Spruch:
Zwischen dem Kläger und dem Dritten, der eine nach Name, Beruf und Anschrift auf ihn passende, aber gegen einen anderen gerichtete Klage in Empfang genommen hat, entsteht ein unechtes Prozeßverhältnis. Dem Dritten kommt ein Antrags- und Rekursrecht zur Art der Beendigung dieses Verhältnisses zu.
Entscheidung vom 23. November 1960, 3 Ob 415/60.
I. Instanz: Bezirksgericht Floridsdorf; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Im Vorakt wurde die Klage des Josef B. gegen den mj. Johann A. (seinen Neffen), vertreten durch dessen ehelichen Vater Johann A. sen. (Bruder des Klägers), auf Ungültigerklärung des fremd geschriebenen Testamentes der Anna B. vom 19. Oktober 1949 wegen angeblicher Unkenntnis der deutschen Sprache der Erblasserin mit dem Urteil erster Instanz vom 12. Mai 1954, bestätigt durch das Urteil zweiter Instanz vom 1. September 1954. rechtskräftig abgewiesen.
Am 28. Dezember 1959 brachte der Kläger Josef B. gegen die beklagte Partei "Johann A., Angestellter in Wien 21., E.-Straße 187" wegen Auffindung eines neuen Zeugen darüber, daß die Erblasserin tatsächlich der deutschen Sprache nicht mächtig gewesen sei, eine Wiederaufnahmsklage ein. Die Klage wurde dem Johann A. sen. zugestellt, der bei der ersten mündlichen Streitverhandlung unter Hinweis auf seine Stellung im Vorprozeß als gesetzlicher Vertreter seines damals noch mj. Sohnes Johann A. jun. den Mangel der passiven Klagelegitimation einwendete. Bei der folgenden Streitverhandlung wurden zwei Zeugen über die Zustellung der Klage vernommen. Mit Schriftsatz vom 19. Februar 1960 stellte der Kläger den Namen des Beklagten auf Johann A. jun., Bundesbahner in Wien 21., E.-Straße 187, richtig und beantragte die neuerliche Zustellung der Klage an diesen, ferner die Nichtigerklärung des Verfahrens hinsichtlich des Johann A. sen. von der Klagezustellung an und dessen Verfällung in den Kostenersatz wegen mutwilliger Klagseinlassung.
Durch Beschluß des Erstgerichtes vom 10. Mai 1960 wurde im Punkt 1 das bisherige Verfahren einschließlich der Zustellung der Klage an Johann A. sen. für nichtig erklärt im Punkt 2 der Kläger zum Kostenersatz von 1021 S 35 g an Johann A. sen. verhalten und im Punkt 3 erklärt, daß nach Rechtskraft dieses Beschlusses die Zustellung der Klage an Johann A. jun. angeordnet werde. Die Klage sei an Johann A. sen. zugestellt worden, der nicht Beklagter sein sollte. Der bei der Zustellung nicht anwesend gewesene, jetzt 24 Jahre alte Johann A. jun. habe zwar am selben Tag die Klage gelesen, sich aber nicht ausgekannt. Da der Kläger als Bruder des Beklagten und Onkel des Johann A. jun. genau gewußt habe, daß im selben Haus Vater und Sohn mit dem gleichen Namen wohnten, wäre es seine Sache gewesen, den tatsächlichen Prozeßgegner zu spezifizieren. Johann A. sen. habe den Inhalt des verschlossenen Briefumschlages nicht kennen können. Den Kläger treffe das Verschulden an dem nichtigen Verfahren.
Das Rekursgericht gab dem nur im Kostenpunkt erhobenen Rekurs des Klägers Folge und wies den Antrag des Johann A. sen. auf Zuspruch von Kosten zurück. Den Rekurs des Johann A. sen. wies das Rekursgericht dagegen zurück, weil dem Johann A. sen. als Nichtpartei kein Rekursrecht zustehe.
Der Oberste Gerichtshof gab dem gegen diesen Zurückweisungsbeschluß erhobenen Rekurs des Johann A. sen. Folge, hob den angefochtenen Beschluß des Rekursgerichtes auf und trug diesem Gerichte eine Entscheidung in der Sache selbst auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Im vorliegenden Fall ist festgestellt, daß der Kläger in seiner Klage den Beklagten in einer Weise bezeichnete, die nach Name, Beruf und Anschrift auf Johann A. sen. zutreffen konnte, daß aber mit dieser Rechtsmittelklage der inzwischen volljährig gewordene Johann A. jun. geklagt werden sollte und auch nur geklagt werden konnte. Zwar konnte nach den Umständen Johann A. sen. die Klage in Empfang nehmen und den Rückschein unterfertigen. Dadurch entstand zwischen dem Kläger und ihm aber bloß ein unechtes Prozeßverhältnis, weil wirklicher Beklagter ein anderer sein sollte und auch sein mußte. Auch ein derartig unechtes Prozeßverhältnis bedarf nach Klarstellung der maßgebenden Tatumstände der formellen Beendigung. Da die Bestimmung des § 397 Abs. 1 ZPO. über die Nichtberücksichtigung von schriftlichen Aufsätzen vor der ersten Tagsatzung (vor der ersten Streitverhandlung im bezirksgerichtlichen Verfahren, § 440 ZPO.), wenn nicht nach § 6 ZPO. analog vorgegangen wird, Anlaß zu einer vorläufigen Beteiligung am Verfahren geben kann, muß einer solchen Person ein Recht auf Antragstellung über die Art der Beendigung dieses unechten Prozeßverhältnisses, insbesondere auch wegen der Kosten, und damit auch im Rechtsmittelverfahren ein Rekursrecht eingeräumt werden. Das Rekursgericht hätte daher den Rekurs des Johann A. sen. nicht zurückweisen dürfen, sondern sachlich erledigen müssen.
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