OGH 3Nc25/19k

OGH3Nc25/19k28.8.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

 Hoch als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen E*****, geboren am ***** 2012, Mutter: M*****, vertreten durch Dr. Sabine Gauper, Rechtsanwältin in Klagenfurt am Wörthersee, Vater: Dipl.‑Ing. P*****, vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen

Übertragung der

Zuständigkeit nach § 

111 Abs 2

JN, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0030NC00025.19K.0828.000

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts St. Veit an der Glan vom 13. Juni 2019, GZ 2 Ps 162/17x‑113, gemäß § 111 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Leopoldstadt wird genehmigt.

 

Begründung:

Die Obsorge für den Minderjährigen kommt den Eltern gemeinsam zu. In dem bisher beim Bezirksgericht St. Veit an der Glan geführten Pflegschaftsverfahren sind Anträge des Vaters auf Einräumung eines Kontaktrechts zum Kind und die Übertragung der alleinigen Obsorge an ihn anhängig. Ein Beschluss dieses Gerichts vom 25. Oktober 2018, womit dem Vater ein vorläufiges begleitetes Kontaktrecht zum Minderjährigen eingeräumt wurde, wurde zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgehoben. Die zuletzt mit der Besuchsbegleitung betraute Gesellschaft lehnt es seit einer massiven Eskalation beim Erstkontakt ab, weitere begleitende Kontakte anzubieten.

Noch während des Rechtsmittelverfahrens gab die Mutter mit Schriftsatz vom 20. Mai 2019 bekannt, dass sie aus beruflichen und finanziellen Gründen ihren Aufenthalt und Hauptwohnsitz (und damit auch jenen des Kindes) nach Wien verlegen müsse. Auch der Vater habe Mitte April 2019 seinen Lebensmittelpunkt nach Wien verlegt. Sie beantragte deshalb, das Verfahren „gemäß § 44 JN“ an das für ihre neue Adresse zuständige Bezirksgericht Leopoldstadt abzutreten.

Der Vater sprach sich gegen eine Zuständigkeitsübertragung aus. Der darauf abzielende Antrag der Mutter diene lediglich der Verfahrensverzögerung, die dem Kindeswohl eindeutig widerspräche. Es sei zwar richtig, dass er an der Technischen Universität Wien dissertiere, sein Lebensmittelpunkt bleibe aber weiterhin in Kärnten.

Das Bezirksgericht St. Veit an der Glan übertrug mit Beschluss vom 13. Juni 2019 die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftsssache gemäß § 111 JN dem Bezirksgericht Leopoldstadt.

Dieses verweigerte die Übernahme der Zuständigkeit mit der Begründung, dass über den offenen Antrag vom 25. Oktober 2017 bisher ein umfangreiches Erhebungsverfahren geführt worden sei, das nunmehr nach den Aufträgen in den Rechtsmittelentscheidungen zu ergänzen sei. Die Einarbeitung eines neuen Richters in den sehr umfangreichen Akt würde zu einer nennenswerten Verzögerung führen. Überdies seien im Rahmen der erforderlichen Verfahrensergänzungen Personen und Institutionen aus dem Sprengel des Bezirksgerichts St. Veit an der Glan zu hören, die dort viel einfacher zur Verfügung stünden.

Das übertragende Gericht legte aufgrund dieser Weigerung den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 

111 Abs 2

JN vor.

Rechtliche Beurteilung

Die Zuständigkeitsübertragung ist zu genehmigen.

1. Gemäß § 

111 Abs 1

JN kann das bisher zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht von Amts wegen oder auf Antrag seine

Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse eines Minderjährigen oder sonst Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Ausschlaggebendes Kriterium für die

Übertragung der

Zuständigkeit nach § 

111 JN ist immer das Kindeswohl (RIS‑Justiz RS0047074 [T1]). Dabei nimmt die Rechtsprechung an, dass der pflegschaftsgerichtliche Schutz in der Regel am besten durch jenes Gericht gewährleistet wird, in dessen Sprengel sich das Kind aufhält (RS0047300 [T1, T23]). Eine Zuständigkeitsübertragung ist daher grundsätzlich zu genehmigen, wenn der Lebensmittelpunkt des Kindes – wie hier – in den Sprengel eines anderen als des bisher zuständigen Bezirksgerichts verlagert wird (RS0047300 [T11]).

2. Offene Anträge sprechen nicht grundsätzlich gegen eine Zuständigkeitsübertragung (RS0046895 ua). Es kann zwar eine Sachbearbeitung durch das bisher zuständige Gericht etwa wegen besonderer Sachkenntnisse, eines stärkeren Sachbezugs oder schon durchgeführter, insbesondere unmittelbarer Beweisaufnahmen unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls vorteilhafter sein (RS0047032 [T5a]). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor:

Das übertragende Gericht hat bisher keine unmittelbaren Beweise aufgenommen, sondern lediglich ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten eingeholt, das noch zu ergänzen (und allenfalls mündlich zu erörtern) sein wird. Da der Sachverständige in Graz ansässig ist, kann nicht gesagt werden, dass seine allenfalls notwendige Anreise nach Wien einen wesentlich höheren Aufwand bedeuten würde als jene zum übertragenden Gericht.

Im fortgesetzten Verfahren werden außerdem die näheren Umstände des bisher einzigen begleiteten Besuchskontakts und der damaligen Eskalation zu klären sein. Da aber bereits eine ausführliche Stellungnahme der Besuchsbegleiterin zum Geschehensablauf vorliegt, erscheint in erster Linie eine Einvernahme der Eltern zu diesem Thema erforderlich; dabei ist zu berücksichtigen, dass nunmehr nicht nur die Mutter mit dem Kind in Wien lebt, sondern auch der Vater – wegen seines Studiums – zumindest zeitweise hier anzutreffen ist. Dieser hat mittlerweile auch schon beantragt, ein näher bezeichnetes Wiener Besuchscafe als neuen Besuchsbegleiter zu beauftragen.

3. Unter Berücksichtigung aller Umstände dient die Übertragung der Zuständigkeit daher dem Kindeswohl.

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