Normen
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §870
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §871
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §872
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §876
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Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §872
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §876
Spruch:
Im Falle eines nach § 871 ABGB. beachtlichen wesentlichen Irrtums hat der Irregeführte die Wahl, an Stelle der Aufhebung des Vertrages nach § 872 ABGB. vom Urheber des Irrtums eine angemessene Vergütung zu verlangen.
Entscheidung vom 11. März 1953, 3 Ob 15/53.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Mit dem Erkenntnis der Rückstellungskommission beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien vom 10. Feber 1948 wurden die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig erkannt, der Antragstellerin, Verlassenschaft nach Georg K., vertreten durch die Klägerin als erbserklärte Alleinerbin, die Liegenschaften EZ. 86 und 109 des Grundbuches S. Zug um Zug gegen Bezahlung von 44.901.07 S durch die Antragstellerin zurückzustellen und in die Einverleibung des Eigentumsrechtes ob diesen Liegenschaften zugunsten der Antragstellerin einzuwilligen. Die Antragstellerin hatte anerkannt, einen Betrag von 42.624.23 S zur freien Verfügung erhalten zu haben. Ein weiterer Betrag von 2276.84 S wurde den Antragsgegnern als Aufwandersatz zuerkannt. Dieses Erkenntnis wurde am 2. Juli 1948 von der Rückstellungsoberkommission beim Oberlandesgerichte Wien aus Anlaß der von beiden Parteien erhobenen Beschwerden (denen nicht Folge gegeben wurde) aufgehoben und der Rückstellungskommission die neuerliche Beschlußfassung nach Vorlage der Einantwortungsurkunde nach Georg K. aufgetragen.
In der nun folgenden Verhandlung vom 22. März 1949 schlossen die Prozeßparteien unter Zugrundelegung des meritorisch bestätigten Rückstellungserkenntnisses vor dem Vorsitzenden der Rückstellungskommission einen Vergleich, der - abgesehen von einer Zug-um-Zug-Leistung - denselben Inhalt hatte wie das eingangs angeführte Rückstellungserkenntnis.
Die Klägerin begehrt nun von den Beklagten zur ungeteilten Hand die Bezahlung des Betrages von 18.590.22 S, weil sie bei Abschluß des Vergleiches irrtümlich der Meinung gewesen sei, dieser Betrag sei von den Beklagten zur Tilgung einer Hypothek bezahlt worden.
Das Erstgericht wies im ersten Rechtsgang die Klage ab.
Das Berufungsgericht hob jedoch das Urteil auf und trug dem Erstgerichte unter Bindung an die im Aufhebungsbeschluß ausgedrückte Rechtsansicht die Durchführung des Beweisverfahrens und eine neue Entscheidung auf.
Nunmehr gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt. Es stellte fest, daß in dem Betrag von 44.901.07 S ein Betrag von 18.851.43 S enthalten ist, der eine seinerzeitige Hypothekarforderung der Zentralsparkasse der Gemeinde Wien darstellte. Diese Forderung sei, als die Beklagten am 11. Oktober 1944 die Liegenschaft Haus Wien XIX., S.-Straße, im Versteigerungswege erstanden, hinsichtlich des Betrages von 18.590.22 S in Anrechnung auf das Meistbot übernommen worden. Später habe Frau Herma B., die Gattin des Erstbeklagten, diese Forderung bezahlt und sich diese Forderung zedieren lassen, ohne daß die Zession verbüchert wurde. Der Klägerin sei im Zeitpunkt des Abschlusses des Vergleiches nicht bekannt gewesen, daß diese Forderung noch unberichtigt aushaftete und daß sie an Frau Herma B. im Zessionswege übergegangen war. Sie habe angenommen, diese Forderung sei aus dem Meistbot durch Barzahlung berichtigt worden. Die Beklagten haben diesen Irrtum nicht nur gekannt, sondern nach Ansicht des Erstgerichtes durch ihr Stillschweigen sogar veranlaßt. Die Absicht der Klägerin bei Vergleichsabschluß sei dahin gegangen, die Liegenschaft lastenfrei zurückgestellt zu erhalten, weshalb sie sich auch zur Zahlung des Betrages von 44.901.07 S verpflichtet habe. Nach Abschluß des Vergleiches habe sie erfahren, daß sie, um die Lastenfreistellung der Liegenschaft zu erwirken, den Betrag von 18.590.22 S ein zweites Mal aufwenden müßte. Der Irrtum der Klägerin, der eine wesentliche Beschaffenheit der Hauptsache betraf, sei geeignet gewesen den Vergleich im Umfang der Klage vernichtbar zu machen.
Der dagegen von den Beklagten erhobenen Berufung gab das Berufungsgericht nicht Folge. Es nahm mit dem Erstgericht als erwiesen an, daß den Beklagten aus den Umständen offenbar auffallen mußte, daß die Klägerin der Meinung war, die fragliche Hypothek sei aus dem Meistbot durch Barzahlung berichtigt worden, und daß sie sich nur in diesem Glauben zu der in Rede stehenden Gegenleistung verpflichtet habe. In dieser Situation hätten aber Treu und Glauben des redlichen Verkehrs erfordert, daß die Beklagten in loyaler Weise diesen Irrtum aufklärten, nicht aber ihn durch Stillschweigen bekräftigten. Es möge vielleicht zutreffen, daß die Annahme des Erstgerichtes die Beklagten hätten im vorliegenden Fall durch ihr Stillschweigen den Irrtum der Klägerin veranlaßt, nicht aufrecht zu erhalten sei. Zur Nichtigkeit eines Vergleiches genüge es aber nach § 871 ABGB., daß der Irrtum dem Vertragspartner aus den Umständen offenbar auffallen mußte und dieser Fall sei vorliegend gegeben. Das Berufungsgericht verwies in diesem Zusammenhang auf die Bestimmung des § 6 Abs. 1 des 3. Rückstellungsgesetzes die auch den Beklagten nicht verborgen sein konnte und derzufolge sie nur auf die Rückzahlung solcher Beträge Anspruch hatten, die dem geschädigten Eigentümer zur freien Verfügung übergeben worden waren. Der Irrtum mache den Vergleich, soweit er die Verpflichtung der Klägerin enthalte, den Betrag von 18.590.22 S an die Beklagten als Gegenleistung zu bezahlen, nichtig. Der Klägerin stehe daher ein Rückforderungsrecht des aus diesem Gründe irrig Geleisteten zu.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Meinung der Revision, daß nur ein solcher Irrtum relevant sein könne, der auch bei gehöriger Sorgfalt des Irrenden nicht vermeidbar war, kann nicht gefolgt werden. Dieser von der älteren Judikatur (GlUNF. 1911, GlU. 10598, 8968) vertretenen Rechtsansicht, der die ursprüngliche Fassung des § 876 ABGB. "wenn der versprechende Teil selbst und allein an seinem Irrtum schuld ist" eine Stütze bot, ist seit der Änderung des § 876 durch die III. Teilnovelle jeder Boden entzogen. Für die Anfechtbarkeit des Geschäftes nach § 871 ABGB. ist es nunmehr ohne Belang, ob der Irrtum vom Irrenden verschuldet war oder nicht (vgl. GlUNF. 5600, JBl. 1927, S. 56, ZBl. 1924, Nr. 121).
Die Revision ist aber auch insofern nicht begrundet, als sie sich gegen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes wendet, daß der der Klägerinunterlaufene Irrtum geeignet sei, den Vergleich im Umfang der Klage vernichtbar zu machen.
Vorausgeschickt sei zunächst, daß bezüglich der Anfechtung eines Vergleiches wegen Irrtums Besonderheiten gelten. Wenn sich der Vergleich auf streitige oder zweifelhafte Punkte, über die der Vergleich zustande kam, bezieht, so wird hiedurch - arglistige Irreführung ausgenommen - die Gültigkeit des Vergleiches nicht berührt (vgl. JBl. 1950, S. 530; ZBl. 1933, Nr. 262; SZ. XX/159, 3 Ob 362/52, 3 Ob 533/51 u. a.) Denn im Wesen des Vergleiches liegt es ja, an Stelle einer streitigen oder zweifelhaften Verbindlichkeit eine feststehende zusetzen. Wenn eine Sache streitig oder zweifelhaft ist und die Parteien sich dessen bewußt vergleichen, so kann man bei nachträglicher Aufklärung, daß der Streit oder Zweifel eigentlich unberechtigt war, von einem Irrtum nicht sprechen. Zum Begriff des Irrtums gehört eine feste Annahme und ein Widerspruch dieser Annahme mit tatsächlichen Verhältnissen. Eine solche feste Annahme ist bei Streit und Zweifel nicht vorhanden. § 871 ABGB. bezieht sich demnach nicht auf Irrtümer über die feststehenden Grundlagen des Vergleiches. Gemäß § 1385 ABGB. kann die Anfechtung eines Vergleiches wegen Irrtums nur in Betracht kommen, wenn eine Partei über einen wesentlichen Vertragsumstand geirrt hat, den die Vertragschließenden als feststehend angenommen haben und wenn die allgemeinen Voraussetzungen für die Irrtumsanfechtung im Sinne der §§ 870 ff. ABGB. gegeben sind.
Ein solcher wesentlicher Irrtum liegt nach den tatsächlichen Feststellungen der Unterinstanzen vor. Die Klägerin ist beim Vergleichsabschluß von der irrigen Auffassung ausgegangen, daß die Hypothek von 18.590.22 S aus dem Meistbot gezahlt worden sei und hat sich daher zur Bezahlung eines Betrages von 42.624.23 S verpflichtet, in Unkenntnis der Tatsache, daß diese Annahme nicht zutreffe und daß die Forderung noch offen sei und an die Gattin des Erstbeklagten zediert worden ist. Die Klägerin war daher über wesentliche Punkte des abzuschließenden Vertrages in einem tatsächlichen Irrtum, nämlich über die ihr nach dem Gesetz obliegende Gegenleistung, die sie infolge der irrigen Annahme, die Schuld von 18.590.22 S sei von den Beklagten gezahlt worden, doppelt so hoch eingeschätzt hat, als sie tatsächlich betrug und sich infolge dieses Irrtums zu deren Zahlung verpflichtet hat. Die unteren Instanzen haben daher mit Recht angenommen, daß ein wesentlicher Irrtum unterlaufen ist; dies bestreitet auch die Revision nicht, sie meint nur, daß bei Vorliegen eines wesentlichen Irrtums die Klägerin nur berechtigt sei, die Aufhebung, nicht aber die Korrektur des Vertrages zu verlangen.
Dieser Auffassung kann der Oberste Gerichtshof nicht folgen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes war nicht nur die Klägerin in dem oben angeführten wesentlichen Irrtum befangen, sondern es hätte dieser Irrtum den Beklagten auch auffallen müssen. Der Tatbestand des § 871 ABGB. liegt demnach zweifellos vor.
Es handelt sich daher nur darum, ob im Falle eines nach § 871 ABGB. beachtlichen wesentlichen Irrtums der Irregeführte die Wahl hat, einen objektiv vorhandenen wesentlichen Irrtum wie einen unwesentlichen zu behandeln und an Stelle der Aufhebung des Vertrages nach § 872 ABGB. vom Urheber des Irrtums eine angemessene Vergütung zu verlangen. Diese Frage ist in Lehre und Rechtsprechung strittig. Für die Zulässigkeit der Wahl SZ. XVIII/99, Zeiller 3 zu § 871 ABGB.; Ehrenzweig, 2. Aufl., Allg. Teil S. 235 Anm. 38, und insbesondere Swoboda, Recht von Schuldverhältnissen[2] S. 46 f.; entgegen SZ. XX/251; Pfersche, Irrtumslehre S. 174; Pisko bei Klang,
1. Aufl., zu §§ 871 ff. S. 141; von Gschnitzer bei Klang 2. Aufl. zu § 871 S. 143, wörtlich übernommen, ohne die eingehende Gegenargumentation Swobodas auch nur zu erwähnen.
Der Oberste Gerichtshof schließt sich aus nachstehenden Erwägungen der erstangeführten Auffassung an. Das Gesetz will dem Irregeführten zu Hilfe kommen, ihn aber keineswegs dazu zwingen, gegen seinen Willen den Vertrag zu zerschlagen. Es würde der ratio des Gesetzes widersprechen, wenn man den Irregeführten daran hindern wollte, sich mit einer angemessenen Vergütung zu begnügen, da es einleuchtend ist, daß man dem durch einen wesentlichen Irrtum Geschädigten als das Mindeste die Rechte einräumen muß, die selbst bei einem nebensächlichen Irrtum zustehen.
Wenn Pisko und ihm folgend Gschnitzer dem argumentum a maiori ad minus gegenüber einwenden, daß der Verkäufer eines echten, aber für unecht gehaltenen Schmuckstückes den Käufer unmöglich zwingen könne, das echte Schmuckstück um einen verhältnismäßig erhöhten Kaufpreis zu übernehmen, weil dieser den Irrtum des Verkäufers hätte bemerken müssen oder selbst in dem nämlichen Irrtum befangen war, also selbst das Schmuckstück für unecht gehalten hat, so übersehen die genannten Schriftsteller, daß der Gesetzgeber in den §§ 871 f. ABGB. nur einen vom Urheber des Irrtums in den im § 871 ABGB. angeführten drei Fällen veranlaßten Irrtum im Auge hat, daß sich aber diese Paragraphen überhaupt nicht auf den sogenannten error communis beziehen. Erst die Lehre und Rechtsprechung haben §§ 871 f. ABGB. sinngemäß auch auf den gemeinsamen Irrtum angewendet. Sinngemäße Anwendung bedeutet aber immer, daß eine Gesetzesstelle nur insoweit analog anzuwenden ist, als das Ergebnis einer vernünftigen Rechtsauslegung entspricht. Daß die uneingeschränkte Anwendung eines Gesetzes auf rechtsähnliche Fälle zu unbrauchbaren Ergebnissen führt, kann niemals ein Argument gegen eine aus der ratio des Gesetzes für den im Gesetz selbst geregelten Fall sich ergebende Interpretation sein. Daß die sinngemäße uneingeschränkte Anwendung eines Gesetzes auf andere Fälle zu unbrauchbaren Ergebnissen führt, beweist nur, daß die analoge Interpretation Schranken hat und daß das Gesetz auf diesen Fall eben nicht sinngemäß angewendet werden darf.
Da beim gemeinsamen Irrtum beide Teile gleichgestellt sind, so kann nicht einem von ihnen gegen den Willen des anderen ein Wahlrecht eingeräumt werden, anders in den Fällen, in denen nur ein Vertragsteil im Sinne des § 871 ABGB. als irregeführt gilt. Hier ist das argumentum a maiori durchaus am Platz.
Der Oberste Gerichtshof gelangt daher aus diesen Erwägungen zum Ergebnis, daß die Klägerin berechtigt ist, obwohl objektiv ein wesentlicher Irrtum vorliegt, an Stelle der Auflösung des Vergleiches eine angemessene Vergütung zu verlangen.
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