OGH 3Ob2040/96p

OGH3Ob2040/96p27.3.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Graf, Dr.Pimmer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Sanela P*****, geboren am 5.Februar 1981, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Magistrates der Stadt Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 12.Dezember 1995, GZ 44 R 921/95, 44 R 1114/95i-32, womit der Rekurs des Magistrates der Stadt Wien gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 3.Juli 1995, GZ 3 P 143/94-14, zurückgewiesen wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben; der angefochtene Beschluß wird aufgehoben, dem Rekursgericht wird die Entscheidung über den Rekurs unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung

Der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 11, das Amt für Jugend und Familie *****Bezirk legte am 27.3.1995 das Protokoll über die Niederschrift vom 20.3.1995 vor, mit der die Mutter der Minderjährigen, Dragica P*****, die Zustimmung zur Vertretung der Minderjährigen für die Festsetzung und Durchsetzung der Unterhaltsansprüche (§ 212 Abs 2 ABGB) durch das Amt für Jugend und Familie *****Bezirk gab. Mit Verfügung vom 19.5.1995 ordnete der Rechtspfleger die Zustellung des von ihm aufgenommenen Protokolls vom 28.2.1995 mit dem Antrag des Vaters Vladislav P***** auf Herabsetzung seiner Unterhaltsleistung ab 1.3.1995 auf monatlich S 2.000,- (ON 5) mit der Aufforderung an die Mutter an, binnen 14 Tagen eine Stellungnahme abzugeben, "widrigenfalls im antragstattgebenden Sinn entschieden" werde. Die Zustellung erfolgte am 29.5.1995 (Beginn der Abholfrist) durch Hinterlegung. Eine Stellungnahme wurde nicht abgegeben.

Mit Beschluß vom 3.7.1995 setzte das Erstgericht die Unterhaltsverpflichtung antragsgemäß ab 1.3.1995 auf S 2.000,-

monatlich herab und begründete dies "mit dem Einverständnis der Parteien".

Dieser Beschluß wurde gleichfalls nur der Mutter zugestellt.

Am 19.10.1995 erhob der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 11, Amt für Jugend und Familie *****Bezirk Rekurs mit dem Antrag, den Beschluß des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 3.7.1995 zu beheben. Das Amt für Jugend und Familie *****Bezirk führte im wesentlichen aus, es sei als zuständiger Unterhaltssachwalter mit einer Herabsetzung der Unterhaltszahlungen nicht einverstanden; der Herabsetzungsantrag sei nicht zugestellt worden; der Kindesvater habe ein höheres Nettodurchschnittseinkommen als von ihm angegeben; er könne durchaus den Unterhaltsbetrag von S 3.000,- leisten, Kredite für Autos oder Einrichtungsgegenstände könnten nicht zu Lasten der Minderjährigen gehen.

Einem weiters am selben Tag eingebrachten Antrag des Rekurswerbers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rekursfrist wurde mit Beschluß des Erstgerichtes vom 16.11.1995 (ohne Begründung) stattgegeben.

Das Rekursgericht wies den Rekurs (im Beschluß offenbar unrichtig "Beschluß") zurück und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil eine Rechtsfrage der in § 14 Abs 1 AußStrG genannten Qualität nicht vorliege. Zur Begründung der Unzulässigkeit des Rekurses führte das Rekursgericht aus, dem Rekurswerber fehle die Vertretungsbefugnis für eine Rekurserhebung namens der Minderjährigen. Gemäß § 212 Abs 4 ABGB werde durch die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters eines minderjährigen Kindes zum Einschreiten des Jugendwohlfahrtsträgers als Unterhaltssachwalter die Vertretungslegitimation des sonstigen gesetzlichen Vertreters nicht eingeschränkt; es bestehe vielmehr eine konkurrierende Vertretungsbefugnis für Unterhaltsangelegenheiten. Wer die erste Verfahrenshandlung setze, sei alleiniger Vertreter des minderjährigen Kindes für das gesamten Verfahren. Da eine konkurrierende Vertretungsbefugnis der obsorgeberechtigten Mutter und des Unterhaltssachwalters bestehe, sei es gesetzlich zulässig gewesen, daß das Erstgericht den Unterhaltsherabsetzungsantrag der Mutter und nicht dem Unterhaltssachwalter zugestellt habe. Die Unterlassung der Anhörung des Unterhaltssachwalters bilde keine Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Durch die Entgegennahme von Zustellungen (einer Gleichschrift des Unterhaltsherabsetzungsantrags, der Aufforderung zur Äußerung und des angefochtenen Beschlusses) habe die Mutter die ersten Vertretungshandlungen namens des minderjährigen Kindes gesetzt und sei daher alleinige Vertreterin für das gesamte Unterhaltsherabsetzungverfahren. In diesem Fall stehe dem Jugendwohlfahrtsträger kein Rekursrecht namens des Kindes gegen den Unterhaltsbeschluß zu. Auch der Umstand, daß das Erstgericht dem Unterhaltssachwalter die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rekursfrist bewilligt habe, vermöge daran nichts zu ändern. Eine Sanierung des Vertretungsmangels dadurch, daß die Mutter den Unterhaltssachwalter zur Rekurserhebung bevollmächtige, komme nicht in Betracht. Da die obsorgeberechtigte Mutter nach einer ordnungsgemäßen Zustellung des angefochtenen Beschlusses die Rekursfrist versäumt habe, könne sie auch nicht mehr einem Vertreter eine Vollmacht für die Rekurserhebung erteilen. Von der Mutter selbst sei aber kein Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Rekursfrist gestellt worden.

Rechtliche Beurteilung

Der "außerordentliche Revisionsrekurs" des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 11 ist zulässig und berechtigt.

Der Jugendwohlfahrtsträger wurde hier nach Vorliegen der schriftlichen Zustimmung der Mutter als gesetzlicher Vertreterin des Kindes Sachwalter gemäß § 212 Abs 2 ABGB. Die Sachwalterbestellung des Jugendwohlfahrtsträgers erfolgt ohne gerichtliches Eingreifen ex lege; für die Bestellung zum Sachwalter für die Geltendmachung des Kindesunterhalts genügt das Einlangen der schriftlichen Zustimmung des gesetzlichen Vertreters des Kindes beim Jugendwohlfahrtsträger (ÖA 1995, 64; Schwimann in Schwimann, ABGB, Rz 3 zu § 212).

Obwohl die Bestellung des Jugendwohlfahrtsträgers als Sachwalters gemäß § 212 Abs 2 ABGB aktenkundig war, verfügte das Erstgericht die Zustellung sowohl des Antrags mit Aufforderung zur Äußerung als auch des Beschlusses auf Herabsetzung des Unterhalts nur an die Mutter, nicht jedoch an den Jugendwohlfahrtsträger als Sachwalter gemäß § 212 Abs 2 ABGB.

Entgegen der Rechtsmeinung des Rekursgerichtes ist der vom Jugendwohlfahrtsträger eingebrachte Rekurs zulässig.

Gemäß § 212 Abs 4 Satz 1 ABGB wird durch die Vertretungsbefugnis des Jugendwohlfahrtsträgers die Vertretungsbefugnis des sonstigen gesetzlichen Vertreters nicht eingeschränkt; es besteht daher konkurrierende Vertretungsbefugnis (ÖA 1992, 88; RZ 1991/55; Pichler in Rummel, ABGB2, Rz 6 zu § 212), § 154 a ABGB gilt sinngemäß. Dies bedeutet, daß nur entweder der Sachwalter oder der gesetzliche Vertreter als Verfahrensvertreter auftreten können und im Zweifel (mangels Einigung oder gerichtlicher Vertreterbestimmung) derjenige von beiden vertretungsbefugt ist, der die erste Verfahrenshandlung setzt (Schwimann in Schwimann, Rz 4 zu § 212; Pichler in Rummel2, Rz 7 zu § 212). Die bloße Entgegennahme eines Zustellstücks stellt jedoch keine Verfahrenshandlung dar (Schlemmer aaO Rz 2 zu § 154 a; Pichler aaO Rz 18 zu §§ 154, 154 a).

Das Rekursgericht ist somit zu Unrecht davon ausgegangen, daß durch die bloße Zustellung an die Mutter die Vertretungsbefugnis des Jugendwohlfahrtsträgers weggefallen ist. Vielmehr war diese Vertretungsbefugnis nach wie vor aufrecht. Im Hinblick auf die vom Erstgericht dem Jugendwohlfahrtsträger bewilligte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist der von ihm eingebrachte Rekurs jedenfalls rechtzeitig.

Das Rekursgericht wird daher über den rechtzeitig und zulässig eingebrachten Rekurs des Jugendwohlfahrtsträgers als Sachwalters gemäß § 212 Abs 2 ABGB sachlich zu entscheiden haben.

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