Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.058,88 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 676,48, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 23. 3. 1991 befand sich die Klägerin als Beifahrerin in einem bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten PKW BMW auf der Fahrt von Slowenien nach Österreich.
Unter Anerkennung eines Mitverschuldens von einem Drittel begehrt sie Schadenersatz in der Höhe von S 634.667 sA sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für künftige Schäden im Ausmaß von zwei Dritteln. Sie brachte dazu vor, während der Fahrt habe der Lenker des PKW begonnen sich ihr unsittlich zu nähern. Trotz wiederholter Aufforderungen, damit aufzuhören, habe er dieses Verhalten fortgesetzt. Sie habe den Lenker schließlich aufgefordert, das Fahrzeug umgehend anzuhalten, damit sie aussteigen könne. Dieser Aufforderung sei der Lenker nicht nachgekommen, weshalb sie - um sich aus den Fängen des Lenkers zu befreien und ihrem Wunsch, in Ruhe gelassen zu werden, Nachdruck zu verleihen - ihren Gurt geöffnet und demonstrativ die Beifahrertüre geöffnet habe. Als der Lenker dies bemerkt habe, habe er sein Fahrzeug beschleunigt, weshalb sie in einer Kurve aus dem Fahrzeug geschleudert und schwer verletzt worden sei.
Die beklagte Partei wendete ein, Ursache für die Verletzung der Klägerin sei der Umstand, dass sie - vermutlich in selbstmörderischer Absicht - aus dem Fahrzeug gesprungen sei; jedenfalls treffe die Klägerin das überwiegende Verschulden.
Das Erstgericht ging vom gleichteiligen Verschulden der Klägerin und des Lenkers des PKW aus und verurteilte die beklagte Partei zur Zahlung von S 476.000 sA und gab dem Feststellungsbegehren im Ausmaß der Hälfte statt.
Dabei wurden im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Die Klägerin fuhr als Beifahrerin in dem bei der beklagten Partei versicherten Fahrzeug von Slowenien in Richtung zur österreichischen Grenze; dies war etwa zwischen 0.00 Uhr und 1.00 Uhr nachts. Das Fahrzeug fuhr mit einer Geschwindigkeit zwischen 70 und 80 km/h. Während der Fahrt legte der Fahrzeuglenker seine rechte Hand auf das Knie der Klägerin, welche dies abwehrte und auf den Beifahrersitz nach rechts zur Seite rückte. Sie gab dem Lenker zu verstehen, dass sie diese Berührung nicht wünsche. Sie forderte ihn auf, das Fahrzeug anzuhalten und erklärte ihm, dass sie aussteigen und nicht mehr mit ihm mitfahren wolle. Um den Lenker dazu zu bewegen, das Fahrzeug anzuhalten, öffnete sie die Türe auf ihrer Seite etwa 30 cm weit und löste ihren Sicherheitsgurt. Der Lenker merkte am Geräusch, dass die Türe offenstand, hielt aber nicht an, sondern fuhr mit unverminderter Geschwindigkeit weiter. In einer darauf folgenden Kurve stürzte die Klägerin aus dem Fahrzeug und verletzte sich schwer. Sie ist nicht vorsätzlich aus dem Fahrzeug gesprungen.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, gemäß Art 4 des Übereinkommens über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht vom 4. Mai 1971, BGBl 1975/387 (Haager Straßenverkehrsübereinkommen) sei österreichisches Recht anzuwenden. Der Unfall habe sich beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges ereignet, weshalb das EKHG zur Anwendung gelange. Gemäß §§ 1 und 5 EKHG hafte die beklagte Partei für die gesundheitlichen Schäden der Klägerin, weil es sich um einen Unfall beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges gehandelt habe. Dass der Lenker des Fahrzeuges jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG beachtet hätte, sei von der beklagten Partei gar nicht vorgebracht worden. Allein die Tatsache, dass er, obwohl er durch das Geräusch der Türe wahrgenommen habe, dass diese geöffnet war, das Fahrzeug nicht angehalten oder die Geschwindigkeit verringert habe, schließe eine Beachtung dieser Sorgfalt aus. Zwar sei die Handlung des Fahrzeuglenkers, während der Fahrt seine Hand auf das Knie der Klägerin zu legen, ihm wegen des fehlenden Adäquanzzusammenhanges mit dem Sturz der Klägerin aus dem Fahrzeug nicht als Verschulden anzulasten; ein nicht gänzlich unerheblicher Grad des Verschuldens sei allerdings darin zu erblicken, dass der Lenker, trotz der Situation, die sich durch den von der Beifahrerin geäußerten Wunsch, er möge anhalten und sie aussteigen lassen und durch die geöffnete Beifahrertüre bei gleichzeitigem Lösen des Gurtes ergeben habe, sein Fahrzeug nicht angehalten oder wenigstens die Geschwindigkeit drastisch verringert habe. Der Klägerin sei allerdings anzulasten, dass sie bei einer Geschwindigkeit von 70 bis 80 km/h und trotz der in Slowenien bestehenden Gurtenpflicht den Gurt gelöst und die Beifahrertür geöffnet habe. Dies stehe im Adäquanzzusammenhang mit dem darauffolgenden Sturz auf die Fahrbahn und sei dieser Sturz auch keineswegs unvorhersehbar gewesen. Eine Teilung des Verschuldens im Verhältnis 1 : 1 sei gerechtfertigt.
Das von der beklagten Partei angerufene Berufungsgericht änderte die angefochtene Entscheidung lediglich dahin ab, dass es die beklagte Partei zur Zahlung von S 396.000 sA verurteilte und das Mehrbegehren abwies.
Das Berufungsgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, es sei die Schadensteilung des Erstgerichtes im Verhältnis von 1 : 1 an sich nicht zu bemängeln. Zur Haftungsbefreiung nach § 9 Abs 2 EKHG reiche es nicht aus, dass den Betriebsunternehmer, Halter und die mit ihrem Willen beim Betrieb tätigen Personen kein Verschulden treffe. Vielmehr müsse die äußerste nach den Umständen des Falles mögliche und zumutbare Sorgfalt eingehalten werden. Bei Anwendung dieser erhöhten Sorgfaltspflicht hätte der Lenker des PKW, als er bemerkt habe, dass die Klägerin seine Annäherung abwehre, auf dem Beifahrersitz nach rechts zur Seite rücke und die Fahrzeugtüre geöffnet habe, um ihrem Verlangen, er möge anhalten und sie aussteigen lassen, Nachdruck zu verleihen, seine Geschwindigkeit vermindern und ihrer Aufforderung nachkommen müssen. Dass er dies unterlassen und mit unverminderter Geschwindigkeit in die folgende Kurve eingefahren sei, wirke sich zu Lasten der beklagten Partei aus, weil ihr der nach § 9 Abs 2 EKHG obliegende Entlastungsbeweis nicht gelungen sei.
Der Klägerin sei anzulasten, die eigene körperliche Integrität fahrlässig beeinträchtigt zu haben, indem sie trotz einer Geschwindigkeit von 70 bis 80 km/h und des Lösens des Sicherheitsgurtes vom Lenker weg nach rechts gerückt und die Beifahrertür geöffnet habe. Beim Zusammentreffen der Erfolgshaftung mit der Verschuldenshaftung im Sinne des § 7 EKHG komme § 1304 ABGB zur Anwendung, weshalb von einer Schadensteilung auszugehen sei; gegen das vom Erstgericht angenommene Verhältnis von 1 : 1 bestünden keine Bedenken.
Anders als das Erstgericht erachtete aber das Berufungsgericht ein geringeres Schmerzengeld für angemessen, weshalb es die Entscheidung des Erstgerichtes teilweise abänderte.
Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei insoweit, als die im Feststellungsurteil festgestellte Haftung nicht mit den in den §§ 15 und 16 EKHG enthaltenen Haftungshöchstgrenzen begrenzt wurde.
Die klagende Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der beklagten Partei zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der beklagten Partei ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist, sie ist aber nicht berechtigt.
Die beklagte Partei macht in ihrem Rechtsmittel geltend, das Berufungsgericht habe ihre Haftung ausschließlich auf die Bestimmungen des EKHG gestützt. Nach ständiger Rechtsprechung sei aber bei einem Feststellungsbegehren die Haftungsbeschränkung nach den Haftungshöchstgrenzen der §§ 15 und 16 EKHG von Amts wegen zu beachten.
Hiezu wurde erwogen:
Entgegen der in der Revisionsbeanwortung vertretenen Ansicht ist das Berufungsgericht offenbar nicht von einem Verschulden des PKW-Lenkers ausgegangen, sondern hat die Ansicht vertreten, es sei der beklagten Partei der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG nicht gelungen. Im Falle einer Haftung nach dem EKHG ist aber die Beschränkung dieser Haftung auf die Höchstbeträge des EKHG bei einem Feststellungsbegehren von Amts wegen zu beachten (RIS-Justiz RS00390111; ZVR 1991/134; ZVR 1992/70). Der Vorwurf der Revision, das Berufungsgericht hätte - ausgehend von seiner Rechtsansicht - die Beschränkung auf die Höchstbeträge des EKHG im Feststellungsurteil berücksichtigen müssen, ist daher grundsätzlich zutreffend.
Trotzdem ist die Revision aber nicht berechtigt. Wie schon das Erstgericht dargelegt hat, ist dem Lenker des PKW nicht nur die Außerachtlassung der besonderen Sorgfalt nach § 9 Abs 2 EKHG anzulasten, sondern trifft ihn vielmehr ein Verschulden. Die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens liegt jedenfalls darin, dass er der Aufforderung der Klägerin, das Fahrzeug anzuhalten um sie aussteigen zu lassen, nicht Folge leistete. Der Lenker des PKW hat die Klägerin dadurch in ihrem absolut geschützten Rechtsgut auf Freiheit (Koziol, Haftpflichtrecht, II**2, 167 f) verletzt. Überdies hat der Lenker des PKW die körperliche Integrität der Klägerin gefährdet indem er trotz geöffneter Tür und trotz gelösten Sicherheitsgurtes unvermindert mit einer Geschwindigkeit zwischen 70 und 80 km/h weiterfuhr. Dieses Verhalten war auch ursächlich für den Schaden, den die Klägerin in der Folge erlitten hat. Das Verhalten des PKW-Lenkers ist auch für den eingetretenen Erfolg adäquat ursächlich gewesen, weil es seiner Natur nach für die Herbeiführung eines solchen Erfolges nicht völlig ungeeignet erscheint; der Erfolg ist nicht nur wegen einer ganz außergewöhnlichen Verkettung von Umständen eingetreten (s Koziol/Welser, II11, 282 mwN; RIS-Justiz RS0098939). Es stellt keine außergewöhnliche Verkettung von Umständen dar, wenn eine Frau, nachdem sie die Annäherungsversuche eines Mannes abgewehrt und ihn aufgefordert hat, Stehenzubleiben, in der Folge den Sicherheitsgurt löst und die Beifahrertür öffnet und schließlich, wenn der Fahrzeuglenker dessen ungeachtet weiterfährt, auch aus dem Auto geschleudert wird. Dass der Fahrzeuglenker schuldhaft gehandelt hat, worauf die Revisionsbeantwortung zutreffend verweist, ist offensichtlich.
Der Revision der beklagten Partei war deshalb im Ergebnis nicht Folge zu geben. Das Verschulden des Fahrzeuglenkers konnte vom Obersten Gerichtshof ohne gegen das Verbot der Schlechterstellung des Rechtsmittelwerbers wahrgenommen werden, weil der maßgebliche Spruch der Entscheidung des Berufungsgerichtes (s hiezu Fasching, LB**2, Rz 1746; Rechberger/Simotta, Grundriss des österr Zivilprozessrechts5, Rz 824) nicht abgeändert wird.
Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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