OGH 3Ob219/11v

OGH3Ob219/11v14.12.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI W*****, vertreten durch Dr. Klaus Perner, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei I*****, vertreten durch Dr. Schilchegger Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in St. Johann im Pongau, wegen Feststellung und Einverleibung einer Servitut (3.500 EUR) sowie Entfernung und Wiederherstellung (3.500 EUR), über den Rekurs und den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 17. August 2011, GZ 22 R 262/11z-20, womit über Berufung und Rekurs der klagenden Partei das Urteil und der Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom 9. Mai 2011, GZ 13 C 380/10f-16, aufgehoben wurden, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs und dem Revisionsrekurs der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 559,15 EUR (darin 93,19 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des drittinstanzlichen Verfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Mutter und Rechtsvorgängerin des Klägers hatte am 20. Oktober 2010 beim Bezirksgericht Salzburg eine Klage mit dem Begehren eingebracht, die Beklagte schuldig zu erkennen, einen näher bezeichneten Weg durch Entfernung eines neu betonierten Zaunes und sonstiger abgelagerter Hindernisse wieder so herzustellen, dass ein gefahrloses Begehen und Befahren gewährleistet sei, sowie jede bauliche Störung oder Ablagerung auf diesem Weg zu unterlassen. Diese Klage wurde rechtskräftig mit negativem Versäumungsurteil vom 30. März 2009 abgewiesen.

Nach dem Inhalt des entsprechenden Aktes trat der nunmehrige Kläger bei der Tagsatzung vom 12. Jänner 2009 (nach einer möglicherweise missverständlichen Rechtsbelehrung im Vorfeld durch die Richterin) mit einer Vollmacht als Vertreter der damaligen Klägerin, seiner Mutter auf. Diese wiederum hatte schriftlich beantragt, den Streitwert der Besitzstörungsklage mit 4.000 EUR festzulegen. Nachdem die beklagte Partei eingangs der Verhandlung darauf hingewiesen hatte, dass die Klägerin säumig sei, erstatteten beide Parteien umfangreiches Vorbringen (und es wurden auch Vergleichsgespräche geführt), bis die beklagte Partei erneut die Befugnis des nunmehrigen Klägers zum Einschreiten bestritt, weil absolute Anwaltspflicht bestehe und er kein Rechtsanwalt sei; sollte das Gericht das vom Sohn erstattete Vorbringen zulassen, werde dieses bestritten und als Verfahrensmangel gerügt.

Daraufhin wurde die Klägerin zur nächsten Tagsatzung mit dem Hinweis geladen, dass nach Erörterung der Rechtslage der Schluss der Verhandlung ohne Beweisaufnahme stattfinden würde. In der darauffolgenden Tagsatzung vom 30. März 2009 trat die Klägerin persönlich mit ihrem Sohn auf. Die Richterin schloss die Verhandlung und erließ (schriftlich) ein negatives Versäumungsurteil (nicht einen „negativen Versäumungsendbeschluss“). Zwar sei die Klage als Besitzstörungsklage bezeichnet, jedoch mit 7.000 EUR bewertet worden, sodass in der Tagsatzung vom 12. Jänner 2009 relative Anwaltspflicht bestanden habe. Da die Klägerin nicht anwaltlich vertreten gewesen sei, sei sie säumig, weshalb über Antrag des Beklagtenvertreters ein Versäumungsurteil zu fällen gewesen sei.

Das von der Klägerin angerufene Landesgericht Salzburg als Berufungsgericht verwarf die Berufung der Klägerin wegen Nichtigkeit und gab der Berufung im Übrigen nicht Folge. Die Säumnis der Klägerin sei bereits in der Tagsatzung vom 12. Jänner 2009 eingetreten, weil sie nicht durch einen postulationsfähigen Vertreter vertreten gewesen sei; da in der Ladung für 30. März 2009 auf den eingeschränkten Verhandlungsgegenstand hingewiesen worden sei, könne die seinerzeitige Säumnis auch nicht saniert werden. Die Bestreitung des Klagevorbringens und der Antrag auf Klageabweisung reichten aus, um ein negatives Versäumungsurteil fällen zu können. Ein Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof wurde nicht zugelassen.

Am 18. Juni 2011 erhob der Kläger (als Rechtsnachfolger seiner Mutter und nunmehriger bücherlicher Eigentümer) eine Klage mit drei Teilbegehren, wobei der Punkt 1. mit Schriftsatz vom 29. September 2010 modifiziert wurde. In Punkt 1. begehrte der Kläger die Feststellung, dass ihm als Eigentümer des herrschenden Grundstücks ein Geh- und Fahrtrecht in einem in einer Skizze eingezeichneten Ausmaß gegenüber dem jeweiligen Eigentümer des dienenden (aktuell im Eigentum der Beklagten stehenden) Grundstücks zustehe. In Punkt 2. wurde das Begehren gestellt, die Beklagte zu verpflichten, in die bücherliche Einverleibung der Dienstbarkeit des Geh- und Fahrtrechts gemäß Punkt 1. des Urteilsbegehrens einzuwilligen. Schließlich wurde in Punkt 3. die Verpflichtung der Beklagten begehrt, einen Metallzaun mit betoniertem Fundament samt der dahinter aufgeführten Hecke und einen Maschendrahtzaun im Bereich eines Treppenaufgangs, soweit er den Wegverlauf gemäß Punkt 1. des Klagebegehrens beeinträchtige, zu entfernen sowie den befestigten Wegverlauf „gemäß Punkt 1. des Urteilsbegehrens“ in einem näher bezeichneten Bereich wiederherzustellen.

Die Punkte 1. und 2. des Klagebegehrens wurden gemeinsam mit 3.500 EUR bewertet, der Punkt 3. ebenfalls mit 3.500 EUR.

Die Beklagte erhob die Einrede der entschiedenen Streitsache und bestritt im Übrigen das Klagebegehren in der Sache.

Das Erstgericht wies die Klage hinsichtlich des Begehrens auf Entfernung des Zaunes (Teil des Punktes 3. des Klagebegehrens) mit Beschluss zurück; die übrigen Punkte des Klagebegehrens wies es mit Hinweis auf die Bindungswirkung der im Vorprozess ergangenen Entscheidung mit Urteil ab.

Das Berufungsgericht gab in Punkt 1. seiner Entscheidung dem Rekurs der klagenden Partei gegen den Zurückweisungsbeschluss Folge, hob diesen auf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. In Punkt 2. wurde das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an die erste Instanz zurückverwiesen. In den Punkten 4. und 5. sprach das Rekursgericht aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Diese beiden Aussprüche wurden damit begründet, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands schon im Hinblick auf die zu erwartenden Beeinträchtigungen durch einen Rückbau und die Benützung des gegenständlichen Grundstücksteils sowie die wirtschaftliche Bedeutung des Weges für die Erreichbarkeit des klägerischen Grundstücks mit mehr als 30.000 EUR zu bemessen sei.

Inhaltlich führte das Berufungsgericht aus, dass bei einem negativen Versäumungsurteil zum Bestreitungsvorbringen im Regelfall keine Feststellungen getroffen und auch die klägerischen Behauptungen keiner Beurteilung unterzogen würden. Während bei einem positiven Versäumungsurteil der vom Kläger behauptete Sachverhalt für wahr zu halten sei, soweit er nicht durch den vorliegenden Beweis widerlegt werde, würden für die Fällung eines negativen Versäumungsurteils die bloße unsubstantiierte Bestreitung durch die beklagte Partei und ein Antrag auf Klageabweisung ausreichen. Im Hinblick auf die Abweisung der ersten Klage mit einem negativen Versäumungsurteil stehe für die Beurteilung der Identität der neuen Klage kein „anspruchsbegründender“ Sachverhalt zur Verfügung; der Wortlaut des nunmehrigen Klagebegehren weiche vom früheren ab. Demnach wäre die Klage (insoweit) nicht zurückzuweisen, sondern inhaltlich zu behandeln gewesen. Über den Bestand der Servitut werde das Erstgericht schon in Ermangelung einer entsprechenden Entscheidung im Vorprozess zu entscheiden haben; das Bestehen einer Servitut stelle nach der Rechtsprechung nur eine Vorfrage für die actio confessoria dar, wenn die Feststellung nicht Teil des Urteilsspruchs ist.

Da zur Frage, ob ein negatives Versäumungsurteil über eine actio confessoria Einmaligkeits- und Bindungswirkung für die Frage des Nichtbestands der Servitut entfalten könne, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle, sei der Rekurs an den Obersten Gerichtshof iSd § 502 Abs 1 iVm § 519 Abs 2 ZPO zuzulassen.

Gegen diese Entscheidung richten sich der Rekurs (betreffend Punkt 2. der Entscheidung des Berufungsgerichts) und der ordentliche Revisionsrekurs (betreffend Punkt 1. der Entscheidung des Berufungsgerichts) der beklagten Partei mit dem Antrag auf Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, das Rechtsmittel der beklagten Partei zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben.

Das Rechtsmittel ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; es jedoch nicht berechtigt.

In ihrem Rechtsmittel bringt die beklagte Partei zusammengefasst vor, dass einem Versäumungsurteil, auch einem „negativen“, sämtliche Wirkungen eines „normalen“ Urteils zukämen, insbesondere Bindungswirkung. Da der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichts vom Inhalt der rechtskräftigen Entscheidung im Vorprozess abweiche, sei er nichtig bzw rechtlich unrichtig. Das gesamte nunmehrige Klagebegehren sei von der Bindungswirkung der Vorentscheidung erfasst.

Rechtliche Beurteilung

Dazu wurde erwogen:

Ein negatives Versäumungsurteil kann auf Antrag des allein erschienenen Beklagten ergehen. Dafür genügt neben diesem Antrag ein unsubstantiiertes Bestreiten des Klagevorbringens, weil der Kläger die Wahrheit seiner bestrittenen Tatsachenbehauptungen ja nicht beweisen kann (Rechberger in Rechberger, ZPO3 §§ 396 - 397 Rz 9 mwN). Das Klagevorbringen kann daher auch nicht dem Urteil als erwiesen zugrunde gelegt werden (Fasching, Zivilprozeßrecht2 Rz 1400). Damit enthält das negative Versäumungsurteil zwar einen Ausspruch über die Abweisung der Klage; es liegt ihr aber kein Tatsachensubstrat zugrunde.

Bei einer Klageabweisung ist die rechtskräftige Verneinung auf den vom Gericht zur Abweisung herangezogenen Sachverhalt beschränkt, sodass die Geltendmachung eines sogar quantitativ gleichen Anspruchs aus einem anderen Lebenssachverhalt möglich bleibt (Rechberger in Rechberger, ZPO3 § 411 Rz 10 mwN). An einem solchen „maßgeblichen Sachverhalt“ fehlt es aber bei einem negativen Versäumungsurteil; die Parteien konnten in der Tagsatzung vom 12. Jänner 2008 infolge der Säumnis der Klägerin gar nicht wirksam vorbringen.

Ein ähnliches Problem stellt sich im Übrigen bei der Klageeinschränkung unter Anspruchsverzicht; auch ihr werden weder Bindungs- noch Präklusionswirkung für Folgeprozesse zuerkannt (Lovrek in Fasching/Konecny 2 § 237 ZPO Rz 31).

Die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts steht mit diesen Grundsätzen in Einklang. Die von der beklagten Partei aufgeworfene Frage, welchem Streitgegenstandsbegriff die Rechtsprechung sinnvollerweise folgen soll, stellt sich nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.

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