Spruch:
Über die Voraussetzungen, unter denen die Ehegattin den Unterhalt in Form einer Geldrente begehren kann.
Die Ehefrau verliert ihren Unterhaltsanspruch nur bei besonders schweren Eheverfehlungen, die gegen die wichtigsten Grundsätze der Ehe verstoßen.
Entscheidung vom 14. November 1951, 2 Ob 710/51.
I. Instanz: Bezirksgericht Waidhofen a. d. Thaya; II. Instanz:
Kreisgericht Krems.
Text
Das Erstgericht hat zu Recht erkannt, daß das auf Leistung des Unterhaltes gerichtete Begehren der klagenden Ehegattin dem Gründe nach zu Recht besteht, im wesentlichen mit der Begründung, daß die Erklärung des Beklagten, die Klägerin wieder in seinem Haushalt aufzunehmen, keinen Anspruch darauf erheben kann, als ernst genommen zu werden, dies deshalb, weil bereits ein Verfahren wegen Scheidung der Ehe der Streitteile anhängig ist, der Beklagte in Gemeinschaft mit einer anderen Frau lebt, die ein vom Beklagten gezeugtes Kind zur Welt gebracht hat, und weil der Beklagte erklärt hat, er lasse sich die Entfernung der anderen Frau nicht vorschreiben, werde sie aber beim tatsächlichen Erscheinen der Klägerin bis zur rechtskräftigen Beendigung des Scheidungsverfahren aus der Hausgemeinschaft entfernen. Überdies habe die Klägerin die Erfüllung ihrer Pflicht, dem Ehemann in die eheliche Gemeinschaft zu folgen, auch deshalb verweigern dürfen, weil sie bei ihrem schweren Leiden in der Wohnung des Beklagten nicht die erforderliche Hilfe, Unterstützung und Pflege gefunden hätte und der Beklagte ihr nicht so entgegengekommen sei, wie es nach ihrem Krankheitszustand zu erwarten gewesen wäre.
Das Berufungsgericht hat das Verfahren durch Vernehmung eines zweiten ärztlichen Sachverständigen ergänzt und auf Grund des Gutachtens dieses Sachverständigen festgestellt, daß die Klägerin an multipler Sklerose leidet, daß die Klägerin sicher nicht in der Lage war, ihren Verpflichtungen im Haushalt allein nachzukommen, und daß das Leiden der Klägerin, die zunächst noch keiner besonderen Betreuung bedurfte, sich wesentlich verschlechtert hat. Nach den weiteren Feststellung des Berufungsgerichtes hat die Klägerin, zumindest in dem in Frage stehenden Zeitraum, die häusliche Gemeinschaft mit dem Ehemann infolge der wesentlichen Verschlechterung ihres Leidens nicht wieder aufgenommen.
Das Leiden der Klägerin und die Tatsache, daß der Beklagte eine andere Frau in seine Wohnung aufgenommen hat und mit dieser Frau ein Kind zeugte, rechtfertigen nach Ansicht des Berufungsgerichtes die Weigerung der Klägerin, dem Ehemann an seinen Wohnsitz zu folgen. Das Berufungsgericht hat daher das Urteil des Erstgerichtes bestätigt.
Der Oberste Gerichtshof hat der Revision des beklagten Ehemannes nicht Folge gegeben.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Dem Berufungsgericht ist beizupflichten, daß die vom Beklagten behaupteten Verstöße der Klägerin gegen ihre Pflichten als Ehegattin (das ist der Vorwurf, daß sie das damalige Kaufmannsgeschäft des Beklagten nicht weitergeführt, das Warenlager beiseite geschafft, die Wohnungseinrichtung verkauft, dem als ehemaligen Nationalsozialisten nach Kriegsende verfolgten Beklagten nicht beigestanden sei, Holz, das für die Herstellung einer neuen Wohnungseinrichtung bestimmt war, verkauft habe und dem Kläger nach Eröffnung des neuen Kaufmannsgeschäftes gewisse Gegenstände nicht mitgegeben habe) die Verpflichtung des Beklagten zur Leistung des Unterhaltes an die Klägerin nicht beeinflußt haben. Die behaupteten Verfehlungen sind nicht so schwer, daß aus ihnen der Verlust des Anspruches auf Unterhalt abgeleitet werden könnte. Nur bei Vorliegen besonders schwerer Eheverfehlungen der Ehefrau, die gegen die wichtigsten Grundsätze der Ehe verstoßen, wie Ehebruch oder fortgesetzte empfindliche Verletzungen der ehelichen Treue oder wenn der Ehemann von der Ehefrau in seiner körperlichen Sicherheit gefährdet wird, wie beispielsweise bei Meuchelmordversuch, schweren körperlichen Mißhandlungen oder Drohungen, wird in der Rechtsprechung der Verlust des Anspruches auf Unterhalt angenommen (vgl. Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, 3 Ob 491/50 und 1 Ob 375/50).
Der Ansicht des Berufungsgerichtes, daß es bei der Unterhaltsverpflichtung des Beklagten bleibt, selbst wenn die Klägerin die ihr zu Last gelegten Verfehlungen sich zu Schulden kommen ließ, haftet demnach ein Rechtsirrtum nicht an. Der Beklagte hätte unter den gegebenen Verhältnissen auf Scheidung der Ehe klagen und so versuchen müssen, von seiner gesetzlichen Unterhaltverpflichtung befreit zu werden. Das Berufungsgericht hat also mit Recht ein Eingehen auf die der Klägerin zur Last gelegten Verletzungen der Treuepflicht für entbehrlich bezeichnet.
Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung bekämpft die Revision die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß im vorliegenden Fall ein Anspruch Leistung einer Geldrente zu Recht besteht, denn eine solche sei nur dann zu bezahlen, wenn die Naturalleistung aus Verschulden des Ehemannes unmöglich geworden ist.
Dieser Ansicht kann nicht uneingeschränkt beigepflichtet werden. Es kann aus objektiven Gründen (z. B. wegen Ausübung eines Berufes oder wie im gegebenen Fall wegen Krankheit) der Ehegattin vorübergehend nicht möglich sein, dem Ehemann in den neuen Wohnsitz zu folgen. In einem solchen Fall ist die Folgepflicht der Ehegattin vorübergehend aufgehoben; die ohne Zutun der Ehefrau herbeigeführte Unterbrechung der Gemeinschaft kann an der Unterhaltspflicht des Ehemannes, die unter solchen Umständen nur durch Gewährung einer Geldrente erfüllt werden kann, nichts ändern.
Im gegebenen Fall hat die Klägerin nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes keineswegs grundlos sich geweigert, dem Mann in den neuen Wohnsitz zu folgen. Ihre Weigerung ist vielmehr für den maßgebenden Zeitraum sowohl in der wesentlichen Verschlimmerung ihres Leidens als auch in der Aufnahme einer anderen Frau in die Wohnung des Beklagten begrundet.
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