Normen
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §91
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1325
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §91
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1325
Spruch:
Ein durch die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit herbeigeführter Vermögensnachteil kann auch in Zukunft eintreten, obwohl der Verletzte zur Zeit des Unfalles nichts verdiente und vielleicht auch nicht beabsichtigte, etwas zu verdienen. Voraussetzungen für Anspruch auf Ersatz der Kosten eines motorisierten Krankenfahrstuhles bei schuldhafter Körperverletzung.
Entscheidung vom 10. Juni 1953, 3 Ob 372/53.
I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.
Text
Das Erstgericht sprach der Klägerin für die durch Verschulden der beklagten Partei am 1. Oktober 1946 erlittenen Verletzungen nachstehendeSchadenersatzbeträge zu:
Für bisher verwendete Prothese ........................ S 1.207.10
für neu anzuschaffende Prothese ....................... S 3.240.-
für Anschaffung eines Selbstfahrrollstuhles mit Motor . S 9.500.-
für Auslagen für Stumpfstrümpfe ....................... S 1.080.-
für Auslagen für Prothesenriemen ...................... S 648.-
Schmerzengeld abzüglich der Teilzahlung von S 6000 .... S 74.000.-
für Verdienstentgang: 1. an rückständigen Rentenbezügen für die Zeit
vom 2. April 1948 bis 30. September 1952 ........... S 44.218.90 2.
eine monatliche Rente von 1250 S ab 1. Oktober 1952.
Der Klägerin wurde daher eine Gesamtsumme von 133.894 S samt 4% stufenweisen Zinsen sowie die Rente von 1250 S monatlich ab 1. Oktober 1952 zuerkannt, das Mehrbegehren jedoch abgewiesen.
Der seitens der beklagten Partei dagegen erhobenen Berufung hat das Berufungsgericht teilweise Folge gegeben und das Ersturteil, das im Zuspruch von
S 1.207.10 samt Zinsen (Prothese alt) S 3.240.- samt Zinsen
(Prothese neu) S 4.406.- samt Zinsen (Fahrstuhl mit Handbetrieb) S
1.080.- samt Zinsen (Stumpfstrümpfe) S 684.- samt Zinsen
(Prothesenriemen) S 34.000.- samt Zinsen (Schmerzengeld)
sowie in Ansehung der Abweisung des Mehrbegehrens als unangefochten unberührt blieb, hinsichtlich der Differenz zwischen den Anschaffungskosten für einen Fahrstuhl mit Handbetrieb und den zugesprochenen Kosten für einen Fahrstuhl mit Motorantrieb per 5094 S sowie eines Mehrbetrages an Schmerzengeld per 20.000 S bestätigt.
Hinsichtlich des Begehrens auf Zahlung weiterer 20.000 S Schmerzengeld wurde das Klagebegehren abgewiesen.
Der Zuspruch von 44.218.90 S an Rentenrückständen und einer laufenden Rente von 1250 S monatlich ab 1. Oktober 1952 sowie der Kostenausspruch wurde gemäß § 496 Abs. 1 Z. 2 und 3 ZPO. aufgehoben.
Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, der Klägerin stehe im Rahmen ihres Schadenersatzanspruches das Recht zu, daß die ihr vor dem Unfall zu Gebote gestandene Möglichkeit der ihr gewohnten Ortsveränderung wiederhergestellt werde. Da sie diese Möglichkeit nur noch mit einem motorisierten Krankenfahrstuhl wieder erlangen könne, sei der Zuspruch der Anschaffungskosten eines solchen motorisierten Fahrzeuges nach dem Grundsatz des § 1325 ABGB. gerechtfertigt. An Schmerzengeld hielt das Berufungsgericht unter Bedachtnahme auf alle wesentlichen Umstände des Falles einen Betrag von 60.000 S für angemessen, welcher Betrag sich zufolge einer Teilzahlung von 6000 S auf 54.000 S vermindert. Hinsichtlich des zugesprochenen Verdienstentganges ab 2. April 1948 bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteiles mangle eine verläßliche Feststellung, ob der Gatte der Klägerin in der Lage und daher auch verpflichtet war, die Klägerin im Sinne des § 91 ABGB. zu alimentieren oder ob und inwieweit der Gatte der Klägerin auf deren Beistand (§ 92 ABGB.) und die Klägerin auf sich selbst angewiesen war. Wenngleich für die Zeit nach der Scheidung primär der Erwerb der Frau und damit der Ersatz für den Ausfall der Erwerbstätigkeit und erst subsidiär die Unterhaltsverpflichtung des Mannes einzutreten habe, bestunden doch in Anbetracht des Anlasses, aus welchem sich der gegenständliche Unfall ereignete, Bedenken, ob die Klägerin, wenn sie schon ohne den Unfall sich zu eigenem Erwerb hätte entschließen müssen, im Hinblick auf ihre seelische Verfassung überhaupt in der Lage gewesen wäre, einem solchen Erwerbe nachzugehen. Es wäre daher im Rahmen der von den Parteien zu diesem Punkt zu stellenden Beweisanträge durch einen fachärztlichen Sachverständigen erst klarzustellen, ob und wann die Klägerin ohne den Unfall einen Erwerb, wie ihn das Erstgericht annahm, im Hinblick auf ihre labile seelische Verfassung überhaupt hätte aufnehmen können.
Der Oberste Gerichtshof gab weder den Revisionen noch den Rekursen beider Streitteile Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Zur Revision der beklagten Partei: Kosten der Anschaffung eines Krankenfahrstuhles.
Wenn die Revision die vom Berufungsgericht aus dem Gutachten des Sachverständigen gezogene Schlußfolgerung, daß die Klägerin durch ihr Lungen- und Strumaleiden in der Einhaltung ihres vor dem Unfall zurückgelegten Bewegungsradius (Kaltenbach-Zentrum Bad Ischl) nicht beeinträchtigt worden wäre, als aktenwidrig bekämpft, so wird dieser Revisionsgrund nicht gesetzmäßig zur Darstellung gebracht. Eine Aktenwidrigkeit läge nur dann vor, wenn die Schlußfolgerungen des Berufungsgerichtes auf einer aktenwidrigen Grundlage, also auf einem bei Darstellung des Sachverständigengutachtens unterlaufenen Irrtum beruhte. Ein solcher Irrtum in der Wiedergabe der Ausführungen des Sachverständigen ist jedoch keineswegs erkennbar. In der Gewinnung tatsächlicher Feststellungen durch Schlußfolgerung aus dem Sachverständigengutachten könnte jedoch niemals eine Aktenwidrigkeit gelegen sein, selbst wenn diese Schlußfolgerung denkunrichtig wäre. EineDenkunrichtigkeit dieser Schlußfolgerung könnte lediglich den Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens oder der unrichtigen rechtlichen Beurteilung darstellen. Nun läßt aber die obige Feststellung des Berufungsgerichtes einen inneren Widerspruch zum Gutachten des Sachverständigen in keiner Weise erkennen, da dieser nur den ständigen Gebrauch eines handbetriebenen Krankenfahrstuhles auf weitere Strecken als die Leistungsfähigkeit der Klägerin zufolge ihres Strumaleidens übersteigend erklärt, wobei auch nur Anstrengungen stärkerer Art sich in Anbetracht ihres Lungenprozesses auf ihre Gesundheit nachteilig auswirken könnten. Anderseits aber entspricht es der allgemeinen Erfahrung, daß die Klägerin hinsichtlich einer Wegstrecke, wie sie der Entfernung von Kaltenbach nach Bad Ischl entspricht, trotz ihres Lungen- und Strumaleidens in ihrer Bewegungsfreiheit nicht gehindert wäre. Wird aber von dieser Feststellung ausgegangen, so ist es, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, für den Schadenersatzanspruch auch rechtlich nicht mehr von Belang, ob und inwieweit das schon vor dem Unfall bestandene Lungenleiden durch unfallsbedingte Ereignisse nachteilig beeinflußt wurde, da ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen den erlittenen Verletzungen und der dadurch herbeigeführten empfindlichen Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit der Klägerin jedenfalls hergestellt ist. Im Sinne des im § 1323 ABGB. verankerten Grundsatzes der Wiederherstellung einer im wesentlichen gleichen Lage muß daher der Klägerin im Rahmen des von ihr begehrten Schadenersatzes die Möglichkeit geboten werden, ihre Bewegungsfreiheit auf Wegstrecken, die sie ohne den erlittenen Unfall leicht hätte zu Fuß bewältigen können, wenigstens annähernd wieder zu erlangen. Da dies nach den Feststellungen der Untergerichte ohne weitere Schädigung ihrer Gesundheit nur mit einem motorisierten Krankenfahrstuhl möglich ist, erscheint der Zuspruch der Differenz zwischen den Kosten des motorisierten und des handbetriebenen Krankenfahrstuhles im Betrage von 5094 S rechtlich begrundet.
Zu beiden Revisionen: Schmerzengeld.
Die von beiden Revisionen hinsichtlich der vom Berufungsgericht erfolgten Bemessung des Schmerzengeldes erhobene Rechtsrüge ist nicht begrundet. Auf Grund der Feststellungen der Untergerichte über die erlittenen und noch bestehenden physischen Schmerzen der Klägerin, weiters unter Bedachtnahme auf alle von den Untergerichten herangezogenen Momente des im Gefolge der schweren körperlichen Schädigung aufgetretenen seelischen Ungemaches hält das Revisionsgericht den vom Berufungsgericht als gerechtfertigt erachteten Betrag von 60.000 S gleichfalls für angemessen. Sollten durch nicht vorhersehbare Ursachen neuerliche Schmerzen über das erwartete gewöhnliche Maß auftreten, könnte die Klägerin ein weiteres Schmerzengeld begehren (SZ. XV/175, GlUNF. Nr. 3684).
Zu beiden Revisionen: Verdienstentgang:
Wenngleich es grundsätzlich Voraussetzung für jeden Ersatzanspruch wegenAufhebung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit ist, daß der Berechtigte zur Zeit des Unfalles seine Erwerbsfähigkeit im Erwerbsleben auch eingesetzt hat, so kann doch ein durch die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit herbeigeführter Vermögensnachteil auch in Zukunft eintreten, obwohl der Verletzte zur Zeit des Unfalles nichts verdiente und vielleicht auch nicht beabsichtigte, etwas zu verdienen. Wie das Berufungsgericht in Anlehnung an die oberstgerichtliche Entscheidung JBl. 1953, S. 129, zutreffend ausführt, trifft dies dann zu, wenn sich die Verhältnisse so gestalten, daß angenommen werden muß, der Verletzte hätte sich entschlossen, seine Erwerbsfähigkeit einzusetzen, und einen Erwerb auch gefunden. Nach dieser Voraussetzung ist zunächst die Feststellung rechtlich bedeutsam, von wann an die Klägerin, falls sie den Unfall nicht erlitten hätte, sich dazu entschlossen hätte, einer Beschäftigung nachzugehen, und ob ihr dies nach ihren Fähigkeiten und den äußeren Umständen voraussichtlich möglich gewesen wäre. Diese Frage fällt trotz ihres hypothetischen Charakters in das Gebiet der Tatsachenfeststellung und mußte daher schon vom Erstgericht geklärt werden. Eine absolute Gewißheit kann hiebei der Natur der Sache nach nicht verlangt werden. Immerhin lassen sich Anhaltspunkte gewinnen, wenn folgende Momente herangezogen werden:
1. der allgemeine Gesundheitszustand der Klägerin, 2. ihr Interesse an einer beruflichen Betätigung, 3. ihre Eignung hiezu, 4. die Verhältnisse am Arbeitsmarkt, 5. ihre wirtschaftliche Lage im Hinblick auf zu erwartende oder etwa tatsächlich erbrachte Unterhaltsleistungen ihres Gatten. Lediglich im Zusammenhang mit letzterem Umstand wird auch eine Prüfung der Frage erforderlich sein, ob und inwieweit der Gatte der Klägerin zu einer Unterhaltsleistung seit April 1948 überhaupt imstande war. Sollte sich ergeben, daß die Klägerin von einem bestimmten Zeitpunkt an voraussichtlich beruflich tätig gewesen wäre und einen ihrer Eignung entsprechenden Verdienst erzielt hätte, dann käme ihrem Unterhaltsanspruch gegen ihren Gatten in gleicher Weise wie dessen tatsächlich erbrachten Unterhaltsleistungen, gleichgültig ob vor oder nach der Scheidung, für die Bemessung ihres Ersatzanspruches gegen den Schädiger rechtliche Bedeutung nicht zu, da nicht gesagt werden kann, daß sich die Klägerin mit einem bestimmten Einkommen hätte begnügen müssen. Entscheidend für ihren Schadenersatzanspruch ist daher nur der zu ermittelnde Verdienst, den sie voraussichtlich erzielt hätte, gleichgültig, ob sie darauf angewiesen wäre oder nicht. Der Schädiger könnte daher eine Minderung des Ersatzanspruches auch dann nicht geltend machen, wenn der Gatte der Klägerin trotz Zuerkennung des laufenden Verdienstentganges an die Klägerin in Form einer Rente seiner vergleichsweise übernommenen Unterhaltspflicht tatsächlich nachkommen würde, obgleich die Rentenzahlung nach der stillschweigend als vereinbart anzusehenden clausula rebus sic stantibus auf seine Unterhaltspflicht von Einfluß wäre. Vor allem ist aber eine Klärung nach der Richtung, ob und wann die Klägerin überhaupt in der Lage gewesen wäre, einem geeigneten Erwerb nachzugehen, schon deswegen erforderlich, weil für den Rechtsbestand ihres Ersatzanspruches auf Verdienstentgang nicht nur maßgebend ist, ob sie sich zu einer Erwerbstätigkeit entschlossen hätte, sondern auch, ob sie in Anbetracht ihres schon vor dem Unfall schwer beeinträchtigten Nervenzustandes eine geeignete Erwerbstätigkeit hätte finden können.
Wegen nicht hinreichender Klärung des Sachverhaltes war demnach der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes zu bestätigen.
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