OGH 3Ob58/13w

OGH3Ob58/13w15.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Land Oberösterreich, *****, vertreten durch Prof. Dr. Johannes Hintermayr und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei C***** a.s., *****, vertreten durch Haslinger/Nagele & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens des Landesgerichts Linz AZ 2 Cg 172/01v (Streitwert 72.672,83 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 11. Februar 2013, GZ 3 R 215/12a-6, womit der Beschluss des Landesgerichts Linz vom 13. November 2012, GZ 2 Cg 116/12z-2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Das Rekursgericht bestätigte die Zurückweisung der auf den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützten Wiederaufnahmsklage mit der Begründung, das von der klagenden Partei ins Treffen geführte neue Beweismittel (Stresstest der Europäischen Kommission über die Sicherheit der Kernkraftwerke in Europa) tangiere die wesentliche Feststellung, die zur Abweisung des im wiederaufzunehmenden Verfahren geltend gemachten vorbeugenden Unterlassungsanspruchs geführt habe, nicht im geringsten. Im Verfahren, dessen Wiederaufnahme die klagende Partei anstrebe, sei festgestellt worden, dass die beiden Reaktoren des Kernkraftwerks Temelin am 3. November 2006 überprüft und endgültig als mit den geltenden europäischen Rechtsvorschriften übereinstimmend erklärt worden seien. Die nunmehr vorliegenden Stresstests sagten nichts darüber aus, ob das Kernkraftwerk Temelin mit den geltenden europäischen Rechtsvorschriften übereinstimme. Die ins Treffen geführten neuen Beweismittel seien daher - in abstracto - ungeeignet, zu einer anderen Entscheidung als im Vorprozess zu gelangen.

Rechtliche Beurteilung

Die klagende Partei vermag in ihrem außerordentlichen Rechtsmittel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

Nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO berechtigen nur solche neuen Tatsachen und Beweismittel zur Wiederaufnahmsklage, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine der Partei günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Es kommt dabei darauf an, ob die Außerachtlassung der neuen Tatsachen oder Beweismittel im Vorprozess einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Findung der materiellen Wahrheit und die Vollständigkeit der Urteilsgrundlage bildet (RIS-Justiz RS0044676). Eine Wiederaufnahme wegen neu aufgefundener Beweismittel kommt grundsätzlich nur dort in Frage, wo im Vorprozess eine bestimmte Tatsache zwar behauptet wurde, aber nicht bewiesen werden konnte und die neu aufgefundenen Beweismittel eben den Beweis dieser Tatsache erbringen sollen (RIS-Justiz RS0040999). Die neuen Tatsachen müssen bereits im Hauptprozess vorhanden gewesen sein (RIS-Justiz RS0044437). Können Tatsachen erwiesen werden, die bereits vor Schluss der Verhandlung vorhanden waren, können als Wiederaufnahmsgrund auch Beweise herangezogen werden, die zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung noch nicht zur Verfügung standen (RIS-Justiz RS0044733).

Die Zurückweisung der Klage ist dann gerechtfertigt, wenn sich der geltend gemachte Wiederaufnahmsgrund überhaupt unter keinen der im Gesetz angeführten Wiederaufnahmsgründe einordnen lässt, weiters dann, wenn der behauptete Wiederaufnahmsgrund in keinem rechtlich beachtlichen Zusammenhang mit der angefochtenen Entscheidung steht. Dies ist beim Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO dann der Fall, wenn die geltend gemachten Umstände ersichtlich von vornherein keinerlei Einfluss auf die Entscheidung der Hauptsache haben können (RIS-Justiz RS0044504). Der Beweiswert der unter dem Gesichtspunkt des Wiederaufnahmsgrundes des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO angebotenen Beweismittel ist im Rahmen einer nach § 538 ZPO zu treffenden Entscheidung nicht zu überprüfen, wohl aber ist bei dieser Entscheidung zu untersuchen, ob die Klagevoraussetzungen der Wiederaufnahmsklage nach den Klagebehauptungen gegeben sind (RIS-Justiz RS0036544).

Es bildet keine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung, wenn das Rekursgericht den ein Jahr nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz (5. Oktober 2011) veröffentlichten Stresstest der Europäischen Kommission über die Sicherheit der Kernkraftwerke in Europa, der das Ergebnis verschiedener internationaler Untersuchungen über die Vorkehrungen gegen mögliche Auswirkungen von Naturkatastrophen (vor allem Erdbeben und Überflutungen) auf die Sicherheit von europäischen Kernkraftwerken wiedergibt, als von vornherein ungeeignet beurteilt, die der im wiederaufzunehmenden Verfahren ergangenen Entscheidung zugrundeliegende Tatsache zu widerlegen, dass das Kernkraftwerk Temelin als mit den geltenden europäischen Rechtsvorschriften übereinstimmend erklärt wurde. Nach dem Klagevorbringen resultiert die neuerliche Evaluierung der Kernkraftwerke in Europa aus den Ereignissen im japanischen Kernkraftwerk im März 2011. Die bis 2006 vorgenommenen Evaluierungen müssten „in diesem Licht als nicht mehr dem heutigen Kenntnisstand entsprechend angesehen werden“ (Wiederaufnahmsklage S 3 f). Damit releviert die klagende Partei aber ein neues Beweismittel zu einer geänderten Sachlage, die vor Schluss der Verhandlung im früheren Verfahren noch nicht vorhanden war. Mit dem Stresstest soll nicht auf der Basis der früheren Standards die Unrichtigkeit der bisherigen Einschätzung (zum angeführten Stichtag), das Kernkraftwerk der Beklagten entspreche westlichen Standards, bewiesen werden, sondern eine neue Einschätzung auf der Basis einer geänderten Sachverhaltsgrundlage in Gestalt der Erhöhung „westlicher“ Sicherheitsstandards:

Ob eine Änderung des technischen Verständnisses unter normativen Grundlagen, auf Basis derer die Sicherheit einer Anlage beurteilt wurde oder wird, dazu führen könnte, dass eine Anlage nicht mehr als behördlich genehmigte Anlage nach § 364a ABGB anzusehen sei, ist hier nicht zu beantworten. Eine gegenüber der im Verfahren, dessen Wiederaufnahme angestrebt wird, maßgeblichen Sachlage (zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz) geänderte Sachlage vermag grundsätzlich die Wiederaufnahme nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO nicht zu rechtfertigen (RIS-Justiz RS0044733 [T2]).

Bereits im Verfahren, dessen Wiederaufnahme der Kläger anstrebt, wurde klargestellt, dass die vom Kläger erhobenen Unterlassungsansprüche scheitern müssen, ohne dass die auch noch im Verfahren dritter Instanz strittig gebliebene Frage der Gleichstellung der ausländischen Betriebsanlagengenehmigung mit einer solchen nach § 364a ABGB abschließend geklärt werden müsste (3 Ob 134/12w). Der allfällige Einfluss des ins Treffen geführten neuen Beweismittels auf die Klärung dieser Frage ist daher (auch) in diesem Verfahren nicht zu untersuchen.

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