Normen
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §89 (1) Z1
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §89 (1) Z1
Spruch:
Ein Leistungsanspruch aus der Unfall- oder Pensionsversicherung nach dem ASVG. ruht während einer Untersuchungshaft auch dann nicht, wenn diese nachträglich auf die Strafe angerechnet wird. Der Zeitpunkt, von dem an die Pension infolge einer nachfolgenden Strafhaft ruht, hängt ausschließlich von der strafgerichtlichen Entscheidung über die Anrechnung ab.
Entscheidung vom 2. Mai 1968, 2 Ob 75/68.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien: II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Franz M., seinerzeit Pensionist des klagenden Sozialversicherungsträgers - er ist am 12. Mai 1965 gestorben - ist durch Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 17. Oktober 1963 wegen Verbrechens nach den §§ 128 und 8 StG. sowie wegen Übertretung nach § 516 StG. zu 5 1/2 Jahren schweren Kerkers verurteilt worden; in diesem Strafurteil ist die Verwahrungs- und Untersuchungshaft vom 23. Juni bis 17. Oktober 1963 auf die Freiheitsstrafe angerechnet worden. Der Berufung des Verurteilten ist vom Obersten Gerichtshof am 11. März 1964 dahin Folge gegeben worden, daß die Freiheitsstrafe auf drei Jahre schweren Kerkers herabgesetzt wurde. Mit Beschluß vom 17. April 1964 hat das Landesgericht für Strafsachen Wien gemäß § 400 StPO. die von Franz M. in der Zeit vom 17. Oktober 1963 bis 11. März 1964 zugebrachte Untersuchungshaft auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet. Der Beklagte Verteidiger des Franz M. - hat als Machthaber des Genannten die diesem seitens der Klägerin gebührenden Pensionsbezüge in Verwahrung genommen und im Hinblick auf die Ruhensbestimmung des § 89 (1) Z. 1 ASVG. gegenüber der Klägerin am 21. Oktober 1963 die Erklärung abgegeben, sie von der Beendigung der Untersuchungshaft des Franz M. zu verständigen. In der Zeit vom 1. April bis 31. Juli 1964 wurden nach dem Vorbringen der Klägerin an den Beklagten für Franz M. Pensionsbezüge in der Höhe von 5443.30 S bezahlt. Mit rechtskräftig gewordenem Bescheid vom 11. Dezember 1964 hat die Klägerin das Ruhen der Invaliditätspension des Franz M. ab 1. April 1964 gemäß der bezogenen Bestimmung festgestellt. Nunmehr verlangt die Klägerin vom Beklagten die Zahlung von 2807.20 S s. A. mit der Begründung, daß dieser entgegen seiner Verpflichtung den Strafantritt des Franz M. nicht rechtzeitig gemeldet und die Pensionszahlungen von 5443.30 S zu Unrecht übernommen habe; von diesem Betrage bringt die Klägerin selbst den Teilbetrag von 2636.10 S in Abzug, den der Beklagte an die Verlassenschaft Franz M. ausgefolgt hatte. Der Beklagte hat seine Verpflichtung zur Rückzahlung der an ihn seit 17. April 1964 überwiesenen Beträge anerkannt, im übrigen aber die Klagsabweisung mit der Begründung beantragt, Franz M. habe die Freiheitsstrafe nicht vor diesem Tage angetreten.
Das Erstgericht hat den Beklagten zur Zahlung des Betrages von 2807.20 S s. A. an die Klägerin verurteilt.
Der Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht teilweise Folge gegeben und in Abänderung des Ersturteils den Beklagten bloß zur Zahlung von 645.40 S an die Klägerin verurteilt, das Mehrbegehren puncto 2182 S aber abgewiesen. Das Berufungsgericht war zum Ergebnis gekommen, daß der Strafantritt des Franz M. nicht vor dem 17. April 1964 erfolgt sein könne; für den Zeitraum vom 11. März 1964 bis zum tatsächlichen Strafantritte sei das Begehren unbegrundet, weil insoweit der Beklagte seine Verpflichtung, den Strafantritt des Franz M. der Klägerin anzuzeigen, nicht verletzt habe; die Pension für April 1964 und die in diesem Monate ausgezahlte Sonderzahlung von je 1080.90 S (2 mal 1080.90 S ergeben die in dritter Instanz strittigen 2161.80 S), habe der Beklagte der Klägerin nicht zurückzuzahlen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge. Er änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß das Ersturteil wiederhergestellt wurde.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Vorweg ist von Amts wegen festzuhalten, daß gegenüber Franz M. bzw. seiner Verlassenschaft das Ruhen der Invaliditätspension ab 1. April 1964 durch den bezogenen Bescheid vom 11. Dezember 1964 rechtskräftig festgestellt worden ist. Der Beklagte hat für den Genannten dessen Pensionsbezüge in Verwahrung genommen. Der Klägerin wäre also freigestanden, unter den sonstigen Voraussetzungen den Rückersatz von der Verlassenschaft zu fordern und nach Maßgabe des Ergebnisses dieses Einschreitens auf die Ansprüche der Verlassenschaft gegen den Beklagten aus dem Verwahrungsverhältnisse zu greifen. An Stelle dieses Vorganges hat die Klägerin den Beklagten aus seiner Verpflichtungserklärung vom 21. Oktober 1963 direkt in Anspruch genommen, wogegen schon deswegen keine Bedenken bestehen, weil sich der Beklagte nach seinem Prozeßvorbringen gegen seine unmittelbare Inanspruchnahme nicht ausgesprochen hat. Im Verhältnis der Klägerin zum Beklagten als einer dritten Person ist aber der Rechtsweg zulässig und besteht keine Bindung an den erwähnten Feststellungsbescheid.
Zutreffend wendet sich die Revisionswerberin gegen die Beurteilung der Berufungsinstanz, daß der Strafantritt des Franz M. nicht vor dem 17. April 1964 erfolgt sein könne, woraus der Rückforderungsanspruch hinsichtlich des vorausgegangenen Zeitraumes unbegrundet sei. Gemäß § 89 (1) Z. 1 ASVG. ruht u. a. ein Leistungsanspruch hinsichtlich einer Invaliditätspension, solange der Anspruchsberechtigte eine Freiheitsstrafe verbüßt (bei der oben bezeichneten Dauer der Freiheitsstrafe ist die Vorschrift des § 89
(2) ASVG. diesfalls ohne Bedeutung). Nun ist zwar nach der neueren Praxis im Leitungsstreitverfahren der Sozialversicherung (vgl. die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien vom 28. November 1966, 16 R 164/66, SSV. VI 139) festzuhalten, daß ein Leistungsanspruch aus der Unfall- oder Pensionsversicherung nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz während einer Untersuchungshaft auch dann nicht ruht, wenn diese nachträglich auf eine Strafe angerechnet wird. Die Tatsache der Anrechnung bestimmt sich aber aus der Erledigung des Strafgerichtes, was nach der obigen Sachverhaltsdarstellung bedeutet, daß die Verbüßung der Freiheitsstrafe seitens des Franz M. am 11. März 1964 begonnen hat, wenn auch die Durchführung der aus dem Erkenntnis der zweiten Instanz abzuleitenden Maßnahmen erst später erfolgt ist. Es kommt in diesem Zusammenhang keineswegs im Sinne der Ausführungen des Revisionsgegners auf den Unterschied zwischen dem Status eines Untersuchungshäftlings und dem eines Strafgefangenen an, es ist diesfalls auch nicht auf die Erlassung der Strafvollzugsanordnung oder die ärztliche Untersuchung auf Haftfähigkeit abzustellen. Maßgebend ist vielmehr für die Anwendung des § 89 (1) Z. 1 ASVG. die strafgerichtliche Entscheidung über die Anrechnung der Untersuchungshaft auf die verhängte Freiheitsstrafe. Die Durchführung dieser strafgerichtlichen Verfügung nimmt notwendigerweise eine gewisse Zeit in Anspruch, die je nach den Gegebenheiten des Einzelfalles länger oder kürzer dauern wird, die aber für die Beurteilung des Ruhens des Leistungsanspruches aus der Sozialversicherung deshalb ohne Bedeutung ist, weil die bezogene Vorschrift auf die Verbüßung der Freiheitsstrafe abstellt und diesfalls Franz M. nach dem Ende der Untersuchungshaft mit 11. März 1964 formell mit der Verbüßung der Freiheitsstrafe begonnen hat. Bei anderer Auffassung käme bloß zufälligen Ereignissen entscheidendes Gewicht zu und wäre auch die Ermittlung der Voraussetzungen für die Anwendung des § 89 (1) Z. 1 ASVG. erschwert. Der alleinige Grund, aus dem der Beklagte die Rückzahlung der Pensionsbezüge für April 1964 verweigert, trifft also nicht zu, sodaß der Revision der Klägerin Folge zu geben und in Abänderung des Berufungsurteils die Entscheidung der ersten Instanz laut Spruch wiederherzustellen war.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)