European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E130084
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurswird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die betreibende Partei ist schuldig, der verpflichteten Partei die mit 2.350,14 EUR (hierin enthalten 353,19 EUR USt und 231 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsrekurses binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Verpflichtete hat es aufgrund einer einstweiligen Verfügung des Handelsgerichts Wien vom 17. Februar 2020 ab sofort im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, eine „Exklusivität“ ihrer redaktionellen Berichterstattung zu behaupten, wenn diese nicht den Tatsachen entspricht, insbesondere wenn sie fälschlich eine „exklusive“ Berichterstattung über die Rückkehr des zuvor vermissten Dackels „Lotte“ behauptet.
[2] Die Betreibende beantragte mit Schriftsatz vom 26. Februar 2020 die Bewilligung der Unterlassungsexekution. Der Exekutionstitel sei den Rechtsvertretern der Parteien am 18. Februar 2020 um 8:44 Uhr durch Hinterlegung per Web-ERV zugestellt worden. Ungeachtet des Beginns einer Rechtsmittelfrist sei eine im elektronischen Rechtsverkehr zugestellte einstweilige Verfügung bereits dann vollstreckbar, wenn der Gegner der gefährdeten Partei Kenntnis von der Entscheidung habe und sich diese im elektronischen Verfügungsbereich seines anwaltlichen Vertreters befinde. Die einstweilige Verfügung sei daher seit dem 18. Februar 2020, 8:44 Uhr vollstreckbar. Die Verpflichtete habe nach Zustellung der einstweiligen Verfügung gegen diese verstoßen, weil der dieser zugrunde liegende Artikel noch am 18. Februar 2020 um 12:41 Uhr auf der Website der Verpflichteten online und abrufbar gewesen sei.
[3] Das Erstgericht wies den Exekutionsantrag ab. Es sei zwar richtig, dass die einstweilige Verfügung ab dem 18. Februar 2020, 8:44 Uhr vollstreckbar gewesen sei. Dennoch dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass sie ein Gebot an die Verpflichtete enthalte, das umzusetzen jedenfalls eine gewisse Zeit dauere. Es wäre daher weltfremd, davon auszugehen, dass bereits wenige Minuten nach der Zustellung ein Verstoß vorläge. Das wäre dann zu vertreten, wenn die Verpflichtete danach eine ihr untersagte Handlung gesetzt hätte. Hier aber sei eine gewisse „Leistungsfrist“ zur Umsetzung des Unterlassungsgebots notwendig, liege es doch an der Verpflichteten, „eine bereits im Raum stehende Behauptung“ (gemeint: den inkriminierten Artikel) zu entfernen. Wenn nun die Verpflichtete in etwa drei Stunden für die Umsetzung des Gebots in Anspruch nehme, sei dies jedenfalls zu tolerieren, weshalb von einem schuldhaften Verstoß nicht gesprochen werden könne. Immerhin erfolge ja die Zustellung an den Rechtsvertreter, der keine Möglichkeit habe, dem Gebot selbst zu entsprechen, sondern dieses an seine Mandantschaft weiterleiten müsse. Auch wenn es hier im Wesentlichen um Tatfragen gehe, für die im Regelfall der Klageweg vorgesehen sei, ergebe sich dieser Sachverhalt schon aus dem Vorbringen der Betreibenden. Für diesen Fall lasse die Rechtsprechung aber die Abweisung des Exekutionsantrags zu.
[4] Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Betreibenden Folge, bewilligte die beantragte Exekution und verhängte über die Verpflichtete eine Geldstrafe von 5.000 EUR. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige, und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu. Nach 3 Ob 135/19b sei eine im elektronischen Rechtsverkehr zugestellte einstweilige Verfügung bereits dann vollstreckbar, wenn der Gegner der gefährdeten Partei Kenntnis davon habe und sich diese im elektronischen Verfügungsbereich seines anwaltlichen Vertreters befinde. Die Verpflichtete hätte sich daher ab diesem Zeitpunkt titelkonform verhalten und den Artikel von ihrer Website löschen müssen. Ob die Verpflichtete ein Verschulden daran treffe, dass sie den Artikel nicht sofort gelöscht habe, sei nicht im Exekutionsbewilligungsverfahren zu prüfen, sondern könne gegebenenfalls Gegenstand einer Impugnationsklage sein.
[5] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Verpflichteten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Er ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[6] 1. Eine einstweilige Verfügung ist ab ihrer Zustellung an den Antragsgegner vollstreckbar, weil einem gegen sie erhobenen Rekurs keine die Vollstreckbarkeit hemmende Wirkung zukommt (E. Kodek in Angst/Oberhammer 3 § 402 EO Rz 6 mwN; 3 Ob 135/19b mwN).
[7] 2. Erfolgt die Zustellung – wie hier – im elektronischen Rechtsverkehr, gilt gemäß § 89d Abs 2 GOG als Zustellungszeitpunkt der auf das Einlangen in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers folgende Werktag.
[8] 3. In der Entscheidung 3 Ob 135/19b hat der Senat die Vollstreckbarkeit einer – dort ebenfalls ein Unterlassungsgebot aussprechenden – einstweiligen Verfügung bereits vor dem Zustellzeitpunkt gemäß § 89d Abs 2 GOG (nur) für den Fall bejaht, dass ihr Inhalt dem Gegner der gefährdeten Partei selbst bereits an jenem Tag, an dem sie in den elektronischen Verfügungsbereich seines Rechtsvertreters gelangte (und von diesem abgerufen wurde), bekannt wurde (und er in Kenntnis der einstweiligen Verfügung handelte).
[9] 4. Aus dieser Entscheidung kann also entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht abgeleitet werden, dass eine einstweilige Verfügung unter allen Umständen bereits mit ihrem Einlangen in den elektronischen Verfügungsbereich des Parteienvertreters wirksam und vollstreckbar wäre.
[10] 5. Damit ist aber das Vorbringen im Exekutionsantrag, wonach die einstweilige Verfügung den Parteienvertretern am 18. Februar 2020 um 8:44 Uhr durch Hinterlegung per Web‑ERV zugestellt worden und „sohin seit dem Zeitpunkt der Zustellung am 18. Februar 2020 um 8:44 Uhr vollstreckbar“ sei, unschlüssig:
[11] 5.1. Das (allein behauptete) bloße Einlangen in den elektronischen Verfügungsbereich des Rechtsvertreters bedeutet noch nicht, dass das Zustellstück auch bereits in diesem Moment abgerufen wurde. Außerdem ist es – ohne Hinzutreten weiterer, hier gar nicht behaupteter Umstände – denkunmöglich, dass die Verpflichtete selbst bereits im Moment der elektronischen Zustellung der einstweiligen Verfügung an ihren Rechtsvertreter (um 8:44 Uhr) Kenntnis von deren Inhalt hatte.
[12] 5.2. Jedenfalls in einer Konstellation wie der hier vorliegenden, wenn also der inkriminierte Verstoß gegen das Unterlassungsgebot in einer bloßen Untätigkeit (nämlich der Nichtbeseitigung des dem Titel zugrunde liegenden Artikels) besteht, setzt die Vollstreckbarkeit einer einstweiligen Verfügung bereits vor dem Zustellzeitpunkt iSd § 89d Abs 2 GOG jedenfalls die Kenntnis der Partei selbst (und nicht nur die ihres Rechtsvertreters) vom Inhalt der (elektronisch zugestellten und abgerufenen) Verfügung voraus (aA Gitschthaler, Ich weiß etwas, was Du nicht weißt!, EF‑Z 2019/136).
[13] 6. Diese Unschlüssigkeit des Antrags hat dessen Abweisung ohne vorherigen Verbesserungsversuch zur Folge (RIS‑Justiz RS0106413 [T4, T8]).
[14] 7. Nur der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass die im Sinne des soeben Gesagten in einer Konstellation wie hier im Exekutionsantrag explizit zu behauptende Kenntnis der Verpflichteten vom Unterlassungsgebot bereits (spätestens) im Zeitpunkt des inkriminierten Verstoßes im Fall einer von der Verpflichteten gegen die Exekutionsbewilligung erhobenen Impugnationsklage von der Betreibenden zu beweisen wäre (vgl RS0000756).
[15] 8. Zusammenfassend ist also festzuhalten: Eine im elektronischen Rechtsverkehr zugestellte einstweilige Verfügung ist nur dann schon am Tag ihres Einlangens in den elektronischen Verfügungsbereich des Rechtsvertreters (also vor dem Zustellzeitpunkt gemäß § 89d Abs 2 GOG) wirksam und damit vollstreckbar, wenn (sobald) sie abgerufen wird und die Partei auch Kenntnis von ihrem Inhalt hat.
[16] 9. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO iVm § 78 EO.
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