European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0020OB00083.14S.0911.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Beklagten sind schuldig, der Klägerin die mit 2.227,87 EUR (darin 371,31 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Die Vorinstanzen sprachen der 1962 geborenen Klägerin aufgrund der Verletzungen, die sie bei einem Verkehrsunfall 2010 als Beifahrerin am Motorrad ihres Ehemanns, welcher mit dem vom Erstbeklagten gelenkten und gehaltenen und bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Traktor kollidierte, wobei die Klägerin vom Traktoranhänger überrollt wurde, ein Teilschmerzengeld von 170.000 EUR zu. Die Haftung der Beklagten ergebe sich aus § 8 EKHG. Die Klägerin erlitt durch das Überrolltrauma auf hartem Untergrund eine massive Decollementverletzung (Ablederung) mit ausgedehntem Weichteilverlust im Bereich des gesamten Unterbauchs, des Beckenbereichs, im Genitalbereich sowie an beiden Oberschenkeln, teilweise bis knapp oberhalb des Knies reichend, und zusätzlich ausgedehnte knöcherne Verletzungen des Beckenrings und der Wirbelsäule und auch einen Schlüsselbeinbruch links am äußeren Ende. Innerhalb der ersten zwei Monate nach dem Unfall musste sich die Klägerin 22 Operationen unterziehen und sodann weiteren Operationen und Rehabilitationen, sie verbrachte zwei Monate auf der Intensivstation und zwei Wochen intubiert in künstlichem Tiefschlaf. Ihr wurde ein künstlicher Darmausgang gelegt und Monate später wieder rückoperiert. Das Entleeren der Harnblase ist der Klägerin nur durch massives Pressen möglich. Der erlittene Dammriss hatte eine unnatürliche Erweiterung des Scheideneingangs zur Folge. Die Klägerin hat im Unterleib entweder gar kein Gefühl oder starke Schmerzen sowie zusätzliche Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, weshalb ein solcher praktisch nicht mehr möglich ist. Darüber hinaus ist fallweise Harninkontinenz vorhanden. Sie leidet unter chronischen Schmerzen, welche nahezu immer vorhanden sind. Trotz der starken Medikamente inklusive Morphiumpräparaten gelingt es nicht, der Klägerin die Schmerzen zu nehmen, sondern nur, ihren Zustand erträglich zu machen. Als Nebenwirkung der Medikamente leidet die Klägerin unter einer starken Verstopfung, mittlerweile ist sie auch von den Opiaten abhängig. Die Opiate führen auch zu Müdigkeit, Schwindelgefühl und Konzentrationsstörungen. Die Klägerin erlitt auch ein Schädelhirntrauma mit Gehirnerschütterung. Sie leidet an einer reaktiven Depression sowie einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil der Klägerin ein außergewöhnlich hohes Schmerzengeld zuerkannt worden sei, welches die in der Rechtsprechung bislang zugesprochenen Beträge übersteige.
Die Beklagten wenden sich in ihrer Revision gegen die Höhe des Schmerzengelds und beantragen, der Klägerin lediglich 110.000 EUR aus diesem Titel zuzuerkennen. Höhere Beträge seien bislang nur in Fällen von Querschnittslähmung, dauernder Pflegebedürftigkeit oder schweren psychischen Beeinträchtigungen zuerkannt worden. Im Übrigen sollte laut den Feststellungen des Erstgerichts und auch dem Vorbringen der Klägerin der vom Erstgericht festgesetzte Betrag das Schmerzengeld bis zum 60. Lebensjahr der Klägerin (bis Ende 2022) abdecken und nicht bloß bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz.
Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw dieser nicht Folge zu geben.
Die Revision ist ungeachtet des ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (RIS‑Justiz RS0042392) ‑ Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen iSv § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig:
Rechtliche Beurteilung
1. Das Schmerzengeld soll grundsätzlich eine einmalige Abfindung für Ungemach sein, das der Verletzte voraussichtlich zu erdulden hat. Es soll den gesamten Komplex der Schmerzempfindungen, auch so weit es für die Zukunft beurteilt werden kann, erfassen (RIS‑Justiz RS0031307). Eine Globalbemessung ist lediglich dann nicht vorzunehmen, wenn noch gar kein Dauer-(End-)Zustand vorliegt, weshalb die Verletzungsfolgen noch nicht oder noch nicht in vollem Umfang und mit hinreichender Sicherheit überblickt werden können bzw wenn Schmerzen in ihren Auswirkungen für den Verletzten zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz noch gar nicht oder nicht endgültig überschaubar erscheinen (2 Ob 240/10y mwN; Danzl/Gutiérrez-Lobos/Müller, Schmerzengeld10, 246 f).
2. Ein derartiger Fall ist hier gegeben. Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass eine Abschätzbarkeit der der Klägerin künftig entstehenden Schmerzen nur bis zum 60. Lebensjahr möglich ist. Das Berufungsgericht hat daraus den rechtlichen Schluss gezogen, dass eine Teilbemessung nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz, also bis zum 30. 10. 2013, vorzunehmen ist, weil es nicht sachgerecht ist, eine „Teil‑Globalbemessung“ auch unter Einbeziehung der derzeit bekannten zukünftigen Schmerzen vorzunehmen (vgl RIS‑Justiz RS0115721). Die Bezugnahme der Klägerin auf die laut Sachverständigengutachten (also bezogen auf die Tatfrage) gegebene ‑ Bewertbarkeit bis zum Jahr 2022 schadet nicht, weil es sich bei der maßgeblichen zeitlichen Begrenzung um eine Rechtsfrage handelt, die das Berufungsgericht im Einklang mit der Rechtsprechung gelöst hat.
3. Bei der Bemessung des Schmerzengelds ist einerseits auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, andererseits zur Vermeidung einer völligen Ungleichmäßigkeit der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen. Es darf der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen für die Bemessung im Einzelfall nicht gesprengt werden (RIS‑Justiz RS0031075). Tendenziell erscheint es dabei geboten, das Schmerzengeld nicht zu knapp zu bemessen (RIS‑Justiz RS0031075 [T4]; vgl auch 2 Ob 242/09s). Lediglich im Falle einer eklatanten Fehlbemessung, die völlig aus dem Rahmen der ständigen oberstgerichtlichen Rechtsprechung fällt, wäre zur Vermeidung gravierender Ungleichbehandlungen durch die Rechtsprechung und damit letztlich aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit eine Revision ausnahmsweise zulässig (RIS‑Justiz RS0031075 [T7]).
4. Eine derartige eklatante Fehlbemessung ist dem Berufungsgericht hier nicht unterlaufen:
Im vorliegenden Fall musste die Klägerin nach den Feststellungen der Tatsacheninstanzen bis Anfang des Jahres 2012 in komprimierter Form insgesamt 68 Tage Schmerzen schweren Grades, 28 Wochen Schmerzen mittleren Grades und 52 Wochen Schmerzen leichten Grades ertragen, im Jahr 2012 weitere 3 Tage Schmerzen schweren Grades, 45 Tage Schmerzen mittleren Grades und 163 Tage Schmerzen leichten Grades sowie von Jänner bis Oktober 2013 noch 30 Tage Schmerzen mittleren Grades und 157,5 Tage Schmerzen leichten Grades. Wenn das Berufungsgericht daraus, sowie aus dem Umstand, dass die Klägerin eine Unzahl an Operationen über sich ergehen lassen musste, trotz starker Medikamente ständig an Schmerzen sowie auch an psychischen Beeinträchtigungen (Depression, posttraumatische Belastungsstörung) leidet, einen Schmerzengeldbetrag von 170.000 EUR ausmittelte, so stellt dies keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar. Die Zuerkennung höherer Beträge im Vergleich zu früheren Schmerzengeldzusprüchen ist einerseits aufgrund der inflationsbedingten Geldentwertung (vgl 3 Ob 128/11m) und andererseits aufgrund der oben zitierten Rechtsprechung, wonach das Schmerzengeld tendenziell nicht zu knapp zu bemessen ist, gerechtfertigt.
Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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