Spruch:
Für die einverständliche Auflösung eines Mietvertrages ist eine Vollmacht nach § 1008 ABGB. nicht erforderlich.
Entscheidung vom 12. September 1951, 3 Ob 361/51.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Die Kläger begehren Verurteilung der Beklagten zur Übergabe der Räume Top. Nr. 4 und 5 im Hause Wien VI., X.-straße 1 d, und bringen zur Begründung ihres Anspruches vor, daß ihnen an den strittigen Räumen Mietrechte zustunden.
Die Untergerichte haben das Klagebegehren mit der Begründung abgewiesen, daß die Beklagten den Mietvertrag der Kläger im Jahre 1943 im Namen der Kläger gültig aufgelöst und mit dem Hausverwalter in eigenem Namen einen neuen Mietvertrag geschlossen haben. Diese Transaktion sei von den in Brasilien weilenden Klägern, als sie davon erfuhren, überdies genehmigt worden.
Das Berufungsgericht hat auch noch darauf hingewiesen, daß der von den Beklagten gutgläubig geschlossene Mietvertrag dem Räumungsbegehren im Wege steht (§ 374 ABGB.).
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Kläger nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Oberste Gerichtshof tritt der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichtes bei. Die Ausführungen der Revision zu § 503 Z. 4 ZPO. sind unbeachtlich, soweit sie von einem anderen als dem erwiesenen Sachverhalte ausgehen.
In rechtlicher Hinsicht war entscheidend, ob die Beklagten von den Klägern ermächtigt worden waren, den Mietvertrag über die strittigen Räume aufzulösen. Die Untergerichte nehmen als erwiesen an, daß die Kläger dem Erstbeklagten eine allgemeine Vollmacht erteilt haben und daß der Erstbeklagte den Mietvertrag auflöste, da er ihn wegen der politischen Verhältnisse nicht mehr aufrechterhalten konnte. Das Berufungsgericht folgert daraus, daß die Mietrechte der Kläger erloschen sind und den Klägern daher kein Räumungsanspruch zusteht.
Die Einwendungen der Revision, zur Auflösung des Mietvertrages wäre gemäß § 1008 ABGB. eine besondere Vollmacht erforderlich gewesen, wird nicht näher begrundet. Sollte die unentgeltliche Aufgabe von Rechten gemeint sein, so wird der Revision nicht beigepflichtet, denn die Auflösung eines Mietvertrages ist kein unentgeltliches Rechtsgeschäft, da sie für beide Teile die Befreiung von Pflichten zur Folge hat; sie ist als Akt der Vermögensverwaltung durch eine allgemeine Vollmacht gedeckt. Zur Annahme, daß die Beklagten bösgläubig gehandelt hätten, liegt im Hinblicke auf die Feststellung der Untergerichte über die 1943 herrschenden Verhältnisse kein Anhaltspunkt vor.
Da somit der Mietvertrag der Kläger erloschen ist, steht ihnen ein Anspruch auf die strittigen Räume nicht zu.
Daß die Beklagten im eigenen Namen einen neuen Mietvertrag geschlossen haben, konnte unter den damaligen Umständen die Interessen der Kläger nicht mehr berühren.
Auf § 1009 ABGB. kann das Räumungsbegehren schon deshalb nicht gestützt werden, weil die Beklagten auf Grund des Auftragsverhältnisses höchstens zur Abgabe von Erklärungen gegenüber dem Vermieter, nicht aber bei Weiterbestand ihres Mietvertrages zur Räumung verurteilt werden könnten. Bei dieser Rechtslage können alle Erörterungen darüber, ob die Kläger den von den Beklagten im eigenen Namen geschlossenen Mietvertrag nach Kriegsende genehmigt haben, auf sich beruhen.
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