OGH 3Ob503/58

OGH3Ob503/5812.3.1959

SZ 32/35

Normen

Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrversicherung §1 Abs2
Versicherungsvertragsgesetz 1958 §38
Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrversicherung §1 Abs2
Versicherungsvertragsgesetz 1958 §38

 

Spruch:

Die Bestimmung des § 1 Abs. 2 Satz 3 AKB. verstößt, soweit sie die vorläufige Deckung mit rückwirkender Kraft beseitigt, gegen zwingende Bestimmungen des Versicherungsvertragsgesetzes. Fordert der Versicherer nach Ablauf der im § 38 Abs. 1 VersVG. 1958 vorgesehenen Frist die Prämie und nimmt er die Zahlung des Versicherungsnehmers an, so kann er sich unbeschadet einer allfälligen Haftungsfreiheit nicht auf den Rücktritt vom Vertrag berufen.

Entscheidung vom 12. März 1959, 3 Ob 503/58.

I. Instanz: Bezirksgericht Haag am Hausruck; II. Instanz:

Kreisgericht Wels.

Text

Am 1. März 1956 stellte der Beklagte an die Klägerin einen Antrag auf Abschluß einer Haftpflichtversicherung für den ihm gehörigen Personenkraftwagen. Die Klägerin gab ihm bis zum Wirksamwerden der Versicherung eine Deckungszusage und ermöglichte ihm so die Inbetriebnahme seines Kraftfahrzeuges. Am 1. April 1956 verursachte Hermann M. mit diesem Wagen einen vom Beklagten zu vertretenden Unfall, wodurch Alois B. einen Schaden von 4780 S, den die Klägerin ersetzte, erlitt. Am 8. September 1956 wurde dem Beklagten die Polizze übermittelt, jedoch von ihm nicht rechtzeitig eingelöst. Er zahlte die Prämie erst am 16. September 1957. Inzwischen hatte die Klägerin bereits am 14. September 1957 eine Mahnklage auf Zahlung der rückständigen Prämie eingebracht. Der Beklagte erhob gegen den Zahlungsbefehl keinen Widerspruch.

Die Klägerin begehrt nun vom Beklagten gemäß § 158f VersVG. 1958 den Ersatz des ausgelegten Betrages von 4780 S, da infolge des Verzuges in der Prämienzahlung Leistungsfreiheit eingetreten und sie selbst nur im Verhältnis zum Dritten haftbar sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es sei in erster Instanz nicht erörtert worden, ob nicht die Klägerin auf Grund des § 1 Abs. 2 AKB. haftungsfrei sei, weil der Beklagte die Polizze nicht rechtzeitig eingelöst habe. Zu diesem rückwirkenden Außerkrafttreten des Versicherungsschutzes sei es aber erforderlich, daß der Versicherungsantrag unverändert angenommen worden sei, worüber Feststellungen fehlten. Sollte das Erstgericht dies annehmen, so wäre weiters zu erörtern, welche Bedeutung es habe, daß die Klägerin die erste Jahresprämie eingeklagt habe.

Der Oberste Gerichtshof hob auf Rekurs des Beklagten diesen Beschluß auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Versicherungsfall ereignete sich vor Annahme des Antrages während der Zeit, für welche die vorläufige Deckungszusage galt. Nach § 1 Abs. 2 Satz 3 AKB. tritt die vorläufige Deckung rückwirkend außer Kraft, wenn der Versicherungsschein nicht unverzüglich eingelöst wird. Der Beklagte meint, daß diese Bestimmung versicherungsrechtlichen Grundsätzen widerspreche und gegen die guten Sitten verstoße. Der deutsche Bundesgerichtshof hat die wiederholt gegen diese Bestimmung erhobenen Bedenken für nicht berechtigt Gehalten (BGHZ. 21, 122; VersR. 1958 S. 173). Er meint, es widerspreche nicht den allgemeinen Grundsätzen des Versicherungsrechtes, wenn die Versicherungsbedingungen unter bestimmten Voraussetzungen das nachträgliche Erlöschen eines bereits entstandenen Versicherungsanspruches vorsähen, und verweist dabei auf den Fall der Obliegenheitsverletzung im § 6 Abs. 3 VersVG. Es könne nach dieser Ansicht keinen Unterschied machen, ob lediglich die Leistungspflicht des Versicherers entfallen solle oder ob das ganze bisherige Deckungsverhältnis rückwirkend aufgelöst werde.

Der Oberste Gerichtshof vermag sich dieser Ansicht nicht anzuschließen.

Nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 AKB. mag es zweifelhaft sein, ob der Deckungsvertrag als solcher rückwirkend aufgelöst werden soll, was dann angenommen werden müßte, wenn die Deckungszusage als selbständiger Versicherungsvertrag angesehen wird (vgl. 3 Ob 547/56, ferner VersR. 1958 S. 173), oder ob bloß die Leistungsfreiheit nach § 38 Abs. 2 VersVG. 1958, die durch die Deckungszusage zunächst abgedungen worden war, wiederhergestellt werden soll, was begrifflich nur dann möglich wäre, wenn in der Deckungszusage kein selbständiger Vertrag erblickt wird. Es muß untersucht werden, ob die Vereinbarung der rückwirkenden Auflösung eines Versicherungsvertrages, d. h. der Abschluß eines Versicherungsvertrages unter einer auflösenden Bedingung, in diesem Fall zulässig ist. Vertragsfreiheit herrscht diesbezüglich nur so weit, als nicht zwingende, zum Schutz des Versicherungsnehmers getroffene Bestimmungen verletzt oder umgangen werden. Auflösende Bedingungen müssen von diesem Gesichtspunkt aus besonders vorsichtig ausgelegt werden. Sie sind besonders dann bedenklich, wenn sie unter Aufrechterhaltung des Vertrages nur eine Bedingung für die Leistungspflicht darstellen, denn diesbezüglich müssen die zwingenden Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes über Verschuldens-, Kausalitäts- und Klarstellungserfordernisse (§ 6 VersVG. 1958) und über die Folgen des Prämienverzuges (§§ 38, 39 VersVG. 1958) beachtet werden. Nun stellt die Bestimmung des § 38 Abs. 2 VersVG. 1958 auf die Leistungsfreiheit im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles ab. Infolge der Deckungszusage war in diesem Zeitpunkt Leistungsfreiheit nicht gegeben. Eine Vertragsbestimmung, die die bereits eingetretene Leistungspflicht rückwirkend wegen eines späteren Prämienverzuges vernichtet, stellt daher eine Verwirkungsabrede dar, die durch § 38 VersVG. 1958 nicht gedeckt ist und eine Abänderung dieser zwingenden Bestimmung zum Nachteil des Versicherungsnehmers bedeutet. Die Verzugsfolgen sind in den §§ 38 und 39 VersVG. 1958 erschöpfend geregelt. Dies deshalb, weil das Versicherungsvertragsgesetz die Möglichkeiten der Leistungsfreiheit und der Verwirkung des Anspruchs durch die zwingende Regelung der Folgen der Nichtzahlung oder nicht rechtzeitigen Zahlung der Prämie beschränken will. Dieser Regelung ist aber der Gedanke, daß die Leistungspflicht für einen bereits eingetretenen Versicherungsfall durch einen nachträglichen Prämienverzug wieder vernichtet werden könnte, fremd. Er kann daher, da er sich immer nur zum Nachteil des Versicherungsnehmers auswirken kann, auch nicht vertraglich festgelegt werden, und zwar auch nicht im Weg einer auflösenden Vertragsbedingung, weil diese nur eine Umgehung der Vorschriften der §§ 38, 39 VersVG. 1958 darstellen würde. Demgegenüber nützt auch die Erwägung nichts, daß es der Versicherer in der Hand hatte, die Leistungsfreiheit vor Zahlung der Erstprämie dadurch zu erreichen, daß er keine Deckungszusage gab, und es ihm daher auch freistehen müsse, durch Rückziehung der Deckungszusage oder die Erteilung der Zusage unter einer auflösenden Bedingung die gesetzlich zulässige Leistungsfreiheit wieder eintreten zu lassen. Dabei wird übersehen, daß die Vertragsfreiheit nur für den Abschluß des Deckungsvertrages gilt, nicht aber für die Folgen des abgeschlossenen Vertrages. Diese können sich nur nach den zwingenden Bestimmungen des Versicherungsvertragsgesetzes richten, die immer auf die Sicherung der Rechtswirksamkeit des Versicherungsvertrages und die Einschränkung der Verwirkung des Versicherungsanspruches auf die gesetzlich zulässigen Fälle gerichtet sind, weshalb der Rücktritt und die Verwirkung des Anspruches besonders eingeschränkt werden (vgl. die §§ 6 Abs. 3 und 4, 38, 39 VersVG. 1958).

Die Bestimmung des § 1 Abs. 2 Satz 3 AKB. verstößt daher, soweit sie die vorläufige Deckung mit rückwirkender Kraft beseitigt, gegen zwingende Bestimmungen des Versicherungsvertragsgesetzes, so daß sich der Versicherer auf diese Bestimmung nicht mit Erfolg berufen konnte. Daß dies im Ergebnis richtig sein muß, ergibt sich auch aus folgender Erwägung: könnte der Versicherer die Haftung, wie dies im § 1 Abs. 2 AKB. vorgesehen ist, rückwirkend außer Kraft setzen, dann wäre der Versicherungsnehmer, dessen Antrag angenommen wurde, schlechter gestellt als jener Antragsteller, dessen Antrag abgelehnt wurde. Denn letzterem bleibt bis zur Ablehnung oder Kündigung der Versicherungsschutz erhalten, während für ersteren trotz aufrechter voller Prämienzahlungspflicht der Versicherungsschutz von Anfang an nicht bestunde. Es wäre also gerade der Antragsteller besser gestellt, den der Versicherer ablehnt, und jener schlechter gestellt, den er akzeptiert.

Es ist daher lediglich zu erörtern, ob die Versicherungsgesellschaft, weil sie nicht binnen drei Monaten nach Fälligkeit der Prämie eingeklagt hat, gemäß § 38 Abs. 1 VersVG. 1958 als vom Vertrag zurückgetreten anzusehen ist. Diese Frage hat mit der der Leistungsfreiheit nach dem zweiten Absatz nichts zu tun. Es ist der Klägerin zuzugeben, daß diese gesetzliche Vermutung nicht dadurch widerlegt werden kann, daß etwa aus dem Verhalten des Versicherers während dieser Zeit das Gegenteil erschlossen wird. Es ist aber ohne weiteres zulässig, nach Ablauf der dreimonatigen Frist zu vereinbaren, daß das Versicherungsverhältnis ungeachtet der genannten Bestimmung bestehen bleiben und der Rücktritt vom Vertrag aufgehoben sein soll. Einer solchen Vereinbarung steht keine gesetzliche Bestimmung im Wege. Die nachträgliche gerichtliche Einklagung und Annahme der Prämie stellt eine derartige Vereinbarung dar. Denn dieses Verhalten läßt keinen anderen vernünftigen Grund übrig (§ 863 ABGB.), als daß das Versicherungsverhältnis weiterbestehen soll, und zwar für die Zeit, auf welche die Prämie entfällt. Wenn Rücktritt nach § 38 Abs. 1 VersVG. 1958 anzunehmen ist, gebührt dem Versicherer nach § 40 Abs. 2 VersVG. 1958 keine Prämie, sondern nur eine angemessene Geschäftsgebühr. Die Klägerin kann nicht einerseits die Prämie einklagen und annehmen, andererseits aber sich auf den Standpunkt stellen; sie sei vom Vertrag zurückgetreten.

Die vom Berufungsgericht vermißten Erörterungen und Feststellungen sind demnach entbehrlich, so daß die Sache bereits spruchreif ist.

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