OGH 3Ob545/93

OGH3Ob545/9310.11.1993

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Klinger, Dr. Angst, Dr. Graf und Dr. Gerstenecker als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Kurt H*****, ***** und 2. Hildegard H*****, ***** beide ***** vertreten durch Dr. Hans Nemetz und Dr. Hans Christian Nemetz, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Erika R*****, ***** vertreten durch Dr. Christoph Lassmann-Wichtl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung eines Wohnungsmietverhältnisses, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 21. April 1993, GZ 41 R 200/93-31, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 30. Oktober 1992, GZ 45 C 10/91i-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird an das Prozeßgericht erster Instanz zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Kosten des Rechtsstreites.

Text

Begründung

Die Kläger sind die Miteigentümer der Liegenschaft mit dem Haus ***** in 1090 Wien. Sie kündigten der beklagten Hauptmieterin den Mietvertrag über die Wohnung Nr 7 in diesem Haus für den 28. Feber 1991 aus dem Grund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG gerichtlich auf. Die Beklagte wohne seit ihrer Eheschließung in 1100 Wien, ***** und verwende den Mietgegenstand nicht regelmäßig zur Befriedigung ihres dringenden Wohnbedürfnisses.

In ihren Einwendungen machte die Beklagte geltend, sie habe bis zur Geburt ihres Kindes vorwiegend in der Wohnung gewohnt, doch sei nebenan ein Neubau errichtet worden, wodurch sich Lärm- und Staubbelästungen ergaben. Nach längerem Regen werde es in der Wohnung zufolge Durchfeuchtung der Feuermauer ungemütlich. Sie ergänzte ihr Vorbringen in der Verhandlung dahin, daß sie herzkrank sei und aus gesundheitlichen Gründen zur Zeit nicht allein wohnen könne. Sie wohne daher teilweise mit ihrem Ehemann in einer anderen Wohnung.

Das Erstgericht erkärte die Aufkündigung für rechtswirksam und verhielt die Beklagte zur Räumung der Wohnung. Es stellte fest, daß die Beklagte bis September 1990 in der Wohnung im Haus der Kläger wohnte und dann mit ihrem Mann nach 1120 Wien, ***** übersiedelte, wo sie ihr dringendes Wohnungsbedürfnis befriedigt. In die frühere Wohnung kommt sie nur mehr sporadisch.

Das Erstgericht meinte, die Beklagte befriedige ihr dringendes Wohnbedürfnis in der anderen Wohnung. Es habe sich nicht ergeben, daß sie in naher Zukunft die Wohnung im Haus der Kläger wieder bewohnen werde. Der geltend gemachte Kündigungsgrund liege daher vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es übernahm die Feststellung, daß die Beklagte mit ihrem Mann in 1120 Wien, ***** wohne und dort ihr Wohnbedürfnis befriedige, nicht, weil sie durch kein Vorbringen einer Partei gedeckt und daher "überschießend" sei. Die Pflicht des Gerichtes, eine nicht durch einen Rechtsanwalt vertretene Partei zur Vornahme von Prozeßhandlungen anzuleiten, gehe nicht so weit, die Partei zu Tatsachenbehauptungen zu veranlassen, die nach der ganzen Sachlage nicht zu erwarten seien. Da die Beklagte behauptete, die Wohnung regelmäßig wenn auch nicht ständig zu benützen, habe sie nicht angeleitet werden müssen, vorzutragen, daß sie künftig die Wohnung wieder benützen werde. Nässeschäden am Haus habe die Beklagte nicht behauptet sondern nur, daß es in der Wohnung nach längerem Regen ungemütlich sei. Da erwiesen sei, daß die Beklagte die Wohnung im Haus der Kläger nicht regelmäßig benütze, sei nicht bedeutsam, wo sie sich tatsächlich aufhalte. Daß die Beklagte aus gesundheitlichen Gründen anderswo Aufenthalt nehme, reiche zur Begründung des schutzwürdigen Interesses an der Aufrechterhaltung des Mietvertrages nicht aus. Es müßten gerechtfertigte Gründe für die Annahme vorliegen, daß der Mieter in nächster Zukunft wieder in die Wohnung zurückkehren werde. Auf ungewisse in der Zukunft liegende Möglichkeiten sei nicht Bedacht zu nehmen.

In ihrer außerordentlichen Revision macht die Beklagte die Mangelhaftigkit des Berufungsverfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend.

Die Kläger beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Wie die Revisionswerberin selbst erkennt, können in erster Instanz unterlaufene Verfahrensmängel, die sie erfolglos in der Berufung geltend gemacht hat, keinen Revisionsgrund abgeben (SZ 60/197; EvBl 1989/165 uva). Wenn sie erneut rügt, die Auskunft des Postamtes 1090 Wien über den erteilten Nachsendeauftrag sei in der Verhandlung nicht erörtert worden, übersieht sie außerdem, daß das Berufungsgericht die Feststellung des Erstgerichtes, die Beklagte wohne mit ihrem Ehemann in einer Wohnung in 1120 Wien ohnedies nicht übernommen hat und daher nicht veranlaßt war, sich mit den diese Annahme bekämpfenden Berufungsausführungen auseinanderzusetzen und darauf einzugehen, ob aktenkundige Umstände auch dann berücksichtigt werden dürfen, wenn eine Verlesung nicht stattfand (überdies hatte die Beklagte sich selbst auf die Beil./5 berufen, wonach sie für alle Postsendungen einen Nachsendeauftrag erteilt hatte; auch die Aufkündigung war an die neue Abgabestelle weitergeleitet und dort hinterlegt worden).

Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG liegt vor, wenn die vermietete Wohnung nicht zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Mieters oder der nach § 14 Abs 3 MRG eintrittsberechtigten Personen regelmäßig verwendet wird; es sei denn, daß der Mieter zu Kur- oder Unterrichtszwecken oder aus beruflichen Gründen abwesend ist. Benützt der Mieter die Wohnung nicht regelmäßig (nur "sporadisch"), trifft ihn die Behauptungs- und Beweislast dafür, daß er ein schützwürdiges Interesse am Fortbestand des Mietverhältnisses hat. Dieses ist anzunehmen, wenn ein dringendes Wohnbedürfnis zum Zeitpunkt der Aufkündigung besteht oder doch in naher Zukunft mit Sicherheit zu erwarten ist (Würth in Rummel, ABGB**2 Rz 33 zu § 30 MRG; MietSlg. 33.383; MietSlg. 42.338 uva). Es kann bei dieser Prognose auch maßgebend sein, ob das Wohnbedürfnis des Mieters anderweitig angemessen befriedigt wird (Würth aaO). Die Beweislast, daß eine ausreichende gesicherte Wohnmöglichkeit vorliegt, trifft nicht den Vermieter. Der Mieter hat nachzuweisen, daß es sich um eine vorübergehende Abwesenheit handelt und mit der Rückkehr in die Wohnung in absehbarer Zeit zu rechnen ist (MietSlg. 42.338 ua). Eine durch Krankheit bedingte Nichtbenützung der Wohnung schließt den Kündigungsgrund aus, wenn es sich um eine überübergehende Abwesenheit handelt und in naher Zukunft mit der Rückkehr zu rechnen ist (MietSlg. 35.362 ua). Dabei ist zwar zunächst der Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung (hier der 3. Jänner 1991) maßgebend, doch können aus der Sachlage, die sich zur Zeit des Schlusses der mündlichen Verhandlung in erster Instanz (hier der 8. Mai 1992) Rückschlüsse gewonnen werden, ob der Kündigungsgrund zur Zeit der Aufkündigung erfüllt war (Würth in Rummel, ABGB**2 Rz 5 zu § 33 MRG; MietSlg. 41.348; WoBl 1991/88 ua).

Die Anleitungspflicht nach § 432 Abs 1 ZPO (iVm § 182 ZPO) gegenüber rechtsunkundigen und nicht durch Rechtsanwälte vertretenen Parteien erschöpft sich zwar im wesentlichen in einer Belehrungspflicht; die Partei muß vom Richter mit ihren Rechten und Pflichten im Prozeß vertraut gemacht und angeleitet werden, die entsprechenden Prozeßhandlungen vorzunehmen, ohne dabei diese Partei einseitig und die Besorgnis der Befangenheit begründenden Weise zu unterstützen (Fasching ZPR**2 Rz 1611; JBl 1957, 595). Das Prozeßvorbringen der nach § 432 ZPO anzuleitenden Partei darf aber nicht zu eng verstanden werden. Immerhin hat die Beklagte schon in den Einwendungen und noch konkreter in der Verhandlungstagsatzung am 5. April 1991 behauptet, sie benütze die gemietete Wohnung deshalb nur "teilweise" und wohne sonst mit ihrem Ehemann in einer anderen Wohnung, weil sie herzkrank sei, nicht allein leben könne und weil die Wohnung im Haus der Kläger durch Baulärmbelästigung und Mauerdurchfeuchtung eingeschränkt benützbar war. Damit hat sie sich hinreichend deutlich darauf berufen, daß sie auch dann, wenn ihr Vorbringen, ohnedies ständig in der Wohnung zu leben, womit sie sich im Widerspruch zu der eigenen Angabe befand, nur teilweise die Wohnung zu benützen, nicht erweislich wäre, zumindest auf das fortbestehende Interesse an der Aufrechterhaltung des von der Aufkündigung betroffenen Mietverhältnisses berufe. Dies schließt die Behauptung ein, keine ausreichende andere Wohnmöglichkeit zu haben und in naher Zukunft darauf angewiesen zu sein, wieder regelmäßig ihr Wohnbedürfnis in der Wohnung im Haus der Kläger zu befriedigen.

Das Erstgericht hat das Vorbringen auch dahin verstanden und die Beweisaufnahme darüber zugelassen, daß die Beklagte beabsichtige, in Zukunft wieder ganz in der Wohnung im Haus der Kläger zu wohnen. Daher wurde auch festgestellt, daß die Beklagte mit ihrem Ehemann ihr dringendes Wohnbedürfnis in der anderen Wohnung befriedige und seit der Übersiedlung im September 1990 nur mehr "sporadisch" in die gemietete Wohnung komme. Gerade diese Feststellung über das Leben in der anderen Wohnung hat das Berufungsgericht aber nicht übernommen. Auch wenn bei Nichtbenützung des Mietgegenstandes der Aufenhtalt des Mieters nicht entscheidend sein mag, kann doch oft nur aus der Feststellung dieser seiner Lebensumstände ein die Prognose gestattender Schluß gezogen werden, daß der Mieter in naher Zukunft auf seine Mietwohnung angewiesen ist und daher mit der Rückkehr in diese Wohnung zu rechnen ist. Es fehlen für die abschließende rechtliche Beurteilung, ob am 3. Jänner 1991 (vier Monate nach der Aufgabe der regelmäßigen Benützung) der von den Vermietern geltend gemachte Kündigungsgrund vorlag, Tatsachenfeststellungen, ob die Beklagte aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend anderswo Wohnung nahm, ob diese Wohnmöglichkeit so beschaffen ist, daß sie nur eine vorübergehende Abwesenheit von der Wohnung im Haus der Kläger und die alsbaldige Rückkehr in diese wahrscheinlich erscheinen läßt, ob und inwieweit eine Erkrankung der Beklagten vorliegt, die es ihr nicht gestattet, allein zu wohnen, und warum sie nicht mit ihrem Ehemann in der Wohnung im Haus der Kläger wohnen blieb, vor allem aber, ob mit der Rückkehr in die Wohnung nach vorübergehend gegebenen und einsichtigen Gründen, anders Wohnung zu nehmen, mit Sicherheit zu rechnen ist.

Zur Schaffung dieser Entscheidungsgrundlagen bedarf es einer Ergänzung der Verhandlung in erster Instanz und einer Erörterung mit den Parteien. Es kommt deshalb zur Aufhebung und Zurückverweisung iSd § 510 Abs 1 ZPO, um die Sache spruchreif zu machen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 Satz 2 ZPO.

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