Spruch:
Zulässigkeit der Revision ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht entschieden hat, wenn das Berufungsgericht das Urteil erster Instanz zum Teil bestätigt und zum Teil gemäß § 496 ZPO. aufgehoben hat.
Entscheidung vom 28. April 1954, 3 Ob 46, 47/54.
I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.
Text
Die Kläger behaupten, sie haben in der Wirtschaft des Valentin J.,
u. zw. Johann Z. von 1921 bis 31. Juli 1952, Anna Z. von 1947 bis 31. Juli 1952, landwirtschaftliche Arbeiten geleistet. Die Arbeiten des Johann Z. in den Jahren 1921 bis 1923 wurden abgegolten. Für die später geleisteten Dienste stehe ihm ein Entgelt von 36.360 S zu. Da er Naturalleistungen im Werte von 3322 S erhalten habe, verbleibe eine Forderung von 33.038 S. Der Klägerin Anna Z. stehe ein Anspruch auf Zahlung von 18.252 S zu. Die Kläger hätten ihren Anspruch bisher nicht geltend gemacht, da Valentin J. dem Erstkläger versprochen habe, ihm den H.-Besitz zu vererben. Der Erblasser habe zwar am 28. November 1950 den Erstkläger testamentarisch zum Erben eingesetzt, jedoch am 28. Juli 1952 dieses Testament durch ein anderes ersetzt. Nach dem am 31. Juli 1952 erfolgten Ableben des Erblassers machten die Kläger am 22. September 1952 ihre Lohnforderungen beim Arbeitsgerichte geltend, wobei sie sich auf den stillschweigenden Abschluß eines Dienstvertrages beriefen. Hilfsweise wurde der Anspruch auch auf den Titel der Bereicherung gestützt.
Das Arbeitsgericht hat am 7. Jänner 1953 seine Unzuständigkeit ausgesprochen und die Sache an das Landesgericht Klagenfurt überwiesen. Dieser Beschluß ist in Rechtskraft erwachsen. Am 5. Feber 1953 schränkte der Erstkläger sein Begehren auf 32.680.28 S s. A. ein, die Zweitklägerin ihr Begehren auf 18.173.11 S s. A. Das Gericht erster Instanz hat die Klagsbehauptungen zum Teil als erwiesen angenommen und dem Erstkläger für die Zeiten von 1923 bis 1928 und von 1945 bis 31. Juli 1952 11.898 S s. A. zuerkannt. Es berücksichtigte hiebei, daß der Erblasser dem Erstkläger zwecks Entlohnung seiner Arbeiten 5000 S vermacht hat, und brachte diesen Betrag von der Klagsforderung in Abzug.
Der Klägerin Anna Z. sprach es 6000 S s. A. zu. Die Mehrbegehren wurden abgewiesen.
Der Erstkläger machte in der Berufung geltend, daß ihm für die Zeit von 1945 bis 1952 um 2642 S mehr gebühren und daß das Legat von 5000 S nicht hätte in Anschlag gebracht werden dürfen. Die beklagte Partei beantragte in ihrer Berufung die gänzliche Abweisung beider Klagen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Erstklägers keine Folge. Hingegen hob es auf Grund der Berufung der beklagten Partei den stattgebenden Ausspruch der ersten Instanz unter Rechtskraftvorbehalt auf.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Erstklägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Da das Berufungsgericht rücksichtlich des Betrages von 6200 S das erstrichterliche Urteil bestätigt hat, so erhebt sich zunächst die Frage, ob die Revision zulässig ist, obwohl der Betrag, über den das Berufungsgericht urteilsmäßig erkannt hat, 10.000 S nicht übersteigt.
Mit Jud. 56 neu hat der Oberste Gerichtshof für alle Senate des Obersten Gerichtshofes bindend festgestellt, daß die Bestimmung des § 502 Abs. 3 ZPO., wonach die Revision gegen ein bestätigendes Urteil des Berufungsgerichtes ausgeschlossen ist, wenn der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat, 10.000 S nicht übersteigt, auf bloß teilweise bestätigende Urteile nicht anwendbar ist. Die Frage, ob derselbe Grundsatz auch dann gilt, wenn das Berufungsgericht das erstrichterliche Urteil teils bestätigt, teils aufgehoben hat, ist vom Jud. 56 nicht ausdrücklich entschieden worden. Sie ist in einer dem Jud. 56 nachfolgenden Entscheidung verneint (E. v. 17. Dezember 1952, JBl. 1953, S. 188), in einer anderen dagegen bejaht worden. (E. v. 28. Jänner 1953, JBl. 1953, S. 352).
Die erstangeführte Entscheidung 2 Ob 832, 833/52 hat die Unzulässigkeit der Revision mit der formalen Erwägung begrundet, daß bei teilweiser Bestätigung und teilweiser Aufhebung über den Streitgegenstand nicht urteilsmäßig entschieden werde; das sei aber im § 502 Abs. 3 ZPO. vorausgesetzt. Es liege hier nicht eine einheitliche Entscheidung vor, vielmehr seien ein Teilurteil, soweit bestätigt wurde, und ein Teilverweisungsbeschluß, soweit aufgehoben wurde, zu unterscheiden. Wenn daher der Betrag, über den urteilsmäßig mit Teilurteil erkannt wurde, 10.000 S nicht übersteigt, so könne die Revision nicht zugelassen werden.
Die Entscheidung 3 Ob 33/53 hat gegenüber dieser formalen Auslegung des Gesetzes auf die ratio der Vorschrift des § 500 Abs. 2 ZPO. das Schwergewicht gelegt. Sie geht auf den Grundgedanken zurück, warum bei nur teilweisen bestätigenden Urteilen ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes die Revision zugelassen ist, und schließt daraus, daß gegen ein bestätigendes Teilurteil auch dann die Revision an den Obersten Gerichtshof zuzulassen ist, wenn das Berufungsgericht gleichzeitig bezüglich der weiteren Teilbeträge die Sache an die erste Instanz zurückgewiesen hat.
An dieser Auslegung hält der Oberste Gerichtshof nach neuerlicher Überprüfung der Frage fest.
Die Entscheidung 2 Ob 832, 833/52 legt den Wortlaut des Abs. 3 einschränkend dahin aus, als ob es im Abs. 3 heißen würde, "über den das Berufungsgericht urteilsmäßig entschieden hat", dadurch gelangt sie dazu, die Verbindung vom teilweisen Aufhebungsbeschluß und bestätigenden Teilurteil zu ignorieren und das Teilurteil zu isolieren, als ob es nur auf den Teilstreitwert ankäme, über den urteilsmäßig entschieden wurde. Diese Isolierung wird dadurch ermöglicht, daß "Entscheidung" mit "Urteil" identifiziert wird. Tatsächlich versteht aber das Gesetz unter "Entscheidungen" nicht nur die Urteile, sondern auch die Beschlüsse (§ 425 Abs. 1 ZPO., § 528 Abs. 1 ZPO.). Auch ein Aufhebungsbeschluß ist eine Entscheidung, daher ist ein Revisionsrekurs gemäß § 528 ZPO. gegen eine Kostenentscheidung auch dann unzulässig, wenn die Sache zur Entscheidung über die Kosten an das Erstgericht verwiesen worden ist. (Jud. 13 neu). Es muß daher im § 502 Abs. 3 ZPO. zwischen der Bestätigung durch Urteil des Berufungsgerichtes einerseits und der Entscheidung über einen 10.000 S nicht übersteigenden Streitwert, die durch Urteil aber auch teilweise im Wege eines Aufhebungsbeschlusses erfolgen kann, unterschieden werden. Da nach dem alle Senate des Obersten Gerichtshofes bindenden Jud. 56 nur eine uneingeschränkte Bestätigung die Revision bei einem Streitwert unter 10.000 S ausschließt, so kann es darauf, ob der nichtbestätigende Teil der Entscheidung im Wege der Abänderung oder Aufhebung ergangen ist, nicht ankommen. Die Verbindung des Aufhebungsbeschlusses mit nur teilweise bestätigender Entscheidung des Berufungsgerichtes schließt die Revisionsbeschränkung nach Abs. 3 aus.
Aber selbst, wenn man annehmen wollte, Abs. 3 sei so auszulegen, als ob im zweiten Halbsatz von einer urteilsmäßigen Entscheidung die Rede wäre, so müßte der Grundsatz des Jud. 56 sinngemäß auch auf den Fall ausgedehnt werden, daß über den Streitgegenstand durch kombiniertes bestätigendes Teilurteil und durch Aufhebungsbeschluß entschieden wird, weil vermieden werden muß, wie 3 Ob 33/53 ausgeführt hat, daß der Oberste Gerichtshof bei der Überprüfung eines nachfolgenden stattgebenden Urteils zweiter Instanz - bezüglich des vom seinerzeitigen Aufhebungsbeschluß betroffenen Teilanspruches - abweichend von der vom Berufungsgericht vertretenen Rechtsauffassung im seinerzeitigen "unanfechtbaren" Teilurteil entscheidet, sodaß in ein und derselben Sache zwei widersprechende Entscheidungen ergehen, nur deshalb, weil dem Obersten Gerichtshof durch Unterbindung der Anfechtung des Teilurteils die Möglichkeit benommen wurde, die Fehlentscheidung der zweiten Instanz zu kassieren (abzuändern).
Der Oberste Gerichtshof ist entgegen einer im Schrifttum vertretenen Meinung der Auffassung, daß es nicht angängig ist, sich damit abzufinden, daß bei dem derzeitigen Gesetzeswortlaut es hingenommen werden müsse, daß über einzelne Teile eines einheitlichen Anspruchs widersprechende Entscheidungen ergehen. Der Oberste Gerichtshof ist vielmehr der Auffassung, daß den Gerichten die Aufgabe obliegt, durch einschränkende oder ausdehnende Interpretation eine dem Recht und der Billigkeit entsprechende Entscheidung zu finden, es sei denn, die als unzweckmäßig empfundene Lösung wäre vom Gesetzgeber geradezu bedacht und beschlossen. Der Oberste Gerichtshof ist kein Rechtsprechungsapparat, von dem man eine nach logizistischen Grundsätzen abgeleitete Entscheidung erwartet, sondern ein Organismus, dem die Aufgabe zufällt, das richtige Recht durch entsprechende Auslegung des Gesetzes zu finden, und der notfalls, wenn die formale Anwendung des Gesetzes auf einen konkreten Fall zu einem offenbar verfehlten Ergebnis führt, zu distinguieren und auszusprechen hat, daß die anscheinend auf den Fall dem Wortlaut nach anwendbaren Bestimmungen wegen der Unbrauchbarkeit der formalen Interpretation nicht angewendet werden können, daß also im Sinne des § 7 ABGB. die richtige Lösung aus der Gesamtheit unserer Rechtsordnung heraus gefunden werden muß.
Das gilt für das Prozeßrecht genau so wie für das materielle Recht. Von diesen Erwägungen aus gelangt der Oberste Gerichtshof zu dem Ergebnis, daß die Nichtanwendbarkeit des § 502 Abs. 3 ZPO. nicht voraussetzt, daß mit Endurteil abschließend über den ganzen, dem Berufungsgericht zur Entscheidung vorgelegten Anspruch entschieden worden ist, sondern daß es genügt, daß auch nur über einen Teil des Anspruches mit Teilurteil entschieden werde, im übrigen aber das erstrichterliche Urteil aufgehoben worden ist. Die Natur des Teilurteils wird durch diese Verbindung gewiß nicht berührt, auch die Vorschriften über die Anfechtung des Teilurteils gelten unverändert; die Verbindung des Teilurteils mit dem Aufhebungsbeschluß hat aber die Folge, daß das Revisionsverfahren ohne Rücksicht auf den Streitwert zugelassen ist. Das ist keineswegs eine Sonderregelung des § 502 Abs. 3 ZPO. Ihr entspricht die Praxis der Gerichte, die die Anwendbarkeit des Bagatellverfahrens ablehnt, wenn über einen einheitlichen Anspruch durch mehrere Teilurteile entschieden wird, die einzeln die Bagatellgrenze nicht überschreiten (SZ. XVI/144 u. a. m.).
Der Oberste Gerichtshof bejaht daher die Zulässigkeit der vorliegenden Revision.
Das Rechtsmittel ist aber nicht begrundet.
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