OGH 3Ob22/02k

OGH3Ob22/02k19.9.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Manfred N*****, vertreten durch Dr. Erich Kafka und andere Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Josef B*****, und 2.) Daoud N*****, beide vertreten durch Dr. Benedikt Wallner, Rechtsanwalt in Wien, wegen 179.000 S (= 13.008,44 EUR) sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 6. November 2001, GZ 12 R 174/01y-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 28. Mai 2001, GZ 27 Cg 42/00w-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 824,68 EUR (darin 137,45 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der durch Art II des MaklerG BGBl 1996/262 eingefügte § 30a KSchG regelt den Rücktritt von Immobiliengeschäften und lautet:

(1) Gibt ein Verbraucher eine Vertragserklärung, die auf den Erwerb eines Bestandrechts, eines sonstigen Gebrauchs- oder Nutzungsrechts oder des Eigentums an einer Wohnung ... geeignet ist, am selben Tag ab, an dem er das Vertragsobjekt das erste Mal besichtigt hat, so kann er von seiner Vertragserklärung zurücktreten, sofern der Erwerb der Deckung des dringenden Wohnbedürfnisses des Verbrauchers oder eines nahen Angehörigen dienen soll.

(2) Der Rücktritt kann binnen einer Woche nach der Vertragserklärung des Verbrauchers erklärt werden. ...

(3) Die Frist des Abs 2 beginnt erst zu laufen, sobald der Verbraucher eine Zweitschrift seiner Vertragserklärung und eine schriftliche Belehrung über das Rücktrittsrecht erhalten hat. Das Rücktrittsrecht erlischt jedoch spätestens einen Monat nach dem Tag der erstmaligen Besichtigung.

(4) Die Zahlung eines Angelds, Reugelds oder eine Anzahlung vor Ablauf der Rücktrittsfrist kann nicht wirksam vereinbart werden.

Die Zweitbeklagte - der Erstbeklagte ist ihr Ehegatte - wurde auf Grund eines Zeitungsinserats darauf aufmerksam, dass der Kläger seine Wohnung, als dessen Eigentümer er vorgemerkt war (im Folgenden nur Wohnung), um 1,79 Mio S verkaufen wollte. Da der Erstbeklagte viel auf Reisen ist und den Beklagten die bisherige Wohnung zu klein wurde, hatten sie vereinbart, dass sich die Zweitbeklagte größere Wohnungen ansehen sollte. Sie besichtigte daher am 2. November 1999 in Anwesenheit mehrerer anderer Interessenten mit einer Angestellten des Klägers diese Wohnung. Da ihr die Wohnung gut gefiel, erzählte die Zweitbeklagte dem Erstbeklagten davon. Nachdem die Beklagten bei einem weiteren Besichtigungstermin am 4. November 1999 erklärt hatten, sich für die Wohnung zu interessieren, fuhren sie mit der Angestellten des Klägers in dessen Büro und verhandelten dort mit diesem selbst weiter. Es kam schließlich zur Unterfertigung einer vom Kläger vorbereiteten, als "Punktation" bezeichneten Urkunde. Darin erklärten die Beklagten verbindlich, die Wohnung zum vereinbarten Kaufpreis von 1,79 Mio S zu erwerben; der Kläger verpflichtete sich, nach Erlag des Gesamtkaufpreises bei einem namhaft gemachten Treuhänder eine verbücherungsfähige Urkunde zu unterfertigen. Für den Fall eines Rücktritts vom Vertrag durch die nun beklagten Käufer wurde ein Reugeld von 10 % vereinbart. Nachdem die Beklagten keine Fremdfinanzierung des Kaufpreises erlangen konnten, teilten sie dem Kläger nach Rechtsberatung durch den Verein für Konsumenteninformation mit Schreiben vom 18. November 1999 mit, dass sie von der Punktation gemäß § 30a KSchG zurücktreten, weil sie ihre Vertragserklärung am Tag der erstmaligen Besichtigung der Wohnung abgegeben hätten.

Der Kläger brachte zur Begründung seines auf Zahlung von 179.000 S sA als Reugeld gerichteten Klagebegehrens u.a. vor, das Rücktrittsrecht nach § 30a KSchG schütze nur den Verbraucher, der - anders als hier - seine Vertragserklärung noch im unmittelbaren Eindruck der erstmaligen Besichtigung abgegeben habe.

Die Beklagten wendeten u.a. ein, dem Erstbeklagten stehe ein Rücktrittsrecht gemäß § 30a KSchG zu, auf das ihn der Kläger hätte hinweisen müssen, weil er die Wohnung erst am Tag seiner Vertragserklärung (Punktation) erstmals gesehen habe.

Die Erstrichterin wies das Klagebegehren ab; hiebei ging sie von der - vom Berufungsgericht nicht übernommenen - Feststellung aus, die Parteien hätten mündlich vereinbart, die Punktation trete nur in Kraft, wenn die Beklagten eine Finanzierungszusage erhielten. Auf die Rücktrittsmöglichkeit nach § 30a KSchG müsse daher nicht näher eingegangen werden.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil aus der Erwägung, dass beiden Beklagten das Rücktrittsrecht nach § 30a KSchG zu Gute komme.

Rechtliche Beurteilung

Die von der zweiten Instanz - mit der Begründung, die hier zu entscheidende Auslegungsfrage sei vom Obersten Gerichtshof noch nicht beantwortet worden - zugelassene Revision des Klägers ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.

a) Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt, wie der Oberste Gerichtshof prüfte, nicht vor (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO).

b) Dass § 30a KSchG die Beteiligung eines Unternehmers an dem betreffenden Vertrag nicht voraussetzt, wie die zweite Instanz zutreffend erörterte, wird im Rechtsmittel nicht in Frage gestellt. Unstrittig ist, dass die Beklagten vom Kläger keine schriftliche Belehrung über ihr Rücktrittsrecht (§ 30a Abs 3 erster Satz KSchG), erhielten, sodass ihr allfälliges Rücktrittsrecht erst einen Monat nach dem Tag der erstmaligen Besichtigung erloschen wäre (§ 30a Abs 3 zweiter Satz KSchG).

Damit kommt es darauf an, ob es sich bei der Besichtigung der zu kaufenden Wohnung des Klägers am 4. November 1999 aus der Sicht des Erstbeklagten um die "erste Besichtigung" iSd § 30a Abs 1 KSchG handelte oder ob der Umstand, dass die Zweitbeklagte die Wohnung bereits zwei Tage vorher besichtigt hatte, auch ein Rücktrittsrecht des Erstbeklagten vom Vertrag nach § 30a KSchG ausschließt. Diese Frage, zu der bisher Rsp fehlt, ist nach dem Zweck der Vorschrift zu beantworten. Nach den Gesetzesmaterialien (RV 2 BlgNR 20.GP, 37 f; S. Bydlinski, MaklerG, § 30a KSchG Anm 2; Kosesnik-Wehrle/Lehofer/Mayer, KSchG3, § 30a Rz 1 ff) verfolgt § 30a KSchG das Ziel, dem Verbraucher für seine endgültige Vertragsentscheidung eine gewisse Überlegungsfrist zu geben und ihn so vor den Folgen allenfalls überstürzter und nicht ausreichend durchdachter Entscheidungen über Geschäfte von wirtschaftlich erheblichen Ausmaßen zu bewahren. Es soll also der Verbraucher geschützt werden, der seine Vertragserklärung noch im unmittelbaren Eindruck der erstmaligen Besichtigung (u.a. einer Wohnung) abgibt, und verhindert werden, dass eine typischerweise auch emotionale Entscheidung zu einer unauflösbaren Bindung des Vertragspartners mit unter Umständen nicht ausreichend durchdachten Konsequenzen führt. Wer das Objekt bereits kennt, kann nicht nach dieser Bestimmung zurücktreten (Kosesnik-Wehrle/Lehofer/Mayer aaO Rz 16). Nach den erkennbaren Vorstellungen des Gesetzgebers soll im sachlichen Anwendungsbereich des § 30a KSchG, also beim typischen "Wohnungserwerb", eine endgültige Bindung nur dann eintreten, wenn der Erwerber die Sache vor einer endgültigen Zusage noch einmal "überschlafen" hat (Kosesnik-Wehrle/Lehofer/Mayer aaO Rz 15). Das besondere Rücktrittsrecht gründet sich auf die typischerweise vorhandene Gefahr der Überrumpelung, wenn dem an der Wohnung interessierten Verbraucher die Entscheidung über den Vertragsabschluss sofort bei der ersten Besichtigung abverlangt wird. Auf die tatsächliche Überrumpelung kommt es, wie beim Rücktrittsrecht nach § 3 KSchG (Haustürgeschäfte), nicht an. Die Überrumplungsgefahr in den Fällen des § 30a KSchG steht nach Ansicht des Gesetzgebers derjenigen beim Haustürgeschäft gleich (Apathy in Schwimann 2, § 30a KSchG Rz 3 mit Hinweis auf die EB; S. Bydlinski aaO Anm 1).

Es ist evident, dass die Regelung schon nach ihrem Wortlaut auf eine persönliche Besichtigung u.a. der angebotenen Wohnung durch den späteren Erwerber - und nicht durch einen Dritten - abstellt, weil nur dabei ein vollständiger Eindruck über diese gewonnen werden kann. Auch noch so detaillierte Schilderungen eines Dritten können in aller Regel einen persönlichen Augenschein gerade bei einer Wohnung nicht ersetzen; sie sind jedenfalls nicht (typischerweise) geeignet, in ausreichender Weise übereilten Entschlüssen vorzubeugen. Entgegen der Rechtsansicht des Klägers besteht die Gefahr einer Überrumplung auch dann, wenn eine Vorbesichtigung durch eine Vertrauensperson stattgefunden hat, weil für die Entscheidung, die Wohnung zu kaufen, der persönliche Eindruck von den einzelnen Komponenten (Lage, Ausstattung, Preis etc.) maßgeblich ist, der nicht durch eine Besichtigung durch dritte Personen ersetzt werden kann. Allenfalls zur Kenntnis gebrachte Details über die zu erwerbende Wohnung sind typischerweise keine ausreichende Basis für einen Vertragsabschluss und können regelmäßig eine persönliche Besichtigung samt der daran anschließenden Überlegungsphase nicht ersetzen. Die Besichtigung ist kein Rechtsgeschäft, sondern (sofern sie am selben Tag stattgefunden hat) tatbestandliche Voraussetzung für den Rücktritt von der Vertragserklärung; für die Zurechnung von Handlungen Dritter bedürfte es in diesem Fall einer gesonderten gesetzlichen Anordnung (Kosesnik-Wehrle/Lehofer/Mayer aaO Rz 19). Beim Rücktrittsrecht nach § 30a Abs 1 KSchG kommt es somit nur auf die erstmalige Besichtigung des Objekts durch den präsumptiven Erwerber an. Dieser muss sich eine bereits früher vorgenommene Besichtigung des Objekts durch einen Dritten (in casu: Ehegatten) nicht zurechnen lassen.

Im vorliegenden Fall sollte auch nicht die Zweitbeklagte für den Erstbeklagten die konkrete Wohnung besichtigen, sondern zwischen den Eheleuten war nur abgesprochen, die Zweitbeklagte solle sich vorerst allein als neue Ehewohnung in Betracht kommende größere Wohnungen ansehehen. Es gibt auch hier weder Prozessbehauptungen noch Feststellungen dazu, dass der Kläger davon ausgehen konnte, nur die Zweitbeklagte solle die konkrete, zu erwerbende Wohnung besichtigen.

c) Somit steht dem Erstbeklagten ein Rücktrittsrecht iSd § 30a KSchG zu, das dieser auch durch das Schreiben vom 18. November 1999 rechtzeitig geltend machte. Die zweite Instanz führte aus, da für beide Kaufvertragsteile klar gewesen sei, dass ein Kaufvertrag entweder nur mit beiden Ehegatten oder aber gar nicht zustandekommen bzw aufrecht bleiben kann, erfasse die vom Erstbeklagten ausgesprochene Vertragsauflösung das gesamte Vertragsverhältnis. Diese Auffassung ist zu billigen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Da das Berufungsgericht mit eingehender und überzeugender Begründung das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Rücktritt beider Beklagten von der Punktation nach § 30a KSchG bejahte, kann der Kläger nicht die Zahlung des vereinbarten Reugelds fordern, das für den Fall eines Rücktritts ohne Vorliegen eines gesetzlichen Grundes vereinbart war. Der Revision muss ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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