Spruch:
Der Antrag der klagenden Parteien auf Bestimmung eines örtlich zuständigen Gerichtes gemäß § 28 JN wird abgewiesen.
Text
Begründung
Mit einer beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien wider die U*** DER S*** S*** als beklagte Partei
eingebrachten Klage begehren die beiden in Wien wohnhaften Kläger die Zahlung von S 38.380,-- sA und die Feststellung der Haftung für künftige Schäden aus einem Reaktorunfall, der sich am 25.4.1986 auf dem Staatsgebiet der beklagten Partei ereignet hat. Die Kläger behaupten, gemeinsame Eigentümer und Jagdberechtigte einer in Österreich gelegenen Eigenjagd und überdies gemeinsame Pächter eines weiteren Jagdgebietes zu sein. Wegen der durch den Reaktorunfall verursachten Zunahme der radioaktiven Strahlung sei ein Abschußverbot erlassen worden, das einerseits zu Vorsorgeaufwendungen von S 31.000,-- zwecks Verhinderung erhöhter Wildschäden und andererseits zu einem Schaden von S 7.380,-- wegen Entganges des Abschusses mehrerer Stücke Rehwild geführt habe. Weitere Schäden seien derzeit noch nicht konkretisierbar. Als Haftungsgrund machen die Kläger geltend, die beklagte Partei habe ihre Obsorgepflicht für die von ihr betriebene gefährliche Anlage bei der Errichtung eines Atomkraftwerkes und bei der späteren Kontrolle desselben verletzt. Sie habe für ein Verschulden untüchtiger Besorgungsgehilfen einzustehen, hafte auch ohne Verschulden als Eigentümer der Liegenschaft, auf der die Reaktoranlage betrieben werde, und als Betriebsunternehmer, sowie nach den Bestimmungen über grenzüberschreitende Immissionen. Die örtliche Zuständigkeit begründeten die Kläger mit dem Vorliegen der Gerichtsstände nach § 99 Abs.1 und 3 JN. Für den Fall, daß kein Vermögensgerichtsstand gegeben sein sollte, beantragten die Kläger die Bestimmung eines örtlich zuständigen Gerichtes gemäß § 28 Abs.1 Z 2 JN, weil eine Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre. Alle Gerichtsorgane der beklagten Partei seien befangen. Nach sowjetischem Recht bestehe weder ein Gerichtsstand noch die Möglichkeit, die Haftung der beklagten Partei in Anspruch zu nehmen. Sowohl nach österreichischem IPR-Recht - allenfalls in Anwendung des österreichischen ordre public - als auch nach sowjetischem IPR-Recht sei der geltend gemachte Ersatzanspruch nach österreichischem Recht zu beurteilen.
Das Erstgericht wies die Klage a limine wegen örtlicher Unzuständigkeit zurück und beschloß die Vorlage der Akten an den Obersten Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 28 Abs.1 JN. Es verneinte das Vorliegen eines Vermögens im Sinne des § 99 Abs.1 JN oder einer ständigen Vertretung der beklagten Partei für das Inland im Sinne des § 99 Abs.3 JN.
Das Gericht zweiter Instanz bestätigte den Beschluß des Erstgerichtes.
Auch das Gericht zweiter Instanz gelangte zum Ergebnis, daß sich im Sprengel des angerufenen Gerichtes kein Vermögen der beklagten Partei im Sinne des § 99 Abs.1 JN befinde. Seit der Zivilverfahrens-Novelle 1983 könne nämlich nur mehr Vermögen berücksichtigt werden, das exekutiv verwertbar sei, was auf die in der Klage angeführten Einrichtungen der beklagten Partei (Liegenschaften, auf denen das Botschaftsgebäude oder das Kulturinstitut der beklagten Partei stünden) nicht zutreffe. Weiteres Vermögen sei nicht bescheinigt. Die Frage, ob trotz Fehlens einer örtlichen Zuständigkeit die inländische Gerichtsbarkeit aus anderen Gründen gegeben sei, sei aus Anlaß des Rekurses nicht zu prüfen, sondern vom Obersten Gerichtshof anläßlich seiner Entscheidung über den gestellten Ordinationsantrag zu lösen.
Rechtliche Beurteilung
Nach dieser Entscheidung legte das Erstgericht die Akten dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 28 Abs.1 JN vor. Die Voraussetzungen für eine Ordination liegen nicht vor. Zwar mangelt es an der örtlichen Zuständigkeit eines inländischen Gerichtes iSd § 28 Abs.1 JN; denn neben dem schon durch die rechtskräftige Entscheidung im Zuständigkeitsstreit verneinten Gerichtsstand nach § 99 Abs 1 und 3 JN liegt auch der allenfalls in Betracht kommende Gerichtsstand nach § 81 JN nicht vor:
Unter einer Streitigkeit um unbewegliches Gut im Sinne dieser Gesetzesstelle sind neben den hier nicht in Betracht kommenden Teilungs-, Grenzberichtungs- und Besitzstörungsklagen nur Klagen zu verstehen, mit denen ein dingliches Recht an einer unbeweglichen Sache oder die Freiheit von einem solchen Recht geltend gemacht wird (Fasching, Lehr- und Handbuch Rz 288). Das dingliche Recht muß Klagegegenstand, nicht nur Klagegrund sein (Neumann, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen4 200). Als Fall der Eigentums-Freiheitsklage wird zwar auch eine Klage aufgefaßt, die auf die Abwehr unzulässiger Immissionen gerichtet ist (Spielbüchler in Rummel, ABGB, Rz 4 zu § 364; Petrasch ebendort Rz 9 zu § 523). Ein Fall der Negatorienklage ist aber nur eine Unterlassungsklage, allenfalls auch die Geltendmachung eines Beseitigungsanspruches, nicht jedoch die Geltendmachung des Ersatzes von schon eingetretenen Nachteilen, mag es sich um einen gewöhnlichen Schadenersatzanspruch oder einen verschuldensunabhängigen Ersatzanspruch nach § 364 a ABGB handeln (vgl Koziol-Welser, Grundriß, II7 86 und I8 407 und zur Verjährung des Vergütungsanspruches gleich einem Schadenersatzanspruch Spielbüchler aaO Rz 10 zu § 364 a mwN). Die Geltendmachung eines Geldanspruches der vorliegenden Art stellt keinen in die Zukunft gerichteten Abwehranspruch zum Schutz des Eigentums dar (vgl auch Wilhelm, JBl 1986, 696, der zwar den Gerichtsstand nach § 81 JN für alle Fälle der Negatorienklage als gegeben ansieht, aber dies für Ersatzansprüche der erwähnten Art nicht fordert).
Die Bestimmung der Zuständigkeit durch den Obersten Gerichtshof iSd § 28 JN kommt aber auch nach der Zivilverfahrens-Novelle 1983 nur in Betracht, wenn die inländische Gerichtsbarkeit gegeben ist. Die ausdrückliche Erwähnung der inländischen Gerichtsbarkeit entfiel nur, weil dieser Begriff in der Lehre sehr umstritten ist (669 Blg NR 15.GP 28). Weder sollten mit der Neufassung des § 28 JN die Grenzen der inländischen Gerichtsbarkeit neu bestimmt werden, noch sollte die Voraussetzung der inländischen Gerichtsbarkeit überhaupt entfallen (Matscher, JBl 1983, 505 !509 ). Sinn der Neuregelung war ursprünglich das in der Rechtsprechung zur früheren Fassung des § 28 JN vorgezeichnete Prinzip, daß trotz bejahter inländischer Gerichtsbarkeit eine Ordination nur stattfinden solle, wenn ein Bedürfnis nach Rechtsdurchsetzung im Inland bestehe. Im Zuge der während der Gesetzwerdung stattfindenden Expertengespräche (1337 BlgNR 15.GP 2) wurde dies schließlich dahin präzisiert, daß eine Ordination nur zu bewilligen ist, wenn - abgesehen vom Fall der Regelung in einem völkerrechtlichen Vertrag - die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre (§ 28 Abs.1 Z 2 JN nF). Weiters wurde klargestellt, daß der Kläger bei einem auf § 28 Abs.1 Z 2 JN gestützten Ordinationsantrag das Vorliegen dieser Voraussetzungen behaupten und bescheinigen muß (§ 28 Abs.2 Satz 2 JN nF).
Im vorliegenden Fall sind die Kläger dieser Verpflichtung nicht nachgekommen:
Ein von einem österreichischen Gericht gefälltes Urteil könnte - abgesehen von der Prozeßkostenentscheidung - mangels Vollstreckungsvertrages in der UdSSR voraussichtlich nicht vollstreckt werden (Loewe, Zwischenstaatlicher Rechtsverkehr in Zivilrechtssachen, FN 24 bei § 39, vgl auch Länderübersicht im Ergänzungsband 1987, 69; Abkommen vom 11.3.1970, BGBl 1972/112; Haager Prozeßübereinkommen BGBl 1957/91, dem die UdSSR gemäß BGBl 1967/213 beigetreten ist). Eine Vollstreckung in Österreich scheidet aber ebenfalls aus, weil die UdSSR in Österreich kein der inländischen Exekution unterworfenes Vermögen besitzt, wie dies im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren über die Zuständigkeit festgestellt wurde (vgl auch ausführlich JBl 1986, 733 = RdW 1986, 274 = RZ 1987/1). Zumindest fehlt es derzeit an der Bescheinigung einer Durchsetzbarkeit eines inländischen Urteiles sowohl in den UdSSR als auch in Österreich oder in einem dritten Staat. Wie der erkennende Senat kürzlich in einem Großbritannien betreffenden Fall ausgesprochen hat (3 Nd 509/87 mit Hinweis auf den anders gelagerten Fall der Entscheidung JBl 1986, 191, wo mit einem künftigen Pensionsanspruch des Beklagten in Österreich zu rechnen war), ist andererseits die Rechtsverfolgung im Ausland grundsätzlich zumutbar, wenn nur ein dort eingeleiteter Rechtsstreit zur Durchsetzung der Forderung des Klägers führen kann. Damit ist gemeint, daß ein Kläger dann auch die mit einer Prozeßführung im Ausland verbundenen Schwierigkeiten auf sich nehmen muß, wenn ein vor dem österreichischen Gericht durchgeführter Prozeß nur zur Schaffung eines praktisch wertlosen Urteilspapieres, nicht aber zur wirklichen Rechtsdurchsetzung führen könnte. Es kann nicht Sache der österreichischen Justiz sein, ein umfangreiches, langwieriges und kostspieliges Verfahren abzuführen, wenn fast alles dafür spricht, daß das Ergebnis nur ein wertloses Schriftstück sein kann. Freilich steht den Klägern im vorliegenden Fall offen, entgegen der aufgezeigten naheliegenden Prognose darzutun, daß wegen eines nach der Klagseinbringung (Zeitpunkt der Prüfung des Vermögensgerichtsstandes) hervorgekommenen inländischen Privatvermögens der UdSSR, das nicht hoheitlichen Zwecken dient oder für das die UdSSR die Zustimmung zur Exekution erteilt hat, ein im Inland durchgeführter Rechtsstreit doch sinnvoll wäre. Eine Glaubhaftmachung der Durchsetzbarkeit eines inländischen Urteiles haben aber die Kläger unterlassen. Sie haben nur andere Umstände behauptet. Der Hinweis, alle Richter der UdSSR seien sozusagen befangen und würden auf jeden Fall gegen die Kläger entscheiden, ist als bloße Unterstellung nicht zielführend.
Der erkennende Senat geht auch nicht davon aus, daß eine nach dem Recht der UdSSR allenfalls mögliche Einflußnahme politischer Instanzen zu einer Verneinung berechtigter Ansprüche der vorliegenden Art führen müsse. Die Annahme, eine Befassung von Gerichten der UdSSR würde auf jeden Fall zu einer Rechtsverweigerung führen, ist somit nicht bescheinigt (vgl auch Brunner-Schmidt, VersR 1986, 833). Die Probleme, die daraus entstehen könnten, daß das materielle Schadenersatzrecht der UdSSR anders geregelt ist als das österreichische oder daß nach dem Prozeßrecht der UdSSR andere Verfahrensgrundsätze gelten als in Österreich, sind aber, wie schon gesagt wurde, hinzunehmen, weil der mühsame Versuch einer Rechtsdurchsetzung in der UdSSR immer noch sinnvoller als eine praktisch wertlose Prozeßführung in Österreich ist. Da es somit schon an den Ordinationsvoraussetzungen mangelt, muß nicht zum Problem der inländischen Gerichtsbarkeit Stellung genommen werden. Diese wäre zwar nach hier weitgehend übereinstimmender Auffassung ohnedies nicht gegeben, soweit mit der vorliegenden Klage auch eine Verletzung staatlicher Prüfungs- und Kontrollpflichten (also nach österreichischer Rechtssprache ein Amtshaftungsanspruch geltend gemacht wird; sie könnte aber wegen des vorhandenen Inlandbezuges gegeben sein, soweit Haftungsgründe vom Eigentum an der Anlage oder deren (vorschriftswidrigem) Betrieb oder vom Immissionsrecht abgeleitet werden. Insofern hinge die inländische Gerichtsbarkeit davon ab, ob - nach der inländischen Rechtsanschauung (vgl das Bundesgesetz vom 15.12.1978 über das Verbot der Nutzung der Kernspaltung für die Energieversorgung in Österreich, BGBl 1978/676) - trotz der besonderen Gefährlichkeit der Nutzung der Kernenergie etwa deshalb, weil in mehreren Staaten Kernkraftwerke auch von Privaten betrieben werden, eine Schadenszufügung im Rahmen einer privatwirtschaftlichen Tätigkeit (acta jure gestionis) vorliegt oder ob (abgesehen von einer Möglichkeit der Nutzung auch zu militärischen Zwecken) selbst ein ausschließlich nur der Stromversorgung dienender Betrieb eines Kernkraftwerkes immer hoheitlicher Natur ist (acta jure imperii). Weiters muß nicht untersucht werden, ob gerade bei einem Fall der vorliegenden Art nur die völkerrechtliche Wiedergutmachung zwischen Staaten, nicht aber eine direkte Klage einer Privatperson gegen den ausländischen Staat zusteht (vgl dazu ausführlich Verdross-Simma, Universelles Völkerrecht3, §§ 1029, 1300). Im jetzigen Stadium des Verfahrens ist auch nicht zu prüfen, ob die passive Klagslegitimation der UdSSR gegeben sein kann, wenn zum Betrieb des Kernkraftwerks Tschernobyl etwa eine eigene juristische Person eingerichtet wurde.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)