Normen
Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrversicherung §10
VersVG §153
VersVG §158c
VersVG §158d
VersVG §158e
ZPO §411
Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrversicherung §10
VersVG §153
VersVG §158c
VersVG §158d
VersVG §158e
ZPO §411
Spruch:
Das Urteil gegen den Haftpflichtversicherten im Haftpflichtprozeß wirkt nur dann gegen den Versicherer, wenn er sich am Prozeß beteiligt hat oder vergeblich zur Intervention aufgefordert worden ist.
Die im § 158e VersVG. normierte Folge der Nichtverständigung des Versicherers tritt unabhängig von eine Verschulden des Dritten an der Nichtverständigung ein.
Entscheidung vom 30. April 1957, 3 Ob 201/57.
I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.
Text
Der Arbeiter Ferdinand B. war beim Maurermeister Sebastian S. beschäftigt. Er wurde am 16. September 1950 während des Dienstes von einem Lastkraftwagen seines Dienstgebers niedergestoßen und schwer verletzt. Der Lenker des Wagens, der gleichfalls bei Sebastian S. beschäftigte Max K. wurde deshalb nach § 335 StG. schuldig gesprochen. Der klägerische Sozialversicherungsträger bezahlte an Ferdinand B. Arzt-, Krankenhaus- und Heilbehandlungskosten, Taggelder, Krankengeld und eine Rente in der in der Klage angegebenen Höhe, insgesamt 13.332 S 09 g, und nahm hiefür nach § 1542 RVO. die Haftung des schuldtragenden Max K. in Anspruch. Er erwirkte gegen diesen ein Versäumungsurteil über diesen Betrag. Der Lastwagen war bei der beklagten Partei haftpflichtversichert. Die Versicherung erstreckte sich auch auf den Lenker des Fahrzeuges. Die klagende Partei erwirkte auf Grund des Versäumungsurteiles gegen Max K. die Pfändung und Überweisung seines Entschädigungsanspruches gegen die beklagte Partei. Auf Grund des Überweisungsbeschlusses verlangte sie mit der vorliegenden Klage von der beklagten Partei als Drittschuldnerin die Zahlung ihrer vollstreckbaren Forderung gegen Max K.
Die beklagte Partei gab zu, daß der Lastkraftwagen bei ihr versichert war und Max K. als Lenker Versicherungsschutz genoß. Sie bestritt den Anspruch aber deshalb, weil Max K. sich in der Folge einer Obliegenheitsverletzung dadurch schuldig gemacht habe, daß er die beklagte Partei von der gegen ihn erhobenen Klage nicht verständigte, die erforderlichen Rechtsbehelfe versäumte und den Weisungen der beklagten Partei nicht Folge leistete. Max K. sei der klagenden Partei aus verschiedenen Gründen zu einer Leistung gar nicht verpflichtet gewesen. Zur Zeit der Klagseinbringung gegen Max K. sei die Forderung gegen diesen bereits verjährt gewesen; Max K. hätte als Arbeiteraufseher nach § 899 RVO. keine Ersatzpflicht gehabt; der Verletzte habe in höchstem Maße den Unfall selbst verschuldet; die dem Verletzten ausgezahlte Unfallrente sei nicht durch diesen Unfall verursacht worden, weil Ferdinand B. schon vor dem Unfall invalid gewesen sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Wenn Max K. gegen die beklagte Partei auch Anspruch auf Versicherungsschutz gehabt hätte - was nicht weiter untersucht wurde -, so umfasse dieser Anspruch doch nur die Befriedigung begrundeter Entschädigungsansprüche. Es müsse daher untersucht werden, ob die von der klagenden Partei gegen Max K. erhobenen Ansprüche begrundet gewesen seien. Das Versäumungsurteil genüge aber nicht zu einer solchen Feststellung. Es müsse daher unabhängig von dem vorhergegangenen Rechtsstreit eine solche Prüfung erfolgen. Bei einer solchen Prüfung erweise sich aber die Einrede der Verjährung als begrundet. Die Verjährungszeit habe bereits mit dem Unfall zu laufen begonnen, weil dem Geschädigten der Schaden und die Person des Schädigers gleichzeitig mit dem Unfall am 16. September 1950 bekanntgeworden seien. Die Verjährungszeit sei daher im Zeitpunkt der Klageeinbringung schon abgelaufen gewesen. Auch für die klagende Partei beginne die Verjährungszeit in diesem Zeitpunkt zu laufen, weil es für die Frage der Verjährung gleichgültig sei, ob der Anspruch vom ursprünglich Forderungsberechtigten oder von seinem Zessionar geltend gemacht werde. Die Klage sei daher wegen Verjährung des Anspruches abzuweisen gewesen.
Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren statt. Dem Überweisungsgläubiger könnten vom Drittschuldner keine Einwendungen aus dem Rechtsverhältnis des Verpflichteten zum Überweisungsgläubiger entgegengesetzt werden. Die rechtskräftige Entscheidung im Haftpflichtprozeß sei für den Deckungsprozeß bindend, weil die Haftpflichtfrage nur im Haftpflichtprozeß entschieden werden könne. Die Verjährung des Ersatzanspruches der klagenden Partei gegen Max K. könne daher im Deckungsprozeß nicht mehr wirksam eingewendet werden. Es seien zwar Feststellungen darüber nicht erfolgt, ob Max K. tatsächlich durch Obliegenheitsverletzungen seinen Entschädigungsanspruch verwirkt habe. Dies sei aber auch entbehrlich, weil sich die Haftung des Haftpflichtversicherers Dritten gegenüber schon aus der Bestimmung des § 158c VersVG. ergebe. Da auch den übrigen Einwendungen der beklagten Partei im Deckungsprozeß keine Bedeutung zukomme, weil es sich dabei nur um die Bestreitung der Haftpflicht handle sei die Sache spruchreif und dem Klagebegehren stattzugeben gewesen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge und stellte das Urteil des Prozeßgerichtes wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß im Drittschuldnerprozeß Einwendungen gegen den Anspruch des Überweisungsgläubigers gegen den Verpflichteten nicht mehr erhoben werden können, ist an sich richtig, trifft aber hier nicht den Kern der Sache. Im Drittschuldnerprozeß können vom Drittschuldner alle Einwendungen erhoben werden, die ihm im Verhältnis zum Verpflichteten zustehen. Nun bestimmt § 10 Abs. 1 der AKB., daß die Versicherung die Befriedigung begrundeter und die Abwehr unbegrundeter Entschädigungsansprüche umfaßt, die gegen den Versicherungsnehmer, den Halter und den berechtigten Fahrer erhoben werden. Daraus ergibt sich, daß der Versicherer im Deckungsprozeß bestreiten kann, daß begrundete Entschädigungsansprüche vorliegen, dies vor allem dann, wenn der Versicherungsnehmer seine Pflichten nach § 153 Abs. 4 VersVG. verletzt hat und der Versicherer deshalb keine Möglichkeit hatte, am Haftpflichtprozeß teilzunehmen.
Grundsätzlich wirkt also das Urteil gegen den Haftpflichtversicherten im Haftpflichtprozeß noch nicht gegen den Versicherer, es sei denn, daß sich der Versicherer am Prozeß beteiligt hat oder vergeblich zur Intervention aufgefordert worden ist. Dies ergibt sich als allgemeiner Rechtssatz aus der für die Gewährleistung aufgestellten Regel des § 931 ABGB. in Verbindung mit dem Zweck des Haftpflichtversicherungsvertrages. Im gleichen Sinne entschied der französische Kassationshof in der Entscheidung vom 19. Jänner 1937, Revue generale 1937, p. 283 f.
Das gleiche ergibt sich aus § 158e VersVG., wonach die Haftung des Versicherers für den Fall auf den Betrag beschränkt ist, den er auch bei gehöriger Erfüllung der Verpflichtungen zu leisten gehabt hätte, wenn der Dritte die Verpflichtungen nach § 158d Abs. 2 VersVG. verletzt, indem er den Versicherer von der gerichtlichen Geltendmachung seines Anspruches gegen den Versicherungsnehmer nicht verständigt. In diesem Falle stehen dem Versicherer nicht nur alle Einwendungen aus dem Versicherungsvertrag, betreffend seine Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers, sondern auch alle Einwendungen zu, die den Haftpflichtfall selbst betreffen. Nun hat die beklagte Partei behauptet, daß Max K. sie entgegen der Verpflichtung nach § 153 Abs. 4 VersVG. von der gegen ihn erhobenen Klage nicht verständigt und deshalb seinen Entschädigungsanspruch verwirkt habe. Die Beklagte hat auch vorgebracht, daß sie von der klagenden Partei von der gegen Max K. eingebrachten Klage nicht verständigt worden sei. Die Untergerichte haben hierüber keine Feststellungen getroffen. Das Erstgericht nicht, weil es die Einwendungen aus dem Haftpflichtfall auch im Deckungsprozeß unbeschränkt zugelassen hat, das Berufungsgericht deshalb nicht, weil es die Ansicht vertrat, daß eine solche Verständigung überflüssig gewesen sei, weil die beklagte Partei eine Bereitwilligkeit zur außergerichtlichen Befriedigung des Ersatzanspruches gar nicht behauptet, sondern vielmehr die Berechtigung dieser Ansprüche ausdrücklich bestritten habe. Auf diesen Umstand kann es aber nicht ankommen, weil die Bestimmung des § 158d VersVG. gerade dazu bestimmt ist, dem Versicherer im Bestreitungsfall die Teilnahme am Haftpflichtprozeß zu ermöglichen, nicht aber dazu, um die Möglichkeit eines außergerichtlichen Ausgleichs zu schaffen.
Es liegt aber trotzdem kein Feststellungsmangel vor, weil die klagende Partei selbst zugegeben hat, daß eine Verständigung der beklagten Partei von der Prozeßführung nicht erfolgt ist. Die klagende Partei bestritt nur, daß Max K. vorsätzlich oder grob fahrlässig die Verständigung unterlassen hat. Es sei weder ihm noch der klagenden Partei selbst bekannt gewesen, daß die beklagte Gesellschaft der Haftpflichtversicherer des Maurermeisters Sebastian S. gewesen sei. Es mag nun dahingestellt bleiben, ob Max K. den Entschädigungsanspruch durch die Nichtverständigung verwirkt hat oder nicht. Jedenfalls steht fest, daß die beklagte Partei von dem Haftpflichtprozeß nicht rechtzeitig verständigt wurde und daß gegen Max K. ein Versäumungsurteil ergangen ist. In einem solchen Falle ist aber - wie ausgeführt wurde - dem Versicherer gestattet, im Deckungsprozeß alle jene Einreden vorzubringen, die er in Vertretung des Versicherten im Haftpflichtprozeß hätte vorbringen können. Das gleiche gilt im Falle der Verwirkung der Ansprüche des Max K. Grundsätzlich geht zwar der Entschädigungsanspruch des Verletzten gegen den Haftpflichtversicherer auf den Sozialversicherungsträger auch dann über, wenn der Kraftfahrhaftpflichtversicherer nur nach § 158c VersVG. haftet (vgl. JBl. 1957 S. 160). Die Haftung gegenüber dem Dritten nach § 158c VersVG. ist aber nach § 158e VersVG. auf den Betrag beschränkt, den der Versicherer auch bei gehöriger Erfüllung der Verpflichtungen des Versicherungsnehmers zu leisten gehabt hätte. Dies bedeutet aber wieder, daß der Versicherer in diesem Falle alle Einwendungen des Versicherungsnehmers, die er im Haftpflichtprozeß versäumte, im Deckungsprozeß nachholen kann. Die Einwendung der klagenden Partei, daß sie die Verständigung der beklagten Partei nicht vornehmen konnte, weil sie den Haftpflichtversicherer nicht kannte, ist rechtlich ohne Bedeutung, weil die im § 158e VersVG. normierte Folge der Nichtverständigung des Versicherers unabhängig von einem Verschulden des Dritten an der Nichtverständigung eintritt. Dieses Ergebnis ist auch jedenfalls billig, weil sonst dem Versicherer eine größere Haftung auferlegt würde als ihn im Falle der vertragstreuen Erfüllung der Pflichten des Versicherungsnehmers treffen würde, in welchem Falle ihm die Beteiligung am Haftpflichtprozeß möglich gewesen wäre. Dem Dritten aber entsteht dadurch kein Nachteil, weil er keinen Anspruch verlieren kann, den er bei entsprechend vollständiger Durchführung des Haftpflichtprozesses durchzusetzen in der Lage gewesen wäre. Die beklagte Partei konnte daher alle Einwendungen aus dem Haftpflichtfall dem Anspruch der klagenden Partei in diesem Rechtsstreit entgegensetzen. Das Erstgericht hat von allen diesen Einwendungen nur die der Verjährung herausgegriffen und die Verjährung angenommen.
Der Oberste Gerichtshof stimmt der Rechtsansicht des Erstgerichtes in der Frage der eingetretenen Verjährung zu. Die Ansicht der klagenden Partei, daß die Verjährung ihres Anspruches erst mit der Rechtskraft des Rentenbescheides zu laufen begonnen habe, widerspricht einhelliger Lehre und Rechtsprechung. Der Oberste Gerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt, daß für den eine ex lege zedierte Schadenersatzforderung darstellenden Rückgriffsanspruch nach § 1542 RVO. keine eigene Verjährungszeit läuft, sondern die Verjährung, die für die Schadenersatzforderung des Verletzten gilt, gleichzeitig auch für den Zessionar in Lauf gesetzt wird (vgl. EvBl. 1955 Nr. 89, VersR. 1955 S. 304, ZVR. 1957 S. 54, 2 Ob 580/56). Die dreijährige Verjährung hat daher gleichzeitig mit der Entstehung des Schadenersatzanspruches des Verletzten im Unfallszeitpunkt zu laufen begonnen, weil schon in diesem Zeitpunkt die Person des Schädigers und der Schaden bekannt geworden war. Die Kenntnis der Schadenshöhe ist für den Beginn der Verjährung nicht erforderlich (vgl. JBl. 1956 S. 505 und 2 Ob 580/56). Es kommt daher auch auf den Zeitpunkt der Erlassung des Rentenbescheides nicht an. Abgesehen davon wäre aber auch in diesem Fall die Verjährung bereits eingetreten gewesen. Die Klage gegen Max K. wurde am 22. Mai 1954 eingebracht. Nach dem Klagevorbringen wurde die Rente an den Verletzten aber bereits ab 26. Februar 1951 ausgezahlt. In diesem Zeitpunkt stand daher bereits fest, daß und in welcher Höhe der Verletzte einen Rentenbezug zu erhalten hatte. Die übrigen Leistungen aus der Heilbehandlung liegen ebenfalls sämtlich vor dem 26. Februar 1951. Die Ansprüche gegen Max K. waren daher im Zeitpunkt der Klageeinbringung gegen diesen bereits verjährt.
Das Erstgericht hat daher mit Recht das Klagebegehren abgewiesen, so daß der Revision Folge gegeben und das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt werden mußte.
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