Normen
HGB §377 (1)
HGB §377 (1)
Spruch:
Umfang der Untersuchungspflicht nach § 377 Abs. 1 HGB.
Entscheidung vom 18. Juni 1952, 3 Ob 356/52.
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Kläger haben von der beklagten Partei im März 1951 19.909 kg Tafelparaffin gekauft, wobei ausdrücklich bedungen war, daß dieses Paraffin einen Schmelzpunkt von 54 bis 56 Grad C und einen Ölgehalt von 2% haben müsse. Die Ware wurde im April 1951 geliefert. Erstmalig mit Telegramm vom 7. September 1951 haben die Kläger Mängelrüge mit der Begründung erhoben, daß der durch amtliche chemische Analyse festgestellte Schmelzpunkt weit unter dem vereinbarten Schmelzpunkt liege.
Die Kläger begehren gegen Rückstellung der gekauften 19.909 kg Paraffin den Kaufpreis von 16.723-56 hfl und 18.542.65 S für Zoll, Fracht und Lagerspesen samt 5% Zinsen seit 1. Mai 1951.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Der dagegen von den Klägern erhobenen Berufung gab das Berufungsgericht nicht Folge.
Beide Untergerichte waren der Ansicht, daß die Mängelrüge verspätet erhoben wurde, so daß die Ware als genehmigt gelte (§ 377 Abs. 2 HGB.).
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Von der Revision wird unter Verweisung auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 20. September 1893, ACl. 1751, die Meinung vertreten, daß die Kläger durch die äußerliche Besichtigung der Ware ihrer Untersuchungspflicht vollauf genügt hätten und daß eine weitergehende Verpflichtung zur Untersuchung der Ware durch Sachverständige nur dann bestunde, wenn dies branchenüblich ist, was aber beim Handel mit Paraffin nicht der Fall sei.
Die Ausführungen der Revision sind haltlos und nicht geeignet, die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung des Berufungsgerichtes zu widerlegen.
Lehre und Rechtsprechung sind sich darüber einig, daß nach § 377 Abs. 1 HGB. die dem Käufer obliegende Untersuchung der abgelieferten Ware, die die Grundlage für die Mängelanzeige bildet, sachgemäß vorgenommen werden muß. Als sachgemäß wird eine Untersuchung regelmäßig nur dann bezeichnet werden können, wenn durch sie der Untersuchungszweck, nämlich die zuverlässige Feststellung der Vertragsmäßigkeit der Ware, erreicht werden kann. Zur sachgemäßen Untersuchung gehört daher unter Umständen auch die Zuziehung eines Sachverständigen, die in der Regel dann geboten sein wird, wenn dem Käufer andere Untersuchungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen.
Im gegebenen Fall war ein bestimmter Schmelzpunkt und ein bestimmter Ölgehalt des Tafelparaffins ausdrücklich bedungen worden. Wie die vorliegende Wandlungsklage zeigt, kam es den Klägern gerade auf diese Eigenschaften des Paraffins an. Die Kläger waren daher verpflichtet, eine solche Untersuchung der Ware vorzunehmen, die geeignet war, die bedungenen Eigenschaften des Tafelparaffins zuverlässig festzustellen. Mit einer bloßen äußeren Besichtigung, wodurch sich Schmelzpunkt und Ölgehalt keineswegs feststellen lassen, durften sich daher die Kläger nicht begnügen. Sie haben aber nach ihrem eigenen Vorbringen sonst nichts weiter getan; sie haben die Ware eingelagert und gewartet, bis sich im September 1951 zufällig ein Kaufinteressent fand, der durch eine einfache chemische Analyse die jetzt von den Klägern behaupteten Mängel der Ware feststellte.
Wenn die Revision sich neuerdings darauf beruft, daß im Handel mit Paraffin eine Untersuchung der Ware nicht branchenüblich sei, so gehen ihre Ausführungen fehl. Denn die Kläger waren kraft gesetzlicher Vorschrift zu einer unverzüglichen sachgemäßen Untersuchung der Ware verpflichtet. Eine solche haben sie aber überhaupt nicht vorgenommen. Auch durch die Heranziehung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 20. September 1893, ACl. 1751, läßt sich für den Standpunkt der Revision nichts gewinnen. In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Falle sind die Käufer - im Gegensatz zu den Klägern - ihrer Untersuchungspflicht in der Weise nachgekommen, daß sie mit dem gelieferten Chlorkalk im eigenen Betrieb Versuche machten, auf Grund derer sich sodann die vertragswidrige Beschaffenheit der Ware herausstellte. Es war darum in diesem Falle eine sofortige chemische Analyse durch Sachverständige nicht erforderlich. Im vorliegenden Fall war sie aber nach der Sachlage, zumal die Kläger das Tafelparaffin nicht sofort in Verwendung nahmen, geboten.
Dem angefochtenen Urteil haftet somit ein Rechtsirrtum nicht an.
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