Spruch:
Bei der Versicherung für fremde Rechnung kann der Versicherungsnehmer, auch wenn kein Versicherungsschein ausgestellt wurde, zur Einwilligung in die Auszahlung der Versicherungssumme nur Zug um Zug gegen Ersatz von Aufwendungen, insbesondere der Frachtkosten, durch den Versicherten verurteilt werden.
Entscheidung vom 1. März 1960, 3 Ob 398/59.
I. Instanz: Kreisgericht Wiener Neustadt; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Beklagte wurde von der Klägerin mit dem Transport einer Hochleistungspresse und mit der Versicherung dieses Transportes in der Höhe von 750.000 S beauftragt. Er schloß diese Versicherung mit der A.-Versicherungsgesellschaft durch eine Generalpolizze von 300.000 S und eine Zusatzversicherung im eigenen Namen für fremde Rechnung ab, ohne daß ein Versicherungsschein ausgestellt wurde. Der Transport verunglückte. Das beschädigte Gut wurde an die Klägerin ausgeliefert.
Die Klägerin schloß mit dem Versicherer einen Vergleich, worin sich dieser verpflichtete, zur Entfertigung aller Ansprüche aus dem Schadensfall 207.000 S zu bezahlen. Die Klägerin verpflichtete sich hingegen, den Versicherer wegen allfälliger Ansprüche des Beklagten schad- und klaglos zu halten. Dieser Vergleich war von der formellen Zustimmung des Beklagten als Versicherungsnehmers zur Ausfolgung an die Klägerin abhängig. Der Beklagte hatte als Frachtführer noch eine Forderung von 14.487 S 50 g. Er verweigerte seine Zustimmung.
Das Erstgericht erkannte den Beklagten schuldig, in die Auszahlung der Versicherungssumme in der Höhe von 207.000 S durch den Versicherer an die Klägerin zuzustimmen.
Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil insoweit ab, als es die Zustimmung des Beklagten zur Auszahlung der Vergleichssumme an die Klägerin von der Zug um Zug zu leistenden Zahlung von 14.487 S 50 g durch die Klägerin an den Beklagten abhängig machte.
Der Oberste Gerichtshof gab keiner der von beiden Parteien erhobenen Revisionen Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Wird neben dem Frachtvertrag ein Transportversicherungsauftrag erteilt, dann steht dieser als Doppelauftrag mit dem Frachtvertrag und seiner Ausführung in einem notwendigen wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang. Der Transportversicherer soll die Gefahr der Beförderung, die sogenannte spezifische Transportgefahr, tragen (§§ 129, 187 VersVG. 1958; Albert Ehrenzweig, Deutsches (österreichisches) Versicherungsvertragsrecht, S. 344). Die Klägerin als Versicherte und die A.-Gesellschaft als Versicherer schlossen auf Grund der vom Beklagten als Versicherungsnehmer für Rechnung der Klägerin abgeschlossenen Transportversicherung den Vergleich vom 29. Jänner 1959. Dabei steht außer Streit, daß es der Beklagte als Versicherungsnehmer unterlassen hat, sich gemäß § 3 Abs. 1 VersVG. 1958 einen Versicherungsschein ausstellen zu lassen. Bei der Versicherung für fremde Rechnung im Sinn der §§ 74 ff. VersVG. 1958 ist zwar der Versicherte sachlich Inhaber der Forderung auf die Versicherungssumme. Der Versicherungsnehmer besitzt aber im Außenverhältnis als eine Art gesetzlicher Treuhänder das formelle Verfügungsrecht über die Forderung (Prölß, VersVG., 11. Aufl. S. 259, 261). Das innere Verhältnis zwischen dem beauftragten Versicherungsnehmer für fremde Rechnung und dem Versicherten als Auftraggeber bestimmt sich im Fall der Ausstellung eines Versicherungsscheines zunächst durch § 77, Satz 1, VersVG. 1958, über die bevorzugte Befriedigung des beauftragten Versicherungsnehmers wegen der ihm in bezug auf die versicherte Sache zustehenden Ansprüche, also in einem Fall der vorliegenden Art auch wegen der Frachtkosten. Da aber hier ein Versicherungsschein nicht ausgestellt wurde und auch keine Streitigkeit um Auslieferung des Versicherungsscheines vorliegt, kann § 77, Satz 1, VersVG. 1958 in diesem Fall nicht angewendet werden.
In dieser Bestimmung ist aber nicht das einzige Sicherungsmittel des beauftragten Versicherungsnehmers wegen seiner Aufwendungen gegenüber dem Versicherten zu sehen. Daneben besteht insbesondere das bürgerlich-rechtliche Sicherungsmittel der Einrede des nicht erfüllten Vertrages (§ 1052 ABGB., § 820 DBGB, vgl. Prölß a. a. O. S. 263, Albert Ehrenzweig a. a. O. S. 215, 221).
Diesbezüglich ist weiters folgendes zusagen: Die Bestimmungen der §§ 1009, 1014 ABGB. verpflichten den Beauftragten, also auch den mit der Ausführung des Transportes und mit der Versicherung beauftragten Versicherungsnehmer für fremde Rechnung, zur Herausgabe des aus dem Geschäft entspringenden Nutzens, also auch der Versicherungssumme, an den Versicherten als Auftraggeber. Dieser ist andererseits zum Ersatz des notwendig oder nützlich gemachten Aufwandes, also in einem Fall wie dem vorliegenden zum Ersatz der Frachtkosten an den beauftragten Versicherungsnehmer verpflichtet. Der Versicherungsnehmer hat wegen seiner Aufwendungen für die Geschäftsbesorgung, vor allem wegen seiner Frachtkosten, ein Zurückbehaltungsrecht bei der ihm zustehenden Verfügung über die Versicherungssumme. Er kann daher zur Zustimmung zur Auszahlung der Versicherungssumme an den Versicherten nur gegen die Zug um Zug vom Versicherten als Auftraggeber zu bewirkende Gegenleistung hinsichtlich der Frachtkosten verhalten werden (Klang I. Aufl. II/2 S. 809 zu § 1009 ABGB.). Da es sich auch bei einem derartigen Auftragsverhältnis um einen Austausch von wirtschaftlichen Werten zwischen dem Beauftragten und dem Auftraggeber und nicht um einen einseitigen Herausgabeanspruch handelt, kann in diesem Zusammenhang gemäß § 1052 ABGB. grundsätzlich die Einrede des nicht erfüllten Vertrages vom Beauftragten gegenüber dem Auftraggeber erhoben werden (Klang a. a. O. 957). Diese Bestimmung gewährt durch die Befugnis, eine Leistung solange zurückzubehalten, bis die Gegenleistung erbracht ist, ein Zurückbehaltungsrecht im weiteren Sinn (Klang 2. Aufl. II 542 zu § 471 ABGB.). Die regelmäßige Wirkung dieser Einrede ist aber, daß der Beklagte zur Erfüllung nur Zug um Zug gegen Entrichtung der Gegenleistung verurteilt wird (Klang 1. Aufl. II/2 S. 959).
Da der vorliegende Fall aus dem Doppelauftrag zum Transport und zum Abschluß einer Transportversicherung für fremde Rechnung zu entscheiden ist, erübrigt es sich, auch noch auf die Frage einzugehen, ob ohne diesen Doppelauftrag die Zug-um-Zug-Zahlung der Frachtkosten aus der Bestimmung des § 77, Satz 2, VersVG. 1958 abzuleiten wäre, wonach sich der Versicherungsnehmer für fremde Rechnung für die ihm zustehenden Ansprüche in bezug auf die versicherte Sache aus der Entschädigungsforderung gegen den Versicherer und nach der Einziehung der Forderung aus der Entschädigungssumme vor dem Versicherten und dessen Gläubigern befriedigen kann (vgl. Prölß a. a. O. S. 263 zu § 77 Anm. 1).
In der Frage der bloßen Sicherstellung statt der Zug-um-Zug-Leistung der Frachtkosten steht, anders als beim Zurückbehaltungsrecht im engeren Sinn im Sinn des § 471 ABGB., beim Zurückbehaltungsrecht im weiteren Sinn nach § 1052 ABGB. ein Anspruch auf Sicherheitsleistung nur dem Vorleistungspflichtigen wegen Unsicherheit des Nachleistungspflichtigen zu. Bei dem vorliegenden Auftrag handelt es sich weder um ein Vorleistungs- und Nachleistungsverhältnis noch um die Frage der Unsicherheit des Nachleistungspflichtigen, so daß es hier im Sinn der obigen Ausführungen bei der vom Berufungsgericht aufgetragenen Zug-um-Zug-Leistung der Klägerin hinsichtlich der Frachtkosten zu bleiben hat.
Daß es sich im vorliegenden Rechtsstreit nicht um die Frage einer Genehmigung des Vergleiches zwischen der Klägerin und der A.- Gesellschaft durch den Beklagten handelt und daß in der der Klägerin vom Gericht aufgetragenen Zug-um-Zug-Leistung der Frachtkosten keine Anerkennung der mängelfreien Erfüllung des Frachtvertrages durch den Beklagten als Frachtführer im Sinn des § 438 HGB. gesehen werden kann, hat das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)