OGH 3Ob546/92

OGH3Ob546/9221.10.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Klinger, Dr.Angst und Dr.Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Sieghard D*****, 2. Johann Sch*****, 3. Aloisia Sch*****,

4. Alois B*****, und 5. Pius Sch*****, alle vertreten durch Dr.Manfred Brugger, Rechtsanwalt in Silz, wider die beklagten Parteien 1. Valentin A*****, 2. Josef H*****, und 3. Josef L*****, alle vertreten durch Dr.Gert F.Kastner und Dr.Hermann Tscharre, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Unterlassung, infolge Revisionsrekurses der klagenden Parteien gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 6.März 1992, GZ 3 a

R 124/92-8, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Silz vom 20. Dezember 1991, GZ 3 C 1858/91y-4, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Durchführung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Jeder der Beklagten ist schuldig, den Klägern 2.988,57 S (darin 498,09 S Umsatzsteuer) an Kosten der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Kläger begehren mit ihrer Klage, die Beklagten schuldig zu erkennen, es zu unterlassen, ihre Schafe auf den Liegenschaften der Kläger weiden und sie insbesondere - auch in der Zeit vom 20.10. bis 1.5. - zu Weidezwecken frei laufen zu lassen. Sie (Kläger) seien Eigentümer landwirtschaftlich genutzter Liegenschaften. Früher sei hierauf zwar die Schafweide in der Zeit vom 20.10. bis 1.5. in begrenztem Maß geduldet worden. Dieses stillschweigende Zugeständnis sei jedoch jedenfalls mit einem Schreiben vom 15.10.1991 widerrufen worden. Die Beklagten hätten ihre Schafe aber auch nach diesem Zeitpunkt "ohne jede Berechtigung und ohne Rechtstitel zur Weide auf die Liegenschaften getrieben".

Die Beklagten wendeten die Unzulässigkeit des Rechtswegs ein und brachten in der Sache vor, daß ihnen an den Liegenschaften durch Ersitzung und auf Grund einer Vereinbarung ein Weiderecht gemäß § 1 Abs 1 lit b des Tiroler Wald- und Weideservitutengesetzes LGuVBl 1952/21 (TirWWSG) zustehe.

Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück, weil gemäß § 38 Abs 2 TirWWSG die Agrarbehörde zur Entscheidung zuständig sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Kläger nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Nach § 38 Abs 2 TirWWSG sei die Agrarbehörde allgemein berufen, über Bestand und Umfang von Nutzungsrechten zu entscheiden. Damit sei ihr "implizit" auch die Entscheidungskompetenz über das Nichtbestehen behaupteter Weiderechte übertragen worden. Wenngleich es sich bei der vorliegenden Klage um eine Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB handle, sei der Rechtsweg unzulässig, weil über den Bestand, Nichtbestand und Umfang eines Weiderechtes die Agrarbehörde zu entscheiden habe.

Rechtliche Beurteilung

Der von den Klägern gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs ist berechtigt.

Gemäß § 38 Abs 2 TirWWSG entscheidet zwar die Agrarbehörde auch außerhalb eines Regulierungs- oder Ablösungsverfahrens mit Ausschluß des Rechtsweges unter anderem über den Bestand und Umfang von Nutzungsrechten, wozu gemäß § 1 Abs 1 lit b dieses Gesetzes auch die Weiderechte gehören. Der Oberste Gerichtshof hat jedoch schon in der Entscheidung 3 Ob 617/89 (= RZ 1991/40) zu dem im hier bedeutsamen Zusammenhang vergleichbaren § 19 Abs 2 Z 2 des Steiermärkischen Güter- und Seilwegelandesgesetzes LGBl 1970/21 unter Hinweis auf Vorentscheidungen ausgesprochen, daß der Rechtsweg für die Eigentumsfreiheitsklage auch dann zulässig ist, wenn sich der Beklagte auf ein Recht beruft, für dessen Begründung, Inhalt und Umfang öffentliche Rechtsvorschriften maßgebend sind und über das Verwaltungsbehörden zu entscheiden haben. Das Gericht hat entweder über das Bestehen und den Umfang dieses Rechtes als Vorfrage zu entscheiden oder allenfalls, wenn eine Sonderregelung besteht, die Entscheidung der Verwaltungsbehörde einzuholen oder abzuwarten. Die Rechte des Beklagten würden durch die Entscheidung des Gerichtes nicht beeinträchtigt, weil es ihm freistehe, sein Recht im Verwaltungsweg geltend zu machen, und die Verwaltungsbehörde an die Beurteilung der Vorfrage durch das Gericht nicht gebunden sei.

Ein solcher Fall ist aber auch hier gegeben. Die Ausführungen des Rekursgerichtes und in der Revisionsrekursbeantwortung bieten keinen Anlaß, von der in der angeführten Entscheidung vertretenen Rechtsansicht abzugehen. Sie verkennen, daß für die Zulässigkeit des Rechtsweges nur die Natur des in der Klage geltend gemachten Anspruchs maßgebend ist und durch eine Einwendung des Beklagten, mit der er einen eindeutig als privatrechtlich zu qualifizierenden Anspruch durch Behauptung eines ihm zustehenden Anspruchs des öffentlichen Rechtes abwehren will, nicht die Unzulässigkeit des Rechtsweges begründen kann (s hiezu die Rechtsprechungsnachweise in RZ 1991/40). Die gegenteilige Ansicht würde dazu führen, daß der Kläger auch dann, wenn er mit der Klage ausschließlich einen privatrechtlichen Anspruch geltend macht, über die Zulässigkeit des Rechtsweges oft im Unklaren wäre, weil er nicht vorhersehen kann, ob der Beklagte einen öffentlich-rechtlichen Anspruch einwendet. Dies wäre aber nicht sachgerecht. Auch in dem hier zu entscheidenden Fall wäre aus dem Bereich des Privatrechts etwa der Einwand in Betracht gekommen, daß die Kläger das Weiden der Schafe auf eine Art und Weise gestattet haben, die noch nicht ein Nutzungsrecht nach § 1 Abs 1 lit b TirWWSG begründet (vgl Lang, Tiroler Agrarrecht II 43, wonach Personalservituten, unregelmäßige Servituten und Scheinservituten keine solchen Nutzungsrechte sein können). Ebenso wäre es denkbar gewesen, daß die Beklagten ihre Unterlassungspflicht zwar anerkannt, die für den Erfolg des Klagebegehrens aber möglicherweise erforderliche Wiederholungsgefahr (vgl hiezu Fasching, ZPR2 Rz 1069 mit einer Übersicht über das Schrifttum und die Rechtsprechung) bestritten hätten. Auch Lang hält den Rechtsweg für zulässig, wenn das Gericht bloß als Vorfrage über den Bestand von Nutzungsrechten entscheidet (aaO 129), und gibt der Ansicht, daß die Eigentumsfreiheitsklage zulässig sei, gegenüber der gegenteiligen Meinung offenbar den Vorzug (aaO 48).

Aus der Entscheidung EvBl 1991/111 ist für den hier zu beurteilenden Fall nichts zu gewinnen, weil sie eine Klage betraf, in der ein Weiderecht behauptet wurde. Aus demselben Grund kommt hier auch nicht der Grundsatz zum Tragen, der in der vom Rekursgericht bezogenen Entscheidung JBl 1992, 108 ausgesprochen wurde und wonach zu beachten ist, ob vom Gesetzgeber ausnahmsweise die Entscheidung über den in der Klage erhobenen bürgerlich-rechtlichen Anspruch den ordentlichen Gerichten entzogen und ausdrücklich vor eine andere Behörde verwiesen wurde. Daß dies auf den von den Klägern erhobenen Anspruch nicht zutrifft, ist eindeutig; auf das von den Beklagten eingewendete Recht kommt es aber nicht an. Schließlich wird durch die dargelegte Rechtsansicht die Bestimmung des § 38 Abs 2 TirWWSG, wonach die Agrarbehörde über den Bestand von Nutzungsrechten zu entscheiden hat, nicht inhaltsleer, weil sie für alle jene Fälle von Bedeutung bleibt, in denen jemand - unabhängig von oder im Zusammenhang mit einer Eigentumsfreiheitsklage - bei der Agrarbehörde den Antrag auf Feststellung eines von ihm behaupteten Nutzungsrechts nach § 1 Abs 1 TirWWSG einbringt.

Der Ausspruch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf den §§ 41, 50 und § 52 Abs 1 erster SatzZPO (Fasching, Kommentar II 362; EvBl 1947/511; 1 Ob 596/82). Bemessungsgrundlage für die Kosten des Revisionsrekurses ist der in der Klage angegebenen Wert des Streitgegenstandes von 30.000 S, weil über die Bemängelung der Bewertung noch nicht entschieden wurde.

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