Spruch:
Für das Maß der ärztlichen Aufklärungspflicht ist in erster Linie das Wohl des Patienten und in zweiter Linie die Höhe und die Häufigkeit des Operationsrisikos im Verhältnis zur Schwere der sonst fortdauernden Krankheitsfolgen maßgebend. Die Aufklärungspflicht wird in der Regel weder durch die Vermutung schon erfolgter Beratung des Patienten durch andere Ärzte noch durch die Annahme vermindert, daß das Risiko des beabsichtigten Eingriffes allgemein bekannt sei.
OGH 23. Juni 1982, 3 Ob 545/82 (JBl 1983, 373 (Holzer)) (OLG Linz 5 R 198/81; KG Ried im Innkreis 1 Cg 108/80)
Text
Die Klägerin ließ sich am 9. 3. 1977 in dem von der erstbeklagten Partei betriebenen Krankenhaus durch den dort beschäftigten Zweitbeklagten einen Kropf entfernen. Als Folge der Operation trat eine Stimmbandlähmung ein. Sie begehrte die Feststellung, daß die beiden Beklagten ihr zur ungeteilten Hand für künftige Schäden aus der Operation zu haften haben, mit der Begründung, die Operation sei nicht kunstgerecht ausgeführt worden und der Zweitbeklagte habe die Klägerin nicht über die Gefahren der fraglichen Kropfoperation für die Stimmbänder aufgeklärt. Da die Operation nicht dringlich gewesen sei, hätte sich die Klägerin nicht zur Operation entschlossen, wenn ihr diese Gefahr bewußt gewesen wäre. Daß man sie wegen einer psychischen Labilität nicht habe ausreichend aufklären können, treffe nicht zu.
Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung der Klage. Sie bestritten den behaupteten Kunstfehler und wendeten ein, daß die Klägerin ausreichend aufgeklärt gewesen sei. Auf die Gefahr für die Stimmbänder habe nicht besonders hingewiesen werden müssen, weil diese ohnedies jedermann bekannt sei. Der Zweitbeklagte habe auf Grund einer Überweisung der Klägerin durch ihren Hausarzt annehmen können, daß sie schon von diesem hinreichend aufgeklärt sei und der Operation zustimme. Eine dramatisierende Aufklärung habe auch wegen des psychischen Zustandes der Klägerin vor der aus medizinischen Gründen unbedingt nötigen Operation nicht stattfinden können.
Das Erstgericht wies die Klage ab.
Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 60 000 S übersteige.
Beide Vorinstanzen gingen im wesentlichen von folgenden Tatsachenfeststellungen aus:
Die gegenständliche Kropfoperation war medizinisch geboten, da die Luftröhre schon eingeengt war und im Zusammenhang mit der Gefahr von Verschlechterungen eine ernstliche Gefährdung der Gesundheit der Klägerin zB auch die Gefahr der Entwicklung eines Krebses, bestand. Die Operation wäre früher oder später unbedingt erforderlich gewesen; es handelte sich also nicht um die Entfernung eines nur kleinen Kropfes aus kosmetischen Gründen. Bei einer Kropfoperation dieser Art ist das Risiko einer Stimmbandschädigung gegeben, es kommt in etwa 2.5% der Fälle zu Stimmbandlähmungen. Es ist bei bestehender Schilddrüsenüberfunktion bisher keine Behandlungsmethode bekannt, die weniger komplikationsträchtig wäre als die operative Entfernung des Kropfes.
Der Klägerin war schon seit dem 12. Lebensjahr bekannt, daß sie einen Kropf habe. Später hegte sie Befürchtungen, es könne sich um Krebs handeln. Anläßlich der Behandlung beim praktischen Arzt Dr. H im Jahr 1976 klagte sie über ihren Kropf und erzählte von gewissen Schwierigkeiten mit der Luft. Dr. H empfahl ihr, mit dem Zweitbeklagten Kontakt aufzunehmen. Beim Zweitbeklagten war die Klägerin früher schon zweimal wegen kleinerer operativer Eingriffe in Behandlung gewesen. Der Zweitbeklagte wies die Klägerin in das Krankenhaus W, Isotopenstation, ein, welches in der Folge die Operation empfahl. Dr. H überwies die Klägerin daraufhin in die chirurgische Abteilung des Krankenhauses der erstbeklagten Partei, deren Leiter der Zweitbeklagte ist. Bevor sich die Klägerin ins Spital begab, suchte Dr. H die Klägerin zu Hause auf, um ihr vor der Operation Mut zu machen und sie zu beruhigen. Am 7. 3. 1977 wurde sie im Krankenhaus B aufgenommen. Eine internistische Untersuchung ergab, daß keine Bedenken gegen die Operation bestanden. Im Röntgenbefund wurde die Lage des Kropfes ermittelt.
Der Zweitbeklagte sah die Klägerin vor der Operation insgesamt viermal bei seinen zweimal täglich durchgeführten Visiten. Er hat dabei wohl mit der Klägerin gesprochen, es aber unterlassen, ihr eine allgemeine Aufklärung über allenfalls bestehende Operationsrisken zu geben bzw. im besonderen auf die Möglichkeit eines Eintretens einer Stimmbandlähmung einzugehen. Üblicherweise (aber nicht bei der Klägerin) bespricht der Zweitbeklagte Operationsrisken und allgemein auch die Operation selbst mit Patienten und versucht, den Kranken dabei in erster Linie Mut vor dem operativen Eingriff zu machen.
Bei der Klägerin bestand eine in den vorbereitenden Befunden erwähnte mäßige psycho-vegetative Labilität, die sich vor allem als eine von Stimmungsschwankungen abhängige Fehlfunktion des Gefäßsystems äußerte. Bei ihrem Aufenthalt im Krankenhaus W wurden zwar keine auffallende Angst oder psychotische Reaktion, wohl aber allgemeine Angstgefühle, Besorgnisse und Alteriertheit festgestellt, weshalb ihr ein Sedativ verordnet wurde. Vor der Operation selbst war sie aufgeregt, weil sie wegen der allgemeinen Risken jeder Operation, die ihr bekannt waren, besorgt war. Ihre Aufregung äußerte sich in einem Auf- und Abgehen im Zimmer und darin, daß sie sich auch durch Stricken beruhigen wollte. Eine überdurchschnittliche Erregung der Klägerin bestand allerdings nicht. Die Klägerin suchte mit dem Zweitbeklagten kein Gespräch über den Verlauf und die Risken des bevorstehenden chirurgischen Eingriffes.
Der operative Eingriff selbst, der bei der Klägerin zu der schon erwähnten Stimmbandlähmung führte, wurde vom Zweitbeklagten nach den Regeln der ärztlichen Kunst fachgerecht durchgeführt.
In rechtlicher Hinsicht waren beide Vorinstanzen der Auffassung, daß der Zweitbeklagte die Klägerin wegen der Dringlichkeit des Eingriffes und der niedrigen Gefahrenquote nicht habe aufklären müssen. Der Zweitbeklagte habe auch annehmen dürfen, daß eine entsprechende Vorbereitung schon durch den Hausarzt vorgenommen worden sei und daß die Klägerin gar keine weitere Aufklärung wünsche.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Gemäß § 8 Abs. 3 KAG darf ein operativer Eingriff an einem Pflegling nur mit dessen Zustimmung durchgeführt werden, außer die Behandlung ist so dringend notwendig, daß der mit der Einholung der Zustimmung verbundene Aufschub das Leben gefährden würde oder mit der Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit verbunden wäre. Der letztgenannte Fall war bei der Klägerin nach den getroffenen Feststellungen nicht gegeben, die beklagten Parteien hatten daher die Zustimmung der Klägerin zur dann durchgeführten Kropfoperation einzuholen.
Eine solche Einwilligung kann vom Patienten nur dann wirksam abgegeben werden, wenn er über die Bedeutung des vorgesehenen ärztlichen Eingriffes und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde (Koziol, Österr. Haftpflichtrecht II 97; Bertel in Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Anm. 8 zu § 110 StGB; Loebenstein, ÖJZ 1978, 309 unter II; kürzlich Steiner in JBl. 1982, 169 f; ebenso die schon von den Vorinstanzen zitierten Entscheidungen EvBl. 1965/217; RZ 1973/167 und kürzlich die bei Steiner aaO besprochene Entscheidung JBl. 1982, 491).
Der Arzt ist somit grundsätzlich zur Aufklärung seines Patienten verpflichtet. Hat er die Aufklärungspflicht verletzt, so hat er iS des § 110 Abs. 1 StGB den Patienten "ohne dessen Einwilligung" behandelt und damit die Straftat der eigenmächtigen Heilbehandlung begangen; darauf hinzuweisen ist, daß es gemäß § 110 Abs. 2 StGB auch strafbar ist, wenn die Einwilligung des Behandelten fahrlässigerweise in der objektiv nicht gegebenen, nur vermeintlichen Annahme nicht eingeholt wurde, daß durch den Aufschub der Behandlung das Leben oder die Gesundheit des Behandelten ernstlich gefährdet wäre. Der Arzt hat also bei Verletzung der Aufklärungspflicht ein Schutzgesetz iS des § 1311 ABGB verletzt und haftet für den durch die Operation eingetretenen Schaden auch bei kunstgerechtem Eingriff, außer er weist nach, daß der Schaden auch "außer dem" erfolgt wäre (Piegler, VersR 1962, 921, besonders 926). Ein öffentliches Krankenhaus haftet für ein diesbezügliches Verschulden der dort tätigen Arzte (JBl. 1953, 18 mit diesbezüglich zustimmender Glosse von Gschnitzer).
Entgegen im Schrifttum und in der Rechtsprechung verschiedentlich vertretener Auffassungen stellt es, wie die Revision zutreffend ausführt, eine Rechtsfrage dar, in welchem Umfang im konkreten Fall der Arzt den Patienten aufklären muß (Fleisch, ÖJZ 1965, 421, besonders 431; Piegler, VersR 1962, 921, besonders 926; Bertel, Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Anm. 13 zu § 110 StGB).
Wie weit nun im Einzelfall die ärztliche Aufklärung zu gehen hat, ist eine der umstrittensten Fragen (vgl. etwa kürzlich den Hinweis von Kamps in seiner Monographie, Ärztliche Arbeitsteilung und strafrechtliches Fahrlässigkeitsdelikt 108, auf die ausgeuferte Diskussion über die Dimension der ärztlichen Aufklärungspflicht). Es geht dabei im großen und ganzen vor allem um folgende - für diesen Rechtsstreit zum Teil nur am Rande relevante - Problemkreise:
1. Was ist im Grenzfall letzten Endes wichtiger, das Selbstbestimmungsrecht des Patienten oder die ärztliche Fürsorge- und Hilfeleistungspflicht? Soll der hypokratische Grundsatz "salus aegroti suprema lex" im Vordergrund stehen oder soll nach eher neuerem Verständnis der Patient vor allem vor der Eigenmacht des Arztes, dem "Gott im weißen Mantel" geschützt werden.
2. Wie kann verhindert werden, daß der Patient zu dem Leid, das die Krankheit und die nötige Operation schon an und für sich mit sich bringen, auch noch zusätzlich seelische Qualen dadurch erleidet, daß er infolge einer zu umfassenden Aufklärung in einen Entscheidungsnotstand gerät oder nach getroffener Entscheidung einer ungeheuren Angst vor den ihm mitgeteilten möglichen Operationsrisken ausgesetzt wird?
3. Trifft es zu, daß aus diesem Grund die weitaus meisten Patienten gar keine besondere Aufklärung wünschen? Ist daher die Aufklärung dem Patienten auch gegen seinen Willen aufzudrängen oder hat sie nur stattzufinden, wenn der Patient sie wünscht?
4. Kommt es hier letztlich nicht doch immer nur darauf an, ob der Patient zu seinem Arzt Vertrauen hat, und darf von einem "verständigen" Patienten immer erwartet werden, daß er die Bestimmung des Umfanges der Aufklärung seinem Arzt überläßt?
5. Wie verhindert man, daß der Patient gerade durch die Aufklärung und die damit verbundenen Aufregungen an seiner Gesundheit Schaden erleidet oder daß dadurch die Chancen der Heilung mittels des geplanten Eingriffs vermindert werden?
6. Ab welchem Häufigkeitsgrad eines Operationsrisikos muß aufgeklärt werden?
7. Muß immer der den Eingriff durchführende Chirurg selbst die Aufklärung vornehmen, oder kann er sich auf die Aufklärung anderer Ärzte verlassen?
8. Muß auch über Umstände aufgeklärt werden, die an sich auch bei Nichtmedizinern allgemein bekannt sind?
Der erkennende Senat vertritt zu diesen aufgeworfenen Fragen folgende Auffassung:
1. Nach der in Österreich überwiegend vertretenen Ansicht, welcher sich der Senat anschließt, ist der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des Wohles des Patienten abzugrenzen und erst in zweiter Linie auch unter Bedachtnahme auf sein Selbstbestimmungsrecht (Fleisch ÖJZ 1965, 421, besonders 431 und 433; Stellamor, Ärztliche Berufsordnung 47; Steiner, JBl. 1982, 169). Wenn daher eine Operation unbedingt geboten, wenn auch nicht gerade in dem Sinne der schon erwähnten § 8 Abs. 3 KAG, § 110 Abs. 2 StGB dringend ist, dann hat der Arzt auf Grund der besonderen Persönlichkeitsstruktur seines Patienten abzuwägen, ob er diesen durch eine zu umfangreiche Aufklärung verunsichern und damit unter Umständen bewirken könnte, daß der Patient sich nicht zur Operation entschließt, was wiederum bedeutet, daß der Patient zwar den Risken einer Operation entgeht, dadurch aber die oft ungleich größeren Risken einer Unterlassung der Operation auf sich nehmen muß. Die Aufklärung hat also umsoweniger umfassend zu sein, je notwendiger für die Gesundheit des Patienten der Eingriff ist. Dem Arzt ist in diesem Zusammenhang ein gewisser ärztlicher Beurteilungsspielraum einzuräumen (vgl. Bodenburg in NJW 1981, 601, besonders 604).
2. Bei einem besonders ängstlichen Menschen wird daher die Aufklärung auf ein Minimum beschränkt werden dürfen und müssen, damit ein solcher Patient vor den erwähnten psychischen Pressionen bewahrt wird (vgl. etwa Kamps, Ärztliche Arbeitsteilung und strafrechtliches Fahrlässigkeitsdelikt 112 mit dem Hinweis auf zu befürchtende psychosomatische Beeinträchtigungen, Geilen, Einwilligung und ärztliche Aufklärungspflicht 183 mit dem Hinweis, daß schon eine gedrückte Stimmung im Kampf um Leben oder Tod bei einem schweren Eingriff den Ausschlag geben kann).
3. Gegen seinen Willen soll daher dem Patienten nach dem bisher Gesagten eine Aufklärung nicht aufgenötigt werden. Andererseits geht es aber auch nicht an, daß der Arzt nur aus einer fehlenden Frage des Patienten sozusagen immer konkludent auf den Wunsch des Patienten schließen darf, nicht weiter aufgeklärt werden zu wollen (vgl. Bertel in Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Anm. 8 zu § 110 StGB). Es wird also immer auf die Umstände des Einzelfalles ankommen, inwieweit aus dem Verhalten des Patienten geschlossen werden kann, ob er an einer bestimmten Form der Aufklärung mehr oder weniger interessiert ist.
4. Ein Patient kann seinen Arzt die Einwilligung auch dadurch erteilen, daß er diesem sein Vertrauen bekundet und es ausdrücklich oder konkludent dem Arzt überläßt, zu beurteilen, was für ihn, den Patienten, besser sei: den Eingriff zu wagen oder ihn zu unterlassen (vgl. etwa Holczabek in dem von Csaszar verfaßten Vortragsbericht in ÖJZ 1978, 318).
5. Die auch bei unbedingt gebotenen Eingriffen und bei einem besonders ängstlichen Menschen oder einem nicht auf Aufklärung hinwirkenden Patienten unbedingt nötige Mindestaufklärung über Operationsrisken muß so gestaltet werden, daß sie auf den Patienten nicht beunruhigend wirkt, in Grenzfällen wird sie daher auch gänzlich zu unterlassen sein (vgl. Stellamor, Ärztliche Berufsordnung 49).
6. Für den Häufigkeitsgrad lassen sich keine allgemeinen Richtlinien angeben (abzulehnen ist daher etwa die "Daumenregel" von Lotheissen in RZ 1975, 2 f., 4, wonach erst bei Risken von 10% Wahrscheinlichkeit immer aufzuklären sei, bei Risken von unter 1promill Wahrscheinlichkeit aber nicht). Es kommt vielmehr auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles und dabei vor allem darauf an, ob die nach allgemeiner Erfahrung nicht geradezu ganz seltenen Risken lebensbedrohend sind oder wichtige Körperfunktionen betreffen und ob sie angesichts der mit der Unterlassung des geplanten Eingriffes auf jeden Fall verbundenen Fortdauer der bisherigen Krankheitsfolgen von einem solchen Gewicht sind, daß ein vernünftiger Patient sie ernsthaft in seine Überlegungen einbeziehen muß, ob er lieber mit dem bisherigen Beschwerden weiterleben möchte oder aber die gute Chance einer Heilung mit den demgegenüber viel kleineren Gefahren erkauft (vgl. Fleisch, ÖJZ 1965.421, besonders 433; Loebenstein, ÖJZ 1978, 309).
7. Im Zuge der immer größer werdenden Arbeitsteilung zwischen mehreren Ärzten muß die Aufklärung über die einzelnen Behandlungsrisken nicht von jedem einzelnen Arzt immer wieder wiederholt werden, sondern es hat eine sogenannte permanente oder stufenweise Aufklärung stattzufinden. Den Arzt, der den ärztlichen Eingriff vornimmt, trifft freilich eine Pflicht zur Vergewisserung darüber, ob und inwieweit die Aufklärung schon durch den überweisenden praktischen Arzt oder durch die zu Voruntersuchungen beigezogenen sonstigen Fachärzte vorgenommen wurde (Tempel in NJW 1980, 609, besonders 613 f.).
8. Auf die Kenntnis der nicht medizinisch geschulten Bevölkerung darf sich der Arzt in der Regel nicht verlassen (nicht zu übernehmen ist daher die in dem bei Fleisch und Piegler aaO kritisch besprochenen Fall der Entscheidung 1 Ob 39/59 = KRSlg. 628 vertretene Ansicht, daß gerade für eine Kropfoperation vorausgesetzt werden kann, daß die Gefahr einer Stimmbandverletzung hier "allgemein bekannt" sei).
Was nun speziell Kropfoperationen der vorliegenden Art anlangt, so wurde in der Rechtsprechung des OGH bisher nie eine Aufklärung über die bei Ärzten immer schon bekannte und früher sogar noch größere
Gefahr einer Stimmbandlähmung verlangt (2 Ob 84/55 = KRSlg. 612; 2
Ob 91/56 = KRSlg. 617; SZ 29/16; 1 Ob 39/59 = KRSlg. 628). In der
deutschen Rechtsprechung, wo allerdings dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten seit jeher ein etwas größeres Gewicht beigemessen wird, wurde hier freilich eher der gerade gegenteilige Standpunkt vertreten und die Schädigung des nervus recurrens im Zusammenhang mit einer Schilddrüsenoperation als "Schulfall" eines aufklärungspflichtigen Risikos angesehen, da dies eine dem Arzt bekannte Auswirkung sei und ein spezifisches Risiko dieses Eingriffes darstelle, mit dem ein darüber nicht aus besonderen Gründen bereits unterrichteter Patient nicht zu rechnen pflege (s. aus neuerer Zeit etwa die Fälle NJW 1978, 593 oder NJW 1980, 1333).
Im vorliegenden Fall ergibt sich in Anwendung der oben ausgeführten Grundsätze und in Würdigung aller festgestellten Umstände dieses besonderen Falles, daß die Vorinstanzen mit Recht davon ausgegangen sind, daß der Zweitbeklagte die Klägerin nicht auf die Gefahr einer Stimmbandlähmung aufmerksam machen mußte.
Der Eingriff war bei der Klägerin auf Grund ihres Gesundheitszustandes dringend geboten. Sie litt schon unter Atemnot und befürchtete (objektiv auch mit Recht) die Entstehung eines Krebses.
Sie war andererseits psychisch etwas labil und vor der Operation erregt und ängstlich. Hätte der Zweitbeklagte die Klägerin daher über die Gefahr einer Stimmbandlähmung informiert, so hätte die Gefahr bestanden, daß sich die Klägerin gar nicht zur Operation entscheiden hätte können, was der Zweitbeklagte aber vom medizinischen Gesichtspunkt nicht riskieren konnte, ohne die Gefahr auf sich zu nehmen, der Klägerin unter Umständen dadurch unabsehbaren Schaden zuzufügen (vgl. dazu auch die Hinweise des im Verfahren vernommenen Sachverständigen über die im konkreten Fall gegebene Alternative zwischen einer mit 2.4% Wahrscheinlichkeit eintretenden Heiserkeit oder einer mit 20% zu veranschlagenden konkreten Todesgefahr). Aus dem Umstand, daß die Klägerin schon von einem praktischen Arzt, von der Isotopenstation des Krankenhauses W und von Internisten und Röntgenologen des Krankenhauses der Erstbeklagten untersucht worden war, die alle die Operation nahelegten, konnte der Zweitbeklagte entnehmen, daß die Klägerin an sich zur Vornahme der gegenständlichen Operation bereit sei. Er konnte außerdem annehmen, daß ihm die Klägerin Vertrauen entgegenbringt, weil sie sich schon das dritte Mal von ihm operieren ließ.
Angesichts der stattgefundenen, wenn auch vom Zweitbeklagten nach den getroffenen Feststellungen nicht überprüften Vorbesprechungen mit den anderen Ärzten, das bestehende Vertrauensverhältnisses und der bei vier Besuchen unterbliebenen Fragen nach weiterer Aufklärung konnte der Zweitbeklagte aber auch annehmen, daß die Klägerin sich ihm anvertrauen wolle, ohne eine besondere Aufklärung über die spezifischen Operationsrisken zu erhalten (der Umstand, daß nach den Feststellungen des Erstgerichtes der Zweitbeklagte die Klägerin auch über die allgemeinen Operationsrisken nicht aufgeklärt hat, kann dabei nicht ins Gewicht fallen, da er auf Grund der früheren Operationen diesbezüglich bei der Klägerin eine entsprechende, von den Vorinstanzen im übrigen tatsächlich ohnedies festgestellte Kenntnis voraussetzen durfte). Wenn auch eine Stimmbandlähmung, die im Durchschnitt bei jeder 40. derartigen Operation, also nicht gerade selten auftritt, gewiß eine sehr ernst zu nehmende Gesundheitsschädigung darstellt, so war der Zweitbeklagte unter Rücksichtnahme auf den Heilzweck wegen der Dringlichkeit des Eingriffes im konkreten Fall doch berechtigt, anstatt die Klägerin gerade in ihrer bedrängten Stimmung vor der Operation zu überfordern, auf Grund einer ihm konkludent überlassenen Beurteilung (oben Punkt 4) selbst zu entscheiden, daß der geplante Eingriff wegen der von ihr angestrebten Heilung und der Beseitigung der bestehenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes trotz des bestehenden Operationsrisikos jedenfalls vorgenommen werde. In der Entscheidung des Zweitbeklagten, die Klägerin ohne Aufklärung über die konkreten Operationsrisken zu operieren, kann daher kein eine Schadenersatzpflicht begrundender Verstoß gegen die oben erwähnte Schutznorm des § 8 Abs. 3 KAG erblickt werden.
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