Spruch:
Das Mietrecht ist ein Vermögensrecht. Unwirksamkeit der Aufgabe von Mietrechten durch den Schuldner (§ 8 Abs. 3 AO.). Anschlußkonkurs. Veräußerung der im Streit verfangenen Sache (§ 234 ZPO.).
Entscheidung vom 2. April 1952, 2 Ob 852/51.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt - Wien; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
In der Zeit zwischen der nach § 56 Abs. 1 Z. 1 und 8 AO. erfolgten Einstellung des Ausgleichsverfahrens und der nach § 56 Abs. 5 AO. erfolgten Eröffnung des Anschlußkonkurses hat der Ausgleichsschuldner bzw. Gemeinschuldner Friedrich M. ohne Zustimmung des Ausgleichsverwalters die von ihm gemieteten Geschäftslokale Nr. 11 und 12 des Hauses Wien, II., G.gasse 6, den Hauseigentümern, d. i. den ersten drei Beklagten, zur Verfügung gestellt. Diese Geschäftslokale wurden daraufhin an den Viert- und Fünftbeklagten vermietet, die die rückständige Mietzinsschuld des Friedrich M. zur Zahlung übernahmen. Sowohl dem für die Hauseigentümer einschreitenden Hausverwalter Ernst H. als auch dem Viert- und Fünftbeklagten war hiebei die Zahlungsunfähigkeit des Friedrich M. und das gegen ihn eröffnete Ausgleichsverfahren bekannt. Nach Einbringung der gegenständlichen Klage haben der Viert- und Fünftbeklagte die gegenständlichen Geschäftslokale geräumt und wurden diese darauf von den ersten drei Beklagten der Firma S. & Sch. vermietet.
Das Erstgericht hat das Klagebegehren des Inhaltes, 1. der zwischen der erst-, zweit- und drittbeklagten Partei einerseits und der viert- und fünftbeklagten Partei anderseits abgeschlossene Mietvertrag hinsichtlich der Geschäftsräume Nr. 11 und 12 im Hause Wien II., G.gasse 6, sei gegenüber den Konkursgläubigern rechtsunwirksam und nichtig, 2. die viert- und fünftbeklagte Partei sei schuldig, diese Geschäftslokale der klagenden Partei zu übergeben, abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat das erstgerichtliche Urteil insoweit abgeändert, als es ausgesprochen hat, daß der zwischen der erst-, zweit- und drittbeklagten Partei einerseits und der viert- und fünftbeklagten Partei anderseits abgeschlossene Mietvertrag hinsichtlich der Geschäftsräume Nr. 11 und 12 im Hause Wien II., G.gasse 6, gegenüber den Konkursgläubigern rechtsunwirksam sei. Im übrigen hat das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil bestätigt.
Der Oberste Gerichtshof gab den Revisionen beider Teile Folge und änderte das Urteil des Berufungsgerichtes dahin ab, daß a) das Klagebegehren des Inhaltes, der zwischen der erst-, zweit- und drittbeklagten Partei einerseits, der viert- und fünftbeklagten Partei andererseits abgeschlossene Mietvertrag hinsichtlich der Geschäftsräume Nr. 11 und 12 im Hause Wien, II., G.gasse 6, sei gegenüber den Konkursgläubigern rechtsunwirksam und nichtig, abgewiesen wurde und b) die viert- und fünftbeklagte Partei zur ungeteilten Hand schuldig erkannt wurden, der klagenden Partei die Geschäftslokalitäten Nr. 11 und 12 im Hause Wien, II., G.gasse 6, binnen 14 Tagen bei Exekution geräumt zu übergeben.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Es ist für die Entscheidung dieses Rechtsstreites ohne Bedeutung, wenn die Untergerichte feststellen, daß der Aufgabe der Mietrechte durch den Gemeinschuldner und der Vermietung der Geschäftslokale durch die ersten drei Beklagten an den Viert- und Fünftbeklagten eine Einigung unter den genannten Beteiligten vorausging, die die Untergerichte als "dreiseitiges Übereinkommen" bezeichnen. Das Klagebegehren ist jedenfalls nur darauf gerichtet, daß der zwischen den ersten drei Beklagten als den Hauseigentümern und dem Viert- und Fünftbeklagten als Mietern abgeschlossene Mietvertrag rechtsunwirksam und nichtig sei. Für einen solchen Ausspruch fehlt aber jede rechtliche Handhabe, denn ein Bestandvertrag unter dritten Personen wird durch den Gemeinschuldner betreffende Verfügungsbeschränkungen (§ 8 Abs. 2 AO.) nicht berührt, noch kann er irgendeine Wirkung auf das Vermögen des Gemeinschuldners (§ 27 KO.) haben, geschweige kann seine Nichtigkeit von einer am Vertrage nicht beteiligten Person geltend gemacht werden. Da das Klagebegehren ausdrücklich von dem zwischen den in ihm genannten Personen abgeschlossenen Mietvertrag spricht, erübrigt sich ein Eingehen auf die Frage der Abtretung von Mietrechten des Gemeinschuldners. Beigefügt sei, daß der Oberste Gerichtshof in wiederholten Entscheidungen (2 Ob 504/49, 2 Ob 242/50) die Rechtsansicht vertreten hat, daß dem Bestandnehmer gegen den Bestandgeber nach § 1096 ABGB. grundsätzlich der Anspruch auf Herstellung des vertragsmäßigen Zustandes im Gebrauche der Bestandsache zusteht und diese Leistungsklage (auf Zuhaltung des Mietvertrages) ein Feststellungsbegehren unzulässig erscheinen läßt. Daß aber auch gegen den Viert- und Fünftbeklagten ein das Feststellungsbegehren unzulässig machender Leistungsanspruch gegeben ist, wird unten gezeigt werden. Der Revision der beklagten Parteien ist daher darin beizupflichten, daß das Klagebegehren des Inhaltes, der zwischen der erst-, zweit- und drittbeklagten Partei einerseits und der viert- und fünftbeklagten Partei anderseits abgeschlossene Mietvertrag hinsichtlich der Geschäftsräume Nr. 11 und 12 im Hause Wien II., G.gasse 6, sei gegenüber den Konkursgläubigern rechtsunwirksam und nichtig, aus rechtlichen Gründen der Abweisung verfallen muß. Im Hinblick darauf erübrigt sich ein weiteres Eingehen auf die Ausführungen der Revision der Beklagten.
Gegen den Viert- und Fünftbeklagten stellt sich der Anspruch der Konkursmasse auf Übergabe der Geschäftslokale als petitorischer Anspruch des früheren Mieters gegen den nunmehrigen Besitzer der Bestandsache dar, wie ihn die neuere Rechtsprechung analog §§ 372 - 374 ABGB. gewährt (Klang, Kommentar, 2. Auflage, zu § 1090 ABGB., S. 24). Daß der Gemeinschuldner die Bestandsache früher vom Vermieter übergeben erhalten hatte, ist unbestritten, ebenso, daß die Hauseigentümer mit dem Viert- und Fünftbeklagten einen zweiten Mietvertrag abgeschlossen haben. Die Konkursmasse dringt mit ihrem Anspruch durch, wenn die Aufgabe der Mietrechte durch den Gemeinschuldner unwirksam (§ 8 Abs. 3 AO.) war und der Viert- und Fünftbeklagte beim Abschluß des Mietvertrages nicht der Überzeugung sein konnten, durch den Abschluß des Mietvertrages nicht mit den Mietrechten des Gemeinschuldners in Kollision zu kommen. Diese Voraussetzungen sind gegeben. Der Gemeinschuldner hat sich seiner Mietrechte vor der Rechtskraft der Einstellung des Ausgleichsverfahrens begeben. Der Oberste Gerichtshof hat in wiederholten Entscheidungen (1 Ob 735/50, 1 Ob 58/51, 1 Ob 60/51, 1 Ob 687/51) ausgesprochen, daß Mietrechte als Vermögensbestandteile anzusehen sind. Die Aufgabe von Mietrechten gehört nicht zu dem gewöhnlichen Geschäftsbetrieb, zur regelmäßigen Abwicklung von Geschäften, bei denen der Vorteil augenscheinlich ist (SZ. II/78), bedarf daher von der Eröffnung des Ausgleichsverfahrens an der Zustimmung des Ausgleichsverwalters, die im gegenständlichen Fall nicht eingeholt worden ist. Die Aufgabe der Mietrechte durch den Gemeinschuldner gegenüber dem Hausverwalter H. war daher gemäß § 8 Abs. 3 AO. den Gläubigern gegenüber unwirksam, da der Hausverwalter H. bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit wissen mußte, daß sie über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb des Gemeinschuldners hinausging und daß die Zustimmung des Ausgleichsverwalters fehlte. Dieser Sachverhalt mußte aber bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit auch dem Viert- und Fünftbeklagten bekannt sein, sodaß sie beim Abschluß des Mietvertrages nicht redlich, d. h. der Überzeugung sein konnten, durch den Abschluß des Vertrages nicht mit den Mietrechten des Gemeinschuldners in Kollision zu kommen. Die Unwirksamkeit der Aufgabe der Mietrechte durch den Gemeinschuldner im Sinne des § 8 Abs. 3 AO. kann im Anschlußkonkurs der Masseverwalter geltend machen.
Die Revision der klagenden Parteien beruft sich mit Recht auf die Vorschrift des § 234 ZPO. Wenn dem Mieter eine publizianische Klage analog §§ 372 - 374 ABGB. gegeben und das Bestandrecht solcher Art verdinglicht wird, besteht keinerlei Veranlassung zu einer einschränkenden Anwendung des § 234 ZPO. Die während des Rechtsstreites erfolgte Räumung der klagsgegenständlichen Geschäftslokale durch den Viert- und Fünftbeklagten und die Vermietung dieser Lokale an die Firma S. & Sch. hat daher als Veräußerung der im Streit verfangenen Sache auf den gegenständlichen Rechtsstreit keinen Einfluß. Veräußerung der im Streit verfangenen Sache im Sinne des § 234 ZPO. ist jede Art von Einzelnachfolge in bezug auf den Streitgegenstand, jede Änderung der subjektiven Beziehungen der Streitteile zu dem Streitgegenstand (SZ. XXII/100, 1 Ob 72/49). Der von der angefochtenen Entscheidung bezogenen Entscheidung 3 Ob 420/51 liegt insofern ein anderer prozessualer Sachverhalt zugrunde, als in diesem Falle die Wohnung, deren Übergabe gefordert wurde, schon zur Zeit der Klagseinbringung anderweitig vermietet war. Allfällige Schwierigkeiten bei der zwangsweisen Durchsetzung der zu fällenden Entscheidung stehen der Anwendung des § 234 ZPO. nicht entgegen (1 Ob 72/49).
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