Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Der minderjährigen Jasmin M*****, geboren 24.8.1974, wurde für die Zeit vom 1.9.1989 bis 31.8.1991 ein monatlicher Unterhaltsvorschuß von 3.000 S (Titelvorschuß) bewilligt. Ab 1.10.1989 wurden die Unterhaltsvorschüsse unter Bedachtnahme auf ein Eigeneinkommen an Lehrlingsentschädigung auf 2.500 S monatlich herabgesetzt.
Am 29.10.1990 teilte der Jugendwohlfahrtsträger mit, daß die Minderjährige seit 26.10.1990 in Untersuchungshaft sei.
Ohne weitere Erhebungen faßte daraufhin das Erstgericht den Beschluß auf Einstellung der Unterhaltsvorschüsse mit Wirkung vom 1.11.1990. Es war der Auffassung, daß die Inhaftierung einer Übernahme in öffentliche Pflege im Sinne des § 2 Abs.2 Z 2 UVG vergleichbar sei, denn auch in der Haft sei eine vollkommene Versorgung sichergestellt.
Das Gericht zweiter Instanz änderte den Beschluß des Erstgerichtes im Sinne einer ersatzlosen Behebung ab und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Das Gericht zweiter Instanz verwies darauf, daß durch die Untersuchungshaft die Unterhaltsbedürfnisse nicht voll gedeckt seien; es blieben Fixkosten wie zB Langzeitanschaffungen. Man müsse auch an Kosten für eine sinnvolle Beschäftigung während der Haft, für eine Zusatzverköstigung und an die Verteidigerkosten denken. Bei einer längeren Haft könne allenfalls eine Unterhaltsreduzierung in Betracht kommen. Derzeit fehle es aber an diesen Voraussetzungen. - Die Nichtzulassung des ordentlichen Revisionsrekurses begründete das Gericht zweiter Instanz damit, daß Rechtsfragen in der Qualität des § 14 Abs.1 AußStrG nicht vorlägen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist entgegen diesem Ausspruch zulässig, weil es bisher keine grundsätzliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, aber auch keine Rechtsprechung der Gerichte zweiter Instanz aus den letzten drei Jahren, zum Problem der Untersuchungshaft eines Unterhaltsvorschußberechtigten gibt. Die Entscheidung JBl 1989,209 nimmt zum Bedarf eines in Haft befindlichen Unterhaltsberechtigten Stellung, nicht aber zum Grundsatzproblem.
Der Revisionsrekurs ist aber nicht berechtigt.
Die Herabsetzung oder gänzliche Einstellung schon bewilligter Unterhaltsvorschüsse wegen Verhängung der Untersuchungshaft über den Vorschußberechtigten könnte nur unter folgenden Gesichtspunkten in Betracht kommen:
Gemäß § 2 Abs.2 Z 2 UVG besteht kein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse, wenn das Kind auf Grund einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugenwohlfahrtsrecht in einer Pflegefamilie, in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung untergebracht ist. Die Anordnung der Untersuchungshaft ist weder eine Maßnahme der Sozialhilfe noch eine solche nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht; aber man könnte eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes annehmen, diese Gesetzeslücke durch Analogie schließen und dann die Vorschüsse gemäß § 20 Abs.1 Z 4 a UVG wegen nachträglichen Wegfalls einer der Voraussetzungen ihrer Gewährung einstellen.
Gemäß § 7 Abs.1 Z 1 UVG sind Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit begründete Bedenken bestehen, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist. Man könnte argumentieren, daß der Unterhaltsschuldner für die Dauer der Untersuchungshaft deshalb von der Unterhaltspflicht befreit sei, weil während dieser Zeit ganz oder teilweise von dritter Seite für den Unterhalt gesorgt wird und das Kind in diesem Umfange sozusagen selbsterhaltungsfähig sei. Dann könnten die Vorschüsse gemäß § 19 Abs.1 UVG entsprechend herabgesetzt oder gemäß § 20 Abs.1 Z 4 lit b UVG eingestellt werden.
Nach Ansicht des erkennenden Senates ist aber keiner dieser Wege zielführend:
Dem Gesetzgeber ist die Verhängung der Haft im UVG geläufig, auch wenn nur jene des Unterhaltsschuldners behandelt wird. Man kann daher schwerlich unterstellen, daß der Gesetzgeber an die Verhängung der Haft über den Unterhaltsberechtigten nicht gedacht hätte. Im Hinblick auf die Neufassung des § 2 Abs.2 Z 2 UVG infolge Änderung des öffentlichen Jugendwohlfahrtsrechtes ist unter einer "sonstigen Einrichtung" eine Einrichtung wie ein Kinderdorf oder eine sozialpädagogische Wohngemeinschaft im Sinne des § 12 Abs.1 Z 5 JWG zu verstehen, sicher aber nicht ein Gefangenenhaus.
Davon abgesehen, daß schwer eine echte Gesetzeslücke angenommen werden kann, gibt es aber auch beachtliche Gründe dafür, daß die fragliche Regelung nur für Maßnahmen der Sozialhilfe und der öffentlichen Jugendwohlfahrt gilt. In diesen beiden Fällen hat zunächst ein anderer Rechtsträger für die Kosten aufzukommen, mag dann auch ein Rückgriff auf den Unterhaltsschuldner möglich sein. Es soll also nicht der Bund einen anderen Rechtsträger bevorschussen müssen. Dazu kommt, daß während der Untersuchungshaft nicht in gleicher Weise für die Bedürfnisse gesorgt wird, wie dies bei einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der öffentlichen Jugendwohlfahrt der Fall ist.
Bei der Beurteilung der Bedürfnisse des Kindes ist zunächst zu bedenken, daß die Untersuchungshaft oft nur kurz dauert (im vorliegenden Fall zB vom 26.10.1990 bis 11.12.1990). Für eine in der Regel also doch nur relativ kurze Zeitdauer entfällt daher zunächst wohl ein Großteil des Aufwandes für Verpflegung und einige andere Bedürfnisse, es verbleiben aber doch, wie das Gericht zweiter Instanz zutreffend ausführte, beachtliche Fixkosten. Der Elternteil, dem die Obsorge zukommt, kann nicht sofort eine kleinere Wohnung nehmen, er muß weiter für die Kleidung aufkommen und für gewisse Bedürfnisse (zB Zusatzverpflegung) sorgen. Es kann daher nicht gesagt werden, daß dem Unterhaltsschuldner in einem solchen Fall immer sofort ein Recht auf Herabsetzung des Unterhaltes zustehe. Auch in der angeführten Entscheidung JBl 1980,209 wird nur in der Regel angenommen, daß eine Herabsetzung in Betracht kommt, wenn die Dauer der Haft zu einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse führt. Im vorliegenden Fall ist überdies zu bedenken, daß die Unterhaltsvorschüsse wegen der Lehrlingsentschädigung von ca 2.000 S monatlich um 500 S reduziert worden waren. Durch die Verhängung der Untersuchungshaft fiel dieses teilweise Eigeneinkommen des Kindes wieder weg.
Auch ohne Bedachtnahme auf die vom Gericht zweiter Instanz ins Spiel gebrachten Verteidigungskosten liegen daher jedenfalls für die erste Zeit nach der Verhängung der Untersuchungshaft die Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Unterhaltspflicht noch nicht vor.
Eine Verwirkung des Unterhaltsanspruches des Kindes infolge mangelnden Wohlverhaltens ist dem österreichischen Unterhaltsrecht, aber auch dem UVG fremd. Nur wenn aus dem Verschulden des Kindes Mehrkosten entstehen oder kein Eigeneinkommen erzielt wird, könnte eine Einschränkung des Unterhaltsanspruches in Frage kommen (vgl dazu Pichler in Rummel, ABGB2, Rz 15 zu § 140 mwN). Es kam daher auch nicht das im Revisionsrekurs angedeutete Innehalten mit der Vorschußgewährung und ein Zuwarten bis zum Ausgang des Strafverfahrens in Betracht.
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