende Gespräche über die Höhe und Breite der Zufahrt. Im Zusammenhang damit wurde ausführlich erörtert, welche Fahrzeuge nach der Planung unter dem Wohnhaus zum Restgrundstück zufahren können. Der Nebenintervenient sah in einer Verengung auf 2,4 m keine Behinderung der Zufahrt. Er unterrichtete Hildegard R***, mit der er ein gutes Verhältnis hatte, davon, daß quer über das dienende Grundstück ein Wohnhaus errichtet werde. Hildegard R*** nahm den Satndpunkt ein, das sei für sie schön, und sie hätte auf dem ihr verbleibenden Teil des Grundstücks keinen Lärm. Der Nebenintervenient berichtete ihr jedoch auch davon, daß im Bereich des Servitutweges eine Verbauung erfolge und eine Durchfahrt entstehe. Hiezu erklärte Hildegard R*** zum Nebenintervenienten: "Sie wollen dort bauen, kümmern Sie sich darum, das wird schon passen". Damals rechneten alle damit, daß später die Dechant Zeinergasse, die zum herrschenden Grundstück führen sollte, eröffnet werden und zumindest der der Hildegard R*** verbleibende Teil von dieser Gasse aus zugänglich sein werde. Nachdem Hildegard R*** die Ladung zu der für den 26.5.1977 anberaumten Bauverhandlung erhalten hatte, bat sie den Nebenintervenienten, für sie daran teilzunehmen. Als dieser dort über den Grund seines Erscheinens befragt wurde, erklärte er auftragsgemäß, daß er als Vertreter von Hildegard R*** erscheine und auch Kaufinteressent für einen Teil ihres Grundstücks sei. Da er amtsbekannt war, wurde er als Vertreter von Hildegard R*** akzeptiert, obwohl sie ihm keine schriftliche Vollmacht ausgestellt hatte. Der an der Verhandlung beteiligte Bausachverständige erörterte an Ort und Stelle die Baupläne und insbesondere auch, daß im Bereich des Wohnblocks an der rechten Grundstücksgrenze zur Erschließung des hinteren Teiles des Grundstücks eine Durchfahrt vorgesehen sei. Es wurde auch die Durchfahrtshöhe besprochen, die nach Ansicht der Anrainer "höchstens 2,8 m betragen würde", und ferner die Frage, ob Löschfahrzeuge der Feuerwehr durchfahren könnten. Die Feuerwehr erklärte hiezu, daß man Löscharbeiten auch ohne Zufahrt von der Straße her verrichten könnte. Im Verhandlungsprotokoll wurde festgehalten, daß "der Vertreter der Anrainerin R*** keine Einwendungen erhebt.". Aus der Sicht des Nebenintervenienten ergaben sich nämlich keinerlei Probleme für die Zufahrt zum herrschenden Grundstück, weil auf dem dienenden Grundstück noch zwei Einfamilienhäuser vorgesehen waren und der Nebenintervenient außerdem der Überzeugung war, daß ein normal breiter Lastwagen die vorgesehene Durchfahrt passieren könne. Überdies ging er davon aus, daß er sein eigenes Wohnhaus während der Bauzeit der Wohnhausanlage werde errichten können. Bei Erörterung des Ausmaßes der Durchfahrt sah auch der Bausachverständige keinerlei Probleme für die Zufahrtsmöglichkeit zum Restgrundstück. Im Protokoll wurde auf die "Einhaltung der Vorschreibungen des Grundabteilungsbescheides vom 22.11.1974" hingewiesen. Der Nebenintervenient berichtete Hildegard R*** nach der Bauverhandlung sogleich telefonisch ausführlich über deren Gang und Ergebnis, und sie war damit zufrieden. Der Baubewilligungsbescheid und eine Abschrift der als wesentlicher Bestandteil des Bescheides bezeichneten Niederschrift über die Bauverhandlung wurden ihr zugestellt. Sie erhob kein Rechtsmittel.
Mit dem Bau wurde im Jahre 1978 begonnen. Der Nebenintervenient verbrachte von 1979 bis 1980 ein Jahr im Ausland. Nach seiner Rückkehr berichtete ihm Hildegard R***, daß sie die Baustelle besucht und dabei festgestellt habe, daß ihr die Durchfahrt eng erscheine. Der Nebenintervenient überzeugte sich davon, erklärte jedoch, daß er sein Kaufinteresse weiterhin aufrecht erhalte. Die "Aufschließung" des herrschenden Grundstücks kann nur mehr über das dienende Grundstück erfolgen. Technisch ist die Bauführung auf dem herrschenden Grundstück durchführbar, zumal eine Einfahrt mit kleineren LKW mit einer maximalen Ladeflächenbreite von 2,20 m möglich ist. Hätte die Servitutsberechtigte bei der Bauverhandlung Einwendungen gegen die Durchfahrsbreite erhoben, so hätte die beklagte Partei dem Rechnung getragen und anders gebaut. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, daß die Rechtsvorgängerin der Klägerin dadurch, daß ihr Vertreter in der Bauverhandlung keine Einwendungen vorbrachte und daß sie gegen die Baubewilligung kein Rechtsmittel erhob, im Hinblick auf § 99 Abs 4 der nöBauO, § 42 Abs 1 AVG und Art XXXVII EGZPO stillschweigend ihre Zustimmung zur Bauführung entsprechend den der Baubewilligung zugrundegelegten Plänen erteilt habe. Überdies sei sie auch gemäß § 863 ABGB als zustimmend anzusehen, weil sie die Bauführung hingenommen habe, obwohl sie 1981 oder 1982 von der Art der Bauführung Kenntnis erlangte. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge, wobei es von den wiedergegebenen Feststellungen jene nicht übernahm, daß Hildegard R*** den Nebenintervenienten bat, für sie an der Bauverhandlung teilzunehmen, und daß dieser dort auftragsgemäß erklärte, als ihr Vertreter zu erscheinen. Zur rechtlichen Beurteilung führte es aus, Hildegard R*** habe in der Bauverhandlung keine Einwendungen erhoben, gegen die Baubewilligung kein Rechtsmittel ergriffen und sich gegen die Einschränkung ihres Servitutsrechtes auch nicht zur Wehr gesetzt, als feststand, daß ihr die Durchfahrt zu eng erscheine. Dieses Verhalten sei im Sinn des § 863 ABGB als Zustimmung anzusehen, zumal die Servitutsberechtigten über sechs Jahre untätig gewesen seien.
Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinn des Hauptbegehrens oder Eventualbegehrens abzuändern oder es aufzuheben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Urteilsschöpfung zurückzuverweisen.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben. Der Nebenintervenient erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die geltend gemachte Aktenwidrigkeit wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
Die Rechtsansicht der beklagten Partei und der Vorinstanzen läuft darauf hinaus, daß die Rechtsvorgängerin der Klägerin auf die ihr auf Grund des Dienstbarkeitsvertrages zustehenden Rechte teilweise durch Stillschweigen verzichtet hat. Ein solcher Verzicht kann zwar nur angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hinweisen, daß er ernstlich gewollt ist. Die bloße Untätigkeit in der Geltendmachung eines Anspruchs allein rechtfertigt in aller Regel nicht die Annahme eines stillschweigenden Verzichts (SZ 60/37 mwN). Etwas anderes gilt aber dann, wenn der untätig Gebliebene nach Treu und Glauben, nach der Verkehrssitte oder nach dem Gesetz zum Handeln verpflichtet gewesen wäre (vgl SZ 55/168; SZ 57/142 ua). Hier hat die Rechtsvorgängerin der Klägerin nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes vom Bauvorhaben und im besonderen von der Verbauung im Bereich des Servitutsweges - wenn auch möglicherweise nicht im Detail - gewußt. Der Nebenintervenient berichtete ihr nach der Bauverhandlung sogleich telefonisch ausführlich über deren Gang und Ergebnis. Schließlich wurde ihr in der Folge der Baubewilligungsbescheid und eine als wesentlicher Bestandteil des Bescheides bezeichnete Abschrift der über die Bauverhandlung aufgenommenen Niederschrift zugestellt. Aus dieser ging hervor, daß "ihr Vertreter" keine Einwendungen erhob.
Für die Rechtswirkungen des Stillschweigens kommt es nicht auf die Beweggründe des Schweigenden, sondern darauf an, welche Bedeutung ihm ein objektiver Dritter beilegt (vgl MietSlg 24.080; SZ 46/9; SZ 54/165 ua). Ein objektiver Dritter konnte aber aus dem wiedergegebenen Verhalten nur den Eindruck gewinnen, daß die Rechtsvorgängerin der Klägerin sich durch die geplante Einschränkung ihrer Dienstbarkeit, die sie zumindest in Betracht ziehen mußte, nicht beschwert erachtet und damit einverstanden war. Unter den wiedergegebenen Umständen hätte es Treu und Glauben erfordert, daß sie sich gegen die Errichtung der Durchfahrt zur Wehr setzt, wenn sie damit nicht einverstanden ist.
Der Oberste Gerichtshof hatte in seiner Entscheidung 2 Ob 63/58 einen ähnlichen Fall zu beurteilen. Damals wurde ausgesprochen, es widerspreche Treu und Glauben, wenn der Berechtigte in Kenntnis der Folgen der Bauführung auf die Ausübung des ihm eingeräumten Rechtes der Garagenbenützung die Fertigstellung des Baus abwartet und erst dann und unbekümmert um die finanziellen Opfer der Gegenseite die Entfernung der baulichen Veränderung verlangt. Dies gilt auch hier. Es führt also schon das wiedergegebene Verhalten der Rechtsvorgängerin der Klägerin, das sich aus den unbekämpft gebliebenen oder vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes ergibt, zur Beurteilung, daß die Rechtsvorgängerin der Klägerin auf die ihr eingeräumte Dienstbarkeit schlüssig verzichtet hat, soweit deren Ausübung infolge der Errichtung der Wohnhausanlage nicht mehr möglich ist. Darauf, ob sie dem Nebenintervenienten für die Bauverhandlung Vollmacht erteilte, kommt es daher nicht an, zumal sie wegen der Übersendung einer Abschrift der Niederschrift jedenfalls davon Kenntnis haben mußte, daß er als ihr Vertreter behandelt wurde. Es ist unter diesen Umständen ohne Bedeutung, daß das Berufungsgericht die Feststellungen, die das Erstgericht in diesem Zusammenhang traf, zum Teil nicht übernahm. Ebensowenig ist von Bedeutung, ob die Wohnhausanlage schon fertiggestellt war, als die Rechtsvorgängerin der Klägerin sie besichtigte, weshalb die in der Revison hiezu geforderten Feststellungen nicht notwendig sind. Selbst wenn die Rechtsvorgängerin der Klägerin die Bauführung zur Zeit der Besichtigung nicht mehr hätte verhindern können, wäre für die Klägerin nichts gewonnen, weil schon das vorangegangene Verhalten ihrer Rechtsvorgängerin, mindestens aber im Zusammenhang mit dem auch damals noch unterlassenen Widerspruch einen schlüssigen Verzicht ergeben.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)