OGH 3Ob480/53

OGH3Ob480/5322.12.1954

SZ 27/328

Normen

VersVG §38
VersVG §38

 

Spruch:

Der Versicherer haftet trotz nicht rechtzeitiger oder nicht ordnungsmäßiger Zahlung der Prämie, wenn dies auf einem Umstand beruht, der dem Versicherer zur Last fällt.

Entscheidung vom 22. Dezember 1954, 3 Ob 480/53.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Kläger hat mit der beklagten Partei Ende Juni 1952 eine Reisegepäckversicherung für einen Monat (Juli 1952) abgeschlossen. Die Beklagte stellte zwei Polizzen aus und übermittelte sie dem Kläger. Die Polizzen enthalten die Bestimmung: "Die Versicherung beginnt nach erfolgter Prämienzahlung ...". Die Prämie wurde vom Kläger bei Erhalt der Polizzen nicht bezahlt. Auf Veranlassung des Klägers überwies am 7. Juli 1952 sein Vater Wenzel F. von seinem eigenen Postscheckkonto die Prämie von 210 S auf das Scheckkonto Nr. 107.961 "Europäische Güter- und Reisegepäck-Versicherung Wien". Am gleichen Tage trat der Kläger mit seinem Kraftwagen eine Fahrt nach Frankreich an. Der Überweisungsauftrag konnte von der Österreichischen Postsparkasse nicht durchgeführt werden, weil das bezeichnete Konto seit 19. Mai 1952 erloschen war. Dieses Konto hatte die Europäische Güter- und Reisegepäck-Versicherung Aktiengesellschaft Berlin, Zweigniederlassung Wien I. gehabt, der mit einem Erlaß des Bundesministeriums für Finanzen vom 5. Mai 1947 der Neuabschluß von Versicherungsverträgen untersagt worden war. Mit ihr ist die beklagte Partei, die im Jahre 1947 gegrundet wurde, nicht ident, es besteht auch keine Rechtsnachfolge. Das Postscheckkonto der beklagten Partei trägt die Nummer 35.359. Nach seiner Rückkehr aus Frankreich überwies der Kläger am 2. August 1952 vom Postscheckkonto seines Vaters der Beklagten die Prämie.

Der Kläger brachte vor, er habe die Postschecknummer 107.961 durch telephonischen Anruf bei der Beklagten am 7. Juli 1952 ermittelt.

In der Nacht zum 17. Juli 1952 sei in Paris sein Kraftwagen erbrochen und seien daraus Sachen im Wert von zusammen 10.330 S entwendet worden. Er habe beim zuständigen Polizeikommissariat die Anzeige und nach seiner Rückkehr am 29. Juli 1952 unter Vorweisung der Polizzen und einer Bestätigung der Polizei über die Erstattung der Anzeige die Schadensmeldung bei der beklagten Partei erstattet.

Der Kläger begehrte Zahlung des Betrages von 10.330 S samt 4% seit 2. September 1952.

Die Beklagte wandte ein: Leistungsbefreiung wegen nicht rechtzeitiger Bezahlung der Prämie, Obliegenheitsverletzung durch den Kläger vor Eintritt des Schadensfalles, unrichtige Angabe der Schadenshöhe, Unrichtigkeit der Behauptungen über die Erhebung der Scheckkontonummer.

Das Prozeßgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, daß die beklagte Partei dem Kläger weder aus dem Versicherungsvertrag noch nach Schadenersatzgrundsätzen hafte. Es nahm die Angaben des Klägers, daß er telephonisch von irgendjemandem im Betriebe der beklagten Partei eine falsche Kontonummer erfahren habe, als nicht erwiesen an.

Infolge Berufung der klagenden Partei hat das Berufungsgericht das Ersturteil bestätigt.

Der Oberste Gerichtshof bestätigte das Berufungsurteil.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Gründen:

Wenn auch nach § 38 Abs. 2 VVG. ein Verschulden des Versicherungsnehmers an der nicht rechtzeitigen Zahlung der Prämie nicht vorausgesetzt wird, so ist doch unbestritten, daß der Versicherer trotz nicht rechtzeitiger oder nicht ordnungsmäßiger Zahlung dann haftet, wenn die nicht rechtzeitige und ordnungsmäßige Zahlung auf einem Umstand beruht, der dem Versicherer zur Last fällt (vgl. z. B. Raiser, Kommentar zu den FVB., 2. Aufl., Anm. 21 und 43 zu § 9 FVB.; Rölli, Komm. zum schweizerischen VVG. I 274; Fanelli, Le assicurazioni privati nella giurisprudenza italiana I 109, unter Berufung auf die Entscheidung des Kassationshofes vom 26. April 1926, Foro italiano 1926 I 1035).

Jede neue Firma muß sich von allen am selben Ort bereits bestehenden und im Handelsregister eingetragenen Firmen deutlich unterscheiden (§ 30 Abs. 1 HGB.). Der Zusatz "Zweigniederlassung" ist für sich allein nicht geeignet, die Unternehmen zweier gleichlautender Firmen zu unterscheiden. Das muß um so mehr dann gelten, wenn ein neues - bis auf den Zusatz "Zweigniederlassung" - gleichlautendes Unternehmen nach Einstellung des Geschäftsbetriebes des älteren Unternehmens gleichen Firmenwortlautes im selben Geschäftslokal geführt wird und das neue Unternehmen Telefonnummer und Personal des älteren stillgelegten Unternehmens übernimmt.

Hat das Registergericht nichtsdestoweniger die Eintragung der neuen Firma gestattet, so obliegt dem neu gegrundeten Unternehmen eine besondere Sorgfaltspflicht, im Verkehr alles vorzukehren, um eine Verwechslung auszuschließen.

Im vorliegenden Fall steht nun nach der Auskunft des Österreichischen Postsparkassenamtes fest, daß beide in Betracht kommenden Firmen Scheckkonten besaßen, deren Wortlaut sich nur dadurch unterschied, daß das Konto der älteren Firma (Europäische Güter- und Reisegepäck-Versicherungs-Aktiengesellschaft - die Ortsbezeichnung Berlin fehlt im Kontowortlaut -) den Beisatz "Zweigniederlassung Wien" enthält.

Bei dieser Sachlage taucht die Frage auf, ob die beklagte Partei dadurch, daß sie es unterlassen hat, auf ihren Geschäftspapieren, insbesondere auf ihren Versicherungspolizzen, die Nummer ihres Postsparkassenscheckkontos anzuführen, und daß sie es weiter unterlassen hat, anläßlich der Überbringung der Polizze dem nicht angetroffenen Versicherungsnehmer einen Posterlagschein zurückzulassen, den Irrtum des Klägers, gleichviel auf welche Weise dieser auf die falsche Kontonummer gekommen ist, veranlaßt hat und ob ihr der Irrtum des Klägers wegen eines ihr zur Last fallenden Verstoßes gegen die Pflichten eines ordentlichen Versicherers zuzurechnen ist. Diese Frage kann aber auf sich beruhen, weil auch dann, wenn sie zu bejahen wäre, die Rechtslage letztlich keine Änderung erführe. Denn es ist festgestellt, daß das Postsparkassenamt, nachdem anfangs Juli 1952 auf das geschlossene Scheckkonto ein Überweisungsauftrag aus dem Konto des Vaters des Klägers einging, den Vater des Klägers als Kontoinhaber des Scheckkontos Nr. 97.611 von der Nichtdurchführbarkeit des Auftrages am 7. Juli 1952 in Kenntnis gesetzt hat. Der Vater des Klägers will diesen Brief, der sein eigenes Konto betraf, nicht gelesen und überhaupt sich um die eingehende Korrespondenz während der Abwesenheit seines Sohnes nicht gekümmert haben, weil er der Ansicht war, daß während der vierwöchigen Abwesenheit seines Sohnes nichts geschehen würde. Anderseits hat der Vater des Klägers allerdings angegeben, daß er noch ein Geschäft habe und der Geldverkehr mit seinen Geschäftsfreunden über sein Konto laufe.

Daraus ergeben sich nachstehende rechtliche Folgerungen: Der Kläger hat seinen Vater beauftragt, von seinem (des Vaters) Konto die Prämienschuld zu bezahlen. In diesem Auftrag liegt aber zugleich die Ermächtigung an die Postsparkasse, den Kontoinhaber davon zu verständigen, daß die Zahlung auf ein unrichtiges Konto geleistet worden ist. Die Verständigung des Beauftragten des Klägers ist rechtlich als Verständigung des Klägers selbst zu werten. Mit dem Einlangen der Verständigung bei seinem Vater ist der Kläger, rechtlich gesehen, selbst darüber aufgeklärt worden, daß die Zahlung auf ein unrichtiges Konto geleistet worden ist. Daß der Bevollmächtigte das Verständigungsschreiben nicht aufgemacht hat, ist ebenso bedeutungslos, wie wenn der Vollmachtgeber selbst einen ihm zugekommenen Brief nicht eröffnet hätte. Entscheidend ist, daß bei rechtzeitiger Eröffnung des Briefes genügend Zeit vorhanden gewesen wäre die Prämie noch vor dem Schadensfall einzuzahlen. Ebensowenig weil sich der Kläger hätte er wirklich eine falsche Auskunft über die Nummer des Scheckkontos der beklagten Partei von einem Angestellten erhalten, und wäre dann der Irrtum am nächsten Tage brieflich aufgeklärt worden, damit ausreden könnte, er hätte das Berichtigungsschreiben nicht gelesen, kann er das Unterbleiben der rechtzeitigen Prämienzahlung mit der Unterlassung seines Vaters rechtfertigen.

Es ist daher davon auszugehen, daß letzten Endes doch der Grund für das Unterbleiben der Prämienzahlung vor dem Schadensfall auf seiten des Klägers und nicht der beklagten Partei liegt.

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