European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0030OB00138.15P.0819.000
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die klagende Partei ist schuldig, der drittbeklagten Partei die mit 2.312,46 EUR bestimmten Kosten des Rekurses (darin enthalten 385,41 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung
Der Kläger begehrte mit am 22. 2. 2010 eingebrachten Anfechtungsklagen von den im Spruch genannten Beklagten (der Drittbeklagte war ursprünglich M***** persönlich [in Hinkunft: Schuldner]) Zahlung der im Spruch ersichtlichen Beträge. Die Beklagten bestritten das Vorliegen der Anfechtungsvoraussetzungen und beantragten Klageabweisung. Mit dem in der Tagsatzung vom 14. 9. 2010 verkündeten Beschluss wurden die vier Verfahren zu den damaligen AZ 21 Cg 58/10f, 21 Cg 59/10b, 21 Cg 60/10z (damals noch gegen den Schuldner) und 21 Cg 61/10x zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und das Verfahren AZ 21 Cg 58/10f zum führenden erklärt.
Mit seinem Urteil vom 28. 6. 2013, GZ 21 Cg 60/10z‑88, gab das Erstgericht sämtlichen Klagen statt. Dieses Urteil wurde dem (seinerzeitigen) Rechtsvertreter aller vier Beklagten am 3. 9. 2013 zugestellt. Bereits mit Beschluss vom 16. 5. 2013 ‑ somit nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz, jedoch vor Urteilsausfertigung ‑ war über das Vermögen des Schuldners zu AZ 10 S 55/13m des Landesgerichts Wiener Neustadt das Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet und die nunmehr Drittbeklagte zur Masseverwalterin bestellt worden.
Mit Beschluss vom 6. 9. 2013 (ON 91) erklärte das Erstgericht das infolge Konkurseröffnung unterbrochene Verfahren (nach Richterwechsel nunmehr zur AZ 15 Cg 64/13y) für wieder aufgenommen, berichtigte die Parteibezeichnung auf die Masseverwalterin und verfügte die Zustellung dieses Beschlusses sowie einer Urteilsausfertigung an diese, die am 11. 9. 2013 vorgenommen wurde.
Am 26. 9. 2013 wurde beim Erstgericht ein handschriftlich ausgefüllter Antrag des Schuldners auf Bewilligung der Verfahrenshilfe vom 20. 9. 2013 zur Erhebung eines Rechtsmittels im Verfahren AZ 21 Cg 60/10z samt Beilagen „überreicht“, auf dessen letzter Seite sich neben der Unterschrift des Schuldners der Zusatz „von Masseverwalterin genehmigt“ sowie der Kanzleistempel der drittbeklagten Masseverwalterin samt Unterschrift „i.A.“ ‑ beide Unterschriften im Original ‑ befinden; dieser Antrag wurde im führenden Akt (mit der nunmehrigen AZ 15 Cg 62/13g) als ON 93 einjournalisiert.
Am selben Tag langte per Post beim Erstgericht auch eine offenkundige Kopie des Verfahrenshilfeantrags ON 93 (mit den identen Beilagen) ein, der sich davon dadurch unterscheidet, dass er neben der (kopierten) Unterschrift des Schuldners weder den oben beschriebenen Genehmigungszusatz noch den Kanzleistempel noch die Unterschrift aufweist, jedoch eine weitere Unterschrift des Schuldners im Original. Dieser Antrag findet sich im verbundenen Akt (mit der nunmehrigen) AZ 15 Cg 64/13y ohne Ordnungsnummer.
Mit Beschluss vom 27. 9. 2013 zu AZ 15 Cg 64/13y wies das Erstgericht den Verfahrenshilfeantrag des Schuldners zurück. Dieser Beschluss befindet sich sowohl im führenden Akt im Original als ON 94, als auch als Kopie im Akt AZ 15 Cg 64/13y als ON 9 (an der die Rückscheine angeschlossen sind). Vom Erstrichter wurde die Zustellung an den Klagevertreter, die Masseverwalterin und den Schuldner verfügt. Dem VJ‑Register zu AZ 15 Cg 64/13y ist zu entnehmen, dass die Zustellung an die beiden Rechtsanwälte jeweils am 1. 10. 2013 vorgenommen wurde; ein Zustellnachweis für den Schuldner findet sich weder im führenden noch im verbundenen Akt und auch nicht im VJ‑Register. Der Beschluss blieb unbekämpft.
Mit Schriftsatz vom 21. 10. 2014, beim Erstgericht eingebracht am 23. 10. 2014, stellte die Drittbeklagte den Antrag, „über den Verfahrenshilfeantrag der Masseverwalterin vom 26. 09. 2013 zu entscheiden“. Mit diesem Schriftsatz legte sie eine Kopie des von ihr genehmigten Verfahrenshilfeantrags ON 93 vor.
Mit Beschluss vom 27. 1. 2015 zu AZ „15 Cg 64/13y führendes Verfahren 15 Cg 62/13g“, der als Rechtssache nur jene des Klägers und der Drittbeklagten anführt, wies das Erstgericht „den Verfahrenshilfeantrag der Beklagten […] ausgehend von dem von der Masseverwalterin mitgeteilten zwischenzeitigen Massekontostand von € 73.877,61 wegen Vorhandenseins der zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel“ ab (ON 114). Dieser Beschluss wurde dem Klagevertreter und der Drittbeklagten jeweils am 29. 1. 2015 zugestellt; eine Zustellung an den Schuldner wurde nicht verfügt. Er blieb unbekämpft.
Am 25. 2. 2015 brachte der Vertreter der Drittbeklagten eine Berufung gegen das Urteil ON 88 ein.
In seiner Berufungsbeantwortung beantragte der Kläger ua die Zurückweisung der Berufung als verspätet.
Das Berufungsgericht wies die Berufung zurück, weil sie verspätet sei. Dem gesamten Akteninhalt sei ausschließlich ein einziger Verfahrenshilfeantrag des Schuldners zu entnehmen. Dieser sei einmal ‑ mit dem Zusatz „von Masseverwalterin genehmigt“ beim Erstgericht überreicht worden und am selben Tag in Form einer (vom Schuldner unterfertigten, jedoch nicht mit dem genannten Zusatz versehenen) Kopie beim Erstgericht eingelangt. Das Erstgericht habe diesen Antrag mit Beschluss vom 27. 9. 2013, ON 94, gemäß § 3 IO unbekämpft zurückgewiesen. Ein weiterer Verfahrenshilfeantrag, insbesondere ein solcher der Drittbeklagten als Vertreterin der Masse, sei dem Akt nicht zu entnehmen. Auch mit ihrem Antrag vom 21. 10. 2014 habe die Drittbeklagte wiederum nur den am 26. 9. 2013 eingelangten Verfahrenshilfeantrag des Schuldners vorgelegt, über den das Erstgericht aber bereits entschieden gehabt habe. Die Entscheidung des Erstgerichts vom 27. 1. 2015 über einen angeblichen ‑ tatsächlich aber nicht vorliegenden ‑ Verfahrenshilfeantrag der Masseverwalterin sei daher gegenstandslos. Da die vierwöchige Berufungsfrist für die Drittbeklagte ‑ ausgehend von der Zustellung des Ersturteils am 11. 9. 2013 ‑ am 9. 10. 2013 um 24 Uhr geendet habe, sei die am 25. 2. 2015 im ERV eingebrachte Berufung verspätet erhoben worden.
Dagegen richtet sich der Rekurs (eventualiter für den Fall der Erfolglosigkeit des Rekurses: Wiedereinsetzungsantrag) der Drittbeklagten mit dem Antrag auf Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses mit dem Auftrag an das Berufungsgericht, über die Berufung zu entscheiden. Es handle sich nicht um idente, sondern um zwei unterschiedliche Verfahrenshilfeanträge, wovon auch das Erstgericht ausgegangen sei, wie sich aus seinen Begründungen ergebe. Erst die Genehmigung der Drittbeklagten als Masseverwalterin habe zu einer rechtswirksamen Prozesshandlung geführt, über die das Erstgericht erst mit 27. 1. 2015 entschieden habe, sodass die Berufung rechtzeitig eingebracht worden sei.
Der Kläger beteiligte sich am Rekursverfahren nicht.
Rechtliche Beurteilung
Der Vollrekurs (RIS‑Justiz RS0098745) ist aus folgenden Gründen berechtigt .
1. Zunächst ist klarzustellen, dass dem Erstgericht am 26. 9. 2013 zwei Verfahrenshilfeanträge mit identem Inhalt vorlagen, die sich dadurch unterschieden, dass einer nur vom Schuldner (im Original) unterfertigt war und der zweite sowohl vom Schuldner gezeichnet als auch von der Masseverwalterin genehmigt war.
2.
Die Frage, welchen rechtlich erheblichen Inhalt eine gerichtliche Entscheidung hat, ist eine Rechtsfrage, die aufgrund des Wortlauts des Spruchs und der Gründe der Entscheidung in Verbindung mit dem dadurch angewendeten Gesetz gelöst werden muss und nicht durch Erforschung des vermeintlichen Willens der am Zustandekommen der Entscheidung beteiligten Organwalter. Es gilt der allgemeine Grundsatz, dass Rechtsakte rechtskonform, gerichtliche Entscheidungen somit im Zweifel so auszulegen sind, dass ihnen nicht ohne Not eine Deutung gegeben wird, die sie als gesetzwidrig erscheinen ließe (RIS‑Justiz RS0008802).
3.1. Mit seinem Beschluss vom 26. 9. 2013 wies das Erstgericht den „Verfahrenshilfeantrag des M***** […] mangels Fähigkeit des Schuldners, über die Insolvenzmasse zu verfügen (§ 3 IO; mangelnde Prozessfähigkeit des Schuldners in Bezug auf die Masse betreffendes Vermögen)“ zurück. Ungeachtet der Vermengung von Spruch und Begründung ist diesem Wortlaut zunächst ganz eindeutig zu entnehmen, dass ein Antrag des Schuldners zurückgewiesen werden sollte; weiters kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Zurückweisungsgrund vom Erstgericht in der von ihm aus § 3 IO abgeleiteten fehlenden Prozessfähigkeit des Schuldners bezüglich der Masse erblickt wird.
3.2. Nach § 3 Abs 1 IO sind Rechtshandlungen des Schuldners soweit sie die Insolvenzmasse betreffen, den Insolvenzgläubigern gegenüber unwirksam. Unter Rechtshandlungen, die die Insolvenzmasse betreffen, sind nicht nur Rechtsgeschäfte, sondern alle Handlungen, die rechtliche Wirkungen hervorbringen, so auch die Erhebung einer Berufung ( Schubert in Konecny/Schubert , KO § 3 Rz 3; 9 Ob 39/07m) zu verstehen. Nach herrschender Auffassung steht die Unfähigkeit des Schuldners über die Insolvenzmasse zu verfügen, der mangelnden Prozessfähigkeit im Sinne des § 6 ZPO gleich (RIS‑Justiz RS0035434; Schubert KO § 6 Rz 18).
3.3. Es bestehen keine Zweifel, dass das Erstgericht mit seinem Beschluss vom 27. 9. 2013 den nur vom Schuldner allein gestellten Verfahrenshilfeantrag zurückgewiesen hat, weil es ihn entsprechend der dargestellten Rechtslage zutreffend für dazu nicht legitimiert erachtete.
3.4. Der ‑ erkennbar vom Berufungsgericht angesprochene ‑ Umstand der Genehmigung des weiteren Verfahrenshilfeantrags durch die Masseverwalterin, der die unaufgeforderte Sanierung des Mangels der Prozessfähigkeit darstellt (vgl RIS‑Justiz RS0035434 [T7]), ändert daran wegen des unmissverständlichen Wortlauts des Beschlusses nichts, der es ausschließt, eine Zurückweisung des genehmigten Verfahrenshilfeantrags zu unterstellen.
Es bestand daher auch für die Masseverwalterin kein Anlass, den Beschluss vom 27. 9. 2013 als Entscheidung über „ihren“ Verfahrenshilfeantrag zu verstehen.
4. Die mit dem Eintritt der Rechtskraft der Abweisung des von der Masseverwalterin („der Beklagten“) gestellten Verfahrenshilfeantrags mit Ablauf des 12. 2. 2015 neu zu laufen beginnende Berufungsfrist (§ 464 Abs 3 ZPO) war daher durch die Einbringung der Berufung im ERV am 25. 2. 2015 noch gewahrt.
Die Bestätigung der Vollstreckbarkeit des Urteils ON 88 gegenüber der Drittbeklagten wird daher vom Erstgericht von Amts wegen aufzuheben sein (§ 7 Abs 3 EO). Eine bis dahin bestehende Bindung daran trifft nur das Exekutionsgericht ( Jakusch in Angst ² § 7 Rz 97; 3 Ob 258/01i).
Die Zurückweisung der Berufung durch die zweite Instanz als verspätet erfolgte daher rechtsirrtümlich und war deshalb zu korrigieren. Das Berufungsgericht wird über die Berufung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund im fortgesetzten Berufungsverfahren zu entscheiden haben.
5. Die Kostenentscheidung beruht darauf, dass infolge des in der Berufungsbeantwortung ausdrücklich gestellten Antrags auf Zurückweisung der Berufung ein Zwischenstreit vorliegt.
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