Spruch:
Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung insgesamt zu lauten hat:
"1. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 251.345,01 samt 4 % Zinsen aus
S 228.845,01 vom 20. März 1986 bis 8. Juni 1987 und aus S 251.345,01 ab 9. Juni 1987 binnen 14 Tagen zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, daß die beklagten Parteien der klagenden Partei für 3/4 aller künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 15. November 1985 in Schloßberg, Verwaltungsbezirk Leibnitz, auf der Landesstraße 613, bei Straßenkilometer 19,800 zur ungeteilten Hand haften, wobei die Haftung der zweitbeklagten Partei der Höhe nach mit der Haftpflichtversicherungssumme für den PKW Ford Escort 1100, pol. Kennzeichen St 719.971, begrenzt ist.
3. Das Mehrbegehren
a) die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei einen weiteren Betrag von S 83.781,67 samt 4 % Zinsen seit 20. März 1986 sowie 4 % Zinsen aus S 22.500,-- vom 20. März 1986 bis 8. Juni 1987 zu bezahlen;
b) es werde festgestellt, daß die beklagten Parteien der klagenden Partei zur ungeteilten Hand für ein weiteres Viertel der künftigen Schäden (somit für alle künftigen Schäden) aus dem Unfall vom 15. November 1985 haften,
wird abgewiesen.
4. Die beklagten Parteien haben zur ungeteilten Hand dem Kläger die mit S 51.405,20 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin enthalten S 88,80 Barauslagen und S 4.665,12 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
5. Die beklagten Parteien haben weiters zur ungeteilten Hand dem Kläger die mit S 11.325,80 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten S 1.029,61 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
6. Die beklagten Parteien haben zur ungeteilten Hand dem Kläger die mit S 1.920,23 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 174,56 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
7. Der Kläger hat den beklagten Parteien an anteiligen Barauslagen S 14.712,78 zu ersetzen."
Text
Entscheidungsgründe:
Am 15. November 1985 ereignete sich im Gemeindegebiet von Schloßberg, Bezirk Leibnitz, auf der Landesstraße 613 ein Verkehrsunfall, bei welchem der Kläger als Fußgänger schwere lebensgefährliche Verletzungen erlitt. Die Asphaltfahrbahn dieser Straße ist an der Unfallstelle 5,65 m breit, in der Fahrbahnmitte befindet sich eine Leitlinie. An den nördlichen Fahrbahnrand schließt ein 2,5 m breiter niveaugleicher Streifen an, der im Anschluß an die Fahrbahn auf einer Breite von 35 bis 50 cm geschottert und im übrigen mit Gras bewachsen ist. Der Kläger ging am nördlichen - von ihm aus gesehen - äußersten linken Fahrbahnrand, seine linke Schulter befand sich dabei in einem Abstand von 20 bis 60 cm vom Fahrbahnrand entfernt. Der Erstbeklagte lenkte seinen bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW in der Gegenrichtung mit einer Geschwindigkeit von 45 km/h, hatte das Abblendlicht eingeschaltet und hielt eine Fahrlinie nahe dem rechten Fahrbahnrand ein. Die rechte Flanke seines Fahrzeuges war vom nördlichen Fahrbahnrand maximal 40 cm entfernt. Obwohl Sicht auf mehrere 100 m bestand, nahm der Erstbeklagte den Kläger erst auf eine Entfernung von 3 bis 5 m wahr und konnte nicht mehr wirksam reagieren. Der Erstbeklagte wurde wegen dieses Unfalles vom Strafgericht des Vergehens nach § 88 Abs 1 und 4 StGB schuldig erkannt, weil er den rechten Fahrbahnrand nicht beobachtet und hiedurch den ihm entgegenkommenden Kläger übersehen und niedergestoßen habe. Der Kläger erlitt bei diesem Unfall lebensgefährliche Verletzungen, und zwar einen Schock, eine Gehirnquetschung, eine offene fronto-basale Impressionsfraktur mit Hirnaustritt und nachfolgendem Auftreten eines Hirnödems sowie ein verbliebenes posttraumatisches organisches Psychosyndrom, weiters zahlreiche Rißquetschwunden im Gesicht, eine Verrenkung des rechten Schultergelenkes, eine Ansprengung des rechten inneren Oberschenkelknorrens, einen Riß des Rektusmuskels im linken Oberschenkel, einen Zweietagenbruch des linken Schienbeins und einen Knorpelschaden an der linken Kniescheibe. Als Folge des Unfalles blieben im Gesicht zahlreiche bläulich-rötlich verfärbte, teilweise eingezogene und teilweise über das übrige Hautniveau ragende Narben zurück, weiters Ausmuldungen an der Stirn und über den Schläfenbeinen. Es kam zur Ausbildung eines posttraumatischen organischen Psychosyndroms, welches gegenwärtig als leichtgradig zu beurteilen ist. Im Vordergrund steht dabei eine deutliche Antriebsstörung mit verlangsamtem Gedankenablauf und deutlich verlangsamtem allgemeinem und forciertem Arbeitstempo, verbunden mit einer gewissen Umständlichkeit und Schwerfälligkeit in den Gedankenabläufen. Bezüglich dieses organisch bedingten Psychosyndroms besteht lediglich eine geringe Wahrscheinlichkeit einer Besserung. Angesichts der permanent verbleibenden erhöhten Verletzungsgefahr des Gehirnes auf Grund der in der knöchernen Schädeldecke vorhandenen drei verschieden großen Knochenlücken ist eine operative plastische Deckung derselben für den Kläger medizinisch dringend geboten. Die vom Kläger bis zum Jahresende 1988 zu erwartenden körperlichen Schmerzen unter Einbeziehung der notwendigerweise noch durchzuführenden Metallentfernung ergeben auf den 24-Stunden-Tag komprimiert 3 Tage Schmerzen sehr starken Grades, 10 Tage Schmerzen starken Grades, 20 Tage Schmerzen mittleren Grades und 85 Tage Schmerzen leichten Grades. Sollte sich der Kläger der ärztlicherseits dringend gebotenen plastischen Deckung seiner drei Knochendefekte am Schädeldach unterziehen, würde dies bei einem komplikationslosen Heilungsverlauf zusätzliche Schmerzen starken Grades von einem Tag, mittelstarken Grades von 3 Tagen und Schmerzen leichten Grades von 10 Tagen verursachen. Unfallsbedingt kam es beim Kläger zu einer über das übliche Ausmaß hinausgehenden psychischen Alteration, welche in erster Linie durch die lange Bewußtseinsstörung, aber auch durch den Aufenthalt in der Intensivstation bedingt war und die durch einen teilweisen Verlust an Lebensqualität und Lebensfreude, aber auch dadurch gekennzeichnet ist, daß es derzeit noch nicht vorhersehbar ist, ob das bestehende organische Psychosyndrom mit einer Antriebsstörung jemals eine Besserung erfahren wird.
Der Kläger brachte vor, er sei auf dem Bankett gegangen, den Erstbeklagten treffe das Alleinverschulden am Unfall. Der Kläger begehrte zunächst ein Schmerzengeld von S 400.000,-- sowie einen der Höhe nach nicht bestrittenen Betrag von S 5.126,68 für verschiedene Schäden. In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 9. Juni 1987 schränkte er das Schmerzengeldbegehren um S 100.000,-- ein, begehrte aber einen Betrag von S 30.000,-- an Verunstaltungsentschädigung. Außerdem stellte der Kläger bereits in der Klage ein Feststellungsbegehren.
Das Erstgericht gelangte zu dem Ergebnis, der an die Fahrbahn anschließende Streifen sei nicht als Straßenbankett anzusehen, dem Kläger sei daher kein Vorwurf zu machen, daß er am Fahrbahnrand gegangen sei, es treffe ihn kein Mitverschulden. Das Erstgericht erkannte daher im Sinne des Feststellungsbegehrens und sprach dem Kläger ein "Schmerzengeld" von S 330.000,-- sowie den Betrag von S 5.126,68, insgesamt daher S 335.126,68 samt 4 % Zinsen seit 20. März 1986 zu.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten, abgesehen vom Kostenpunkt, nicht Folge. Es führte aus, der durchschnittlich 40 cm breite beschotterte Streifen sei zwar als Straßenbankett anzusehen, doch sei es dem Kläger nicht zumutbar gewesen, bei Dunkelheit auf diesem relativ schmalen Teil der Straße zu gehen. Der Kläger habe daher den äußersten rechten Fahrbahnrand benützen dürfen, er sei auch nicht verpflichtet gewesen, die Fahrbahn zu verlassen, um vor dem Fahrzeug des Beklagten "zu fliehen". Der Kläger habe damit rechnen können, daß der Erstbeklagte sein Fahrzeug, da kein Gegenverkehr geherrscht habe und der Kläger erkennbar gewesen sei, nach links ziehen und einen entsprechenden Sicherheitsabstand einhalten werde. Das Erstgericht habe nicht gegen § 405 ZPO verstoßen, weil es die Verunstaltungsentschädigung von S 30.000,-- offenbar versehentlich als Schmerzengeld bezeichnet habe. Die körperlichen Schmerzen und die psychische Alteration rechtfertigten ein Schmerzengeld von S 300.000,--. Zu berücksichtigen sei nicht nur, daß der Kläger wochenlang bewußtlos und in Lebensgefahr in der Intensivstation gelegen sei, sondern auch, daß er - bedingt durch den Unfall - zeit seines Lebens voraussichtlich auch infolge eines organischen Hirndefektes beeinträchtigt sei, und zwar sowohl in seiner Lebensfreude als auch in seiner Lebensqualität. Er müsse mit dem Bewußtsein leben, daß schon die geringste Kopfverletzung bei ihm lebensbedrohende Folgen haben könne. Dazu komme sein seelisches Ungemach, bedingt durch das zu seinem Nachteil veränderte äußere Erscheinungsbild, welches neben der Verunstaltungsentschädigung als Teilkomponente des Schmerzengeldes zu berücksichtigen sei.
Die Beklagten bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision insoweit, als nicht beim Leistungs- und Feststellungsbegehren von einem Mitverschulden des Klägers von 50 % ausgegangen wurde, das Schmerzengeld mit mehr als S 200.000,-- bemessen wurde und Zinsen für die Verunstaltungsentschädigung bereits vor dem 9. Juni 1987 zuerkannt wurden.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist teilweise berechtigt.
Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
Der Rechtsrüge kann hingegen, soweit sie die Frage des Verschuldens am Unfall betrifft, eine teilweise Berechtigung nicht abgesprochen werden. Da gemäß § 2 Abs 1 Z 6 StVO den seitlichen nicht befestigten Teil einer Straße, der zwischen der Fahrbahn und dem Straßenrand liegt, das Straßenbankett bildet, kann kein Zweifel daran bestehen, daß es sich beim beschotterten Streifen um ein Straßenbankett handelte, welches der Kläger gemäß § 76 Abs 1 StVO hätte benützen müssen. Es wäre Sache des Klägers gewesen, Umstände zu behaupten und zu beweisen, die die Benützung des Banketts für ihn hätten unzumutbar erscheinen lassen (8 Ob 79/73, 8 Ob 63/81). Derartige Umstände hat der Kläger nicht vorgebracht, er hat vielmehr behauptet, auf dem Bankett gegangen zu sein (AS 2 und 23), was durch das Beweisverfahren widerlegt wurde. Auch aus den Feststellungen ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß eine Benützung des Banketts nicht zumutbar gewesen wäre. In der Entscheidung ZVR 1972/93 hat der Oberste Gerichtshof zwar ausgesprochen, daß die Klägerin nicht verpflichtet war, einen 25 bis 50 cm breiten nicht befestigten Streifen zu benützen. Nach dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt ragte die Grasnarbe an einer Stelle sogar bis 15 cm an den Asphaltrand heran, der Übergang zwischen unbefestigtem Streifen und der anschließenden grasbewachsenen Böschung zu einem 60 cm tiefer liegenden Wiesengrundstück war nicht deutlich gekennzeichnet. Im Fall der Entscheidung ZVR 1978/316 war der Schotterstreifen nur 25 cm breit und stieg leicht nach außen hin an, der Oberste Gerichtshof sprach aus, der von einer Tanzveranstaltung heimkommenden Klägerin, die Stöckelschuhe getragen habe, sei ein Benützen dieses Streifens nicht zumutbar gewesen. Im vorliegenden Fall war der beschotterte Streifen hingegen zumindest 35 cm breit und an ihn schloß niveaugleich ein Rasenstreifen an, sodaß bis zur Böschung ein 2,5 m breiter Streifen vorhanden war. Auf dem Rasenstreifen befanden sich auch die Straßenpflöcke. Es ist daher kein Grund ersichtlich, weshalb dem Kläger ein Benützen des beschotterten Streifens nicht zumutbar gewesen sein sollte. Dem Kläger muß daher ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 76 Abs 1 StVO angelastet werden. Gewiß muß ein Fußgänger nicht die Straße verlassen, um vor einem entgegenkommenden Fahrzeug "zu fliehen". Da aber die Verpflichtung besteht, das Bankett zu benützen, hätte der Kläger jedenfalls wegen des für ihn auf eine größere Strecke erkennbaren entgegenkommenden PKWs vor dessen Herannahen die Fahrbahn verlassen müssen. Hätte der Kläger das Bankett benützt, dann wäre laut dem Gutachten des verkehrstechnischen Sachverständigen der Unfall vermieden worden (AS 173). Es trifft daher auch den Kläger ein Verschulden am Unfall, das nicht vernachlässigt werden kann. Das Verschulden des Erstbeklagten, der den am Fahrbahnrand gehenden Fußgänger trotz unbehinderter Sicht überhaupt nicht bemerkte, wiegt jedoch ungleich schwerer, weshalb eine Schadensteilung im Verhältnis von 3 : 1 zu Gunsten des Klägers gerechtfertigt ist.
Hinsichtlich der Schmerzengeldbemessung kann der Revision nicht beigepflichtet werden. Bei der Bemessung des Schmerzengeldes sind die Art und Schwere der Körperverletzung, die Art, Intensität und Dauer der Schmerzen sowie die Dauer der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes überhaupt und die damit verbundenen Unlustgefühle zu berücksichtigen (Jarosch-Müller-Piegler, Das Schmerzengeld5 176). Abgesehen von den körperlichen Schmerzen, die auf die mehrfachen Verletzungen des Klägers zurückzuführen sind, kommt im vorliegenden Fall erhöhtes Gewicht dem Umstand zu, daß der Kläger eine besonders schwere Verletzung erlitt, nämlich eine Schädelverletzung mit Gehirnaustritt. Weiters sind die psychischen Beeinträchtigungen sowie die Dauerfolgen von Bedeutung. Unter diesen Umständen kann in der Bemessung des Schmerzengeldes mit S 300.000,-- kein Rechtsirrtum erblickt werden.
Berechtigt ist die Revision, soweit sie sich gegen den Zuspruch von Zinsen aus der Verunstaltungsentschädigung bereits ab 20. März 1986 wendet. Der Kläger hatte zwar ursprünglich S 400.000,-- Schmerzengeld gefordert, hat dieses Begehren aber auf S 300.000,-- eingeschränkt. Gleichzeitig mit der Einschränkung machte er wohl die Entschädigung nach § 1326 ABGB geltend, doch handelt es sich bei dieser Entschädigung um einen anderen Anspruch als beim Schmerzengeld. Zinsen können daher erst ab der Geltendmachung der Verunstaltungsentschädigung, somit erst ab 9. Juni 1987, zuerkannt werden.
Die Entscheidung war daher dahin abzuändern, daß das Feststellungsbegehren im Ausmaß von 3/4 berechtigt ist und daß dem Kläger vom Betrag von S 335.126,68 nur 3/4, somit S 251.345,01, zustehen und Zinsen für die Verunstaltungsentschädigung erst ab 9. Juni 1987 gebühren.
Da der Kläger in allen drei Instanzen mit 3/4 seines Begehrens obsiegte, mit einem 1/4 aber unterlegen ist, hat er gemäß § 43 Abs 1 ZPO Anspruch auf die Hälfte seiner Kosten. Das Unterliegen mit einem Teil des Zinsenbegehrens ist für die Kostenentscheidung ohne Bedeutung (§ 43 Abs 2 ZPO). Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens gründet sich überdies auf § 50 ZPO.
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