Spruch:
Auch Unterhaltsbeträge, die der Getötete zu seinen Lebzeiten geleistet hat, obwohl er mit Rücksicht auf seine Vermögenslage nur zur Leistung geringerer Beträge hätte verhalten werden können, sind den Hinterbliebenen zu ersetzen.
Entscheidung vom 21. November 1951, 2 Ob 739/51.
I. Instanz: Kreisgericht Krems; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Kläger erhoben Schadenersatzansprüche gegen den Erstbeklagten als Chauffeur und gegen den Zweitbeklagten als dessen Dienstgeber und Eigentümer (Halter) des vom Erstbeklagten gelenkten Personenkraftwagens mit der Begründung, daß ersterer durch unvorsichtiges und vorschriftswidriges Fahren auf der Bezirksstraße den Tod ihres ehelichen Sohnes verursacht und verschuldet habe, der mit ihnen im gemeinsamen Haushalt gelebt und wesentlich zu ihrem Unterhalt beigetragen habe, indem er ihnen aus seinem Verdienst eine laufende Unterstützung von monatlich 180 bis 200 S zukommen ließ.
Sie forderten aus dem Rechtsgrund des § 1327 ABGB. von den Beklagten gemäß § 7 KraftfVerkG. bzw. § 16 des zitierten Gesetzes und Art. IV EVzKFG. eine monatliche Rente von je 100 S auf Lebensdauer.
Nach Durchführung eines Beweisverfahrens gab das Erstgericht dem Klagebegehren kostenpflichtige Folge.
Der Berufung der Beklagten versagte das Berufungsgericht in der Hauptsache den Erfolg.
Der Oberste Gerichtshof hat der Revision der beklagten Partei nicht Folge gegeben.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Erstgericht gelangte auf Grund schwieriger Berechnungen schließlich zu der Annahme es sei das gemeinsame Familieneinkommen unter die drei Familienangehörigen zu gleichen Teilen aufgeteilt worden, so daß sich für jede Person ein Aufwand von zirka 175 S ergeben habe und somit für den Anteil der Kläger ein Betrag von monatlich zirka 87 S aus den Mitteln ihres Sohnes beigestellt wurde, der für sie somit zirka 174 S monatlich aufwendete. Bei gerichtlicher Bemessung der Unterhaltsleistung für seine bedürftigen, weil nur auf die unzulängliche Rente des Erstklägers angewiesenen Eltern, hätte der Verunglückte unter Annahme eines getrennten Haushaltes zu einer so hohen Leistung als der, die er tatsächlich erbrachte, nicht verurteilt werden können. Wenn er aber freiwillig seine Bedürfnisse zugunsten der Kläger einschränkte, habe er einer Rechtspflicht genügt, die, auch wenn sie in diesem Ausmaß gerichtlich nicht durchsetzbar gewesen wäre, doch seiner Leistung den Charakter einer Schenkung nehme. Den Hinterbliebenen gebühre aber das, was ihnen durch den Tod des Unterhaltspflichtigen entgangen ist, unter dem Titel des Schadenersatzes. Das Berufungsgericht war der gleichen Ansicht. Die Unterinstanzen haben sich, nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes zutreffend, mit dem Einwand auseinandergesetzt, daß die zugesprochene Rente jenen Betrag übersteige, der den Klägern im Fall gerichtlicher Geltendmachung des ihnen angesichts ihrer Bedürftigkeit gemäß § 154 ABGB. zustehenden Unterhaltsanspruches im ordentlichen Rechtswege äußerstenfalls vom Gericht als "anständiger Unterhalt" zugesprochen worden wäre. Gewiß ist der Umkreis der dem Täter obliegenden Ersatzpflicht durch den Hinweis auf die gesetzliche Unterhaltspflicht des Getöteten bestimmt, so daß reine Liberalitäten nicht maßgebend sind (ZBl. 1933, Nr. 367; RZ. 1933, S. 190; AnwZ. 1934, S. 193; SZ. XI/144; ZBl. 1935, Nr. 126). Allein, im vorliegenden Falle handelt es sich keineswegs um Schenkungen, sondern um regelmäßig wiederkehrende Leistungen, die der Verunglückte in Erfüllung der ihm gesetzlich obliegenden Unterhaltspflicht, wenn auch vielleicht über jenes Ausmaß hinaus erbracht hat, das ihm - vor allem unter der Annahme eines selbständigen Haushaltes - vom Gericht hätte urteilsmäßig auferlegt werden können. Dadurch, daß der Verunglückte, der ja überdies mit den Klägern im gemeinsamen Haushalt und dadurch wesentlich billiger lebte, als wenn er als Junggeselle sich selbständig verköstigt und eine eigene Wohnung besessen hätte, so daß er auch einen größeren Unterhaltsbeitrag zu leisten imstande war, Unterhaltsbeiträge gewährte, die über das ihm äußerstenfalls unter den angedeuteten Voraussetzungen spruchmäßig auferlegbare Ausmaß hinausgingen, haben diese Leistungen den Charakter von Unterhaltsleistungen, die in Erfüllung der gesetzlichen Pflicht erbracht wurden, keineswegs verloren und sind nicht zu Schenkungen geworden (vgl. SZ. XIV/5 und 97). Die Ersatzpflicht trifft den Verantwortlichen demnach in dem Ausmaß, in welchem der Verunglückte seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht im Zeitpunkte seines Ablebens entsprochen hatte. Es kann darum unbeachtet bleiben, daß der Verunglückte, wenn er den Klägern Beträge zuwendete, die das Minimum dessen übersteigen, was er eventuell zwangsweise ihnen hätte bezahlen müssen, und die auch keineswegs hinreichten, um seinen alten und bedürftigen Eltern mehr als den notdürftigen Unterhalt zu ermöglichen, auch in Erfüllung einer sittlichen Pflicht gehandelt hat.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)